i-72dc3f15e2362f6bbbac2921e6fb5967-Reziprozitaet.jpgEs sind fast immer die Klassiker: Notizblöcke mit Firmenlogo oder die unvermeidlichen Kugelschreiber mit Werbeaufdruck. Und die große Frage, die sich stellt: Wer zum Teufel braucht diesen Kram? Und wieso überschütten Firmen überhaupt ihre Kunden und Geschäftspartner mit all diesen Werbegeschenken?

Daß die großzügige Verteilung von Werbeartikeln durchaus sinnvoll und natürlich keineswegs uneigennützig ist, zeigt eine aktuelle Studie, die die Effizienz subtiler Einflußfaktoren in der Medizin illustriert.

Wirksames Pharmamarketing

Mit ihrer Studie wollte das Forscherteam um den Psychologen David Grande von der Universität Philadelphia überprüfen, ob und mit welchen Erfolgsaussichten die Marketingbemühungen der Pharmafirmen Erfolg haben können. Dazu luden sie Medizinstudenten verschiedener Unis zu einem Test ein, der sich vorgeblich mit der klinischen Entscheidungsfindung beschäftigte.

Die Studenten sollten bei dem Test – der als IAT-Test (Impliziter Assoziationstest) aufgebaut war – ihre Einstellung in Bezug auf verschiedene Medikamente dokumentieren. Es ging um die Cholesterinsenker Zocor und Lipitor. Die Studenten sollten innerhalb des Tests u.a. Wortpaare, die mit positiven oder negativen Eigenschaften konnotiert sind, den beiden Präparaten zuordnen.

Schon die Plazierung eines Medikamentennamens auf einem Notizzettel führt zu einer veränderten Beurteilung des Präparats durch Medizinstudenten.

Die Versuchsgruppe war zweigeteilt: die Studenten stammten nämlich zur einen Hälfte von der University of Pennsylvania School of Medicine, wo Pharmawerbung strikt verboten ist. Die andere Hälfte (insgesamt nahmen 352 Studenten an dem Experiment teil) kam von der Miami Miller School of Medicine, wo Pharmawerbung auch auf dem Campus kein Tabu ist. Direkt vor dem Experiment erhielt jeder zweite Student ein Klemmbrett und einen Notizzettel, wo jeweils das Logo von Lipitor® aufgedruckt war.

Das Ergebnis: Diese Einflußnahme – durch Positionierung des Produktlogos auf Klemmbrett und Notizzettel – wirkte sich auf die Bewertungen aus, die die Studenten im Test den beiden Medikamenten gaben. Und zwar wurde Lipitor von Studenten der Miami Miller School of Medicine (die sozusagen an Pharmawerbung “gewöhnt” sind) deutlich besser bewertet, als das Konkurrenzprodukt. Und dieser Effekt kam allein durch die richtige Plazierung eines Produktlogos zustande!

Interessanterweise reagierten die Studenten der University of Pennsylvania School of Medicine ganz anders: sie bewerteten Lipitor schlechter, wenn sie zu der Gruppe gehörten, die das Klemmbrett mit Markenlogo erhalten hatte.

Was lehrt uns dieses Beispiel? Für die Pharmafirmen ist das Experiment sicherlich eine Bestätigung für ihre Vorgehensweise, die Ärzte (und natürlich bereits Medizinstudenten) mit jeder Menge Werbematerial versorgt. Denn offensichtlich läßt sich durch solche Maßnahmen sehr effektiv die Grundeinstellung zu den eigenen Produkten beeinflußen. Und das funktioniert auf einem sehr niederschwelligen Niveau – denn die Studenten (leider wurde das nicht abgefragt) fühlten sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht manipuliert.

Reziprozitätsregel: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft…

Nun gab es im oben skizzierten Experiment natürlich noch die Gruppe, die auf die Plazierung des Werbelogos auf der Klemmmappe nicht positiv reagierte. Allerdings ist das überhaupt kein Indiz dafür, daß diese Gruppe vollkommen immun gegenüber Einflußmaßnahmen wäre. Denn bei dem Experiment gab es ja wohlgemerkt keine Geschenke, die verteilt wurden (nicht einmal den obligatorischen Kugelschreiber).

Interessant wäre es gewesen, wenn die Gruppe in drei Teile aufgeteilt worden wäre und die dritte Gruppe im Vorfeld eben kleine Werbegeschenke erhalten hätte. Man darf annehmen, daß der Verzerrungs-Effekt noch stärker gewesen und auch in der Studentengruppe von der Pennsylvania School of Medicine wirksam geworden wäre. Eine Erklärung liefert die sogenannte Reziprozitätsregel.

Reziprozität: Wer Geschenke erhält revanchiert sich mit Gegenleistungen…

Die Reziprozitätsregel bezieht sich auf das tief in uns verankerte Verhaltensmuster, das uns dazu motiviert auf bestimmte Leistungen, Gefälligkeiten oder Geschenke mit einer Gegenleistung zu reagieren. Sich für vergangene Leistungen oder Wohltätigkeiten von dritten Personen zu revanchieren ist durchaus sinnvoll; und wer sich dieser Norm konsequent widersetzt (also immer nur empfängt und niemals gibt) hat in allen Kulturen mit Sanktionen zu rechnen. Das perfide an diesem psychologischen Reaktionsmuster ist freilich, daß es unser Urteilsvermögen unterläuft, was sich die Marketingabteilungen natürlich zunutze machen.

