Aus genau diesem Grund hat Nature auch direkt einen zweiten Artikel auf die Seite gegenüber gedruckt: “Muss die Evolutionstheorie überarbeitet werden? Nein, alles ist in Ordnung.” In einem schönen Beispiel wissenschaftlicher Auseinandersetzung werden zwei verschiedene Seiten präsentiert, die jedoch beide nichts weniger wollen, als die Basis für Evolutionsbiologie definieren. Oder neu definieren.
Neue Erkenntnisse, neue Zweifel
Kevin Laland, Professor für Evolutionsbiologie und Verhaltensbiologie, steht mit seinen Koautoren als großer Verfechter für die EES, die Extended Evolutionary Synthesis (zu deutsch: die Erweiterte Synthese der Evolutionstheorie). Er ruft dazu auf, dass wir die momentane Theorie überdenken, da neue Erkenntnisse die darwinistische Sicht auf die Welt in Frage stellen. Selbst die modernere Sicht (in der Biologie als Modern Synthesis bezeichnet) ist mittlerweile überholt; diese stellt im Gegensatz zu Darwin, dem der Begriff DNA zwangsläufig unbekannt war, die Gene in den Mittelpunkt der Evolution. Aber laut Professor Laland ist es ein Fehler, den Genen eine solche Bühne zu verschaffen. Wie Tiere und Pflanzen aussehen, wie sie sich verhalten, das alles wird – laut ihm – ganz stark von anderen Faktoren bestimmt.
Und er hat Recht. Wir Menschen sind ein Paradebeispiel dafür, wie wenig unser genetisches Makeup eine Rolle spielt beim Überleben und Fortpflanzungserfolg. Wieviel kann man sich in unserer Gesellschaft mit Geld leisten? Geld, das wir vielleicht von den Eltern geerbt haben noch bevor wir in den Kindergarten kamen. Wie stark spielt unsere Kultur eine Rolle bei den Fähigkeiten und dem Wissen, bei den Möglichkeiten, die uns offen stehen? Und wie viel stärker ist der Einfluss kultureller Güter als der unserer Gene?
Bei anderen Tieren (solche ohne Sportwagen und staatlicher Kinderbetreuung) ist das nicht anders. Vogelmütter beeinflussen die Überlebenschancen ihrer Nachkommen durch Gerüche und Hormone, die Jungtiere verändern sich nicht gesteuert durch ihre DNA, sondern durch das Verhalten ihrer Mutter. Je nach der Jahreszeit, in der Wildmeerschweinchen geboren werden, sind sie mutiger oder schüchterner, so dass man meinen könnte, allein das Wetter oder Klima entscheidet, wie erfolgreich ein Tier ist. Und nicht zuletzt sind Pflanzen so stark von der Umwelt abhängig, dass der Standort ihren Erfolg eher garantiert als ihr Genom.
Laland et al. argumentieren, dass solche Prozesse einen stärkeren Einfluss auf Lebewesen haben, als wir bisher angenommen haben. Insbesondere Interaktionen mit der Umwelt, die Beeinflussung des eigenen Lebensraumes, nicht-genetische Veränderungen in der Entwicklung und schließlich die Übertragung anderer (z.B. kultureller) Elemente an die nächsten Generationen bestimmen alle, ob ein Organismus überlebt und sich fortpflanzt oder nicht.
Neue Begriffe, alte Konzepte
Ich schätze diese Sicht der Dinge, aber genau wie Hopi Hoekstra, Professoring für Biologie in Harvard, und ihre Kollegen teile ich sie nicht. In einem kleinen Absatz zerschmettert sie dort in Nature diese Argumentation:
Professor Hoekstra erzählt von Charles Darwins letztem Buch, eine Abhandlung zu Regenwürmern. Dort behandelte er ausführlich die Interaktion von Wurm und Lebensraum, und diskutierte, wie die Veränderung des Lebensraumes sich auf den Erfolg des Tieres auswirkte. Solche Beispiele sind uralt und es gibt Dutzende davon. Termitenbauten und Biberdämme sind altbekannt – warum muss man sie nun neu benennen und sie so stark in den Mittelpunkt stellen?
Am Ende führt laut ihr nämlich dennoch alles zurück zu den Genen: Die Fähigkeit, sich plastisch an die Umwelt anzupassen, ist schließlich auch evolviert. Termitenbauten sind nichts weiter als ein erweiterter Phänotyp. Richard Dawkins hat darüber 1982 ein Buch verfasst. Dadurch sind diese Prozesse lediglich “Add-ons” (oder heutzutage “In-app purchases”?), die die Evolutionstheorie ergänzen und nichts, was sie in ihrer jetzigen Form in Frage stellen. Professor Hoekstra bringt es am Ende nochmal auf den Punkt:
Genau diese Stelle ist wahrscheinlich diejenige, bei der sich die beiden Lager widersprechen. Was für die einen Ursachen von Selektion sind, sind für die anderen die Folgen. Im Nature-Artikel geht das ein wenig unter und eine Lösung bekommen wir am Ende auch nicht. Ich sehe mich selbst auf Hopis Seite, aber eine gewisse Unsicherheit bleibt bestehen.
Das ist auch gut so.
Darwin war nicht in der Lage, den tatsächlichen Prozess der Weitergabe von Informationen an die nächste Generation zu erklären. Aber das hat ihn nicht davon abgehalten mit einer gewissen Zuversicht anzunehmen, dass es so einen Prozess gibt. Und selbst seit wir DNA kennen und wissen, wie Evolution auf molekularer Ebene abläuft, tauchen immer wieder Fragen auf, die zu Artikeln wie dem hier besprochenen führen. Epigenetik und Kultur sind nur zwei Mechanismen, die sich weigern, in die klassische Schublade der Vererbung gesteckt zu werden.
In der Biologie benutzt man den p-Wert um seine Unsicherheit auszudrücken, quasi die Wahrscheinlichkeit, mit der die Ergebnisse auch falsch sein könnten. Man lernt, mit einer grundsätzlichen Unsicherheit zu leben. Wie ein gut Pokerspieler, der nie zu 100% weiß, welche Karten seine Gegenspieler haben aber am Ende trotzdem gewinnt. Die beiden Artikel spiegeln diese grundsätzliche Unsicherheit wieder. Aber beide sehen sie als eine Bereicherung. Doch während Laland et al. eine große Veränderung auf uns zukommen sehen, sehen Hoekstra et al. ein über Zeit anhaltende stetige Veränderung. Wir alle wünschen uns mehr Sicherheit, aber etwas einen neuen Namen zu geben wird uns keine geben.
Laland, K., Uller, T., Feldman, M., Sterelny, K., Müller, G., Moczek, A., Jablonka, E., Odling-Smee, J., Wray, G., Hoekstra, H., Futuyma, D., Lenski, R., Mackay, T., Schluter, D., & Strassmann, J. (2014). Does evolutionary theory need a rethink? Nature, 514 (7521), 161-164 DOI: 10.1038/514161a
]]>Wer jetzt glaubt, Schimpansen wären schlauer als Menschen, ist aber auf dem Holzweg. Genauso wenig lässt sich außerdem behaupten, wir wären schlauer als die Schimpansen. Beim Vergleich der Intelligenz zwischen zwei Individuen gibt es nämlich einige Probleme, die in diesen Studien häufig nicht berücksichtigt werden können. Es ist deshalb sinnvoll, mit der Interpretation der Ergebnisse – egal ob man Leser einer Zeitung oder Wissenschaftler einer Studie ist – immer etwas vorsichtig zu sein.
Das zumindest behaupten zwei britische Wissenschaftlerinnen in einem spannenden neuen Artikel, den sie für das Journal Behavioral Ecology geschrieben haben, und sprechen damit ein Thema an, dass deutlich über Wahrnehmungsforschung hinausgeht.
Kann man Intelligenz messen?
Verhaltensbiologen benutzen gerne Labels und Definitionen. Das hat Vorteile, denn es hilft, um miteinander über die gleichen Themen zu reden. Es hilft auch, um sich bewusst zu machen, was für eine übergreifende Frage eigentlich hinter einem Experiment steckt. Welches Tier ist am mutigsten? Welche Vorteile hat Intelligenz bei der Partnerwahl? Sind kreative Singvögel die besseren Väter? Dies sind Fragen, die Biologen interessieren. Doch Mut, Intelligenz und Kreativität kann man nicht messen. Man misst stattdessen Verhaltensweisen, die auf diese Eigenschaften hinweisen. Und genau an diesem Punkt wird es problematisch, wenn man seine übergreifende Frage beantworten will. Man muss sich an irgendeinem Punkt nämlich überlegen, was genau man eigentlich gemessen hat.
Candy Rowe und Sue Healy, zwei Neurobiologen aus Newcastle bzw. St Andrews, betrachten das Problem aus evolutionsbiologischer Sicht. Bringt es einen selektiven Vorteil, schlau zu sein? Die Frage lässt sich so auch nicht beantworten, denn man muss sich erst ein Experiment ausdenken, in dem man die Intelligenz der Individuen vergleichen kann. Zum Beispiel eine Gruppe Vögel, die lernen sollen, zwischen zwei verschiedenen Futterschalen zu unterscheiden. Die mit dem grünen Deckel beinhalten Futter; die mit den lila Deckeln nicht. Welcher Vogel versteht als erster, dass es in den lila Gefäßen nichts zu holen gibt? Und wer macht die wenigsten Fehler bei der Suche nach Nahrung? Beides sind klassische Fragen der Verhaltensforschung und die Ergebnisse scheinen auf den ersten Blick eindeutig. Einige Vögel lernen schneller und machen weniger Fehler. Deren kognitive Leistung ist also höher, oder?
Nicht so schnell! Es gibt viele alternative Erklärungen für die Verhaltensunterschiede im Experiment. Im Artikel nennen die Autorinnen vier davon:
Dieser letzte Punkt ist wichtig für die Erforschung von komplexem Verhalten. Kognition ist genau wie Kreativität oder Mut kein simples Verhalten (oder Unitary trait, wie die Autorinnen sagen). Die Fähigkeit, ein Verhalten durchzuführen, beruht auf vielen kognitiven Prozessen. Sie mit einem Label wie „schlau“, „mutig“ oder „kreativ“ zu besetzen, ist häufig nicht im Interesse der Forschung und kann schlimmstenfalls in den Medien schnell missverstanden werden.
Ist Intelligenz eigentlich so vorteilhaft?
Diese Vielzahl an kognitiven Prozessen, die bei jedem Test und jedem Experiment, das Intelligenz messen will, ablaufen, unterliegen mit großer Wahrscheinlichkeit Selektionsdrücken. Uns Menschen hat es geholfen, planen zu können und die eigene Position aus der Sicht eines anderen zu betrachten. Doch Selektion wirkt nicht auf die Fähigkeit, einen Knopf auf einem Computer zu drücken, ein Labyrinth in einer bestimmten Zeit zu durchlaufen, oder möglichst wenige lila Deckel umzudrehen. Selektion wirkt auf alle Verhaltensweisen und Prozesse, die dazu führen, dass wir am Ende unseres Lebens erfolgreiche Nachkommen in die Welt gesetzt haben. Wenn das Drücken der Knöpfe dafür essentiell ist, wird diese Fähigkeit einen größeren Stellenwert haben. In allen anderen Fällen ist es eine Abwägung von Kosten und Vorteilen, was entscheidet, welche Rolle Selektion bei der Evolution eines bestimmten Verhaltens spielt.
Messen können wir lediglich ein Verhalten, das in dieser Situation für das Tier angemessen erscheint. Die Aufgabe der Forscher (und infolgedessen auch all derjenigen, die über diese Forschung lesen) ist es, diese Ergebnisse zu interpretieren und zu überlegen, wie sie dieses Verhalten bezeichnen würden. Das Schöne daran ist, dass wir mit jedem neuen Datensatz ein besseres Bild darüber bekommen, wie relevant Intelligenz für eine Art ist. Und das hilft uns auch, unsere eigene Intelligenz in einen evolutionsbiologischen Zusammenhang zu stellen.
Ob es jetzt besonders hilfreich ist, schlau zu sein, und ob der Vergleich von Intelligenz eines Individuums mit einem anderen besonders sinnvoll ist? Dazu lasse ich die beiden Autorinnen selbst zu Wort kommen:
“Unserer Ansicht nach sollten wir nicht erwarten, dass Selektion kognitive Fähigkeiten maximiert; das bedeutet, Selektion wird nicht dazu neigen, „schlaue“ Tiere zu bevorzugen. Wir würden eher erwarten, dass Selektion Tiere bevorzugt, die im Kontext ihrer Umwelt schlau sind, das heißt, dass sie eine Reihe an kognitiven Fähigkeiten besitzen, die für ihre Umwelt optimal sind.”
Rowe, C., & Healy, S. (2014). Measuring variation in cognition Behavioral Ecology DOI: 10.1093/beheco/aru090
]]>Unangefochten an der Spitze sind aus meiner (recht subjektiven) Sicht aber die Biologiestudenten. Da vergeht keine Minute, in der man nicht an die eigene Forschung denkt. Und das drei oder fünf Jahre lang. Ohne Pause. Sowas ist nichts für jeden, weshalb ich mich hier mit ein paar weisen Tipps an Studierende der Biologie richten will – Tipps, die mir einst ein Professor aus Frankreich beim Mittagessen gegeben hat und die meine Sicht der Wissenschaft nachhaltig geprägt haben.
Ist eine wissenschaftliche Karriere etwas für mich?
Dies ist die große, alles entscheidende Frage. Man beginnt sein Studium, ohne eine klare Vorstellung des Jobs, den man eines Tages ausüben wird. Als Biologe kann man quasi überall landen. Dies kann ein Vorteil sein, denn am Ende der eigenen Ausbildung stehen einem viele Türen offen. Die Mehrzahl meiner Kollegen sieht aber eher den Nachteil, dass man mit Diplom, Master oder Doktortitel keine Ahnung hat, was man eigentlich damit anfangen will. „So what are you going to do with that?“ fragt ein großartiger Ratgeber von Susan Basalla und Maggie Debelius, der sich genau an das Klientel der unentschiedenen Studierenden richtet.
Das größte Problem der Biologen des 21. Jahrhunderts ist eine fortwährende Jobunsicherheit. Nicht nur steht man eines Tages vor dem Problem zwischen Post-doc oder Pharmakonzern. Selbst wenn man weiß, dass man in der Wissenschaft bleiben möchte, wird man kaum Aussicht auf eine Stelle haben, die länger als 3 Jahre eine feste Finanzierung garantiert. Dazu kommt, dass man in Deutschlands Universitäten maximal 12 Jahre arbeiten kann, bevor erwartet wird, dass man den nächsten Schritt zur Habilitation unternimmt.
Die 12-Jahres-Regel besagt quasi, dass man als wissenschaftlicher Angestellter an einer Uni maximal 6 Jahre vor und 6 Jahre nach der Promotion arbeiten kann. Die Verträge werden somit auf maximal 6 Jahre befristet; mit wenigen Ausnahmen führt daran auch nichts vorbei. Studierenden der ersten Semester ist diese Herausforderung selten klar. Mir war sie es ganz sicher nicht. Erst als ich eine Kollegin kennen lernte, die sich im fünften Jahr nach ihrer Promotion befand, wurde für mich deutlich, wie unangenehm diese Jobunsicherheit in der Praxis tatsächlich ist.
Aber als Wissenschaftler gehört diese Unsicherheit dazu. Und mit ihr kommen viele Vorteile des akademischen Lebens, die den Wissenschaftler zu einem faszinierenden Beruf machen. Vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein.
Wissenschaftler sind Rockstars
Professor Michael Greenfield, Entomologe aus den USA und mittlerweile zu Hause an der Universität Tours, hat mir beim Mittagessen beiläufig folgendes gesagt: „Als Wissenschaftler machst du die gleiche Karriere durch wie ein Musiker, der Rockstar werden will.“ Jahrelange schlechte Bezahlung, Sorgen um die eigene Zukunft, aber am Ende die Chance auf eine Bilderbuchkarriere in einem außerordentlich erfüllenden Beruf.
Die Analogie hört hier noch lange nicht auf. Nicht selten zweifelt man als Musiker und als Wissenschaftler an sich selbst und seinen Fähigkeiten, lernt aber Jahrzehnte lang die Methoden kennen, die einen eines Tages zu einem großen Star bzw. einem beachteten Forscher machen. Man braucht Talent für Musik, und man braucht Talent zur Wissenschaft. Die Fähigkeit, zu singen oder ein Musikinstrument zu spielen kann man lernen, aber hebt einen das genug ab von der Masse an konkurrierenden Möchtegernstars? Als Wissenschaftler muss man schreiben können, um seine Gedanken und Ergebnisse prägnant auf den Punkt zu bringen, und dennoch ist es schwer, seine Publikationen einem breiten Publikum zu „verkaufen“. Außerdem braucht man Kreativität. Der beste Musiker ist nichts ohne den großen Song; und ein Wissenschaftler ohne einen Schwerpunkt, eine Fähigkeit oder ein Wissensgebiet, in dem er auffällt, wird es selten über den Post-doc hinaus schaffen. Zu guter Letzt gibt es in beiden Jobs eine Masse an Leuten, die dir beim Scheitern applaudieren und sich freuen, dass sie einen Konkurrenten weniger um die paar begehrten Stellen haben.
Kurz gesagt, Rockstars und Wissenschaftler müssen ihre Karriere selbst in die Hand nehmen. Wortwörtlich. Sie sollten einen Langzeitplan verfolgen und alles dafür geben, ihr Ziel zu erreichen. Früher oder später werden sie sich mit Leuten messen müssen, die nur im Ehrgeiz überlegen sind. Und am Ende steht nur einer auf der großen Bühne. Professorenstellen sind genauso rar wie große Verträge bei einem Musiklabel. Es ist erstaunlich und traurig, wie lange manche Wissenschaftler (unter ihnen wahre Genies in ihrem Bereich) von einer Stelle zur nächsten wandern, ohne den entscheidenden Durchbruch zu schaffen.
Ein Teil der wissenschaftlichen Karriere ist mit Nebenjobs gepflastert, mit Wohngemeinschaften und dem Umzug zurück zu den Eltern. Wer Biologe wird, macht diesen Job meist nicht fürs Geld. Ohne Leidenschaft wird es schwierig, in der Uni Fuß zu fassen. Wer sich nicht für sein Fachgebiet begeistern kann, wird früher oder später die Uni verlassen, um nach einer Alternative Ausschau zu halten. Häufig ist das die Industrie, manchmal heißt es “Zurück an die Schule”. Die Alternativen sind in der Regel deutlich besser bezahlt als die Wissenschaftliche Mitarbeiterstelle. Genau wie bei Musikern, die den Traum der großen Karriere (Die Band, Elwood, die Band!”) an den Nagel hängen, um Musiklehrer oder Informatiker zu werden. Habe ich schon erwähnt, dass ein häufiger Abbruch des einen Studiums einher geht mit dem Beginn eines neuen? Vom Fachwissenschaftler zum Lehrämtler ist kein seltener Karriereplan.
Der Weg zur Professur (und darauf führt fast unweigerlich jede wissenschaftliche Karriere an der Uni hin) ist steinig, steil und führt an einem gruseligen Abhang entlang. Ein besserer Vergleich ist vielleicht eine Straße mit Wegweisern, die alle vom Ziel weg zeigen. Man braucht Ausdauer, Selbstbewusstsein und vor allem Überzeugung für sein Fach. Dies haben die wenigsten. Deshalb werden nur wenige Professoren. Und aus den gleichen Gründen gibt es im Verhältnis auch nur wenige Rockstars. Fragt mal in Hollywood, wie viele gescheiterte Bands auf jeden Bruce Springsteen fallen.
Es lohnt sich trotzdem
Die meisten “gescheiterten” Musiker, die ich kenne, beschreiben die Zeit auf der Bühne als die tollste ihres Lebens. Häufig hört man ähnliches von Wissenschaftlern, die sich für einen Absprung von der Uni entschieden haben. Die Fähigkeiten, die man als Biologe lernt, helfen einem überall. Frustresistenz, eigenständiges Arbeiten, Führungsqualitäten, kritische Selbstreflexion und die Fähigkeit, strukturiert und argumentativ schreiben zu können, werden in der Industrie genauso geschätzt wie an der Uni. Schlimmstenfalls verschwendet man Zeit, aber man gewinnt Erfahrungen, die das locker wieder wettmachen.
