Gewitterwolken sind erstaunlich starke Teilchenbeschleuniger. Jetzt bietet ein Messgerät auf dem Satelliten AGILE erstmals die Möglichkeit, die Stärke der Beschleunigung auf die Elektronen in hohen Energiebereichen zu messen.

ResearchBlogging.orgEigentlich beobachtet die italienische Satellitenmission AGILE (Astro-rivelatore Gamma a Immagini L’Eggero) ganz andere Quellen von Gammastrahlen, kosmische natürlich. Aber man hat festgestellt, dass wenigstens ein Messinstrument auf dem Satelliten den Rundumblick hat, und außerdem zwischen Quellen auf der Erde und im All unterschieden kann – wie geschaffen um das Treiben von Gewitterwolken zu beobachten.
Anfang der 90er hat der Compton-Satellit nämlich Ausbrüche von Gammastrahlen in der Atmosphäre festgestellt, die sich später als aus Gewitterwolken stammend herausstellten. Jetzt war das beobachtbare Energiespektrum begrenzt, und erst der neue AGILE bietet die Möglichkeit, einen breiteren Bereich anzusehen und Rückschlüsse auf das Geschehen in den Wolken zu bieten.

Elektronenparty

Und was da abgeht, ist quasi die Straßenparty für Elektronen. Nicht nur zwischen Wolke und Boden, auch innerhalb der Wolke kann es nämlich zu starken elektrischen Feldern kommen, die Elektronen beschleunigen. Jetzt fliegen die Elektronen dabei aber natürlich durch eine Wolke, und haben reichlich Gelegenheit, sich durch Stöße an Molekülen abzuregen. Erst wenn das beschleunigende Feld besonders groß wird (> 280 kV/m), ist der Energiegewinn größer als der durchschnittliche Verlust und die Party kann losgehen (wissenschaftlich ausgedrückt, salopp spricht man vom “relativistic run-away breakdown”). Und was dann los ist – abgesehen davon dass die Elektronen elastisch streuen können und dabei einen Teil (auch alle) ihre Energie als Bremsstrahlung in Form von Photonen aussenden, können sie auch inelastisch andere Elektronen befreien kann, die dann Teil der Partykaskade werden, da sie ihrerseits wieder beschleunigt werden. Wenn die Elektronen besonders lange und stark beschleunigt werden, können sie Photonen im Bereich der Gammastrahlung abgeben. Wenn dann so eine ganze Kaskade am Werke ist, kann es zu einem millisekundenlangen Gamma-Feuerwerk kommen.

Eye in the Sky

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AGILE war jetzt in der Lage, auch Gammastrahlen bis 100 MeV zu beobachten. Die bisherigen Modelle der Beschleunigung in den Wolken ließ aber nicht erwarten, solche auch zu finden. Die Beschleunigungsstrecken sollten maximal bis einigen hundert Metern liegen, und daher wurde ein exponentieller Abschnitt bei höheren Energien erwartet.
Zwar fand man wenige Ereignisse bei hohen Energien, den erwarteten Abfall zeigen diese aber eindeutig nicht:

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Stattdessen liegen die Punkte bei hoher Energie weiter fein auf einer Geraden – in der gezeigten doppelt-logarithmischen Auftragung also einem Potenzgesetz folgend. Das hat man so nicht erwartet, bedeutet es doch dass dafür in den Wolken die Beschleunigungsstrecken eher im Kilometerbereich liegen müssen – echte Partymeilen für die Elektronen. Einzelne Gamma-Photonen erreichten sogar die 100 MeV, und sind somit ein Beleg für Elektronen die mindestens diese Energie haben. Da die Elektronen ja normalerweise nicht ihre ganze Energie in einem Photon verlieren, kann man damit rechnen dass die Elektronen in den Wolken einige 100 MeV Energie gewinnen! Das ist somit auf der Erde der stärkste nicht vom Menschen gemachte Teilchenbeschleuniger.
Außerdem sind das Energien, bei denen Gammastrahlen Neutronen erzeugen können, die man ebenfalls unter starken Gewittern messen konnte. Ferner ist die genauere Erforschung dieser Phänomene nicht nur wertvoll für ein besseres Verständnis von Gewitterwolken, sondern man muss sich sogar darüber Gedanken machen, ob solche Gammastrahlen eine Gefahre für Fluggäste darstellen könnten.


Tavani, M., Marisaldi, M., Labanti, C., Fuschino, F., Argan, A., Trois, A., Giommi, P., Colafrancesco, S., Pittori, C., Palma, F., Trifoglio, M., Gianotti, F., Bulgarelli, A., Vittorini, V., Verrecchia, F., Salotti, L., Barbiellini, G., Caraveo, P., Cattaneo, P., Chen, A., Contessi, T., Costa, E., D’Ammando, F., Del Monte, E., De Paris, G., Di Cocco, G., Di Persio, G., Donnarumma, I., Evangelista, Y., Feroci, M., Ferrari, A., Galli, M., Giuliani, A., Giusti, M., Lapshov, I., Lazzarotto, F., Lipari, P., Longo, F., Mereghetti, S., Morelli, E., Moretti, E., Morselli, A., Pacciani, L., Pellizzoni, A., Perotti, F., Piano, G., Picozza, P., Pilia, M., Pucella, G., Prest, M., Rapisarda, M., Rappoldi, A., Rossi, E., Rubini, A., Sabatini, S., Scalise, E., Soffitta, P., Striani, E., Vallazza, E., Vercellone, S., Zambra, A., Zanello, D., & , . (2011). Terrestrial Gamma-Ray Flashes as Powerful Particle Accelerators Physical Review Letters, 106 (1) DOI: 10.1103/PhysRevLett.106.018501



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Kommentare (4)

  1. #1 MartinB
    01/05/2011

    “Energien, bei denen Gammastrahlen Neutronen erzeugen können”
    Wie erzeugen Gamma-Strahlen Neutronen? Ich vermute, über Kernreaktionen?

  2. #2 rolak
    01/05/2011

    Ich ging davon aus, daß so etwas gemeint war und habe die merkwürdige Formulierung glatt überlesen…

  3. #3 Jörg
    01/05/2011

    Wie erzeugen Gamma-Strahlen Neutronen? Ich vermute, über Kernreaktionen?

    Im Paper steht durch Photoproduktion von Gammastrahlen zwischen 10 und 100 MeV mit Stickstoff und Sauerstoff. Und die Referenzen:
    [30] L. P. Babich, JETP Lett. 84, 285 (2006).
    [31] L. P. Babich and R.A. Roussel-Dupre, J. Geophys. Res.
    112, D13303 (2007).
    [32] B. E. Carlson, N.G. Lehtinen, and U. S. Inan, J. Geophys.
    Res. 115, A00E19 (2010).
    [

  4. #4 Bullet
    01/05/2011

    Erst wenn das beschleunigende Feld besonders groß wird (> 280 kV/m), ist der Energiegewinn größer als der durchschnittliche Verlust und die Party kann losgehen

    Ha. Und ich hab letztens mal ausgerechnet, daß bei Spannungen über 255 kV die Geschwindigkeit eines solcherart beschleunigten Elektrons c überschreitet. Selbstverständlich mit der Thimschen Methode der Verweigerung der RT. Unsere Gewitterwolken müßten vor lauter Tscherenkow-Strahlung blau leuchten, daß es nur so … ähm … leuchtet.
    Ja. Okay. 🙂