Diese theoretischen Physiker…während einige wenige Halbgares zur String-Theorie verbreiten, sind die meisten einfach pragmatisch; sie greifen tief in den Werkzeugkasten der String-Theorie und benutzen Holographie und Schwarze Löcher, um neue Wege zu finden schwierige Probleme der Quantenfeldtheorie anzugehen – ein vielversprechender Weg.

Die Werkzeugkiste gefüllt wurde von Gerardus t’Hooft und Leonard Susskind, als sie das holographische Prinzip entwickelten. Ich will das vorwegschicken, also wundert euch nicht wenn ich es jetzt noch nicht besonders gut erkläre. Das holographische Prinzip wurde im Rahmen der Stringtheorie entwickelt und macht die überraschende Beobachtung, dass man durch eine zehndimensionale Stringtheorie eine Feldtheorie auf dem Rand beschreiben kann. Ein besonders genau vermessener Spezialfall ist die AdS/CFT-Korrespondenz zwischen einem Anti-de-Sitter-Raum (kommt noch) und einer dazu konformen Feldtheorie.
Warum ich das vorwegschicke: Diese Korrespondenz könnte physikalisch bedeutend werden, ist aber noch nicht ordentlich (mathematisch) bewiesen. Seit etwas über 10 Jahren verwendet man aber das dafür entwickelte mathematische Rüstzeug, um Probleme der theoretischen Physik anzupacken. Das folgende ist also unabhängig von Stringtheorien, aber macht eine kleine Verbeugung vor der Stringtheorie für die Bereitstellung der SpielWerkzeuge.

Probleme? Welche Probleme?

Bevor ich jetzt wieder mit Raumzeitgeometrien ankomme, wollen wir lieber erstmal anschauen welche Probleme es denn gibt die man damit angehen möchte und warum. Oder besser, gehen wir noch einen Schritt zurück und schauen erstmal was eine Quantenfeldtheorie überhaupt ist. Man spricht nämlich immer von verschiedenen Theorien, und hier ist “Theorie” wirklich ziemlich handfest aufzufassen. Die Grundidee ist das Feld. Das Feld trägt – schließlich ist es Quantenphysik – einen Vakuumzustand endlicher Energie*. QFTen gehen im allgemeinen von lokalen Felder aus – das heißt dass man das Feld in einem Punkt der Raumzeit die gesamte Information über die weitere Entwicklung trägt. Das ist im Gegensatz zu Berechnungen die man aus der Schule kennt. Wenn ihr eine Kanone abfeuert und den Flug der Kugel berechnet, müsst ihr aus der Vergangenheit schauen – wann wurde die Kugel abgefeuert, wie stark, wohin – um an einem Punkt zu berechnen ob und wann die Kugel dort eintrifft. Felder ziehen diese Information zusammen. Die Grundrechnungsmethode ist die Wirkung – ein Integral über die Lagrange-Dichte. Diese Dichte wiederum verpackt die Information über Potentiale – was in der klassischen Rechnung durch Kräfte und Energien ausgedrückt wird. Der Dreh- und Angelpunkt einer Theorie ist also neben der Festlegung der Art des Feldes die Lagrange-Dichte: Deren Form entscheidet das Geschehen. Magnetfelder? Dann wird ein Term dazu in der Dichte auftauchen. Teilchen die Masse tragen? Dann muss ein Masseterm und spezielle Potentialformen auftreten (bzw. andersrum – bei speziellen Formen springt die Masse heraus).

