Eigentlich war ich seit meinem kurzen Urlaubsabstecher auf die größte europäische Insel gut mit der Ausarbeitung neuer Versuche und dem Schreiben zweier Publikationen beschäftigt. evolvimus musste dabei leider ein wenig unter der Abwesenheit leiden. Aber als ich heute morgen in die Tageszeitung schaute, fand ich einen Artikel, der mich alles Andere vergessen lies:

Im Norden Myanmars haben Biologen eine neue Affenart entdeckt, deren Nase nach oben hin geöffnet ist; und wenn es regnet dann läuft das Wasser rasch in die zwei Öffnungen im Gesicht hinein. … [Deshalb] müsse man sich nur am ständigen Niesen orientieren [wenn man die Affen aufspüren will.]

Wie bitte?! Das erschien mir wie ein Artikel, der gerne am 1. April in Zeitungen auftaucht. Aber in der Süddeutschen Zeitung am 27. Oktober? Der Sache wollte ich genauer auf den Grund gehen.

Zuerst einmal: Myanmar liegt zwischen China, Thailand und Indien. Das Klima dort wird vom Indischen Monsun bestimmt, d.h. statt Frühling, Sommer, Herbst und Winter, gibt es dort die kühle, die warme und die Regenzeit. Die Affen würden also ca. 500 cm Regen im Jahr abkriegen. Gäbe es solch nachteilige Nasen dort wirklich würden sie wohl schon längst ausselektiert worden sein. Es sei denn sie besitzen einen unbekannten, aber ganz wichtigen Vorteil, für den die Affen das starke Niesen in Kauf nehmen müssen. Ich bezweifele allerdings, dass irgendein Vorteil verhindert, dass ein stark niesendes Tier von den zahlreichen Räubern gefressen würde – und in Myanmar gibt es neben Habichten und Adlern auch noch Leoparden, Füchse und Tiger, die diese Tiere nur zu gerne fressen.

Nun gut, Nasenlöcher, die nach oben wachsen, mögen ein Nachteil sein. Aber wenn es sowas gibt, dann muss ich einfach mehr dazu herausfinden. Laut dem Zeitungsartikel erschien die Publikation dazu in der Oktoberausgabe des American Journal of Primatology. Dank des Uni-Abos wollte ich mir den Artikel sofort aus dem Netz laden, aber so einfach war das nicht. Denn in der Oktoberausgabe gibt es keinen Artikel zu einer neuen Affenart aus Myanmar (in dieser Sonderausgabe ging es sowieso vielmehr um das Verhältnis von Affe und Mensch). Dazu kam, dass sich das Journal längst bei der Dezemberausgabe befindet. (Ja, die sind manchmal so schnell.) Das Ganze kam mir immer suspekter vor. Doch ein verspäteter Aprilscherz?

Der neue Affe bekam den Namen Rhinopithecus strykeri (es irritiert mich immer fürchterlich wenn in einer Tageszeitung ein lateinischer Artenname nicht in kursiv gedruckt ist). Abgesehen davon, dass der Affe leider mal wieder einem Menschen zu Ehren benannt wurde, und nicht nach seinen ökologischen Sonderheiten, war ich beim Lesen des Namens endgültig überzeugt: Das muss ein Scherz sein! Rhinopithecus gehört sicher zu den Rhinogradentia, den verrückten Fabeltieren, die Biologiestudenten im ersten Semester kennen lernen und erst viel zu spät begreifen, dass die gerade abgeschrieben Notizen für die Katz waren. Die Rhinogradentia sind Stars des Sachbuches Bau und Leben der Rhinogradentia, und unter uns gesagt: Es gibt sie gar nicht.

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Das Nasobem (Klasse: Säugetiere, Ordnung: Rhinogradentia), von Prof. Harald Stümpke

Doch welch eine Schande? (Und wie peinlich!) Die Rhinopithecus-Affen gibt es wirklich. Es sind Stumpfnasenaffen, Verwandte der Meerkatzen, die in China, Vietnam und eben Myanmar zu Hause sind. Es gibt insgesamt vier (jetzt fünf) Arten. Und zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass Wikipedia sogar schon einen Artikel über die neuentdeckte Art hat. Wie machen die das bloß so schnell? War da vielleicht einer der Forscher dran beteiligt?

Und auf Wikipedia findet sich dann auch eine DOI, mit der man den Artikel direkt aufspüren kann: 10.1002/ajp.20894. Einmal eingetippt in Google und … „0 Treffer”. Es stellte sich heraus: ich war einfach zu voreilig. Mittlerweile ist der Artikel auch im Netz:

A new species of Snub-nosed monkey, Genus Rhinopithecus Milne-Edwards, 1872 (Primates, Colobianae), From Northern Kachin State, Northeastern Myanmar.

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Zeichnung eines Rhinopithecus strykeri. (Illustration: Martin Aveling/Fauna & Flora International)

Der Burmesische Stumpfnasenaffe, Rhinopithecus strykeri, von den Bewohnern dort liebevoll mey nwoah (in Lisu) oder myuk na tok te (Law Law) genannt („Der Affe mit aufgestellter Nase”), existiert wahrscheinlich nur noch in ein paar letzten Populationen, die durch zwei Flüsse von anderen Stumpfnasenaffen-Gruppen getrennt sind. Sie unterscheiden sich in der Morphologie nur wenig von anderen Arten, doch ein ausgeprägtes schwarzes Fell hebt sie deutlich von der Schwarzen Stumpfnase (die eher grau ist) ab. Es ist schade dass keine genetischen Vergleiche durchgeführt wurden, da wir doch heute problemlos in der Lage sind, Arten genetisch zu unterscheiden. Morphologie hingegen, und ganz besonders Fellfärbungen (die einen Großteil der Bestimmung hier ausmachen), sind manchmal sehr riskant. Wenn ihr mir den Abstecher erlaubt … eine Hummelart alleine kann in über 10 verschiedenen Farbmustern existieren. Dabei handelt es sich aber immer noch um die selbe Art.

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Kommentare (4)

  1. #1 tomW
    Oktober 28, 2010

    Warum erinnert mich dieses Bild so an Michael Jackson…

  2. #2 radicchio
    Oktober 28, 2010

    tom, DAS wollte ich eben schreiben

  3. #3 jitpleecheep
    Oktober 29, 2010

    Oh manno, ich hab jetzt rund fünf Minuten über diesem Bild gebrütet und gedacht, “wie schreibst du das jetzt? ‘SCNR’? ‘Jaja, ich weiss, es ist albern, aber dieses Bild…’?”
    Strange.
    Also, danke tomW… 😀

  4. #4 Walter
    Oktober 30, 2010

    Im deutschen WP-Artikel waren doch die im Paper als Legenden bezeichneten Verhaltensweisen als Fakt wiedergegeben, hab’ ich direkt mal geändert. 🙂