Ich stehe nach meiner Promotion ein wenig auf der Kippe. Mein Ziel ist es nicht, Professor zu werden. Aber ich liebe die Arbeit an der Universität. Nirgends sonst hat man so viel Freiheit, so viel Kooperation und so viele Möglichkeiten, jeglichen Fragen auf den Grund zu gehen, die einen interessieren. Ich spreche von der Universität mit Leidenschaft, aber diese Leidenschaft reicht bei mir nicht aus, um meine Nische unter den Forschern zu finden. In meiner momentanen Lehrstelle an der Uni arbeite ich über die nächsten Jahre mit an der Organisation des Studiums; ich unterrichte, aber ich halte Kontakt zur Forschung. Ich bereue es nicht, die wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen zu haben. Aber ich bezweifle, dass ich auf Dauer in der Wissenschaft bleiben werde.
Wäre ich noch am Anfang meine Unikarriere, würde Professor Greenfield mir wahrscheinlich folgendes raten: Nimm dir die Zeit, heraus zu finden was genau dich begeistert. Verfolge das Ziel und werde der oder die Beste in diesem Feld. Vorausgesetzt, du möchtest Rockstar werden.
Und für alle, die nun wie ich an einem Scheidepunkt zwischen der akademischen und der übrigen Welt sind, fragt euch, wie groß der Aufwand noch ist, bis ihr euer erstes großes Album produziert habt, und ob sich dieser Aufwand für euch lohnt.
Ich habe mich zwar noch nicht endgültig entschieden (und habe auch noch einige Jahre dafür Zeit), aber ich glaube, ich werde meine E-Gitarre verkaufen.
Ich muss zugeben, zum Ende hin nimmt einen die Arbeit ganz schön in Anspruch. Ich war nicht sicher, ob ich die Deadline (9. Juli) einhalten würde, denn der eine oder andere 14-Stunden-Tag musste dafür schon eingeschoben werden. Aber so wie’s aussieht hat es dann doch geklappt – in 6 Kapiteln verteilt auf 110 Seiten. Drückt mir die Daumen, dass es die Gutachter auch so sehen.
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Der genaue Wortlaut war (mit Dank an Marcus Anhäuser vom Plazeboalarm):
(Sam Beckwith war, nebenbei bemerkt, der Telegraph, dem Lincoln im Film von Euklids Axiom erzählte.)
Meine Frage: Welches Buch meint Mr. Beckwith? In welchem Buch, das im Jahr 1865 noch relativ neu war, kommen Finken vor? Ich hab das Thema schon etwas auf Twitter angesprochen, aber es ist spannend genug um es hier auch noch mal zu erwähnen.
Meine erste Vermutung war, dass die Filmemacher sich auf On the Origin of Species bezogen, das berühmteste Werk von Charles Darwin. Die Tiere heißen schließlich Darwin-Finken, Darwin selbst hat sie gesammelt, und in jedem Schulbuch wird die Divergenz der Darwin-Finken als Paradebeispiel für natürliche Selektion erwähnt. Folglich bieten sie sich ja an, um in einem Film das Buch von Darwin zu erwähnen, ohne es beim Namen zu nennen. Das Problem ist aber, dass in dem Buch von Finken nirgends die Rede ist. Vögel der Galapagos-Inseln werden angesprochen, aber auch nur kurz und nirgends wird darauf eingegangen, dass sich Schnäbel mit der Zeit verändern. On the Origin of Species, das 1859 erschienen ist und sich deshalb bestens anbieten würde, kann es also nicht sein.
Doch so einfach sollte man das Rätsel nicht als schlechte Recherche der Filmemacher abtun. In welchen anderen Werken Darwins könnte diese Thematik denn eine Rolle gespielt haben? Die großartige Sammlung von Darwin Online hilft da weiter. Es gibt einige Bücher, in denen Darwin die Finken hätte erwähnen können. Naheliegend sind seine Notizbücher der Schiffsreise um den südamerikanischen Kontinent, aber diese Inhalte hätte Sam Beckwith wahrscheinlich nicht gekannt. Die Aufzeichnungen der Reise hatte Darwin aber als ein Journal of Researches publiziert, sein bekanntes Voyage of the Beagle. Das ist zwar schon von 1839, aber zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkrieges wäre es wenig verwunderlich, wenn man so ein Buch in den USA erst spät in die Finger kriegt. Unwahrscheinlich wie das vielleicht auch sein mag, im Voyage of the Beagle werden die Finken auch kaum erwähnt, nur kurz um darauf hin zu weisen, dass unterschiedliche Finken (Geospiza) auf unterschiedlichen Inseln vorkamen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Darwin die Theorie der Natürlichen Selektion noch gar nicht geformt und in seinen Notizbüchern formuliert. Bei der Reise zum Galapagos-Archipel waren ihm solche für die Zeit blasphemischen Gedanken eh nicht gekommen. Er sammelte die Vögel der einzelnen Inseln, ohne sich für jedes Exemplar Notizen zur Ökologie, zum Verhalten, zur Nahrung (ein im Nachhinein nicht wieder gut zu machender Fehler) und oder auch nur zur Insel zu machen. Zurück in England war es fast unmöglich, die verschiedenen Finken den einzelnen Fundorten zu zu ordnen. Erst als er 1837 mit John Gould, dem Ornithologen seines Vertrauens, die mitgebrachten Exemplare besprach, wurde ihm klar, dass es sich bei den unterschiedlichen Vögeln überhaupt um Finken handelte. Während Darwin die Exemplare für Tiere verschiedener Gattungen, zum Teil sogar Familien hielt, konnte Gould ihm zeigen, dass es sich um 13 Arten der gleichen Gattung handelte. Während Darwins Interesse in erster Linie dem ähnlichen Gefieder galt, lenkte Gould seine Aufmerksamkeit auf die unterschiedliche Schnabelform.
Es ist gar nicht verwunderlich, dass Darwin die Tiere, die er verschiedenen Familien zuordnete, nicht so faszinierend fand wie wir es heute tun. Denn erst als er lernte, dass es Vögel der gleichen Gattung waren, wurde ihm klar, dass hier etwas Sonderbares im Gange war. Richtig interessant wird es, wenn man diese Erkenntnis in den historischen Kontext einordnet: Vier Monate nachdem Gould ihm von den Finken erzählte, begann in Darwins Notizbüchern die Rede von “Transmutationen.” Im gleichen Notizbuch zeichnete Darwin dann auch den berühmten ersten Stammbaum. Die Theorie der natürlichen Selektion nahm konkrete Formen an.
Für die zweite Auflage des Voyage of the Beagle im Jahr 1845 ergänzte er einige wichtige Passagen zu Vögeln, u.a.:
Aber auch hier erwähnt er die Finken nicht beim Namen. Und an keiner Stelle erklärt er, dass Schnäbel sich in Populationen mit der Zeit veränderten. Der einzige Text, in dem er im Detail auf diese neue Erkenntnis einging, sollte nie veröffentlicht werden. In seinem Manuskript Natural Selection vermutete er, dass Selektion auf Schnabelform den Finken die Eroberung von Nischen erlaubte, die anderswo von Papageien oder Zaunkönigen eingenommen wurden. Doch nachdem Darwin in der Post einen Brief von einem gewissen Alfred Russel Wallace fand, der ihm von einer “neuen” Idee erzählte, nach der Tierarten sich mit der Zeit an Umweltbedingungen anpassen, wurde Darwin nervös und kürzte sein Manuskript lediglich zu einem Abstrakt. Diese Kurzfassung kennen wir heute als On the Origin of Species.
Wenn Sam Beckwith im Jahr 1865 also von einem Buch über Finken gehört oder gelesen hat, dann kann er höchstens mit etwas Verspätung von Band 3 des The zoology of the voyage H.M.S. Beagle (1841) von John Gould erfahren haben. Denn dort werden die Finkenarten und die Schnäbel ausführlich erwähnt. Wenn er aber von so etwas wie der Evolution von Finken-Schnäbeln gehört hat, in einem Buch, über das sich 1865 berühmte Wissenschaftler aufregten, dann muss man das wahrscheinlich als klassischen Fehler des Hollywood-Kinos abtun. Da Charles Darwin und Abraham Lincoln am gleichen Tag geboren wurden, bot es sich vielleicht an, Darwin irgendwie mit in die Handlung zu schmuggeln. Aber auch wenn Finken eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Darwins Evolutionstheorie gespielt haben mögen, sie waren nie der Schwerpunkt seiner publizierten Arbeiten.
Wer weiß? Vielleicht hat dies Mr. Spielberg den Oscar gekostet.
Weiterführende Literatur:
Wer mehr über die Relevanz der Darwin-Finken und angebliche Auseinandersetzungen darüber zwischen Darwin und Captain FitzRoy lesen möchte, dem empfehle ich diesen Artikel zur Entstehung der Legende um die Darwin-Finken von Frank Sulloway: Darwin and his finches: The evolution of a legend.
Aber es ist unheimlich verlockend.
Nehmen wir mal folgendes Szenario: Ein Mann kommt in eine Bar. Er wird in ein Gespräch mit einer Frau verwickelt, in dem er charmant von seinem Job als Börsenmakler erzählt, er bringt sie zum Lachen, sie findet er sieht unheimlich gut aus. Die beiden verstehen sich, und – entgegen den gängigen Klischees aus dem Fernsehen – treffen sie sich in den nächsten vier Wochen fünf Mal, ziehen nach 12 Wochen zusammen und heiraten nach etwa eineinhalb Jahren. Das erste Kind kommt ca. vier Wochen später zur Welt. Sollte der Mann es schaffen, sein Kind bis zum reproduktionsfähigen Alter zu unterstützen, so dass auch das Kind eines Tages (in einer Bar) den Partner/die Partnerin fürs Leben trifft, kann der Mann recht stolz auf seine Fitness sein. Er hat es geschafft, einen Teil seiner Gene sicher in die nächste Generation zu bringen.
Oder? Nicht selten entwickelt sich die Geschichte ganz anders: Bald stellt sich heraus, dass das Kind gar nicht seins ist. Die Ehe scheitert, das Kind wächst fünf Tage bei der Mutter, zwei Tage beim Vater auf, und im reproduktiven Alter macht es Vieles, aber nicht heiraten. Der Mann heiratet auch nicht wieder und wird auch nie wieder Vater.
Fitness=0!
Woher weiß ein Mann, dass er tatsächlich der Vater seiner Kinder ist? Oder anders gefragt: Wie verhindert man, dass fremde Spermien die Eizelle der eigenen Frau befruchten? Ähem, … spätestens ab diesem Punkt wird deutlich, dass der Mensch hier kein elegantes Beispiel ist. Dabei ist er, kulturell gesehen, ein Paradebeispiel für Fremdkopulationen. Warum sonst wäre diese Thematik wichtig genug, um sie in die zehn Gebote aufzunehmen?!
Was ist Spermienkonkurrenz?
In unserer Arbeitsgruppe untersuchen wir solche und ähnliche Themen, aber aus verständlichen Gründen an anderen Tieren. Vögel zum Beispiel, oder Motten. Erst vor ein paar Monaten konnten wir zeigen, dass bei der kleinen Wachsmotte überraschend viel Spielraum für Spermienkonkurrenz besteht. Überraschend deswegen, weil bei der kleinen Wachsmotte den Weibchen ein Lek aus Männchen angeboten wird. Das ist etwa so, als würde eine nach einem Partner suchende Frau in eine Bar spazieren, in der nur unverheiratete Männer sitzen. Bei den Motten geben sich die Männchen alle Mühe, attraktiv zu wirken, indem sie den bestmöglichen (Ultraschall)Gesang produzieren. Die Weibchen hören sich die Gesänge an und wählen das Männchen mit dem schönsten Gesang aus. Das Weibchen rennt auf das Männchen zu, das Männchen nimmt auf ihr Platz und tanzt ein paar Mal flügelschlagend auf ihr herum, und schließlich setzen sich beide Hintern an Hintern und verbringen die nächsten 15-20 Minuten mit dem Spermientransfer. Sechs Tage später schlüpfen ca. 200 winzige Larven, die sich ein paar Wochen später wiederum zu fertigen Motten verpuppen, die alle einen Teil der Gene des Vaters tragen.
Oder? Nein, auch hier gibt es einen Haken. Denn manche Weibchen verpaaren sich mehrfach. Das scheint auf Anhieb keinen rechten Sinn zu ergeben, da das Weibchen ja speziell den für sie “richtigen” Partner auswählen konnte. Genau das war schließlich auch der Vorteil des Leks: Männchen haben einen direkten Überblick über die Fähigkeiten der Konkurrenten und Weibchen haben ein breites Spektrum an attraktiven Männchen zur Auswahl. Doch manchmal kommt es eben vor, dass das Weibchen, obwohl es einen Partner mit tollem Gesang gefunden hatte, ein paar Stunden später noch ein zweites Männchen an sich heran lässt. Um unter diesen Umständen zu garantieren, dass man als Mottenmännchen die Eizellen des Weibchens auch tatsächlich befruchtet, bleibt ihm bei dieser postkopulatorischen Konkurrenz (also im Gegensatz zu der Konkurrenz zwischen singenden Männchen die Konkurrenz zwischen den Spermien zweier oder mehrerer Männchen) nur eine von zwei Möglichkeiten:
Das bedeutet, dass obwohl die Weibchen einen Riesenaufwand treiben, um das Beste Männchen zu wählen, und die Männchen viel Energie und Mühe investieren, um das Weibchen von sich und der eigenen Qualität zu überzeugen, am Ende derjenige der Sieger ist, dessen Spermien einfach besser waren. Oder der mehr davon hatte. Wir wissen noch nicht, ob die Mottenweibchen in der Lage sind, die übertragenen Spermienmengen abzuschätzen, und es davon abhängig machen, ob sie sich erneut verpaaren. Aber wie so oft im Tierreich, hat das Weibchen die letzte Wahl und entscheidet, wen sie an ihre Eizellen lässt.
Die Männchen können allerdings in der Regel recht gut abschätzen, wie groß die Spermienkonkurrenz sein wird. Die Gegenwart von Konkurrenten und – falls Gesang eine Komponente der Balz ist – die Qualität deren Gesanges sind gute Indizien dafür, ob es sich lohnen sollte, mehr Spermien zu investieren.
Brian Gray von der University of California in Riverside und Leigh Simmons von der University of Western Australia haben diese Theorie als Ausgang für ein Experiment genutzt, dessen Ergebnisse vor ein paar Tagen im Journal Behavioral Ecology erschienen. Australische Feldgrillen wurden in zwei unterschiedlichen Räumen aufgezogen. Im einen war es still, denn den Grillen wurde das Plektrum, ihr Gesangsorgan, entfernt. Im anderen hingegen war neben den stillen Versuchsgrillen noch ein Käfig von etwa 100 singenden Grillen. Nur in diesem Raum hatten die Tiere dementsprechend Informationen über die Stärke der Konkurrenz um Fortpflanzung. Schließlich wurden die Männchen verpaart und die Ejakulate auf Qualität getestet. Heraus stellte sich, dass die Männchen aus dem Raum mit Konkurrenz auch mehr konkurrenzfähige Spermien produzierten. Der Gesang der Konkurrenten war es also, der die Männchen dazu animierte, bei der Kopulation mehr qualitativ hochwertige Spermien zu übertragen.
Leider ist aber auch bei den Feldgrillen die Fortpflanzung nicht viel einfacher als beim Menschen oder bei der Wachsmotte. Ganz sicher kann man sich als Grillenmännchen seiner Vaterschaft auch nicht sein, wenn man vom Weibchen gewählt wurde und sein Bestes gegeben hat. Im Experiment stellten die Biologen nämlich fest, dass trotz der Unterschiede in Spermienqualität bzw. -quantität die Grillen aus dem Raum mit singenden Konkurrenten nicht signifikant mehr Nachkommen produzierten. Es scheint also, als hätte auch hier das Weibchen das letzte Wort.
Cordes, N., Yiğit, A., Engqvist, L., & Schmoll, T. (2013). Differential sperm expenditure reveals a possible role for post-copulatory sexual selection in a lekking moth Ecology and Evolution DOI: 10.1002/ece3.458 (OPEN ACCESS)
Gray, B., & Simmons, L. (2013). Acoustic cues alter perceived sperm competition risk in the field cricket Teleogryllus oceanicus Behavioral Ecology DOI: 10.1093/beheco/art009
So beginnt eines von vielen Videos, die Entomologen manchmal produzieren, wenn die Arbeit einfach nicht herausfordernd genug war. Matthew Richardson und Rob Mitchell von der University of Illinois haben neben der eigentlichen Forschung so ein gruseliges Video gedreht, und nebenbei ein recht interessantes Experiment gestartet: dem riesengroßen amerikanischen Grashüpfer Romalea guttata wurde die Wahl gelassen zwischen einem saftigen Salatblatt und einem toten Schmetterling. Was würde er wählen, das Blatt oder das Tier?
Aus diesem Experiment entstand ein drei-minütiges Video über die Ernährung dieser Tiere. Doch statt Wissenschaft wurde es ein Gruselfilm.
Manchmal passiert es einfach. Entomologen werden zu Regisseuren und die Doktorarbeit wird zum Horrorfilm.
In den New York Times war letztens ein Artikel über dieses anscheinend häufige Phänomen. Woran mag es liegen, dass Entomologen ihre dunkle Seite so ausleben müssen? Bei mir war es zum Einen die Aufforderung zum Filmwettbewerb. Das gibt es an fast jeder Uni und während meiner Master-Arbeit bekam ich auch so eine Aufforderung, die mich kurzerhand motivierte, meine Forschung in Film fest zu halten. Warum auch nicht? Zum Anderen lag es bei meiner Forschung auf der Hand, sich in auf dieses abschreckende Projekt einzulassen. Gibt es etwas Spannenderes als Hummelfressende Parasiten?
Passend zum Zeitungsartikel ist in der Onlineausgabe der Times eine Auswahl an neun Gruselvideos erschienen. Manche (wie das Zeckenvideo) sind auf eine ganz andere Art gruselig als man erwartet. Andere zeigen Tausende von Ameisen auf ihrem Feldzug gegen die Termiten. Eines ist das der oben erwähnten halbkannibalistischen Grashüpfer. Und ein letztes (Mitte unten) ist zu meiner großen Überraschung das von mir. Gedreht wurde es im pathologischen Labor des Illinois Natural History Surveys – vor etwa drei Jahren. Für alle mit starken Nerven ist hier der nicht ganz preisverdächtige (ich wurde von einem 5-jährigen Mädchen geschlagen, das in ihrem Video mit Schmetterlingen spielt) Gruselfilm “Die Fliege:”
]]>Bei dem Artikel handelt es sich um eine wirklich interessante Studie darüber, welchen Einfluss Autobahnlärm auf Heuschreckenverhalten hat. Meines Wissens ist es das erste Paper, dass einen direkten Zusammenhang zwischen vom Menschen verursachten Lärm und Insektenverhalten zeigt. Da Heuschrecken akustisch auf Partnersuche gehen, sollte man meinen, dass 24 Stunden mehr oder weniger starke Dauerbestrahlung durch bretternde Autoreifen und Motoren, dazu beitragen können, ob sich Männchen und Weibchen hören – geschweige denn finden. In ihrer Studie hat die Kollegin herausgefunden, dass die Heuschrecken ihren Gesang an den Hintergrundlärm anpassen. Sie versuchen quasi über den Lärm hinweg doch noch gehört werden. Wie genau das funktioniert, sollte man heute an verschiedensten Stellen nachlesen können, oder direkt beim Journal.
