Um etwas in lebende Zellen hinein zu bekommen gibt es auch mehrere Ansätze. Man kann Elektroporation benutzen. Dabei werden durch ein elektrisches Feld Löcher in die Zellwand gerissen, durch die Marker hinein kommen können. Klingt nicht gerade schonend und ist es auch nicht. Auch ist diese Methode nicht geeignet einzelne Zellen zu markieren. Es werden immer sehr viele Zellen auf einmal „behandelt“. Neben anderen, ebenfalls recht harschen Herangehensweisen gibt es auch noch die Microinjection. Eine Nadel (Mikropipette) mit einem Durchmesser zwischen 0,5µm bis 5µm wird in die Zellwand gestochen und Fremdmoleküle werden über Druck injiziert. Die Methode erlaubt es einzelne Zellen gezielt zu manipulieren. Dabei wird die Zelle kurzzeitig wie ein Ballon aufgebläht, kehrt aber nach kurzer Zeit in den Ausganszustand zurück, schließlich hat man mit der nicht gerade kleinen Nadel ein Loch in die Zellwand gestochen. Ein Durchmesser von 0,5µm ist für eine solche Nadel die absolute Untergrenze, filigranere Nadeln würden durch den Druck der Injektion bersten.
Die meisten Zellen (ca. 50-60%) kommen damit nicht gut klar und sterben bei oder kurz nach der Injektion.

Also ist Nanoinjection doof? Moment… Micro? Nano?

Microinjection ist schon eine ziemlich Holzhammermethode. Und warum soll dann Nanoinjection schonend und besser sein, wie ich ganz oben angedeutet habe? Die Techniken unterscheiden sich doch nur durch eine Vorsilbe! Mikro – Nano – was ist das schon für ein Unterschied? Beides ziemlich klein, oder?

Verdammt klein, besonders wenn man bedenkt, dass ein menschliches Haar einen Durchmesser von 100µm haben kann, heißt das, dass die Spitze einer Mikropipette 20-200 Mal kleiner ist als der Durchmesser eines Haares. Nanoinjection treibt die Sache jetzt aber ein Stückchen weiter als man denken würde. Bei dieser Technik ist die Spitze der Nadel (Nanopipette) kleiner als 0,1µm (oder 100nm), also 1000 Mal kleiner als ein Haar. Damit ist die Untergrenze aber noch nicht erreicht. Nanopipetten können bis 10 nm im Durchmesser klein sein. Wenn man die „Fläche“ der Spitze einer Nanopipette betrachtet, im Vergleich zur kleinsten Mikropipette, heißt das eine knapp 33-fach kleinere Einstichfläche (pi * 50nm² vs pi * 250nm²). Die Nanopipette ist also so klein, dass man sie nicht einmal mehr unter dem Mikroskop sieht. 100nm, das ist unter der Beugunsgrenze des sichtbaren Lichts die von Abbe und Rayleigh beschrieben wurde.

Man kann jetzt natürlich einwenden: „Moment mal, war da eben nicht die Rede davon, dass so kleine Nadeln Injektionsdrücke nicht aushalten?“, und man hätte recht damit. Der Clou bei der Nanoinjection ist, dass nichts injiziert wird, jedenfalls nicht über Druck und einer damit verbundenen Volumenänderung innerhalb der Zelle. Die „Injektion“ basiert allein auf der Bewegung von geladenen Molekülen innerhalb eines elektrischen Feldes. Das hat den Vorteil, dass nur die Moleküle injiziert werden, die auch wirklich in die Zelle sollen. Man kann sich das ungefähr so vorstellen, dass die Moleküle durch die Nanopipette zur Spitze hin wandern und dann in die Zelle weitergehen. Im Gegensatz zur Microinjection, bei dem die Injektion in einem Puls abläuft ist es also ein kontinuierlicher Prozess. Das hat den Vorteil, dass man nicht vorher bestimmen muss wie viel man injiziert, sondern man stoppt den Injektionsvorgang einfach, wenn die Zelle genügend Moleküle aufgenommen hat. Man kann den Prozess bei fluoreszierenden Molekülen sogar unter dem Mikroskop beobachten.