Eine bekannte Theorie ist z.B. die Quantenelektrodynamik, die die elektromagnetische Wechselwirkung beschreibt. Hier liegt eine schwache Kopplung vor, und die Theorie ist äußerst genau berechenbar. Kompliziertere Prozesse (z.B. dass sich ein Photon unterwegs noch kurz spontan in ein Elektron-/Positronpaar verwandelt) innerhalb eines Vorgangs sind unwahrscheinlicher, wie man es (naiv) erwartet.
Schwierig werden Theorien bei starker Kopplung wie in der Quantenchromodynamik, die die Starke Wechselwirkung beschreibt. Diese ist Schuld, dass Protonen so ein kompliziertes Gemisch aus Quarks und Gluonen sind – denn kompliziertere Prozesse werden wegen der starken Kopplung der Teilchen manchmal sogar wahrscheinlicher als der einfache friedliche Flug eines Austauschteilchens. Erst der Kompromiss aus verfügbarer Energie und Wunsch zum Quark-Gluon-Knäuel legt die endliche Größe des Protons fest.
Die Stärke der Kopplung hängt außerdem von der Energieskala ab. Bei großen Energien – das entspricht kleinen Distanzen bzw hohen Frequenzen – sind die Quarks quasi frei. Aber bei größeren Abständen erzeugen sich die Quarks lieber Partner als sich frei beobachten zu lassen.
Die genauer Berechnung vor allem bei den Abständen die das Proton definieren ist äußerst schwierig, weil man sehr viele Teilchen hat die stark interagieren. Hier wurden das Hilfsmittel der Dualitäten zuerst angewandt. Denn mit einer AdS/CFT-Korrespondenz kann man eine solch komplizierte Feldtheorie auf eine Gravitationstheorie mit wenigen Teilchen und schwacher Kopplung auf einem speziell gekrümmten Raum mit einer Zusatzdimension zurückführen. Zusätzliche geek credibility bekommt die Methode dadurch, dass die Teilchen, mit denen man in der gravitativen Theorie herumspielt Schwarze Löcher sind!

Surf on Fermi

Es gibt aber noch mindestens ein weiteres großes ungelöstes Problem, bei dem starke Kopplungen auftauchen – das der Kuprat-Supraleiter. Diese spezielle Klasse der Supraleiter lässt sich nicht mit der BCS-Theorie der normalen Supraleitung erklären. Aber ein theoretisches Verständnis wäre hochattraktiv – wenn man dadurch echte Hochtemperatur-Supraleiter entwickeln könnte würde das die Welt verändern.
Kuprat-Supraleiter wehren sich noch gegen ein vollständiges Verständnis, aber einiges hat man bereits herausgefunden. Wiederum geht es darum, die Phase in dem das Metall sich befindet richtig zu beschreiben. Wie die Herde an Elektronen sich im Gitter des Festkörpers verhält.
In klassischen Metallen spricht man von einem Elektronengas. In einem Festkörper sind die möglichen Elektronenzustände nur bis zu einer bestimmten Energie besetzt, der Fermi-Kante. Das kommt daher, dass keine zwei Elektronen im gleichen Zustand sitzen können. Notgedrungen werden also Zustände höherer Energie nacheinander besetzt, bis alle Elektronen verteilt sind.
Im niedrigsten Energiezustand wäre diese Kante eine scharfe Grenze, aber in Anwesenheit von Energie/Temperatur wird daraus eine verschmierte Kante. Einzelne Elektronen nehmen Energie auf, springen höher und können sich dann (im Metall) als Ladungsträger frei bewegen. In einem echten Festkörper hat man natürlich keine 1D-Kante sondern eine mitunter komplizierte Oberfläche, die die Grenze zwischen besetzten und unbesetzten Zuständen angibt. Man nennt das die Fermi-Fläche – oh und sie befindet sich im Impulsraum, nicht im Ortsraum. Es ist also eine Fläche konstanter Energie, keine Position im Raum.

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Einfache Fermifläche, Bildquelle

In einer Feldtheorie kann man die Aktivierung von Elektronen wiederum als Anregung eines Feldes betrachten. Und da unterscheiden sich die Kuprat-Supraleiter deutlich vom Metall. Im Metall zieht man die Analogie zu einem Gas – das Elektronengas oder Fermigas. Die Elektronen sind schwach gekoppelt.
Zur Beschreibung von starken Kopplungen ist das passende Analog das einer Flüssigkeit. Ein Quark-Gluon-Plasma z.B. hat sich als Fermiflüssigkeit mit besonders geringere Viskosität herausgestellt. Man muss aber die Elektronen durch Quasipartikel ersetzen, die man dann wie Moleküle in einer Flüssigkeit interagieren lässt.
Aber zur Beschreibung des Supraleiters scheint auch das Bild der Fermiflüssigkeit nicht zu stimmen. Eine abweichende Eigenschaft ist beispielsweise der lineare Anstieg des Widerstandes mit der Temperatur oberhalb der Sprungtemperatur für Supraleitung (bei einer Fermi-Flüssigkeit ist es T²-Verhalten) und so richtige Quasipartikel scheinen auch nicht definierbar zu sein.
Gesucht ist also: eine Beschreibung einer nicht-Fermi-Phase in einem sogenannten “seltsamen Metall”, die als “marginale Fermi-Flüssigkeit” bezeichnet wird.