Ich darf den letzten Absatz so wie er da steht jetzt schreiben, denn die Sperrfrist endet heute. Aber darum geht es mir hier gar nicht. Passend zum Thema “Sperrfrist” bin ich nämlich vor Kurzem darauf gestoßen, was die Kehrseite der Pressemedaille hier ist. Denn so eine Sperrfrist bringt ein paar Probleme mit sich. Zum Einen klingelt den ganzen Tag das Telefon im Büro, da alle Nachrichtenagenturen, Zeitschriften, Radiosender etc. gleichzeitig ihre Interviews durchführen wollen. Das mag anstrengend sein, ist aber vielleicht die Sache Wert, da man als Autor sich so auf die Thematik konzentrieren kann und die immer wiederkehrenden Fragen irgendwann sogar im Schlaf beantworten könnte. Allerdings profitiert nicht jeder davon, den Artikel lesen zu können. Blogger und andere Wissenschaftsautoren außerhalb der “normalen” Medien müssen warten, bis der Artikel ganz regulär erscheint.
Manchmal aber stecken so viele Daten in einer Studie, dass es für einen Artikel gar nicht ausreicht. Dann werden heutzutage gleich mehrere Artikel produziert. Aber was, wenn dann die Artikel nicht alle gleichzeitig erscheinen? Wie lange muss die Presse dann warten?
In New York gab es 2009 einen Ausbruch an Mumps. Zu 97% waren orthodoxe Juden betroffen und als die Anzahl der Kranken in die Tausende ging, versuchte das Center for Disease Control (CDC) in seiner Not etwas Unorthodoxes: Sie impften Kinder, die schon beide Masern-Mumps-Röteln-Impfungen bekommen hatten mit einer dritten. Zur Sicherheit. Wahrscheinlich hat der Ausbruch auch gesunde Kinder dermaßen mit Viren konfrontiert – übertragen durch Klassenkameraden und Freunde in der unmittelbaren Nachbarschaft – dass ihr Immunsystem nicht mehr mitkam. Trotz ausreichender MMR-Impfung.
Jetzt stellt sich die Frage in wie weit das sinnvoll war und welche Nebenwirkungen die dritte Impfung verursachte. Diese Ergebnisse wurden in drei verschiedenen Artikel veröffentlicht, von denen zwei Ende Oktober erschienen. Beide hatten eine Sperrfrist und zu Halloween erschienen diese spannenden Ergebnisse in den Amerikanischen Tageszeitungen. Doch die Sperrfrist für den dritten Artikel lag beim 5. November. Die ersten beiden Paper erklärten, wie es dazu kam, dass auch geimpfte Kinder in so großen Zahlen krank wurden beziehungsweise welche Nebenwirkungen es durch die Drittimpfung gab (gerade 115 von fast 1800 Kindern zeigten überhaupt eine Reaktion, die meisten davon lediglich eine Schwellung an der Einstichstelle). Der letzte Artikel behandelte aber das, was die meisten von uns am ehesten interessierte: Hilft die Drittimpfung überhaupt?! Doch bevor diese Frage beantwortet werden durfte, musste die Welt noch eine Woche warten. Mittlerweile wissen wir, dass von den meisten Betroffenen etwa 5% an Komplikationen litten, jedoch niemand starb. Von denjenigen, die aber drei Impfungen bekamen, hatten weniger als 0,5% Probleme. Auch hier starb niemand.
Wie stark der Rückgang auf die Drittimpfung zurückzuführen war, lässt sich aber auch nach Veröffentlichung der Ergebnisse nicht hundertprozentig klären. Die Epidemie könnte sich nämlich schon auf dem Rückgang befunden haben.
Was das Heuschrecken-Paper bei uns angeht, da muss keiner darauf warten bis eine zweite Sperrfrist aufgehoben wird. Bislang gibt es nämlich nur das eine. Wer aber wissen möchte, in wie weit die Gesangsveränderung eine Anpassung der Individuen an den Lärm oder eine evolvierte Veränderung der Autobahnpopulationen ist, der sollte vielleicht 2013 die Augen nach zukünftigen Pressemitteilungen offenhalten.
Zum Abschluss noch etwas zu Sperrfristen:
Der Vorteil einer Sperrfrist ist, dass Journalisten in Ruhe ihre Recherche betreiben und die Fakten richtig stellen können, bevor sie den Zeitungsartikel schreiben. Man stelle sich einfach mal vor, die Reporter müssten in wenigen Minuten die Infos sammeln, sich in die Materie einarbeiten und schnell noch ein, zwei Interviews führen, um es doch eben in die Abendnachrichten zu schaffen. Dabei kann man schon mal die eine oder andere Sache falsch verstehen. Wie in dem großartigen Fall, in dem eine Studie einen Zusammenhang zwischen Fersenlänge (engl.: heel length) und Wadengröße bei Frauen gefunden hat (Short heels and big calves, Biology Letters 2011). In manchen Zeitungen las man am nächsten Tag, dass man durch Schuhe mit Absatz (engl.: high heels) kleinere Waden bekommt:
Aber auch eine Sperrfrist ist nicht unzerstörbar, wie gestern die Nachrichtenagentur Reuters Health bewies. Sie veröffentlichten, aus Versehen, einen Artikel vor Ablauf des “Countdowns.” Wenn so etwas passiert, bleibt dem Journal nichts anderes übrig als die Sperrfrist zu beenden: Jetzt darf jeder.
Lampe, U., Schmoll, T., Franzke, A., & Reinhold, K. (2012). Staying tuned: grasshoppers from noisy roadside habitats produce courtship signals with elevated frequency components Functional Ecology DOI: 10.1111/1365-2435.12000
Ogbuanu, I., Kutty, P., Hudson, J., Blog, D., Abedi, G., Goodell, S., Lawler, J., McLean, H., Pollock, L., Rausch-Phung, E., Schulte, C., Valure, B., Armstrong, G., & Gallagher, K. (2012). Impact of a Third Dose of Measles-Mumps-Rubella Vaccine on a Mumps Outbreak PEDIATRICS DOI: 10.1542/peds.2012-0177
]]>Ich mag meinen Bart.
Es mag Gewöhnung sein, aber ich finde es außerdem praktisch, nicht jeden Tag das gesamte Kinn rasieren zu müssen. Darüber hinaus mache ich mir wahrscheinlich sehr selten Gedanken darüber, warum ich ihn trage … oder warum Männer überhaupt Bartwuchs haben. Eine neue Studie, dessen Abstrakt mit dieser wunderbaren Definition, die ich oben übersetzt habe, beginnt, fragt sich das aber doch.
Im Vergleich zu unseren Vorfahren, haben wir den Großteil unserer Körperbehaarung verloren. Im Gegensatz zu unserem “Cousin,” dem Gorilla, besitzen wir kein silbernes Fell auf dem Rücken. Und die Meisten von uns haben wesentlich weniger haarige Hintern als die Schimpansen. Warum aber haben wir Haare im Gesicht behalten? Einen richtigen Vollbart könnten Männer sich wachsen lassen, bis nur noch Stirn und Nase unbedeckt bleiben.
Diese Fragen sind so alt wie die Verhaltensökologie selbst. Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass Frauen bärtige Männer bevorzugen. Sexuelle Selektion durch Weibchen kann bei Vögeln für prächtige Gefieder sorgen. Warum dann nicht bei Homo sapiens für einen prächtigen Bartwuchs?! Im Biologiestudium lernte ich, dass das Gegenteil der Fall war, denn Frauen bevorzugen niedliche, kindliche Merkmale. Neotenie nennt sich das. Als direkte Konsequenz rasierte ich mir umgehend den Bart komplett ab, konnte allerdings keinerlei Bestätigung für diese Annahme finden. Es ist eh viel komplizierter, denn abgesehen davon, dass Frauen verschiedener Herkunft und verschiedenen Alters (und überhaupt: verschiedene Frauen) ganz unterschiedliche Vorlieben haben können, hängen ihre Präferenzen außerdem von der Phase im Menstruationszyklus ab.
Die Wissenschaftler Barnaby Dixson und Paul Vasey wollten es aber genauer wissen und machten ein wirklich interessantes Experiment. Sie baten 10 bärtige neuseeländische Männer europäischer Herkunft und 9 Bartträger aus Samoa, sich mit ganz genau definierten Gesichtsausdrücken fotografieren zu lassen – neutral, glücklich und wütend. Sie wurden fotografiert und rasierten sich dann alle ihre Bärte ab. Dann wurden erneut Fotos gemacht. Mit diesen Fotos führten die Forscher Umfragen in beiden Ländern durch, um zu prüfen, welchen Eindruck bärtige Männer im Vergleich zu glattrasierten auslösen würden. Dank der unterschiedlichen Herkunft konnten sie so außerdem unterscheiden, welche Einflüsse die “westliche” Kultur auf diese Eindrücke haben würde.
Sie baten Frauen, die Fotos mit glücklichen Männern nach ihrer Attraktivität zu beurteilen (mit Hilfe einer Skala von 0 bis 5). In beiden Ländern gaben die Frauen rasierten Männern durchweg die besseren Noten. Rasierte Männer waren attraktiver. (Neotenie hat anscheinend gewonnen.)
Männer wurden gebeten, die wütenden Fotos nach ihrer Aggressivität zu beurteilen. Das Ergebnis zeigte das Gegenteil der Umfrage bei den Frauen. Bärtige Männer wurden in beiden Kulturen als aggressiver eingestuft.
Zuletzt wurden einer Gruppe aus Männern und Frauen die neutralen Fotos gezeigt, an denen der soziale Status und das Alter der abgebildeten Personen geschätzt werden sollte. Hier wurden bärtige Männer älter eingestuft, und der Status in ihrer Gemeinde als höher. (Gibt es deshalb so viele bärtige Professoren?) Das galt sowohl für die Testgruppen aus Samoa sowie aus Neuseeland.
Bärtige Männer wirken also in der Regel älter, haben ein höheres Ansehen, erscheinen gefährlicher, aber sind weniger attraktiv für Frauen. Das vermittelt den Anschein, dass der Bart weniger von Frauen selektiert wurde, aber eine größere Rolle bei intrasexueller Selektion spielte, also eine Form der Kommunikation zwischen Männern war. Etwa: “Finger weg von meiner Frau!” oder vielleicht: “Ich bin hier der Boss, also leg dich nicht mit mir an!”
Spannend ist, dass die Ergebnisse beinahe identisch zwischen Samoanern/Samoanerinnen und Neuseeländern/Neuseeländerinnen waren. Im Artikel beschreiben die Autoren sehr schön die Unterschiede beider Länder. Während Neuseeland dank Werbetafeln, Zeitschriften, Fernsehen und Internet in vieler Hinsicht kaum von den meisten europäischen Ländern zu unterscheiden ist, gibt es in ganz Samoa nur ein Kino udn außerhalb der Hauptstadt keien Chance auf Internet. Es wäre interessant zu sehen, ob sich diese Ergebnisse auf andere Gruppen übertragen lassen. Insbesondere, das erwähnen die Autoren auch, sollte man diese Umfrage mal in Ländern machen, in denen die Mehrheit der Männer einen Bart trägt.
In wie weit der Bart allerdings ein ehrliches Signal ist, also anderen Männern korrekte Informationen über den relativen Status und die Aggressivität des Bartträgers verrät, kann die Studie nicht klären. Die unterschiedliche Interpretation der selben Männer – einmal mit und einmal ohne Bart – lässt allerdings vermuten, dass es hier viel Spielraum gibt und dass bärtige Männer andere mit ihrem Bart täuschen könnten.
Dixson, B., & Vasey, P. (2012). Beards augment perceptions of men’s age, social status, and aggressiveness, but not attractiveness Behavioral Ecology, 23 (3), 481-490 DOI: 10.1093/beheco/arr214
Der Vortrag hat mich auf jeden Fall dazu bewegt, Vegetarier zu werden. Eine ganze Woche lang. Ich will mich gar nicht herausreden, es fehlte mir schlicht und einfach an Durchhaltevermögen, und Vegetarier zu werden war doch irgendwie mit Mühe verbunden.
Doch der Vortrag hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Seit etwa zwei Jahren habe ich meine Ernährung umgestellt. Ich bin kein Vegetarier geworden, aber ich habe Fleisch zu einem großen Teil aus meinem Alltag verbannt. Wie inkonsequent, könnte man meinen. Das mag sein, aber ich behaupte ich wäre nicht konsequenter wenn ich Vegetarier wäre. Lasst mich kurz erklären …
Es gibt für mich drei Gründe, kein Fleisch zu essen. 1) Weil wir dafür Tiere töten. 2) Weil diese Tiere Leid empfinden. 3) Weil die Tiere unter Bedingungen gehalten werden, bei denen unmöglich gesundes Fleisch bei rum kommen kann. In erster Linie Punkt 2 ist für meine Einstellung ausschlaggebend (Punkt 1, das muss ich zugeben, fällt überraschend gering ins Gewicht, wenn es z.B. um Fische oder Hühner geht). Daher weigere ich mich, Fleisch zu essen, wenn Tiere dafür unter Bedingungen gehalten werden, die nicht zu rechtfertigen sind. Allerdings werden ähnlich Tiere gehalten, die nur zur Produktion von Lebensmitteln herhalten müssen, und nicht als Fleischlieferanten dienen. Konsequenterweise müsste ich dann vegan leben, denn Eier, Milch und Käse sind leider immer noch Grund genug für Legebatterien und Tiere, die nie eine Weide sehen oder unter ihrem Übergewicht zusammen brechen.
Ich bin also wahrscheinlich inkonsequent, aber meiner Meinung nach nicht, weil ich kein Vegetarier sondern kein Veganer bin. Doch das wäre ein Schritt, der nicht nur die “armen Tiere” berücksichtigen muss, sondern – wenn man es ernst nimmt – den ganzen Alltag in Frage stellen sollte und die gesamte Ernährung von Grund auf umkrempeln muss. Jemand, der schon als Vegetarier versagt hat, kann da wahrscheinlich nicht lange mithalten …
Wie kann man aber rechtfertigen, dass man Fleisch ist, ohne lediglich sein eigenes Gewissen zu beruhigen? Die New York Times haben das versucht, indem sie vor einigen Wochen dazu aufriefen, Gründe fürs Fleischessen zu finden. Aus allen Einsendern kann man sechs der Antworten auf der Webseite lesen. Eine argumentiert, dass mittlerweile Fleisch aus dem Labor kommen kann, gegen das es keinerlei Einsprüche gibt. Ein weiterer Artikel behauptet, dass das Essen von Tieren Teil eines natürlichen Gleichgewichtes wäre, das bewahrt werden muss (eine Argumentation, mit der ich nur wenig anfangen kann). Der wahrscheinlich menschlichste Standpunkt ist der, dass es weitaus Wichtigeres gibt als die Gesundheit von Zuchttieren. Unmittelbare Probleme wie Geld oder Familie, für die wir eine größere Verantwortung haben, sollten bei jeder Entscheidung den höheren Stellenwert bekommen und könnten in Einzelfällen weniger wichtige Entscheidungen verdrängen. Doch dieser Autor umgeht damit nur das eigentliche Problem. Eine weitere Sicht ist, dass wir – die Menschen – Tiere “wie Pflanzen” anbauen, also auch die Verantwortung für ihr Wohlbefinden haben, dafür jedoch in gewisser Weise auch das Recht haben, sie zu töten. Ich sehe das zwar nicht so, aber das dem zu Grunde liegende Argument ist, dass wir bewusst nur Fleisch kaufen sollten, welches moralisch vertretbar ist. Knifflig, aber nicht unmöglich.
Der beste Beitrag wurde dann von einer Jury ausgewählt, unter denen berühmte Vegetarier wie Jonathan Safran Foer und Peter Singer zu finden sind. Gewonnen hat ein Text, der nach den Kommentaren zu urteilen auf sehr viel Unverständnis stößt. Aber irgendwie trifft er den Punkt, der auch mir wichtig ist: Egal ob Vegetarier oder Fleischesser, wir sollten darauf achten woher unser Essen kommt. Moralisch habe ich deshalb gar kein Problem damit, beim Biobauern meines Vertrauens ab und zu einzukaufen, wenn ich mir sicher sein kann, dass die Rinder dort entsprechend gut gehalten werden. Dies ist ein System dass bis vor ein paar Jahren vom Aussterben bedroht war. Doch es scheint mir fast, als fingen die Leute wieder an, bei lokalen Metzgern einzukaufen, Biokisten zu bestellen oder auch nur ein bisschen mehr Geld für Bioeier auszugeben. Diese Veränderung kann man vielleicht eher mit gelegentlichen Besuchen beim Biometzger unterstützen als wenn man sich komplett heraushält.
Oder?
Diese Thematik ist ziemlich kompliziert, und für jemanden, der mit seiner Haltung etwas bewegen möchte, ist es fast unmöglich, die richtige Entscheidung zu treffen. Veganer werden schnell als Gruppe ins Abseits geschoben. Vegetarier gibt es mittlerweile zu viele, als dass sie für einen Standpunkt einstehen könnten. Wenn es auf einer Konferenz darum geht, wer fürs Abendessen besondere Ansprüche hat, wünsche ich mir die Kategorie “Bewusster Omnivor:” Wenn ich die Kuh nicht kannte, will ich sie auch nicht essen. In den meisten Fällen bin ich also Vegetarier, aber ich würde mich nicht als solcher bezeichnen.
Ich kann problemlos auf Fleisch verzichten, aber ich könnte auch damit leben, Fleisch zu essen, wenn die Tiere vernünftig gehalten werden können. Ist diese Einstellung vertretbar? Oder nur eine Ausrede – und sollte Punkt 1 (Tiere dürfen grundsätzlich nicht getötet werden) wesentlich stärker ins Gewicht fallen?
Gibt es überhaupt respektable Gründe dafür, Fleisch zu essen? Ich rufe alle Carnivoren zu einer Stellungnahme auf …
]]>Drei davon finden sich in jeder wissenschaftlich interessierten Illustrierten sowie auf mittlerweile hunderten Blogs regelmäßig wieder. Aber einer davon ist so etwas wie ein schwarzes Schaf. Die genetische Drift wird selten erwähnt, so dass man als Student (oder muss ich von Studierenden reden?! Ich hoffe der generische Maskulin hier sei mir verziehen …) meinen könnte, sie spiele gar keine so große Rolle. Weit gefehlt, wie an unserer Uni die Studenten in den letzten Tagen wieder entdecken durften. In einem Modul des Bachelorstudienganges gibt es einen Praktikumstag, der komplett der Evolution gewidmet ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Tagen, an denen Tiere seziert, mikroskopiert und verhaltensbiologisch analysiert werden, wird hier gerechnet und logisch gedacht bis der Kopf raucht.
Wir haben seit Jahren drei Komponenten im Programm: Zum einen führen wir das klassische Beispiel natürlicher Selektion vor. Rote und gelbe Schmetterlinge sitzen auf einer rot-gelben Blumenwiese und die Studenten sollen durch Zählen die Raubtiere spielen, die – wer hätte das gedacht? – entweder die roten oder gelben Schmetterlinge stärker “fressen.” Hat der gelbe Schmetterling etwa einen Selektionsnachteil? Nach einer kurzen Einführung in die Theorie um das Hardy-Weinberg-Gleichgewicht, dürfen die Studenten ins Eingemachte gehen und die Allelfrequenzen vor und nach dem Erscheinen des Räubers berechnen. Das Allel für den roten Phänotyp kommt wie erwartet in der nächsten Generation wesentlich häufiger vor. Die zweite Komponente ist eine Stammbaumrekonstruktion, in der die Studenten lernen, wie man die Verwandtschaft von Tierarten anhand von morphologischen und genetischen Merkmalen in den wahrscheinlichsten verwandtschaftlichen Zusammenhang stellt.
Das sind beides knifflige Aufgaben. Der dritte Teil des Praktikums ist meiner Meinung nach der einfachste, aber er führt einen wichtigen evolutionsbiologischen Prozess ein, der häufig vergessen wird.
Was ist genetische Drift?
In ihrer simpelsten Definition ist Evolution die Veränderung von Allelfrequenzen in einem Genpool über die Zeit. Das heißt, dass irgendetwas dafür sorgt, dass die Allele, die für ein bestimmtes Aussehen stehen, sich in ihrer Häufigkeit verändern. Selektion zum Beispiel wäre der Fall, in dem das Allel für gelbe Schmetterlinge häufiger wird, weil alle roten von gefräßigen Studenten aufgegessen werden. Im Fall der Migration wandern vielleicht die gelben Schmetterlinge ab. In beiden Fällen verändert sich die Zusammensetzung des Genpools.