Interessant ist dabei, daß die Reziprozitätsregel – wie Untersuchungen belegen (s.u.) – fast unabhängig von der Größe des “Geschenks” funktioniert. Auch die sprichwörtlichen kleinen Geschenke veranlassen den Beschenkten tendenziell zu einem revanchierenden Verhalten, das oftmals im Gegenwert unverhältnismäßig hoch ist.

Und ebenso spannend ist, daß dieser Mechanismus auch unabhängig davon funktioniert, ob man den Partner sympathisch findet. Ein Gefühl der Verpflichtung zur Gegenleistung entsteht dennoch.

David Klemperer, Professor für Sozialmedizin in Regensburg und Vorsitzender des Dt. Netzwerks Evidenzbasierte Medizin, schreibt in einem lesenswerten Beitrag (PDF):

“Das Problem der Beeinflussung durch Geschenke erkennen die meisten Ärzte zwar, allerdings sehen sie das Problem eher bei ihren Kollegen und halten sich selbst für immun gegenüber der Einflussnahme der Industrie. Ähnliches gilt für den Besuch von Pharmavertretern: je häufiger ein Arzt Pharmavertreter empfängt, desto höher ist zwar die Wahrscheinlichkeit, dass er die beworbenen Medikamente verschreibt, umso stärker ist er jedoch davon überzeugt, dass ihn der Pharmavertreter in seinem Verschreibungsverhalten nicht beeinflusst. Selbst wenn die Ärzte versuchen, objektiv zu sein, ist ihr Urteilsvermögen einer den Eigeninteressen folgenden Verzerrung unterworfen.”

Zusammenfassend: All die Kugelschreiber, Haftnotizen und andere Artikel, mit denen die Pharmafirmen die Ärzte beglücken, dienen einem wohlkalkulierten Zweck und sind – aus der Perspektive der Pharmaindustrie – sicherlich hocheffizient, was das Verhältnis von Investition und Ertrag angeht. Andere Leistungen, Gefälligkeiten und Annehmlichkeiten – das reicht von der Einladung zum gepflegten Abendessen am Abend des Fachkongresses bis zu anderen Vergünstigungen, mit denen die rund 20.000 Pharmavertreter gezielt Landschaftspflege betreiben – verpflichten den “Beschenkten” natürlich auch zu anderen Revancheleistungen.

Und was für normalsterbliche Ärzte gilt (daß sie nämlich auch der Reziprozitätsregel entsprechend handeln), gilt natürlich für Wissenschaftler genauso. Insofern sollte man sich also wirklich nicht wundern, daß industriefinanzierte Studien tendenziell häufiger solche Ergebnisse liefern, wie sie sich das finanzierende Unternehmen mutmaßlich vorgestellt hatte. Ganz ohne direkt Einfluß zu nehmen. Und ganz ohne die bewußte Verzerrung der Ergebnisse durch die Wissenschaftler. Subtile “Geschenke” und die Reziprozität machen das häufig von ganz allein.

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Kommentare (5)

  1. #1 rolak
    Mai 14, 2009

    Schöner Text über interessante Ergebnisse. Das kann man doch mal seinem Hausarzt mitnehmen 😉

  2. #2 michael
    Mai 15, 2009

    Das zeigt mal wieder, wie beeinflussbar wir sind – und zugleich abhängig von den (kleinen) Incentiviereungen. Tolle Aufstellung interessanter Befunde – den Wirtschaftspsychologen freut´s.

  3. #3 Patrick
    Mai 18, 2009

    Sehr guter Beitrag.

    Ist ja auch nicht nur in der (vor mir so heiß geliebten *Ironie*) Pharmabranche der Fall, obwohl es super zu diesen Gestalten passt, sondern auch in so ziemlich jeder Branche, wo es darum geht, sich Klientel zu angeln.
    Was ich mal eine Zeitlang mit Kugelschreibern, Kalendern, Weihnachtsgeschenken, “geschäftlichen” Essen, etc. “bestochen” worden bin, um jenen Dienstleistungsanbietern den Zuschuss vor anderen zu geben, kann ich schon gar nicht mehr an meinen beiden Händen abzählen.
    Die Ironie war, dass ich mich am Ende meist auf mein Gefühl verlassen habe, welcher Dienstleister den besten Job machen wird (was auch funktioniert hat), da ich ja eh meist von allen ein paar hübsche Sachen bekommen hatte.

    Ah, ja diesen teuren Whiskey, den ich einmal bekommen hatte, war schon fein. Okay, diese Type hat dann auch seinen Auftrag bekommen. 😉
    Wobei man dazu sagen muss: Bei meiner ehemaligen Branche ging es nicht um die Gesundheit von Menschen, sondern eher um Logistik und Transport.

  4. #4 David Klemperer
    Januar 31, 2010

    “Viktor Klemperer, Professor für Sozialmedizin an der Uni Regensburg” –
    stimmt nicht ganz: David Klemperer, Hochschule Regensburg

  5. #5 Marc Scheloske
    Februar 1, 2010

    @David Klemperer:

    Danke für den Hinweis, das ist natürlich ein dummer Fehler (unten bei der PDF habe ich ja Ihren richtigen Namen). Aber beim Schreiben des Textes dachte ich offenbar an den Autor der Lingua Tertii Imperii.

    Ich korrigiere das gleich noch. Allerdings fällt mir auf, daß im PDF folgende Autorenbezeichnung zu lesen ist:

    “David Klemperer ist Hochschullehrer für Sozialmedizin und Public Health an der Universität Regensburg.”