Ping Pong an Schwarzen Löchern

ResearchBlogging.orgUnd nach dieser knappen Einleitung sind wir damit bei einem aktuellen Paper, das online vorab in Science Express veröffentlicht wurde. Dort entdecken Thomas Faulkner, Nabil Iqbal, Hong Liu, John McGreevy und David Vegh nämlich mit dem Hilfsmittel der Eich/Gravitation-Dualität eben solch eine Phase. Vorsicht, das heißt jetzt nicht dass sie genau den Kuprat-Supraleiter beschreiben; aber sie finden immerhin ähnliche Eigenschaften und schaffen so ein Rahmenwerk in dem man vielleicht die Kuprate theoretisch verstehen kann.

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Bild: Alfred T. Kamajian

Stellen wir uns also dieses Universum vor wie im Bild (und ignoriert die Strings). Im inneren haben wir in dieser Arbeit einen vierdimensionalen Raum mit spezieller Geometrie (dazu gleich mehr) – den Anti-de-Sitter-Raum. Auf dem Rand davon, also in drei Dimensionen, lebt unsere gesuchte Feldtheorie. Die zusätzliche Dimension im Inneren kann mit der Energieskala in Verbindung gebracht werden.
Und jetzt der Clou: Die Dichte der marginalen Fermiflüssigkeit, einer Flüssigkeit aus vielen stark gekoppelten Quasiteiclhen korrespondiert zur Dichte weniger, schwach gekoppelter Teilchen am Rande eines Schwarzen Lochs!!

Folgendes Gedankenexperiment erzeugt das Gas um das Schwarze Loch: Erzeuge Paare von Quasiteilchen, die zu Paaren von Teilchen korrespondieren, die an der Fermi-Fläche entstehen (ein Loch und ein Quasi-Elektron). Dank Hawking und Bekenstein wissen wir, dass Schwarze Löcher thermodynamische Objekte sind. Außerdem betrachten wir unser Schwarzes Loch als positiv elektrisch geladen. Erzeugen wir jetzt ein Paar direkt am Ereignishorizont, so wird das negativ geladene Teilchen in das Loch stürzen. Das positiv geladene aber wird abgestoßen und sich vom Locher entfernen.
Nun ist es Zeit, den Anti-de-Sitter-Raum zu erklären. Dieser besitzt nämlich eine spezielle Geometrie der Raumzeit. Im Gegensatz zu unserem Universum ist ein AdS-Raum nämlich negativ gekrümmt! Und das bewirkt, dass das abgestoßene Teilchen wieder zurück zum Schwarzen Loch stürzen wird. Jetzt kann es entweder in das Loch stürzen oder am Ereignishorizont reflektiert werden – und so weiter – Ping Pong am Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs. Letztendlich kann sich aber ein Gleichgewicht einstellen und das Teilchen gerade außerhalb des Ereignishorizonts zur Ruhe kommen. Mit mehreren solcher Teilchen wird man also ein Gas von schwebenden Teilchen um das Schwarze Loch erhalten.

Dann geschieht ein großes mathematisches Wunder, und man kann eine Relation herstellen zur Dichte in der Feldtheorie. Genauer gesagt betrachtet man dort Korrelationsfunktionen, ein wichtiges Maß für Quantenfeldtheorien, die aber für starke Kopplung nur sehr schwer abzuleiten sind. Und eben das macht diese recht neue mathematische Methode so attraktiv.
Im Paper gelingt es so, eine Phase zu beschreiben mit den Eigenschaften einer marginalen Fermi-Flüssigkeit.


Faulkner, T., Iqbal, N., Liu, H., McGreevy, J., & Vegh, D. (2010). Strange Metal Transport Realized by Gauge/Gravity Duality Science DOI: 10.1126/science.1189134


* Renormalisierung vorausgesetzt


Kommentare (3)

  1. #1 Lars Fischer
    08/09/2010

    D.h. was die gefunden haben ist quasi ein Umweg zur mathematischen Beschreibung der starken Kopplung in einem Cuprat-Supraleiter?

  2. #2 Jörg
    08/09/2010

    Ja, wenigstens ein aussichtsreicher Kandidat dafür. Und der Umweg ist berechenbar, im Gegensatz zum direkten (?) Weg.

  3. #3 Lars Fischer
    08/10/2010

    Wirklich interessant wäre das ja vor allem deswegen, wenn man auf der Basis die nötigen Bedingungen für die Hochtemperatursupraleitung festnageln könnte, aber ich sehe noch nicht so recht, wie das laufen soll. Mal gucken was da so an Publikationen nachkommt.