Genetische Drift ist der Prozess, der ganz zufällig für solche Änderungen sorgt. Die Universität von California in Berkeley hat auf ihrer netten Webseite versucht, das Ganze mit einem Cartoon zu verdeutlichen:
Der Fuß ist hier Symbol für den Zufall. Ohne Selektion auszuüben wird hier ein zufälliger Teil der Individuen aus der Population “entfernt.” Das Beispiel ist zwar nett, und solche zufälligen Ereignisse können selbstverständlich Allele aus einer Population entfernen, aber meiner Meinung nach trifft es den Prozess der genetischen Drift nicht so ganz. Denn zum Einen könnte der Schuh einen Selektionsdruck auf die weniger geschützten Tiere ausüben (Käfer mit robuster Flügeldecke macht so ein Tritt vielleicht gar nichts aus), zum anderen braucht man gar keine Auswirkung von außen, damit genetische Drift wirkt.
Eine Grundvokabel in der Biologie ist die der “Stichprobe.” Sobald man statistische Analysen seiner Versuche beginnt, stellt man fest, wie wichtig es ist, eine ausreichend große Stichprobe zu haben. Doch nicht nur die Größe spielt eine Rolle, sondern auch die Zusammensetzung. Wählt man zufällig robuste Käfer aus und trampelt auf ihnen herum, könnte man meinen, dass Käfer immun gegen festes Schuhwerk sind. Die Stichprobe sollte also, zumindest wenn man relativ allgemeingültige Aussagen machen möchte, auch vielfältig genug sein. Man braucht eine Zufallsstichprobe (“Random sampling”). Genau so etwas macht die genetische Drift. Unabhängig von Vulkanausbrüchen, Erdrutschen und anderen “zufälligen” Ereignissen sollte man annehmen, dass sich eine Population von Tieren trotzdem in ihrer Zusammensetzung verändert.
Ein Beispiel
Im Kurs haben wir kleine, quadratische Papierplättchen. Vier verschiedene Farben und jeweils zwei von einer, um eine Art Genpool zu simulieren. Damit genetische Drift gut gemessen werden kann, nehmen wir an, dass Selektion nicht stattfindet und dass die Plättchen keine Vorlieben bei der Verpaarung haben. Jedes kann sich mit jedem fortpflanzen. Alle acht Plättchen liegen dann in einem Plastikbecher, aus dem – zufällig – zwei gezogen werden, die sich verpaaren können. Die “Eltern” werden zurück in den Becher gelegt; der Nachkomme hat jetzt beide Farben, die der “Mutter” und des “Vaters.”
So entstehen neue Generationen mit einer anderen Verteilung der Farben. In einer winzigen Population wie der unseren (8 Tiere), sieht man relativ schnell eine Veränderung in der Zusammensetzung. Während am Anfang noch jeweils zwei gelbe, rote, blaue und grüne Individuen auftauchten, sind es bei Generation 4 vielleicht drei blaue und dafür nur noch ein rotes. Allein der Zufall in der Stichprobenwahl verursacht, dass eine Farbe häufiger gezogen wird als die anderen. Das kann soweit führen, dass nach ein paar Durchgängen eine Farbe komplett aus dem “Genpool” verschwunden ist.
Diese stochastischen Prozesse finden andauernd statt. Auch bei uns. Jedes Mal wenn ein neues Kind gezeugt wird, wird nur ein Teil der Allele der Eltern weiter gegeben. Die Stichprobe, also die Anzahl der Kindern, entscheidet, wie viele der Allele in die nächste Generation gelangen. Bei kleinen Familien, genauso wie bei kleinen Populationen, können so bestimmte Allele verloren gehen. Obwohl es schwierig ist, heute zurückblickend darüber zu urteilen, ob eine Allelfrequenz durch genetische Drift oder einen uns heute unbekannten Selektionsdruck zustande kam, gibt es die Möglichkeit, per Modellierung die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, dass genetische Drift eine Rolle gespielt hat. Zum Beispiel sind Unterschiede in Häufigkeiten von Blutgruppen zwischen Populationen leicht auf Drift zurückzuführen, genauso wie die unterschiedliche Verteilung von Rh-negativ in Europa.
Nicht zuletzt war es wahrscheinlich auch genetische Drift, die dabei mitgeholfen hat, dass unsere gesamte heutige mitochondriale DNA auf eine Frau zurückzuführen ist, die sogenannte mitochondriale Eva. Das bedeutet, dass aus vielleicht ein paar Tausend Individuen nur die mitochondriale DNA einer einzigen Frau bis heute übrig geblieben ist:
Der Rest (die blauen, türkisen, roten und rosa “Plättchen”) ist durch einfache Stochastik unterwegs auf der Strecke geblieben.
]]>Aber bevor ich dazu komme, hier ein perfekt passender Auszug aus einem der besten Bücher, die ich bislang gelesen habe. Inherit the Wind ist ein Theaterstück von Jerome Lawrence und Robert Edwin Lee, welches den berühmten Gerichtsprozess um John Thomas Scopes (der Scopes “Monkey” Trial) nutzt, um eine fiktive, aber sehr real wirkende Geschichte zu erzählen. Zu Beginn des Buches unterhalten sich HOWARD und MELINDA über dicke, eklige Würmer, die über die feuchte Erde kriechen. Melinda ist eindeutig nicht besonders von ihnen angetan. Hier ist der darauf folgende Dialog:
MELINDA (Shivering) How can you touch ’em? It makes me all goose-bumpy!
(HOWARD dangles it in front of her face. She backs away, shuddering.)
HOWARD What’re yuh skeered of? You was a worm once.
MELINDA (Shocked) I wasn’t neither!
HOWARD You was so! When the whole world was covered with water, there was nuthin’ but worms and blogs of jelly. And you and your whole family was worms!
MELINDA We was not!
HOWARD Blobs of jelly, then.
Wir waren also alle mal Würmer. Unsere ganze Familie. Das stimmt wahrscheinlich, solange wir “Würmer” umgangssprachlich für “glitschige Kriechtiere” benutzen und nicht als tatsächliche Klassifizierung. Genauso waren wir alle auch mal “blobs of jelly” (uralter Wackelpudding). Aber welcher “Wurm” waren wir denn? Schaut man in die meisten Biologiebücher, taucht ein beliebter Kandidat auf: Pikaia.
Pikaia ist etwa so lang wie ein kleiner Finger und sieht aus wie ein Wurm, vielleicht ein bisschen wie ein Plattwurm, der sich wie ein Egel bewegt. Oder wenn man genauer hinschaut, wie ein Lanzettfischchen. Das sind schädellose Chordatiere, die heute noch in schlammigen Bereichen aller Küsten der Welt zu finden sind. Die Gruppe ist allerdings an die 500 Millionen Jahre alt. Genau wie Pikaia, welches aber nicht bis heute überlebt hat, und nur in Kanada existierte. Denn alles, was wir über Pikaia wissen führt zurück auf einen Fund vor 100 Jahren, in den Bergen von British Columbia.
Wie bei jeder guten Geschichte gibt es auch bei dieser einen Mythos, der sich gut am Lagerfeuer erzählen lässt. Im Jahr 1909 war der Paläontologe Charles Walcott als Sekretär des Smithsonian Institutes unterwegs in den kanadischen Rocky Mountains als sein Pferd plötzlich vor einem Felsen stehen blieb. Er nahm an, dass das Pferd sich nicht traute, den Weg über den Felsen fort zu setzen. Er brach den Stein auf, um das Hindernis zu entfernen und es so seinem Pferd leichter zu machen. Dabei stieß er auf eine Vielzahl an Fossilien. Es waren so viele Fossilien, dass er die nächsten 14 Jahre dorthin zurück kehren würde, alleine, mit Kollegen und mit Familie; und er würde über 65000 Funde mitbringen. Die Lagerstätte von Schwarzschiefersedimenten bekam den heute berühmten Namen “Burgess Shale.”
Doch Walcott war nicht bewusst, welch grandiosen Fund er dort in Händen hielt. Es waren unzählige Fossilien, doch ordnete er sie ausschließlich bekannten Arten zu. Einen kleinen Wurm, den er dort fand, steckte er in die Gruppe der Ringelwürmer (Anneliden), zu denen auch der klassische Regenwurm gehört. Das tat er, da der Körper genauso segmentiert zu sein schien, und er benannte die Kreatur nach dem nicht weit entfernten Mount Pika.
Es dauerte Jahrzehnte bevor die Klassifizierungen Walcotts ernsthaft in Frage gestellt wurden. Einer der Forscher, die später damit beauftragt wurden, sich die Burgess Shale-Würmer genauer anzusehen, war Simon Conway Morris (ja, der Conway Morris). Ich denke, er ahnte wenig davon, dass er den Rest seines Lebens damit verbringen würde, diesem kleinen Wurm seine gesamte Aufmerksamkeit zu widmen.
Pikaia gracilens
Dieser “Wurm” war alles andere als häufig unter den Fossilien des Burgess-Schiefers. Walcott fand insgesamt nur 16 Exemplare – das sind etwa 0.03%. Seitdem sind noch einige dazu gekommen, aber auch heut sind es gerade mal 114. 1979 publizierte Simon Conway Morris die Ergebnisse seiner Analysen: Pikaia ist kein Wurm, sondern ein Chordatier. Dazu gehören in erster Linie die Wirbeltiere. Das bedeutet zwar nicht, dass der Pikaia aus Kanada der Vorfahre aller Wirbeltiere war, aber zu der Zeit gab es nach unserem Wissen nichts Vergleichbares. Stephen Jay Gould erklärt dies sehr schön im Epilog seines Klassikers “Wonderful Life,” in dem er sich ausführlich mit den Fossilien des Burgess Shales auseinander setzte:
Ich behaupte natürlich nicht, dass Pikaia selbst der Vorfahre von Wirbeltieren war, noch wäre ich töricht genug zu sagen, dass jegliche Chance auf eine Zukunft für die Chordatiere bei Pikaia im mittleren Kambrium läge; andere Chordaten, bislang unentdeckt, haben sicher die kambrische See bevölkert. Aber ich vermute, durch die Seltenheit Pikaias im Burgess-Schiefer und das Fehlen jeglicher Chordatiere in anderen Lagerstätten des Altpaläozoikums, dass unser Stamm nicht zu den großen kambrischen Erfolgsgeschichten zählte, und dass Chordaten in dieser Zeit einer unsicheren Zukunft entgegen sahen.
Der Grund, warum Pikaia als eines der ersten Chordatiere eingestuft wurde, war der Fund einer Chorda dorsalis. Die ersten Untersuchungen zeigten, dass Pikaia das besaß, was für Chordatiere namensgebend war. Die Chorda dorsalis findet sich auch heute noch bei Lanzettfischchen, wo sie eine elastische Achse von vorne bis hinten bildet und als eine Art Achsenskelett fungiert. Auch wir haben noch eine. Im Embryo von Schwein, Huhn, Dackel und Mensch (und allen anderen Chordatieren natürlich auch) ist die Chorda dorsalis ein elastischer Stab, der den Rücken durchzieht, und später durch die Wirbelsäule ersetzt wird. Diese Vor-Wirbelsäule findet sich nicht in Würmern, aber in Pikaia.
Jetzt hat Simon Conway Morris zusammen mit seinem Kollegen Jean-Bernard Caron endlich Pikaia seine eigene Publikation gewidmet. Dafür haben die Beiden sämtliche 114 in Museen vorhandene Exemplare genauestens untersucht und festgestellt, dass … die Chorda dorsalis gar keine Chorda dorsalis ist. Was ursprünglich dafür gehalten wurde, war in Wirklichkeit ein Organ, dass zwar dem Körper etwas Kraft gegeben haben mag, aber nicht die Funktion der Chorda erfüllte. Doch bevor wir jetzt alle anfangen, unsere Ahnengallerie komplett umzudekorieren: Es gibt trotzdem eine Chorda dorsalis, zumindest in manchen Exemplaren. Sie ist weniger stark ausgeprägt und in den Fossilien nicht so deutlich zu erkennen wie das dorsale Organ.
Was bedeutet das? Das dominante Merkmal Pikaias ist plötzlich größtenteils verloren? Die Autoren geben zu, dass die Identifikation der Chorda dorsalis recht kompliziert ist. Doch die Untersuchungen haben dafür andere Merkmale gefunden, die Pikaia dennoch zu den Chordatieren zählen lassen. Was Walcott einst für Körpersegmente gehaltene hat, ist in Wirklichkeit keine wie bei Würmern auftauchende Segmentierung. Bei Würmern entstehen die Segmente extern bei der Entwicklung, einer nach dem anderen, mit den ältesten Segmenten am Ende und den jungen Segmenten am Anfang der Wachstumszone. Bei Pikaia hingegen kommt der Schein einer Segmentierung durch Muskelgewebe. Dise Muskeln sind in einer Form angeordnet, wie sie in der Regel nur bei Chordaten auftaucht. Das charakteristische Zick-Zack-Muster taucht bei Myomeren auf, die man zum Beispiel besonders gut sehen kann, wenn man einen Fisch ausnimmt.
Ist Pikaia also ein Chordatier oder nicht? Die Autoren diskutieren diese Frage natürlich auch, aber mir scheint, die Sache ist nicht mehr so einfach zu klären. Das umfangreiche Detailwissen zur Morphologie Pikaias lässt es nicht mehr zu, ihn in eine einfache Kategorie zustecken. Wieso auch? Das über 500 Millionen Jahre alte Lebewesen lässt sich nicht einfach nach heutigen Maßstäben kategorisieren. Genau das hat auch Walcott versucht, als er seine Burgess-Fossilien ordnen wollte, was dazu geführt hat, dass die eigentlichen Entdeckungen Jahre später von Anderen gemacht wurden. Es läuft aber darauf hinaus, dass Pikaia eindeutige Merkmale eines Chordaten besitzt. Myomere und so etwas wie eine Chorda dorsalis traten zu dieser Zeit in keinem anderen Tier auf. Was sonst könnte Pikaia sein, wenn kein Chordat? Laut den Autoren würde jede andere Klassifikation Pikaia in ein “phylogenetisches Limbo” versetzen. Die Zuordnung Pikaias in die Chordatiere erscheint die einzig vernünftige Klassifizierung zu diesem Zeitpunkt.
Stephen Jay Gould hatte aber wohl Recht wenn er sagt, dass Pikaia selbst vermutlich nicht unser Vorfahre war. Doch der Vorfahre der Wirbeltiere hat damals existiert. Das ist 100%ig sicher.
Und wahrscheinlich war es irgendein “Wurm.”
Morris, S., & Caron, J. (2012). Pikaia gracilens Walcott, a stem-group chordate from the Middle Cambrian of British Columbia Biological Reviews DOI: 10.1111/j.1469-185X.2012.00220.x
Das neue Jahr begann Mr. Coyne mit einem Artikel, den er für die Zeitung USA Today schrieb, und Artikel wie diese sind es, die mich ein ganz, ganz kleines Bisschen zusammen zucken lassen: Why you don’t really have free will
Als Evolutionsbiologe muss ich von vornherein zugeben, dass ich von der Debatte zum Freien Willen keine Ahnung habe. Warum auch? Das wenige Wissen, welches ich zu diesem höchst philosophischen Thema habe, kommt aus ein paar Texten im Internet, dem gelegentlichen Podcast und dem einen oder anderen Interview in mehr oder weniger anspruchsvollen Illustrierten. Warum äußert sich also Jerry Coyne zu Wort? Entweder weil er schlicht als Experte in einem Feld eine Meinung zu einem Thema aus einem anderen Feld abgeben möchte (sein gutes Recht, warum er aber dann in die USA Today kommt und nicht ich, verstehe ich dann nicht). Oder aber er meint, dass sein berufliches Wissen ihn speziell dafür qualifiziert, darüber zu reden.
Und genau so ist es. In dem Artikel diskutiert er “Freien Willen” aus evolutionsbiologischer Sicht. Meines Erachtens macht er dabei aber keine gute Figur. Es fängt mit dem Problem an: Was ist freier Wille? Im Gegensatz zu Brustwarzen, die in der Regel eine Funktion erfüllen, evolutionsbiologisch erklärbar sind, und bei denen jeder weiß was damit gemeint ist, kann man freien Willen nicht einfach definieren. Es ist ein schwammiges Konzept, welches meines Erachtens höchstens für Gedankenexperimente nützlich ist. Um in irgendeiner Weise biologisch zu argumentieren, muss man sich schon auf eines dieser Konzepte konzentrieren. Aber dann zu behaupten, dass natürliche Selektion die Illusion eines freien Willens geformt haben könnte, “vielleicht weil unsere Vorfahren in kleinen, harmonievollen Gruppen … nicht gedeihen konnten, wenn sie sich nicht für ihre Aktionen verantwortlich fühlten,” ist (freundlich gesagt) doch etwas weit hergeholt.
Soweit ich das verstehe, gibt es verschiedene Formen des Freien Willens. Da ist der Unterschied zwischen der Freiheit, etwas zu tun, und der, etwas tun zu wollen. Was hält mich davon ab, gerade jetzt ein Eis zu essen? ist etwas ganz anderes als Was verursacht, dass ich jetzt gerade ein Eis essen möchte? Während die zweite Frage sehr schwer zu beantworten ist, da Wünsche komplexe Ursachen haben und unsere Gene genau wie die Gesamtheit unserer Erfahrungen stark dazu beitragen was wir eigentlich “wollen,” scheint mir eine Antwort auf die erste umso leichter zu sein. Wir stehen andauernd vor Entscheidungen und in vielen Fällen ist die Chance, dass wir uns für den einen oder anderen Ausgang entscheiden, ähnlich wie bei einer Runde Kopf-oder-Zahl. Ich würde also ganz klar auf Frage 1 antworten: Natürlich kann ich frei entscheiden. Demnach kann er diese ja nicht meinen, oder? Doch:
Warum wählt er diese weniger komplizierte? Weil diese im Bereich der Wissenschaft liegt (na ja, so eben). Die andere, die aus evolutionsbiologischer Sicht gar nicht uninteressant wäre, ist aber viel zu komplex als dass man sie für USA Today diskutieren könnte.
Aber nun zum eigentlichen Standpunkt. Jerry Coynes Argumentation dreht sich dabei etwas im Kreis: Wir sind biologische Kreaturen, bestehend aus Molekülen, die den Gesetzen der Physik unterliegen. Die Moleküle bilden Neuronen, die wiederum Produkte von Genen und Umwelt sind. Erinnerungen und Gedanken sind strukturelle und chemische Veränderungen im Gehirn. Folglich ist eine Entscheidung, die wir treffen, abhängig von Genen, Umwelt und den molekularen Veränderungen, die in unserem Körper statt finden. “Wir” haben also keinen Einfluss darauf, was unser Körper tut.
Neurobiologen beschäftigen sich schon lange mit Motivation, Wünschen und Absichten, und mit den Prozessen, die dazu führen dass wir eine Entscheidung treffen. Wie fast jeder, der dieses durchgekaute Thema anspricht, benutzt auch Jerry Coyne die Libet-Experimente als Argument. Diese (sowie einige nachfolgende Experimente) zeigten, dass das Gehirn von Probanden deutlich früher (z.T. mehrere Sekunden) wusste, ob sie einen Knopf drücken würden, als die Probanden selbst. Die Entscheidung darüber, einen Knopf zu drücken, fiel also bevor es der Person bewusst war.
Der Fehler, den meiner Meinung nach Jerry Coyne und diejenigen machen, die aus den Libet-Experimenten irgendeine Form von Aussage zu freiem Willen ziehen, ist, dass sie uns von unserem Körper trennen. Gerade das finde ich bei dem Atheisten Jerry Coyne sehr überraschend. Es ist nicht möglich, unseren Geist oder unser “ich” über den Körper zu stellen. Er sagt dies sogar, aber anscheinend kommt er zu einem anderen Schluss als ich: “‘Wir’ sind einfache Konstrukte unserer Gehirne. Wir können dem Input in unser Gehirn keinen verworrenen ‘Willen’ aufzwingen.”