Nanoinjection von Sytox Green in das Zytoplasma einer lebenden HeLa Zelle. Die gerichtete Diffusion zum Zellkern kann beobachtet werden. Video CC-BY 4.0 Dr. Simon Hennig
 
 

Wie sticht man etwas mit einer Nadel, die man nicht sehen kann?

Mit Gefühl. Obwohl ein Mikroskop ein optisches Instrument ist, muss man sich ja nicht zwangsläufig auf das Visuelle verlassen. Wie oben schon erklärt, werden die Farbstoffe aus der Nanopipette mit Hilfe eines Ionenflusses abgesetzt, also durch das Anlegen eines elektrischen Feldes. Dieses Feld muss sehr genau angesteuert werden können und genau kontrolliert und gemessen werden – schließlich sprechen wir hier von wenigen Molekülen. Und genau diesen Ionenfluss kann man auch für die Abstandsmessung ausnutzen. Wenn man die Nanopipette direkt von oben nach unten in Richtung der Zelle steuert kann man eine Abnahme des Ionenflusses messen, je näher man der Zelloberfläche kommt. Diese Technik nennt man SICM, was kurz für scanning ion-conductance microscope ist. Damit kann man die Zelloberfläche sehr genau kartieren und ist ein weiterer Vorteil der Nanoinjection-Methode. Nicht nur weil man quasi einen weiteren Sinn, also eine zusätzliche Messgröße hat, sondern auch weil es eine Möglichkeit zur Automatisierung bietet. Würde man die Position optisch kontrollieren (wenn man die Nadel sehen könnte), müsste man relativ komplexe Software zur Bilderkennung einsetzen, bei der der Teufel im Detail liegt. Wenn man aber den Abstand als Funktion eines Stromes messen kann, hat man eine recht zuverlässige Messgröße um einfache Aufgaben zu automatisieren. Zum Beispiel: “Stich mir mal diese zwanzig Zellen an, die ich markiert habe und setze jeweils 200 Farbstoffe ab.”

Die Summe von vielen, kleinen Ideen

Es gibt also einige Grundlegende Unterschiede und vor allem Vorteile zur Microinjection. Deutlich kleinere Nadel durch die die Zelle weniger beschädigt wird. Keine Belastung der Zelle durch zusätzliches Volumen beim Absetzen von Farbstoffen durch ein elektrisches Feld. Zuschauen, wie die Moleküle in die Zelle gelangen mit Fluoreszenzmikroskopie und damit die Kontrolle über die abgelegten Moleküle. Präzise Annäherung und Positionsbestimmung der Nanopipette, Automatisierbar durch die Abstandsmessung mit Hilfe von Ionenströmen (SICM). Das sind viele Fakten, die mir am Anfang den Blick auf das Potential dieser Technik genommen haben und ich dachte erstmal “so what?”

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Kommentare (3)

  1. #1 Fliegenschubser
    13. Oktober 2016

    Faszinierend…das eröffnet eine Menge Möglichkeiten. Ich muss mir gleich mal das Paper durchlesen.
    Man muss ja auch nicht zwangläufig Farbstoffe injizieren. Wie wäre es mit Wirkstoffen/Medikamenten? Man könnte live und in Farbe räumlich-zeitlich verfolgen, welche Konzentration des Stoffes was bewirkt. Oder second messenger einbringen. Oder Ca-Ionen. Oder genau definierte Mengen bestimmter Transkriptionsfaktoren. Oder verschieden modifizierte Viruspartikel inklusive Medikamente dagegen. Oder oder oder….

    • #2 André Lampe
      13. Oktober 2016

      Ich freue mich sehr, dass das so viel Enthusiasmus bei dir auslöst. Ging mir nicht anders 😉

  2. […] Blog Die Kleinen Dinge wird erklärt was es mit der Nanoinjection auf sich hat, einer interessanten Methode um ins Innere […]