Ich würde behaupten, dass es schon deswegen nicht möglich ist, unserem Gehirn einen Willen aufzuzwingen, da wir unser Gehirn sind. Wir sind das Ergebnis von Genen (und dadurch von Tausenden von Jahren von Selektion) und von der Umwelt, in der wir aufwachsen und in der wir leben. Wenn irgendwer eine Entscheidung trifft, warum sollte das irgendjemand anderes sein als dieses Produkt, als dieses Gehirn, dieser Mensch?! Wen meint Jerry Coyne, wenn er sagt “wir” hätten keinen freien Willen?
Wer schon einmal Baseball gespielt hat, weiß, dass wir in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, ohne dass uns das bewusst ist. Es ist nicht möglich einen aus 18 Meter Entfernung geworfen Ball von etwa 90 Meilen/Stunde (ca. 40 Meter pro Sekunde) zu treffen, wenn unsere Arme warten würden, bis der Ball nahe genug ist, bevor wir unsere Entscheidung träfen. Der Entscheidungsprozess umfasst hier das Abschätzen der Flugbahn, die Bewegung der Arme und … der komplizierteste Teil … die aktuelle Spielsituation. Wenn all dies zusammen kommt, entscheidet ein Baseballspieler blitzschnell, ob und wohin und wie stark er den Ball schlagen möchte. Und diese Entscheidung machen wir, mache “ich,” denn ich bin nichts weiter als der schlaksige Typ auf dem Baseballfeld, das Bündel Neurone, Moleküle und Erfahrungen.
Der berühmte “Katzenfreund” Erwin Schrödinger sagte das ganz ähnlich:
Am Ende versucht Jerry Coyne zu erklären, was es bedeuten würde, wenn wir keinen freien Willen hätten. Nicht viel, denn die Illusion eines freien Willens werden wir uns ja erhalten. Und was bedeutet es für Kriminalität, dass ohne freien Willen keiner mehr für seine Taten verantwortlich ist? Der einzige Grund, laut ihm, dann weiterhin Kriminelle zu bestrafen, ist dass diese Strafen den nicht-freien Willen anderer Menschen beeinflussen werden und diese dazu bringen, weniger Kriminell zu sein. Das widerspricht allerdings den Untersuchungen zum Thema Todesstrafe der letzten Jahrzehnte. Außerdem unterscheidet er zwischen guten und schlechten Taten, als ob sie in irgendeinem Buch nachzuschlagen wären und vergisst damit doch, dass die Welt, in der wir leben, wesentlich komplexer ist. Mir scheint es fast, als hätte er – um diesen Artikel schreiben zu können – den Werkzeugkoffer des Biologen komplett über Bord geworfen. Genau das ist es, was Jerry Coyne bei mir manchmal zum Pet peeve werden lässt.
Ich denke, es wird deutlich, dass dieses ganze philosophische Geplänkel nichts für einen Biologen ist. “Freier Wille” ist ein Konzept mit wenig praktischem Nutzen. Das hält den Neurobiologen Sam Harris nicht davon ab, demnächst ein ganzes Buch darüber zu veröffentlichen, aber es sollte einen Evolutionsbiologen eigentlich davon abhalten, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Und das ist ein Ratschlag mit praktischem Nutzen.
In einer Auseinandersetzung mit dem Artikel von Jerry Coyne, widmet sich dessen “Erzfeind,” Massimo Pigliucci, dem ganzen Thema aus philosophisch-logischer Sicht und gibt einen kurzen Überblick über die Probleme mit dem Konzept des Freien Willens in der Philosophie. Er argumentiert, dass Freier Wille weder bewiesen noch widerlegt werden kann (oder muss), und er beendet seinen Artikel dann mit ein paar Worten, die – ich finde – das Thema gut erst mal ad acta legen sollten, zumindest für uns Biologen:
… und allen ein schönes Weihnachtsfest, oder zumindest ein paar entspannte Feiertage, und auf jeden Fall einen guten Rutsch ins neue Jahr. Bis 2012!
]]>There is grandeur in this view of life
Where one becomes many through struggle and strife
But the mother of mysteries is another man’s call
Why is there something instead of nothing at all.
— Diplomatisches Zitat aus Mother of Mysteries, Darwin Song Project
Ich weiß es wird langsam etwas spät, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen, aber ich denke eh: Die besten Geschenke macht man selbst, sei es mit Mehl und Nüssen, Schere und Kleber oder Videokamera und Haustier. Für all diejenigen, die aber lieber doch etwas kaufen wollen, oder sich selbst einfach auch nach Weihnachten noch etwas gönnen möchten, habe ich hier ein paar Ideen rund um die Themen Naturwissenschaften, Evolutionsbiologie und, ohne besonderen Grund, Charles Darwin.
The reluctant Mr. Darwin: An intimate portrait of Charles Darwin and the making of his Theory of Evolution von David Quammen
Auf deutsch: Charles Darwin: Der große Naturforscher und seine Theorie der Evolution
Ich weiß ja nicht wie Andere das sehen, aber für mich gehört dieser Mann einfach zu den ganz Großen in seinem Feld. Die wenigsten kennen seinen Namen, aber fast jeder hatte schon einmal seine Worte gelesen. Ich rede natürlich nicht von Mr. Darwin selbst, sondern von David Quammen. Ein großartiger Autor, der anfing Kolumnen über die Biologie zu schreiben, weil es ihn einfach interessierte und das Journal, für das er arbeitete, gerade Platz für einen Naturkolumnisten hatte. Seine Begeisterung für das Fach ist ansteckend, und seit er sich intensiver mit Naturhistorie auseinander setzt, sind seine Artikel (vielen aus National Geographic bekannt) ein Muss für jeden, der an Evolution und Zoologie seinen Spaß hat.
Das Buch hier ist eine Auftragsarbeit für eine Reihe von Biographien naturwissenschaftlicher Größen, bei der ein ganzes Leben in bitte nicht viel mehr als 300 Seiten gepackt werden sollte. Da es von Charles Darwin schon mehrbändige Erzählungen über sein Leben gab, war das schon eine gewisse Herausforderung, die Mr. Quammen allerdings mit Bravour erledigte. Man sollte wirklich keine detaillierte Biographie erwarten, sondern eine Art Abenteuerbuch eines Wissenschaftlers.
Das Buch beginnt mit Darwins Rückkehr von der Beagle und behandelt zum größten Teil seine Experimente an Rankenfußkrebsen daheim. Ich kann mir ja nicht vorstellen, dass es etwas weniger aufregendes gäbe als eine Umsegelung Südamerikas, aber nach dem Lesen dieses Buches ist man überzeugt, dass Rankenfußkrebse die spannendesten Tiere der Welt sind, und sie zu studieren das größte zu erreichende Glück. Der Grund dafür liegt in der lebendigen Schreibweise und der Geschichte über einen Mann, der zuallererst Philosoph war, und erst dann Zoologe.
Das Buch ist keine Biographie von Charles Darwin, auch wenn es so angepriesen wird. Es ist die zum Teil kritische Biographie der Evolutionstheorie. Ähnlich wie bei “Bis Einstein kam” von David Bodanis (oder im Original: e=mc2 – a Biography of the World’s Most Famous Equation, ein Buch übrigens, welches es schafft, Wissenschaft als eine Art politischen Thriller aufzuziehen) fließt hier alles ein, was relevant war bei der Entstehung der Evolutionstheorie. Dazu gehört genauso ein umfangreiches Kapitel über Alfred Russell Wallace wie Geschichten über Thomas Malthus, Sir Charles Lyell etc. Und natürlich kommt auch Darwins Familienleben nicht zu kurz, denn diese hatte großen Einfluss auf seine Forschung.
Das Buch endet dann auch nicht mit dem Tod von Darwin, und widmet sich auch nicht wirklich den späteren Werken wie “The Descent of Man,” sondern schließt mit der Veröffentlichung seines ersten, so mühsam zusammengetragenen Meisterwerkes. Wer dieses dann doch lieber im Original lesen möchte (und wem eine Kurzfassung dieses Buches als Vorwort genügt), dem sei On the Origin of Species: The Illustrated Edition empfohlen. Editiert von David Quammen und versehen mit Bildern, Tagebucheinträgen und Illustrationen aus Darwins Reisen, ist es ein Nachdruck der Erstausgabe von “On The Origin of Species.” Dabei sollte erwähnt werden, dass es eher eine Kombination aus zwei parallel zu lesenden Büchern (Reisetagebuch und Evolutionsbuch) ist als eine annotierte, erklärende, eventuell auf den neusten Stand gebrachte Ausgabe.
Wer eine Neuauflage von “On the Origin of Species” wünscht, die aktuelle Forschungsergebnisse mit einbezieht, der ist bei folgendem Buch genau richtig:
Almost like a whale: The ‘Origin of Species’ Updated von Steve Jones
Auf deutsch: Wie der Wal zur Flosse kam: Ein neuer Blick auf den Ursprung der Arten
Steve Jones ist Genetiker, und wenn man seinem Schreibstil trauen kann, Humorist. Er schreibt flüssig und unterhaltsam, bleibt aber dennoch beim Thema und führt in seinem Buch eine riesige Anzahl an Beispielen auf, bei der selbst Darwin blass werden würde. Schön ist es wie er versucht sich an die Form des Vorbildes zu halten. Das Buch beginnt wie bei Darwin mit Variation bei domestizierten Tieren. Doch während zu Darwins Zeiten das ultimative Haustier die Taube war, entscheidet sich Steve Jones (vernünftigerweise, denke ich) dafür, den Schwerpunkt auf ein anderes zu legen. Es geht um die Domestizierung des Hundes. Dabei erklärt er die faszinierenden Versuche von Dmitri Belyaev an Füchsen, in denen wilde Füchse gezähmt wurden und zu seiner Überraschung hängende Ohren und farblose Schwanzspitzen bekamen.
In der wunderbaren “Interlude,” dem einzigen Abstecher von Darwins Original, geht er auf einen Satz ein, der von Kritikern immer wieder gerne erwähnt wird.
Dieses “like a whale” änderte Darwin später zu “almost like a whale,” doch Jones argumentiert, dass dies gar nicht nötig war. Ich sehe das genauso, denn genau diese bildliche Sprache machte “On the Origin of Species” so interessant für sein Publikum, und die Funktion des Buches war zuallererst ein unheimlich langes nicht zu schlagendes Argument, eine damals kühne Behauptung. Selbstverständlich dauerte es so lange um all die Beweise anzusammeln, denn Darwin hatte nicht vor, an die Öffentlichkeit zu gehen, bevor er nicht jeden möglichen Kritikpunkt an seiner These selbst kontrolliert hatte. Dieser kurze Kommentar von Darwin verlieh dem Buch von Steve Jones schließlich auch seinen Titel (zumindest in Deutschland und Großbritannien, in den USA heißt das Buch “Darwin’s Ghost”). “Almost like a whale” ist natürlich ein bisschen wie ein 500-Seiten langes Kompliment und endet deshalb in der wahrscheinlich einzig möglichen Form, mit einem Zitat von Darwin. Jones zitiert das letzte Kapitel wortwörtlich, komplett und hält sich dabei dezent im Hintergrund.
Kann es tatsächlich sein, dass man sich als Wissenschaftler nur Bücher schenkt?! Zum Abschluss habe ich noch eine kurze musikalische Empfehlung, die bei mir seit etwa letztem Weihnachten im CD-Player schlummert. Zum Darwin-Jahr 2009 wurde ein Album mit dem hochkreativen Namen “The Darwin Song Project” aufgenommen. Streng genommen ist es ein bisschen eine musikalische Version von David Quammens Biographie, aber verpackt in den Mantel von Folk Music. Und Folk Music mag doch wohl jeder, oder?!
Ein Teil der Lieder ist schlicht biographisch. “Das Album started mit “Trust in the Rolling Ocean,” einer Erzählung Darwins Reise auf der Beagle. “Heavy in my hand” beschreibt Darwins Zwiespalt, als er einen Brief von Captain Robert FitzRoy bekam, der ihn zu einer Weltreise einlud. “The Earl of Darwin’s Farewell” ist aus Sicht seiner Frau Emma erzählt, die ihren Gatten bittet mehr Zeit der Familie zu widmen. Und “We’re All Leaving” ist ein wirklich trauriges aber gelungenes Lied, in dem Darwin versucht, mit dem Tod seiner Tochter umzugehen. All diese Lieder basieren auf Tagebüchern und vor allem den Erzählungen eines Nachkommen von Darwin, der zusammen mit den Musikern eine Woche lang an den 17 Liedern arbeitete.
Passend zur religiös-besinnlichen Weihnachtszeit geht es hier bei vielen Liedern aber auch um den Konflikt zwischen Darwins Überzeugung und dem im viktorianischen England weit verbreiteten christlichen Glauben. “The Merchant’s Question” und “From Miss Emma Brawley” sind verständnislose Beschwerden von Leuten, die nicht ganz sicher sind was Darwin da eigentlich behauptet bzw. sich nicht mit Affen verglichen sehen wollen. “We’ll Hunt Him Down,” das “folksigste” Stück auf der CD, hört sich tatsächlich an wie eine Jagd, und zwar nach dem Mann, “who stole my Lord away from me.”
Den dritten und kleinsten Teil der CD füllen dann endlich auch Lieder zu Zoologie und Evolutionsbiologie aus. Es spricht für die CD, dass sie wahrscheinlich die einzige ist, in der parasitoide Wespen vorkommen:
Na ja, es wird deutlich, dass der religiöse Aspekt immer wieder durch kommt. Dennoch finde ich das Album rundum gelungen, und da es sich um eine Live-Aufzeichnung handelt, wirkt es nie wie manch andere Konzeptalben, bei denen man den Eindruck haben kann, sie wären nur für den Kommerz produziert. Schön ist, dass es sich hier um Musiker handelt und nicht um Wissenschaftler, denn in den meisten Fällen ging es bisher in die Hose, wenn Wissenschaftler Musik machten (ich konnte mit der Symphony of Science zumindest herzlich wenig anfangen). Apropos Wissenschaftsmusik, zu empfehlen ist auch “Here Comes Science” von They Might Be Giants. Neben einem Lied über Paläontologie und dem vorzeitigen Klassiker “Put it to the test” fällt das Album dadurch auf, dass es wahrscheinlich als einziges den eigenen Text korrigiert, weil er von neuen Erkenntnissen überholt wurde. Direkt nach dem Lied “Why does the sun shine?” folgt das Erratum “Why does the sun really shine?”
Jetzt, 10 Jahre später, hört man ab und zu immer wieder Kritik an dem Mammutprojekt, denn die Ergebnisse fielen bescheidender aus, als man sich erhofft hatte. Die Entdeckungen lassen sich bei Wikipedia in 4 Sätzen zusammenfassen. Es ist zwar interessant zu sehen, dass nur knapp 2 Prozent des menschlichen Genoms für die Herstellung von Proteinen ist und dass die Hälfte all unserer DNA nichts weiter ist als Wiederholungen von Sequenzen sind, für die wir bislang keine wirkliche Funktion kennen. Aber abgesehen von diesen beschreibenden Datensätzen können wir mit Hilfe des Genoms immer noch keinen Krebs heilen, keine Trisomie 21 verhindern, und sowieso sind wir noch weit weg vom Szenario aus “Gattaca.”
Zum Glück?
Ich denke, die Erwartungen, die eine komplette Genomsequenzierung geschürt hat, waren zumindest in den Medien viel zu hoch. Aber dennoch ist Vielen nicht bewusst, welch ein Fortschritt so eine Sequenzierung mit sich bringt. Zu Beginn hielt man die nichtkodierenden Bereiche wortwörtlich für “Schrott,” doch mittlerweile hat das Humangenomprojekt dazu beigetragen, diese Sichtweise zu ändern. Gerade in den Wiederholungen könnten die Erklärungen dafür liegen, wie die kodierenden Bereiche zu Stande kommen. Das Projekt ist zwar offiziell beendet, aber die Forschung an unseren Genen geht weiter.
Und nicht nur an unseren. Genome werden momentan sequenziert wie nie zuvor. Zuerst waren es die kleinen Bakterien, Hefen und Pilze. Mittlerweile werden jedes Jahr ca. zwei Säugetiere sequenziert. Dieses Jahr war der Orang-Utan dran. Bei den Insekten war 2011 das Jahr der Ameise, mit insgesamt vier Genomen. Das Genom der Honigbiene kennen wir schon seit 2006. Die meisten Genome werden ausgewählt weil die Tiere besonders nützlich oder ungemein schädlich sind. Deshalb ist es einfacher, Gelder für eine Viren-übetragende Mücke zu bekommen als für … sagen wir mal … Chorthippus biguttulus.
Das neueste Genom aus der Reihe gehört aber einem ganz besonderen Problemfall, und genau das macht es faszinierend.
Die Spinnenmilbe
In den USA hat die Agrarwirtschaft irgendwie in jedem Insekten-Forschungsprojekt seine Finger mit im Spiel. Dreht es sich um etwas mit mehr als vier Beinen, gibt es immer Jemanden, der überlegt, wie man das Tier nutzen oder bekämpfen kann. Kein Wunder, da die USA auch unter den drei Topexporteuren in Sachen Landwirtschaft liegen. Die Spinnenmilbe ist dabei eines der größten Probleme, da sie unheimlich viele der für die Landwirtschaft relevanten Pflanzen fressen kann (über 1000 verschiedene Pflanzen, darunter Mais, Soja, Baumwolle und unzählige Gemüsesorten). Außerdem ist sie immun gegen die meisten Pestizide. Und sollte es etwas geben, was der Milbe etwas anhaben kann, dauert es nur wenige Jahre bevor sie auch dagegen eine Resistenz aufgebaut hat. Spinnenmilben sind für Landwirte so eine Art HIV auf acht Beinen.
Nun hat die University of Utah das Genom der Spinnenmilbe Tetranychus urticae sequenziert. Die Ergebnisse lassen überraschen und sind weitaus spannender als die meisten anderen Genome, denn viele der identifizierten Gene sind uns schon längst bekannt. Nur nicht alle in demselben Tier.
Das Spinnenmilbengenom ist erstaunlich klein. Mit ca. 90 Million Basenpaaren ist es etwa 30 Mal kleiner als das von uns und das kleinste bekannte Genom eines Arthropoden. Aber während bei uns die ganzen noch recht wirren Bereiche von Wiederholungen das Genom ausfüllen, ist das Genom von Tetranychus stark konzentriert mit Informationen. Von den 18 414 Genen (zum Vergleich: Wir haben auch nur etwa 20 000!) werden über 15 000 genutzt um Proteine herzustellen. Viele davon kennen wir: Hox-Gene sind das klassische Beispiel aus dem Biounterricht, wenn es um die Entwicklung zum Erwachsenen geht. Bei Drosophila-Fliegen z.B. lässt sich sehr gut nachverfolgen, aus welchem Körperteil der Larve später welcher Teil im Erwachsenen wird. Das Hox-Gen Antennapedia zum Beispiel spielt dabei eine Rolle bei der Aktivierung der spezifischen Gene in dem Körperteil, an dem die Beine ansetzen, so dass eine Fliege Beine am Kopf bekommt, wenn Antennapedia-Proteine im Kopf exprimiert werden. Der Spinnenmilbe fehlen allerdings zwei dieser Hox-Gene, die bei allen anderen Arthropoden vorkommen. Der Körperbau der Spinnenmilbe fällt tatsächlich durch die Reduktion einiger Abschnitte auf und das Fehlen von zwei Hox-Genen könnte die Ursache dafür sein.
Ecdysteroide wiederum sind Hormone, die eine wichtige Rolle bei der Häutung von Spinnen und Insekten spielen, doch gerade das bei Insekten am weitesten verbreitete, 20-Hydroxyecdyson, konnte bei der Spinnenmilbe nicht gefunden werden. Insgesamt sind erstaunlich viele Gene in der Evolution der Spinnemilbe verschwunden, die bei ihren Verwandten vorhanden sind. Über 1000 Genfamilien sind weg. (Genfamilien sind Gruppen von Genen, die funktionell zusammen gehören, wie etwa die Hämoglobin-Gene bei uns.) Stattdessen hat die Spinnenmilbe jedoch eine Menge zugelegt; 6609 Gene sind bislang nur bei der Spinnenmilbe zu finden.
Die eigentlichen Überraschungen treten aber erst bei den Genen auf, die Proteine zum Abbau von Giftstoffen herstellen. Und genau diese sind es auch, die die Spinnenmilbe so erfolgreich machen. Genfamilien, die bei Entgiftung eine Rolle spielen, haben bei der Spinnenmilbe zum Teil dreimal mehr Gene als aus anderen Arthropoden bekannt ist. Wenn die Milben auf neue Pflanzen übertragen werden, werden jeweils unterschiedliche Gene aus diesen Genfamilien aktiviert. Ein Experiment, welches im Zusammenhang mit der Genomsequenzierung durchgeführt wurde, bestätigte das. Die Hälfte aller Cytochrome P450 wurden bei einem Wechsel entweder an- oder ausgeschaltet. P450 ist eine große Gen(über)familie, dessen Gene bei Insekten besonders bei Konfrontation mit Pestiziden zum Einsatz kommen. Im Menschen haben sie viele Rollen, aber unter anderem interagieren ihre Enzyme bei der Einnahme von Medikamenten mit den körperfremden Stoffen, bevorzugt in der Leber.
Zuletzt wurden die Wissenschaftler allerdings vor ein Rätsel gestellt, denn sie fanden einige Gene, die wir bisher nur von Bakterien und Pilzen kannten. Dort werden sie zur Manipulation von bestimmten Molekülen benutzt. Es ist möglich, dass die Spinnenmilbe diese Gene irgendwann von Bakterien und Pilzen übernommen hat. Im Grunde wäre das ein natürlich evolviertes Beispiel dessen, was wir Menschen in der Landwirtschaft machen. In Nutzpflanzen wie Tabak werden Gene des Bakteriums Bacillus thuringiensis integriert, welche sogenannte Cry-Proteine produzieren. Diese verleihen dem Tabak Resistenz gegen verschiedene Schädlinge. Könnte es sein, dass die Spinnenmilbe auf eine ähnliche Weise so die Resistenz gegen Pestizide aufbaut?
Momentan werden 1000 menschliche Genome sequenziert, um die genetische Vielfalt von Homo sapiens besser zu verstehen. Gleichzeitig wird diskutiert, was man nicht alles mit 1000 Insekten- oder Arthropodengenomen anstellen könnte. Davon sind wir noch recht weit entfernt, aber mit der zunehmenden Sequenziergeschwindigkeit und den rapide abnehmenden Kosten (mittlerweile kann jeder sogar seinen Hund sequenzieren lassen um herauszufinden, welche Rassen in ihm stecken!) ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit. Sicher ist, dass jedes neue Genom einen Haufen neuer Fragen aufwerfen wird. Aber genauso lernen wir mit jedem Genom etwas mehr über die Entstehung und Veränderung von Arten.
In seinem Vortrag heute Abend fasste Prof. Davies die gesamte Geschichte der Verhaltensökologie zusammen, begonnen bei Aristoteles. An einem Punkt kam er zwangsläufig zu Charles Darwin. Dieser hatte Vermutungen aufgestellt warum Vögel Kuckuckseier in ihren Nestern duldeten. Bis dahin war eine populäre Annahme, dass es eine Ehre sei, wenn ein Vogel vom Kuckuck ausgewählt wurde. Die Adoption und Aufzucht seiner Jungen sei demnach eine Selbstverständlichkeit. Darwin vermutete jedoch, dass es ein fehlgeleiteter Instinkt war, der Vögel zu unfreiwilligen Zieheltern machte.
Nicht zum ersten Mal waren sich Charles Darwin und Alfred Russell Wallace, die beiden Entdecker des Prozesses der natürlichen Selektion, nicht einig. Wallace behauptete nämlich, dass die Farbe der Kuckuckseier dem Schutz vor Räubern galt. Darwin hingegen meinte, die Farbe sei eine Anpassung an die Eier der Zieheltern und half, dass diese das fremde Ei als eines der ihren akzeptieren würden. Nick Davies und seine Arbeitsgruppe wollten diese Diskussion ein für alle mal klären und machten ein einfaches Experiment: Sie färbten die Kuckuckseier in einem Teil der Nester braun an, in den anderen ließen sie die Farbe so wie sie war. Nach ein paar Tagen waren über zwei Drittel der braunen Eier von den Zieheltern aus dem Nest geworfen worden, während 97% der Eier in Originalfarben noch im Nest waren. Der Anteil von Räubern gefressener Eier war hingegen in beiden Fällen gleich. Die Färbung der Kuckuckseier galt also eindeutig der Mimikry. Darwin hatte Recht.
Dieses Jahr wurde diese Entdeckung noch um Einiges getoppt. Mit neuen Methoden der Farbanalyse wurden die Kuckuckseier einer genauen Prüfung unterzogen und mit den anderen Eiern im jeweiligen Nest verglichen. Bislang hatten Wissenschaftler sich darauf konzentriert, selbst zu beurteilen wie ähnlich sich die Eier waren. Doch dabei wurde das Farbspektrum, welches Vögeln zur Verfügung steht, außer Acht gelassen. Wir Menschen haben im Auge ja Stäbchenzellen (zum Dämmerungs- oder Nachtsehen) und Zapfen (zum Erkennen der Farben blau, grün und rot). Bei Vögeln ist das ganz ähnlich, nur haben diese eine zusätzliche Zapfenart für ultraviolettes Licht und besondere doppelte Zapfen, von denen angenommen wird, dass sie zum Unterscheiden von Mustern genutzt werden.
Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten haben die Wissenschaftler in einer im Juli veröffentlichten Studie untersucht, wie stark die Farben der Kuckuckseier mit denen der Zieheltern überein stimmten. Sie verglichen die Eier von 11 Vogelarten. Das Ergebnis war nicht nur, wie erwartet, dass die Kuckucke ihre Eierfarben denen der Zieheltern anpassten. Die eigentliche Überraschung bestand darin, dass die Komplexität der Eifarben daran angepasst wurde, wie wahrscheinlich es war, dass die Eltern das fremde Ei aus dem Nest warfen. Die meisten Vögel schmeißen fremde Eier nämlich erstaunlich selten aus dem Nest, da die Chance, das eigene Ei als fremdes zu entlarven, zu groß ist. Die Vogelarten, bei denen die Fähigkeit zur Diskrimination besonders ausgebildet ist, und die deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das Kuckucksei aus dem Nest schmeißen würden, waren hier nun diejenigen, bei denen die Kuckucke besondere Sorgfalt in der Färbung der eigenen Eier angewandt haben.
Es findet also ein ganz besonderes Wettrüsten statt, in dem der Kuckuck die Oberhand zu behalten scheint: Die Kuckucke passen ihre Eier immer mehr an die der Zieheltern an, allerdings nur, wenn sich der Aufwand auch lohnt. Denn nur wenn die fremden Eltern sich die Mühe machen ihre Eier zu unterscheiden, macht sich der Kuckuck die Mühe, die Mimikry zu verstärken. So gibt es Kuckucksarten, die besonders stark an die Vogelarten angepasst sind, die sie parasitieren, und solche, bei denen die Ähnlichkeiten eher gering – und doch völlig ausreichend – sind. Ein wunderbares Beispiel von Ko-Evolution.
Zwar noch recht gering erforscht ist die Anpassung der Kuckuck-Jungen and ihre “Geschwister,” aber auch hier haben Forscher herausgefunden, dass es eine Form der Mimikry gibt. Australische und britische Wissenschaftler haben die Jungtiere bei Artenpaaren verglichen, und tatsächlich sind die jungen Bronzekuckucke genauso goldgelb wie die vom Gelbbürzel-Dornschnabel. Dies ist wesentlich weniger weit verbreitet als die Eifärbung, aber wahrscheinlich auch nicht weiter verwunderlich, da die Pigmentierung der jungen Vögel wesentlich kostenintesiver ist als die der Eierschale.
Welch ein Aufwand, diese ganze Anpassung! Warum zieht der Kuckuck seine Kinder nicht selbst auf? Na ja, von 136 Kuckuckarten tun dies sogar 83. Die Übrigen aber legen ihre Eier in fremde Nester. Weil, so war man früher überzeugt, der Bauch des Kuckucks zu groß ist, um die Eier selbst zu inkubieren. Tatsächlich ist es aber die klassische Frage von Kosten und Nutzen. Und die Taktik des Kuckucks, der seine Eier anderen Eltern unterjubelt, bringt ihm einfach mehr Nachkommen, als wenn er sich selbst um seine Kinder kümmern würde.
Stoddard, M., & Stevens, M. (2011). AVIAN VISION AND THE EVOLUTION OF EGG COLOR MIMICRY IN THE COMMON CUCKOO Evolution, 65 (7), 2004-2013 DOI: 10.1111/j.1558-5646.2011.01262.x
Langmore, N., Stevens, M., Maurer, G., Heinsohn, R., Hall, M., Peters, A., & Kilner, R. (2011). Visual mimicry of host nestlings by cuckoos Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, 278 (1717), 2455-2463 DOI: 10.1098/rspb.2010.2391
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Abbildung von visual.ly
Gar nicht schlecht, oder? Ich würde es wagen, zu behaupten, dass, solange ich die ganzen biochemischen, physikalischen und astronomischen Fakten korrekt hintereinander kriege, jeder dieses Projekt sehr zu schätzen wüsste.
Doch ist das anscheinend eine andere Sache, wenn nicht ich sondern ein gewisser Richard Dawkins dieses Buch schreibt. Richard Dawkins ist durch seinem Bestseller “Der Gotteswahn” zu sehr unter das Label der “Radikalen Atheisten” geraten (nicht dass ihn das groß stören würde), als dass man ihm glauben könnte, er schreibe ein Buch lediglich aus einer Faszination heraus. Nein, da muss doch eine Agenda hinter stecken, oder?
Tatsächlich liest sich sein neues Buch so, als wollte er die jugendlichen Leser von den wissenschaftlichen Kenntnissen überzeugen, wollte ihnen deutlich machen, welchen Unfug die australischen und griechischen Mythen, die alten europäischen Legenden und vor allem natürlich die christliche Entstehungsgeschichte der Welt doch darstellen. Man könnte fragen, ist das denn so schlimm? Im Grunde finde ich, nein, es ist völlig in Ordnung. Das neue Buch von ihm, “The Magic of Reality,” würde ich fraglos jedem Schüler der Sekundarstufe 1 weiter empfehlen. Es ist in vieler Hinsicht ein unterhaltsames, sehr persönliches Buch, aus dem Kinder und viele, viele Erwachsene jede Menge lernen können.
Wäre es nicht von Richard Dawkins geschrieben …
Dies ist ein Autor, der es öffentlich verurteilte, dass Kindern der Glaube und das “Wissen” der Eltern aufgezwungen wird. Dawkins kritisierte die Formulierungen “katholische Kinder,” “islamische Kinder” etc. weil die Kinder frei sein sollten, in ihrer Jugend sich selbst eine Meinung zu bilden und die Tatsachen ihrer unmittelbaren Natur selbst zu erkunden. Jetzt wird ihm vorgeworfen, dass er genauso wie die Religionen, die er kritisiert, die Kinder indoktrinieren will. Und da hilft als Verteidigung nicht, dass dies aber doch eine “gute” Form der Indoktrination sei. So etwas gibt es nicht.
Doch wenn man sich hinter diesen einfachen Vorwürfen versteckt, hat man das Buch selbst nicht gelesen. Natürlich erzählt Dawkins vom Garten Eden genauso schmunzelnd wie von der Geschichte des Gilgamesch oder wie vom niesenden Riesen, der die ganze Welt auf seinem Kopf trägt. Die Mythen sind kreativ, spannend, lehrreich und häufig einfach nur Unsinn. Und genau das macht sie so interessant. Es macht Spaß, zu lesen, wie die Menschen mit den Rätseln ihrer Zeiten umgingen. Die perfekt dazu passenden Illustrationen geben den Geschichten einen zusätzlichen Charme.
Kommt Dawkins dann zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen von heute, wird es richtig spannend. Allerdings werden kaum irgendwelche Theorien zur Entstehung des Universums oder zur Evolution des Menschen so gelehrt, dass die jungen Leser diese Fakten fraglos hinnehmen müssen. Vielmehr ist dieses Buch eine Erklärung dazu, wie wir Menschen (wohlgemerkt die gleichen Menschen, die bunte und faszinierende Sagen erschaffen haben) nun Methoden entwickelt haben, mit denen wir Hypothesen testen könnnen.
Stimmt es dass sich das Universum ausbreitet? Dawkins erklärt dazu, wie man diese Hypothese testen kann. Er erzählt, was ein Spektroskop ist, und dass man damit Licht in sein Spektrum zerlegen kann. Und dass je nachdem woraus ein Stern besteht, er unterschiedliche Wellenlängen absorbiert und emittiert. Und schließlich erklärt er, dass diese Wellenlängen von Elementen sich je nach Entfernung unterscheiden, und dass wir so wissen, dass Sterne sich von uns weg bewegen (oder anders gesagt, wir uns von ihnen weg bewegen – es ist alles eine Sache der Perspektive).
Aber Dawkins macht auch etwas ganz und gar Ungewöhnliches. Hier ist ein Beispiel aus dem Buch:
Er gibt häufig zu, dass er von etwas einfach keine Ahnung hat. Wenn er an einen Punkt kommt, bei dem er einfach der falsche Ansprechpartner ist, dann sagt er das. Dies hat zweierlei Effekt. Einerseits zeigt er, dass wir immer noch mehr lernen können, und sollen, dass wir andere Leute fragen sollten, die sich mit einer Thematik schon länger beschäftigt haben als man selbst. Andererseits motiviert er die Leser, sich selbst mit der Thematik zu beschäftigen. Beim Lesen dieses Buches habe ich ständig irgendwo im Internet nachgeschlagen, um noch ein wenig mehr zu erfahren.
Mein Lieblingskapitel war eindeutig “Was ist die Sonne in Wirklichkeit?” Der Grund dafür ist einfach. Hier habe ich am Meisten Neues gelernt. Es ging um Sterne, die 2000 Mal größer sind als die Sonne, und solche, die 100 Mal massiver sind. Es ging um Schwerkraft und die Rolle bei der Entstehung von Sternen. Um die Entstehung von Galaxien und Planeten. Um Supernovae und alte deutsche Astronomen. Letztendlich ging es um die Rolle des Sonnenlichts für alles Leben auf der Erde, und eine wunderbare Zeitreise endet bei uralten Sonnenstrahlen, die in der Erde gefangen sind und die wir heute suchen können, um die Energie immer noch zu nutzen: Kohle.
Glücklicherweise handelt ein großer Teil des Buches auch von Evolution – Dawkins hat seine Wurzeln also noch nicht ganz aufgegeben. Wer war der erste Mensch? Warum gibt es so viele verschiedene Tierarten? Neben farbenfrohen Mythen, die diese Fragen zu beantworten suchen, erklärt Dawkins hier was natürliche Selektion ist und dass wir, bei einer Zeitreise (diesmal in die Vergangenheit) unsere Ur-ur-ur-etc.-Großväter treffen könnten. Er schlägt dafür ein Gedankenexperiment vor, in dem man auf ein Foto von sich selbst das Foto des Vaters, und darauf das des Großvaters legt, und so weiter bis zu unserem (in diesem Fall männlichen) Verwandten vor vielen Millionen Jahren kämen. Schließlich erklärt er auch hier wieder wie wir so etwas wissen können und taucht erstaunlich weit in die Genetik ein.
Ich habe die ganze Zeit den Eindruck, dass er unheimliche Ansprüche an sein Publikum setzt. Die Themen werden so schnell so komplex, dass man einfach den Faden verlieren kann. So viele Themen erreichen ein Niveau, bei dem ich überzeugt bin, dass es mit Absicht nicht nur die Jungen und Mädchen erreichen soll, für die dieses Buch geschrieben ist, sondern auch deren Eltern. Aber gerade wenn man dieses Buch gemeinsam liest, kommen Gespräche auf, die man bei vielen anderen Büchern wohl nicht führen würde.
So kann ich diese Buch nur loben. Und doch … doch wird man das Gefühl nicht los, dass Dawkins sich selbt untreu wird, indem er sich jetzt an ein jüngeres Publikum wendet. Die letzten beiden Kapitel heißen “Warum passieren schlechte Sachen?” und “Was ist ein Wunder?” Dies sind seine Methoden um mit Sünden und Wundern aufzuräumen. Nein, niemand wird für etwas bestraft, indem er schrecklich krank wird. Und nur weil wir etwas nicht verstehen, heißt es nicht, dass wir paranormale Erklärungen vorziehen sollten. Stattdessen erklärt Dawkins hier, wieso “Murphys Gesetz” nicht stimmen kann, was Zufall ist, und zu meiner Überraschung gibt er eine kurze Einleitung in Statistik. Wenn er zu den Wundern kommt, erklärt er was selektive Wahrnehmung ist und geht noch stärker in die Statistik ein, um zu zeigen, dass vieles Verwunderliche statistisch gar nicht mehr überraschend ist. (Die Geschichte von dem Franzosen, der einst die Lottozahlen vorhergesagt hat, ist ein “wunderbares” Beispiel eines modernen Wunders.)
Das ist alles nicht einfach, aber an Hand von Beispielen wird es eigentlich mehr oder weniger nachvollziehbar. Das Ziel, das Dawkins aber mit diesen Kapiteln zu verfolgen scheint, ist klar: Er möchte seinem jungen Publikum etwas mit auf den Weg geben, was wir in der Regel selbst im Studium kaum lernen: Kritisches Denken. Mit Logik und Statistik lassen sich viele Rätsel schon lösen, ohne dass man ein Experiment designen muss. Genau aus diesem Grund stellt er die Mythen den wissenschaftlichen Erklärungen gegenüber. Die Fähigkeiten, die man am Ende lernt, helfen einem, Mythos von Realität zu unterscheiden.
Ich hätte mir gewünscht, wenn Dawkins stärker hervorgehoben hätte, dass sich diese Techniken auch auf die von ihm beschriebenen “Tatsachen” anwenden lassen. Denn eine Tatsache brauch sich nicht vor einem strengen Test zu scheuen. Und wenn Richard Dawkins’ Absicht war, den Lesern zu zeigen, wie man die Realität überprüft, dann muss ich dieses Buch einfach weiter empfehlen.
Nur schade, dass ich keine 12 mehr bin.
Fotos von evolvimus, Buch: The Magic of Reality, by Richard Dawkins
]]>Arche-was? Wie auch Bakterien besitzt diese Gruppe keinen Zellkern, unterscheidet sich aber zusätzlich durch ein paar andere Merkmale, besonders in der ribosomalen RNA.
Hier sind alle drei Gruppen einmal schematisch nebeneinander aufgezeigt:
Uns findet man oben rechts. LUCA ist auf dieser Abbildung auch schon zu finden, und zwar in der Mitte unten, wo sich die schwarzen, blauen und roten Linien treffen. DAS ist unser letzter gemeinsamer Vorfahre mit Pflanzen, Pilzen, Protozoen, Bakterien und Archaeen.
Darf ich vorstellen, LUCA
Hypothetisch existierte unser letzter gemeinsamer Vorfahre ungefähr solange wie die Menschen wussten, dass wir mit anderen Lebewesen der Erde verwandt sind. Es ist aber schwieriger, direkt Hinweise darauf zu finden, wie LUCA ausgesehen hat. Es ist schon schwierig, einen Eindruck davon zu bekommen wie unsere Vorfahren vor ein paar Tausend Jahren aussahen, da ist es quasi unmöglich sich vorzustellen, wie Leben vor ungefähr 3,5 Milliarden Jahren aussah.
Bisher wurde angenommen, dass diese Kreatur, wenn ich sie mal so nennen darf, unheimlich simpel strukturiert sein musste. Ein bisschen RNA, vielleicht zusammengehalten durch etwas Zytoplasma und bestenfalls eine dünne Membran. In einer neuen Studie in dem (mir bislang völlig unbekannten) Journal “Biology Direct” wird jetzt darüber diskutiert, ob LUCA vielleicht schon komplexer war, als man bisher annahm.
Die Autoren fanden nämlich Hinweise auf ein “Körnchen” in Archaeen, von dem bisher angenommen wurde, dass es nur in Bakterien und Eukaryoten existierte. Diese Körnchen mit dem komplizierten Namen Acidocalcisome sind Zellinterne Speicher für Phosphor und Metallionen. Sie finden sich in fast allen größeren Gruppen von Lebewesen, in Bakterien, Schleimpilzen, Amöben, Algen, den berüchtigten Malariaerregern und auch in menschlichen Thrombozyten, unseren Blutplättchen. Sie sind also bislang in zwei von den drei Domänen bekannt gewesen. Nun scheint es, als gäbe es sie auch in Archaeen.
Das Interessante an diesem Fund ist, dass es sich bei den im Englischen als “volutin granules” bezeichneten Körnchen um Organellen handelt, die eine Membran besitzen. Eukaryoten wurden traditionell von den Prokaryoten unterschieden eben weil Bakterien und Archaeen keine Organellen mit Membranen im Zellinnern besaßen. Nun kennen wir aber mindestens zwei Bakterien, bei denen das der Fall ist, und seit dieser Studie anscheinend auch einen Vertreter der Archaea (Methanosarcina acetivorans).
Dieses Organell, dieses “Körnchen,” ist damit das einzige, welches in allen drei Domänen des Lebens vorkommt. Es liegt nahe, zu vermuten, dass es daher auch in LUCA vorkam. LUCA wäre dadurch schon wesentlich komplexer als bisher angenommen. Doch nicht nur das, dieser Vorfahre wäre auch komplexer als viele seiner Nachfahren, denn in einem Großteil von Archaeen und Bakterien findet sich so ein membranöses Organell nicht mehr.
Das führt uns zu einer schon lange geführten, recht komplizierten Diskussion darüber, wie Bakterien eigentlich ihre Gene bekamen: Durch “vertikale” Vererbung von ihren Vorfahren, oder durch “horizontale” Weitergabe an andere Organismen? Aber eines nach dem anderen …
Wie vergleicht man eigentlich zwei Lebewesen?
Alle Lebewesen haben eine Menge Gene gemeinsam, es gibt also viele identische Sequenzen von Basenpaaren in den verschiedenen Genomen. Allerdings gibt es auch einzigartige Gene, die uns voneinander unterscheiden und uns z.B. erlauben dass wir Autos bauen und fahren können, während die Schimpansen zu Fuß gehen müssen. Man kann also nicht einfach sagen, dass Menschen und Menschenaffen sich zu so-und-so-viel Prozent gleichen; stattdessen schaut man sich an, wie ähnlich sich vergleichbare Gene sind. Bei Homo sapiens und Pan troglodytes, dem Schimpansen, ähneln sich diese Gene zu 95-98%. Vergleichen wir die Maus Mus musculus mit uns, ähneln sich die Gene im Durchschnitt zu 85%, was aber von Gen zu Gen sehr stark schwankt.
Maus und Mensch haben auch ungefähr gleich viele Basenpaare, ca. 3 Milliarden, doch bei anderen Lebewesen ist so ein Vergleich komplizierter. Viele Insekten haben nur einige 100 Millionen Basenpaare, und das Bakterium E. coli hat gerade mal 4,5 Millionen. Archaeen wiederum haben nur etwa 1-3 Millionen Basenpaare. Um diese Lebewesen miteinander vergleichen zu können, müssen wir bei der Untersuchung der Genome die Gene nehmen, die in beiden zu vergleichenden Gruppen vorhanden sind.
Etwa die Hälfte der Gene von Archaea ist für sie einzigartig. Das heißt, dass z.T. nur eine halbe Million Basenpaare mit denen eines Menschen vergleichbar sind; und die können immer noch so verschieden sein, dass ein Vergleich völlig sinnlos wäre. Es gibt sie aber, die vergleichbaren Gene; aber es sind wenige und die Ähnlichkeit mit denen von Vertebraten schwanken verständlicherweise noch mehr als die zwischen Maus und Mensch. Gene für ganz bestimmte Enzyme finden sich z.B. in Archaeen, Bakterien, Küchenschaben und Menschen. Einige hundert Gene von Eukaryoten scheinen ihren Ursprung in den Archaeen zu haben. Und dann haben wir z.B. auch an die 40 Gene, die, soweit wir bisher wissen, nur bei Menschen und Bakterien auftauchen.
Der Grund dafür kann aber nicht nur die gemeinsame Abstammung sein, sondern ein (horizontaler) Gentransfer von den Bakterien zu uns. Horizontaler Gentransfer ist ein Problem in der Systematik, da die Gene, die wir zur Bestimmung der Verwandtschaft benutzen, sich in gewisser Weise erst später in das Genom eingeschlichen haben. Dieses Problem besteht in erster Linie bei den Prokaryoten und macht es den Forschern, die daran arbeiten, alles andere als leicht, eine Art Stammbaum aufzustellen. Prof. William Martin von der Universität Düsseldorf hat das Problem sehr schön illustriert:
LUCA selbst könnte demnach sehr primitiv und frei von Organellen gewesen sein. Die Gene für die Speicher-Körnchen wären dann erst viel später durch Transfer in den drei Domänen verteilt worden.
Die Forscher der University of Illinois, die nun ihren Fund publizieren, widersprechen dieser Hypothese jedoch. Sie haben nämlich ein Enzym (eine Phosphatase) verfolgt, das in Bakterien, Archaeen und Eukaryoten vorkommt und eine wichtige Rolle bei Acidocalcisomen spielt, eben diesen in Archaea neu entdeckten Körnchen. Dort fördern diese Phosphatasen den Ionentransport in das Organell hinein. Ein Stammbaum aus beinahe 280 Organismen, basierend alleine auf diesem Enzym, ist fast identisch mit einem Stammbaum des Lebens, der auf hunderten von verschiedenen Genen basiert. Das würde bedeuten, dass die untersuchten Phosphate – und somit auch die Acidocalcisomen – sehr, sehr alt sind.
Etwa so alt wie LUCA.
Die Anwesenheit dieses Organells in Archaea und Bakterien und Eukaryoten lässt sich auf vielen Wege erklären, doch laut den Autoren ist die Erklärung, dass es in LUCA vorkam und nachträglich verloren ging, die statistisch wahrscheinlichste. Stammbäume werden auf dem Prinzip der Parsimonie aufgebaut, und danach ist die einfachste Form für einen Stammbaum auch die realistischste. Ihr Stammbaum zeigt, dass die Enzyme aus Acidocalcisomen zu Beginn da waren.
James Whitfield, einer der Autoren dieses Papers (und nebenbei bemerkt ein großartiger Banjo-Spieler) sagt dazu folgendes:
Seufferheld, M., Kim, K., Whitfield, J., Valerio, A., & Caetano-Anolles, G. (2011). Evolution of vacuolar proton pyrophosphatase domains and volutin granules: clues into the early evolutionary origin of the acidocalcisome Biology Direct, 6 (1) DOI: 10.1186/1745-6150-6-50
]]>Die Sieger der British Wildlife Photography Awards stehen fest. Meine Favoriten sind ja der äußerst lebendige Baum, der gähnende Fuchs, aber vor Allem der walisische See. (Hm, das waren schon fast alle.) Fotograf Alex Wild ist allerdings unzufrieden mit der Wahl zum besten Foto in der Kategorie “Verstecktes Großbritannien”: Er findet die Spinne im Netz wesentlich gelungener. Seht ihr das auch so?
Eine Motte mit einem unfassbaren Gemälde auf den Flügeln: Zwei Fliegen, mit von den Flügeln reflektierendem Licht, fressen Vogelkot. Adaption oder Pareidolie?
Die Rettungsaktion eines kleinen Löwenjunges durch eine Löwenmama – festgehalten in einer Reihe toller Fotos.
Ein Fisch, der Werkzeuge benutzt? Tatsächlich, wie man in diesem Video sehen kann:
Bei dem Fisch handelt es sich um einen Lippfisch. Etwas mehr Details finden sich in dieser kleinen Publikation (ENG).
Obduktionen der größten Tiere dieses Planeten. Wer einmal einen Elefant, eine Giraffe, ein Krokodil oder sogar einen Wal von innen sehen will, der kann dies in diesen großartigen Dokumentation vom BBC Channel 4 tun: Inside Nature’s Giants. Einige Folgen finden sich für uns Deutsche glücklicherweise auf Youtube (ENG).
Spiegel Online hatte derweil einst eine Fotostrecke dazu. Wann kommt diese Serie endlich nach Deutschland? Oder hat sie schon jemand gefunden?
Die Physik eines fallenden Slinkys (ENG). Was ist ein Slinky? Ein Spielzeug aus Philadelphia. Gibt’s auch als Hund …
Ein lehrreiches Video über das Fotografieren von Sternen (ENG). Nicht ganz einfach, erfordert eine teure Fotoausrüstung, aber die Ergebnisse sind einfach beeindruckend.
Und zu guter Letzt, eine Erfindung aus einem anderen Universum: Das sogenannte “Infinite Purpose Access Device.” Es gibt nichts, was man damit nicht machen kann – außer Zeichnungen mit korrekten RGB-Werten anfertigen.
So, das reicht erst mal. Ich hoffe da war für jeden etwas dabei …
]]>Das Experiment lief so: Die Testperson schaute in einem Kernspintomographen einige Kinotrailer und der Computer durfte die gemessene Gehirnaktivität und die gezeigten Videos analysieren. So konnte er eine Art Bibliothek aufbauen, quasi ein Wörterbuch, das zu bestimmten Bewegungen und Formen spezielle Reaktionen im Gehirn notierte. Dann, nachdem diese Bibliothek aufgebaut war, wurde der Testperson ein weiterer, unbekannter Kinotrailer gezeigt, und der Computer – jetzt wird’s wirklich beeindruckend – sollte aus einer Datenbank mit 18 Millionen Sekunden aus zufälligen Youtubevideos (welche den Trailer aber nicht beinhalteten) nur an Hand der Hirnaktivität dieses Video rekonstruieren.
Hat er es geschafft? Seht selbst – links sind Ausschnitte aus den Original-Kinotrailern, rechts eine simple Rekonstruktion davon:
Noch nicht aufregend genug? Hier sind drei Testpersonen, die alle den gleichen Film sahen (oben links). Die Rekonstruktionen sind auf der linken Seite, und die Bilder, die der Computer der jeweiligen Gehirnaktivität zugeordnet hat (und aus denen er das neue Video letztendlich zusammenstellte) sieht man rechts daneben:
Fast so beeindruckend wie Neutrinos!
Hier ein paar Links zum Thema:
Fast jeder hat sie schon einmal irgendwo gesehen. Auf Buchumschlägen, in Zeitschriften, als Graffiti auf Häuserwänden oder als Logo von irgendeiner Stiftung. Und wenn nicht unbedingt in dieser vereinfachten Form, dann in einer ihrer endlosen Parodien, wie z.B. dieser hier:
Nur wenige wissen allerdings, woher diese Zeichnung eigentlich kommt. Die Originalzeichnung ist von Rudolph Zallinger und wurde unter dem Titel “The Road to Homo sapiens” in einem von Time-Life publizierten Buch zur Evolution des Menschen angefertigt. Bekannt wurde die Abbildung unter dem Titel “March of Progress” (in deutsch etwas salopp ausgedrückt: der Aufstieg des Menschen). Beide Titel sind sehr unglücklich gewählt und wahrscheinlich der Grund für die Unbeliebtheit der Abbildung. Ursprünglich waren 15 Vorfahren darauf zu erkennen:
Ich habe ja schon das eine oder andere Mal zugegeben, dass ich mit der Abbildung gar nicht so ein Problem habe wie manch anderer. Aber es gibt sicher Einige, die mir widersprechen, wenn ich sage: “Mit dieser Abbildung ist doch alles in Ordnung.” Kürzlich auf den amerikanischen ScienceBlogs tauchte dieses Motiv dann in einem Artikel auf, der 5 falsche wissenschaftliche Abbildungen auflistete, die mittlerweile so wiedererkennbar sind, dass sie trotz ihrer Fehler für Realität gehalten werden. Zum Beispiel kann man an diesem Modell des Sonnensystems den Eindruck bekommen, dass die Sonne gar nicht sooo groß ist wir viiiiel näher an der Sonne sind als das der Fall ist:
Ich frage aber jetzt noch einmal, warum genau diese Abbildung menschlicher Evolution auf der Liste landete. Was ist falsch an der bekanntesten Grafik zur Evolution des Menschen?
Lassen wir einmal außer Betracht, dass die Details in der Abbildung recht variabel sind und dass wir die eine oder andere grafische Änderung unserer Vorfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit vornehmen müssen. Der Homo neanderthalensis ist in dieser Liste eindeutig als Vorfahre vom Homo sapiens zu erkennen, obwohl die beiden vor ca. 400 000 Jahren ihre separaten Wege gingen (auch wenn sie sich ca. 300 000 Jahre später noch einmal über den Weg liefen). Und Australopithecus sediba fehlt selbstverständlich hier noch (da er vor etwas über einer Woche erst in der Zeitschrift Science präsentiert wurde). Mir geht es bei dem Bild auch eher darum, ob es einen falschen Prozess darstellt und nicht ob die Details stimmen. Würden wir ein Sonnensystem in korrekten Größenverhältnissen darstellen wollen, könnten wir auch außer Betracht lassen, ob die Färbung von Saturn nun 100%ig korrekt ist. Und ich muss zugeben, ich tue mich schwer damit, diese Evolutions-Abbildung für das zu kritisieren, was sie ist.
Und was ist sie?
Wir sehen die Entwicklung von einem kleinen, tanzenden Affen zu einem recht vetraut aussehenden hominiden Mann. Die x-Achse ist dabei eine Zeitachse; die y-Achse soll wohl die Größe darstellen. Soweit ist alles mehr oder weniger korrekt, oder? Was fehlt dann bei dem Bild? Natürlich fehlen viele Zwischenformen, aber das ist verständlich, denn für eine Grafik wie diese steht nur wenig Platz zur Verfügung (und für die Abbildung in seinem Originalzustand musste man sie extra aus dem Buch ausklappen um die Primaten alle zu sehen). Viele evolutionäre Sackgassen sind außerdem weg gelassen, genauso wie die erfolgreichen anderen Lebewesen, die nach dem tanzenden Affen entstanden sind. Warum? Weil es hier nur um den Menschen geht und nicht um den Gorilla?
Das Hauptproblem ist aber wahrscheinlich eher die Suggestion von Fortschritt. Doch tut die Abbildung das wirklich? Würde es um ein anderes Tier gehen als den Menschen, käme man wahrscheinlich nie auf den Gedanken, das letzte Tier als die Krone der Schöpfung zu sehen, oder? Und es wäre auch sofort klar, dass es sich hier nur um einen Ausschnitt handelt und nicht die komplette Entwicklung.
Man hat bei dieser Art von Darstellung (egal ob mit Mensch oder mit Wal) zwangsläufig etwas den Eindruck, dass die Richtung von links nach rechts eine Art Fortschritt darstellt – nicht zuletzt dadurch, dass das Originalmotiv “March of Progress” genannt wurde. Das ist natürlich völlig falsch, und sobald in einem Buch diese Abbildung benutzt wird, um Fortschritt zu erklären, bricht der Sinn der Abbildung zusammen. Aber zeigt die Abbildung selbst, dass es eine konstante Weiterentwicklung hin zum prächtigen Homo sapiens gab? All unsere Vorfahren nehmen in der Größe zu, aber auch das ist nicht wirklich falsch. Der Gedanke an Fortschritt entsteht lediglich durch unsere Sicht, dass wir am Ende der Reihe stehen. Drehen wir also das Ganze mal um:
Wir beginnen beim Menschen und schauen uns nach und nach die einzelnen Vorfahren an. Ich finde das informativ und anschaulich gestaltet. Diese Abbildungen haben weder Anfang noch Ende; und ich denke dass den meisten Leuten das bewusst ist. Zumindest dass der kleine Affe am Anfang nicht den Anfang darstellen kann, ist klar. Aber auch dass der Mensch nicht das Ende der Evolution darstellt, wird deutlich wenn man sich den Großteil der Parodien dazu anschaut. Der Schwerpunkt liegt meistens auf: “Was kommt nach Homo sapiens?”
Zugegeben, der Schimpanse am Anfang der letzten Variante dreht die ganze Argumentation auf den Kopf. DAS ist tatsächlich falsch. Aber ich fürchte, der Mythos, dass der Mensch vom Schimpansen abstammt, wird sich noch ein Weilchen halten. Daran ändert auch eine korrekte Abbildung des Zallinger-“Aufstiegs” nichts.
Natürlich besteht die Gefahr, dass diese Abbildung fehlgedeutet wird. Aber wie so oft bietet sie auch die Möglichkeit, das Thema “Evolution” anzusprechen und im Idealfall Missverständnisse aufzuklären. Das macht sie effektiver als fast irgendeine andere Grafik. Die Abbildung ist nicht falsch, sie könnte nur etwas erklärenden Text gebrauchen, genau wie sie es in ihrem ursprünglichen Kontext hatte.
Wenn ich auch die klassischen, verschnörkelten Stammbäume bevorzuge, um die Evolution von Arten darzustellen, manche Aussagen kann man nur mit einer linearen Abbildung richtig rüber bringen:
]]>Treffend auf den Punkt bringt meine Einstellung dieses Video:
Doch dann erklärte mir eine Kollegin die sogenannten Vorzüge dieser 140-Zeichen-Kommunikationsmethode und ich sah Twitter aus einem anderen Blickwinkel. Ich stellte fest, dass ich gerade eben zu Schritt 2 der “6 Schritte der Twitter Evolution” übergegangen war (Bonuspunkte für denjenigen, der mir erklären kann was das mit Evolution zu tun hat). Eh ich mich’s versah, besaß ich ein Konto und folgte 10 Leuten und ihren alltäglichen Mitteilungsbedürfnissen.
Zugegeben, da werden ziemlich interessante Gespräche geführt. Man erfährt schnell, was man heutzutage wissen muss – wie sonst hätte ich vom Cat Scan erfahren können? Oder von der Seite, die einem hilft das Alter eines Globus zu bestimmen?) Aber ehrlich gesagt, was machen diese Leute den ganzen Tag?! Ed Yong zum Beispiel schreibt fast alle 5 Minuten irgendetwas. Ist das nicht etwas übertrieben?
Übertrieben vielleicht, aber wie sonst wäre ich auf diese wunderbare Sammlung von Insektenflügeln aufmerksam geworden? Sehr zu empfehlen!
“You seem like a normal guy. Why are you doing this?”
Ich sehe das jetzt mal als Experiment. Ich werde eine Zeit lang in die Twittersphere eintauchen und den Gesprächen über gescannte Katzen, spirituelle Atheisten, Streitereien zwischen Delfinforschern und betrügerische Naturfotografen lauschen.
Und da ich morgen Abend auf die Jahrestagung der DZG (Deutsche Zoologische Gesellschaft) fahre, habe ich mir vorgenommen – vorausgesetzt ich finde noch 5-6 Leute, die sich das anhören möchten – ein paar Anekdoten von dort zu berichten. Also – mal schauen ob noch jemand sich mit mir auf das Experiment einlässt.
Ich weiss, ich bin ein paar Jahre zu spät dran – aber für manchen Unsinn wird man einfach nie zu alt …
]]>Mimulus guttatus, die gelbe Gauklerblume (und nicht zu verwechseln mit der Mimbulus aus Harry Potter) ist eine perfekte Pflanze für so ein Experiment. Zum einen ist es immer nett wenn man das Genom des Organismus kennt, bei dem man evolutionäre Veränderung untersuchen möchte. Zum anderen gibt es in dieser Gattung verschiedene Formen der Fortpflanzung: Manche Arten betreiben Inzucht, da sie so klein sind, dass Staubblätter (umgangssprachlich das “männliche” Organ) und Fruchtblätter (der Pollen empfangende, “weibliche” Teil der Pflanze) ganz dicht beeinander stehen und der Pollen zwangsläufig von Staub- zu Fruchtblättern übertragen wird. Andere Arten benötigen Insekten (oder Wind) zur Pollenübertragung, was man “Outcrossing” (Auskreuzung) nennt.
Bei Mimulus guttatus handelt es sich um eine auskreuzende, von Hummeln bestäubte Art, die vornehmlich in Nordamerika vorkommt, aber auch vereinzelt nach Europa eingeschleppt wurde.
So, zum eigentlichen Experiment. Es ist eigentlich unheimlich simpel, quasi ein klassisches wissenschaftliches Experiment, wie man es fast im eigenen Garten durchführen könnte. Alles was die Forscher machen mussten, war zwei Mimulus-Populationen von in freier Natur gesammelten Samen groß zu ziehen. Die eine Gruppe wurde in einem Gewächshaus gehalten, in dem Hummeln frei herum flogen und Pollen sammelten (die Kontrollgruppe). Im anderen Gewächshaus gab es keine Hummeln. Die produzierten Samen wurden von allen Pflanzen eingesammelt und für die nächste Generation neu ausgesäät.
Welche Veränderungen konnte man nach mehreren Generationen bei den Pflanzen erkennen?
Es ist einfach, schnell eine Hypothese dazu aufzustellen, was passieren wird, wenn wir einen kleinen Blick zurück auf die schon von Darwin aufgestellten Voraussetzungen für natürliche Selektion werfen:
1) REPRODUKTION: Wie oben erklärt – ja, die Pflanzen “pflanzen” sich fort.
2) ERBLICHKEIT: Die Nachkommen erben gewisse Eigenschaften der Eltern. Auch das ist gegeben, denn sonst wären wir nicht in der Lage Mimulus guttatus von Mimulus nasutus (rechts) zu unterscheiden.
3) VARIATION IN MERKMALEN: Wenngleich bei der untersuchten Art alle Staubgefäße recht weit vom Fruchtblatt entfernt sind, gibt es doch ein gewisses Maß an Variation. Der Abstand schwankt um beinahe 2 mm.
Im Experiment wurden keine Bestäuber zugelassen. Die Pflanzen mussten sich also selbst helfen. Die einzige Lösung in diesem Fall war Inzucht. Die Pflanzen, deren Staubgefäße näher am Fruchtblatt waren, sollten den anderen gegenüber einen Vorteil haben. Und da alle Pflanzen unter einem größtmöglichen Selektionsdruck standen – können die Pollen das Fruchtblatt nicht erreichen, gäbe es kein Fortbestehen – würden wir erwarten, dass diejenigen einen Vorteil haben, deren Abstand etwas kleiner ist.
Tatsächlich lief es darauf hinaus, dass es den Hummellosen Pflanzen sehr schnell sehr schlecht ging. Sie produzierten nur noch 2 Samen statt den bis zu 10 der Kontrollpflanzen. Nach ein paar Generationen stieg die Anzahl Samen aber an, bis am Ende des Experiments (insgesamt lief es über 5 Generationen) einige Pflanzen genauso erfolgreich mit Inzucht zurecht kamen, wie vorher mit Auskreuzung. Spannend wird es wenn man sich jetzt morphologische Veränderungen der Pflanzen anschaut. Der mittlere Abstand von Staub- und Fruchtblättern verringerte sich um bis zu 0,36 mm. Das ist gar nicht wenig. Nicht verändert hat sich das generelle Aussehen der Pflanze (Blüte und Blätter).
Die Forscher haben noch andere Ergebnisse zu Allelfrequenzveränderungen (leichte Reduktion der Vielfalt) und ein paar Hypothesen zur Evolution von Inzucht diskutiert. Alles nicht uninteressant, aber beeindruckend finde ich wie simpel so Evolution in Aktion gezeigt werden konnte. Die Folgen, die Studien wie diese für Ökosysteme der Erde aufzeigen, sind hingegen weitreichend. Denn die Hypothese, dass das Fehlen von Bestäubern Pflanzen zu Inzucht evolvieren lässt, zeigt gleichermaßen wie schwerwiegend ein Ungleichgewicht in den Insekten-Pflanzen-Interaktionen sich auf die Pflanzenvielfalt auswirken kann. In diesem Versuch hat Mimulus guttatus nach ein paar Generationen die Kurve gekriegt. Außerhalb der Gewächshäuser sollte man darauf nicht unbedingt wetten.
Bodbyl Roels, S., & Kelly, J. (2011). RAPID EVOLUTION CAUSED BY POLLINATOR LOSS IN MIMULUS GUTTATUS Evolution, 65 (9), 2541-2552 DOI: 10.1111/j.1558-5646.2011.01326.x
]]>Wofür braucht man dann noch Informationen zum Abitur, Sprach- oder gar EDV-Kenntnisse? Für letztere hat man dann ja eh seine TA oder die Doktoranden, die sich um so etwas kümmern.
Aber ich greife voraus. Bis man an diesem Punkt angekommen ist, ist es ein weiter, mühsamer Weg. Fangen wir mal vorne an:
Die Masterarbeit
Mit etwa 26,8 Jahren schafft man in Deutschland sein Masterstudium in der Biologie (laut dem Statistischen Bundesamt). Dies ist in der Regel der erste Zeitpunkt an dem man durch den Professor darauf gestoßen wird: “Und wo wollen wir das nun publizieren?”
Publizieren? Das bedeutet im Klartext: Der Student schreibt die Ergebnisse aus seiner Arbeit so um, dass sie in Englisch zu verstehen sind, und dass all das, was man nicht herausgefunden hat, jetzt spannend aufbereitet wird. Anders gesagt: Statt zu schreiben “Wir haben nicht zeigen können, dass Bakterium A einen Einfluss auf die Lebenserwartung von Maus B hat” heißt es jetzt “Wir konnten keinen Einfluss von Bakterium A auf die Lebenserwartung von Maus B feststellen.” Die Aussage ist zwar die gleiche, aber während man beim ersten Satz gleich merkt, dass der Student es nicht geschafft hat, seine Versuche zu seinem zufriedenstellenden Ergebnis zu führen, liest sich Satz 2 als ob das Bakterium höchstwahrscheinlich keinen Einfluss hat. Und DAS ist ein publizierbares Ergebnis.
Zumindest denkt das der Masterstudent, der neben der Suche nach einer Promotionsstelle, Bewerbungen in der Wirtschaft und dem Nebenjob bei C&A versucht, dieses Ergebnis zu veröffentlichen. Das dauert einige Wochen, vielleicht Monate bevor der Professor dann seinen Blick auf das Ganze wirft und den Text mit mehr roten Kommentaren als schwarzem Originaltext an den Studenten zurück schickt.
Nach einigem Hin- und her und ein paar Diskussionen darüber, wer denn jetzt Erstautor sein wird, ist es dann dennoch soweit, dass die erste Publikation eingereicht wird, bei einem Journal mit einem Impact Factor von mindestens 1,2 – unheimlich beeindruckend für den bis dahin unpublizierten Jungautor. (Der Impact Factor, nebenbei bemerkt, ist ein Wert, der anzeigt wie viel ein Journal von sich hält, aber dazu später mehr.)
Es dauert dann ein paar Monate bevor man endlich die Antwort des Journals bekommt:
We regret to inform you that we have decided not to include your publication in our journal.
Abgelehnt! Das, beruhigt der Professor einen dann, war eigentlich ja auch zu erwarten, denn negative Ergebnisse (“Wir konnten nicht nachweisen, dass …”) werden ungerne publiziert. “Und außerdem, an deinem Englisch musst du auch noch arbeiten …”
Die Promotion
Die wenigsten Studenten betreten den Lebensabschnitt mit dem Namen „Ich mache jetzt meinen Doktor” mit einer Publikation in der Tasche. Das ist aber gar nicht schlimm, denn der Master erfüllte eigentlich eh nur eine Aufgabe – zu zeigen, dass man selbstständig arbeiten kann. Hat man das gezeigt, und recht gute Noten im Studium gehabt, kann man sich um eine Promotionsstelle kümmern. Hier ist alles etwas komplizierter, denn hier wird von vornherein angenommen, dass man schon selbstständig arbeiten kann. Ohne Publikation darf man deshalb die Uni nicht wieder verlassen.
Im Gegensatz zum Master dreht sich also bei der Promotion ALLES ums Publizieren. Jedes Experiment wird so aufgezogen, dass man am Ende darüber schreiben darf (muss?).
Okay, das liest sich alles recht zynisch, aber so schlimm ist das gar nicht. Denn bedenkt man, dass die Publikationen den Lebenslauf eigentlich ersetzen, dann arbeitet man ganz und gar für die eigene Karriere. Und eine Publikation, vielleicht sogar schon den ungefähren Titel, im Kopf zu haben, hilft ungemein bei der Ausarbeitung von Versuchen.
Man kniet sich also in die neuen Versuche, die Fragestellungen, die Wissenschaft mit dem Kurzzeitziel klar vor den Augen: die erste Publikation! Wäre da nur nicht noch etwas im Hinterkopf, das einfach nicht verschwinden möchte. Die Absage wegen dem Paper aus dem Masterstudium ist schon irgendwie ein Tiefschlag, und es wäre doch gelacht wenn man es der Welt nicht zeigen könnte und die Daten dennoch publiziert. Schließlich kann man jedem neuen Biologiestudent unendlich viel Arbeit abnehmen, indem man ihm erklärt dass Bakterium A völlig ungefährlich für Maus B ist, äh … war … in den eigenen Versuchen … unter den im Methodenteil beschriebenen Bedingungen.
Vielleicht waren die Ergebnisse aber auch gar nicht so schlecht, und es handelt sich um Daten, die nur bei diesem einen Journal nicht richtig ankamen. Wenn man die Publikation umschreibt, vielleicht nimmt sie dann ja ein Journal mit einem Impact Factor von 1,1? Neben den Promotionsforschungen werkelt man also weiter an einer Publikation aus einer vergessenen Zeit.
Mit etwas Glück und Selbstvertrauen schafft man es dann vielleicht und publiziert die Ergebnisse seiner Masterarbeit zeitgleich mit denen aus der Promotion. Es soll aber auch schon passiert sein, dass die Ergebnisse der Masterarbeit irgendwann nach der Habilitation wieder gefunden wurden und sich so der neue Artikel des emeritierten Professors (Jones et al., 2043) wie folgt liest:
All data collection was performed at the Coast of Northern California during the summer of 1988.
“Peer” Review
Alles in Allem kommt aber jeder einmal zu seiner Publikation. Doch wer es ganz weit bringen will, der achtet auf eine Kleinigkeit namens Impact Factor. Dieser gibt quasi an, welche Prestige die in dem Journal publizierten Artikel haben. Das hängt von der Qualität der Erkenntnisse ab, aber auch von den Namen der publizierenden Autoren. Nature und Science gelten als die prestigeträchtigsten Journale, mit Impact Factors von 36 bzw. 31. Der Großteil der übrigen Journale, in die normalsterbliche Wissenschaftler es schaffen, bewegt sich zwischen 6 und … na ja, nach unten ist diese Liste eigentlich offen. 6 ist übrigens schon ziemlich hoch.
Der Grund warum man sich überhaupt um diese Impact Factors kümmert, ist, dass die Jobchance schlagartig steigt, wenn man Publikationen in den hochrangigen Zeitschriften hat. Eine Publikation in Nature ist daher wesentlich hilfreicher als fortgeschrittene Kenntnisse in HTML oder das Praktikum in Angola. Um in solch ein Journal aber reinzukommen, muss man es erst am Peer Review vorbei schaffen. Um dieses bei Science und Nature ohne stärkere Blessuren zu überstehen, lohnt es sich wenn man schon eine Menge Publikationen auf seiner Publikationsliste hat (soviel dazu!) oder wenn man einen Ko-Autor finden kann, der diese Qualität besitzt.
Ansonsten publiziert man halt weiter unten.
Doch auch da ist der Peer Review kein Zuckerschlecken. Die ersten und kritischsten Peers (zu Deutsch: “Kollegen”) sind nämlich diejenigen, mit denen man täglich zu Mittag isst. Hat man eine Studie gemacht, an der fünf, sechs oder mehr Autoren beteiligt waren, ist es wahrscheinlich dass jeder etwas an der Publikation auszusetzen hat. So zieht sich der Prozess, den man nun aus jungen Master-Jahren kennt, locker über ein paar weitere Wochen/Monate hinaus bevor man tatsächlich seine schön detailliert verfassten Ergebnisse an z.T. völlig unbekannte Kollegen weiter reicht. Der Editor eines Journals entscheidet, wen er um den kritischen Blick bittet, und ein Professor, Postdoc oder ein Doktorand am anderen Ende der Welt liest sich das Paper dann durch, nimmt (hoffentlich) jede Methode, jede Statistik und jedes falsche Adverb auseinander und teilt seinen Eindruck dem Editor mit. Letztendlich kommt erneut eine Nachricht in das Postfach des Jungautoren:
We accept your article for publication …
Juhuu!
… with major revisions (see commentaries by reviewers).
Jetzt sind es nur noch einige Wochen, in denen das Paper einmal komplett umgeschrieben werden muss, und die Ergebnisse werden publiziert.
Warum erzähle ich das Ganze?
Weil ich letzte Woche endlich wieder einen Artikel eingereicht habe. Es handelt sich um Ergebnisse aus meiner Master-Arbeit, an der über ein Jahr lang sieben Autoren kritisch dran rumgeschrieben haben. Jetzt hängt es von den Reviewern ab, ob das Paper das Licht der Welt erblickt. Aber ich bin zuversichtlich.
Nebenbemerkungen: In einem Journal zu publizieren, das einen niedrigen Impact Factor hat, ist keine Schande. Es geht darum, wer die Ergebnisse lesen soll, und wenn das Publikum ein relativ kleines, ganz spezielles ist, dann ist ein spezifisches Journal dafür wahrscheinlich viel besser geeignet als einer der >8-Riesen. Der Peer Review Prozess hingegen ist sicher verbesserungsfähig, und dass die “großen” Journale ziemlich schwache Artikel publizieren, nur weil sie ihnen Publicity einbringen, halte ich für sehr traurig. Aber dennoch finde ich es beeindruckend, wie sehr ein Artikel sich verändern kann, wie viele Fehler vor dem Eintreffen beim Journal gefunden werden und wie viele Formulierungen viele Male überdacht werden, damit man letztendlich über die Publikation der eigenen Daten beruhigt und sicher sagen kann: DAS habe ICH herausgefunden.
]]>Der Sinn des Lebens mal wieder – Filmemacher Roger Nygard stellt uns 85 Fragen über die Natur unserer Existenz (ENG). Erschreckend viele Religionsfragen, aber die Kommentare sind z.T. ganz spannend zu lesen und es lohnt sich, mal über die eigene Antwort zu der einen oder anderen Frage nachzudenken. (Die mit dem Babelfish übersetze Fassung hier ist erstaunlich akzeptabel, wenn man kein Problem damit hat, sich zu fragen ob “eine Person Geschlecht vor Verbindung haben” sollte.)
Kann Leben in Erdnussbutter entstehen?(ENG) An diesem Video ist so viel falsch, dass man gar nicht weiß wo man anfangen soll. Und es ist egal wie ernst eine Stimme behauptet dass Evolution lehrt, dass Energieblitze Leben erschaffen können, … nein, dass ist ganz sicher keine Evolution.
Fotos der Erde, aufgenommen von Astronaut Paolo Nespoli sind auf seiner Flickr-Gallerie zu bewundern. Die Welt von oben gesehen ist schlichtweg … atemberaubend. (Danke an den Knackbockblog für den Link!) In diesem Zusammenhang: Wer hätte gedacht dass Phytoplankton aus dem All betrachtet so schön sein kann?
Die Weltbevölkerung im Laufe der Jahrzehnte: Im Rahmen eines Artikels im Magazin Science findet man online eine nette interaktive Grafik zur Entwicklung der Weltbevölkerung (ENG) zwischen 1950 und (voraussichtlich) 2100. Man kann wählen zwischen Total Fertility (Mittlere Anzahl Kinder pro Frau), Total Population (Weltbevölkerung), %60 und älter, und relative Urbanisierung.
Wer erinnert sich an das Seemonster des Jahres 2010? Dieses Jahr scheint das etwas ruhiger zu sein, also nominiere ich für 2011 den fossilen Wal Janjucetus hunderi . Zwar nicht gerade riesig, aber dafür hat er einen riesigen Mund. An dem schon 1970 gefunden Fossil wurde jetzt ein möglicherweise bedeutender Schritt in der Evolution der Bartenwale entdeckt.
Und zu guter letzt ein Hinweis: Jim Brandenburg, einer meiner Lieblingsfotografen aus National Geographic, hat gerade eine Ausstellung seiner Werke im Stadtmuseum Schleswig. Dort ist sie noch bis zum 30. Oktober. Danach findet man sie in der Städtischen Gallerie Iserlohn. Falls da jemand in der Nähe wohnt, eine einmalige Gelegenheit …
]]>Am 22. Juni zeigte die ARD eine Dokumentation zum WWF (“Der Pakt mit dem Panda”, hier weiterhin auch online anzuschauen), in der u.a. die Stellung vertreten wurde, der WWF würde Gentechnik unterstützen, mit Monsanto kooperieren, die Rechte indigene Völker Asiens mit den Füßen treten und die Abholzung von Regenwald unterstützen, indem er mit der Palmölindustrie kooperiert. Der WWF hat dazu im Anschluss in einem “Faktencheck” umfangreich Stellung genommen.
Mich interessierte dabei zuerst einmal gar nicht, in wie weit die Anklagen alle stimmten. Denn die Dokumentation selbst bestand aus solch einseitiger Berichterstattung, dass man das Meiste nicht glauben konnte. Fast alle WWF-Mitarbeiter scheinen ganz plötzlich mit einem Mikrofon konfrontiert zu werden; die Interviews wirken beinahe wie Verhöre. Die Art und Weise wie Frau Bieler auf Schritt und Tritt sogar beim Essen gefilmt wurde ist ein Paradebeispiel für schlechten Boulevardjournalismus. Das anschließende Gespräch mit ihr besteht aus Fragen, die mit einzelnen kurzen Sätzen beantwortet werden bevor zur nächsten Frage geschnitten wird. Automatisch fragt man sich was in der Zwischenzeit besprochen wurde. Ähnliche Methoden benutzt Michael Moore in seinen Dokus um zu suggerieren, Gespräche hätten genau so statt gefunden wie wir sie erleben. Doch egal ob wir nun die Aussage einer Doku gut finden oder nicht, wenn das Gespräch so verzerrt und einseitig wieder gegeben wird, ist das Betrug am Zuschauer.
Ähnlich tolle Schnitte finden sich bei der plötzlichen dramatischen Ökotourismus-Jagd nach den Tigern. “155 Jeeps verschiedener Anbieter sind für die Rally zugelassen.” Und der Film vermittelt, dass auch alle gleichzeitig unterwegs sind und den Lebensraum des Tigers mit Autos zerstören. Ohne diese Art von Tourismus schön reden zu wollen, weiß aber jeder, der an so einer Tour schon mal Teil genommen hat, dass 1) man meist gar keinen Tiger zu sehen bekommt, und 2) fast immer die gleichen Wege abgefahren werden. Das Habitat des Tigers ist groß, aber die reichen Touristen stecken trotzdem gerne viel Geld in das Unternehmen – mit der Hoffnung auf eine Begegnung mit der großen Katze. Wenn sie auch einen gewissen Preis mit sich bringen, diese Gelder sind ein wichtiger Bestandteil beim Schutz der Tiere. Dies nicht einmal zu erwähnen macht eine Doku wie diese unglaubwürdig. Außerdem: “[Die Jeeps] durchpflügen die Kernzone des Tigerreservats, jeden Tag, acht Stunden lang.” Tiger sind aber nachtaktiv, und ich würde wetten, dass es dort tatsächlich feste Zeiten für diese “Tiger Rallys” gibt – wahrscheinlich morgens eine und abends.
Ein Teil der Doku zeigt uns die netten Menschen, die zum Schutz des Tigers umgesiedelt werden sollen, denen aber der Tiger heilig ist und die ihm nie etwas antun würden. Diese heile Welt kann im Fernsehen gerne suggeriert werden, aber tatsächlich ist eine der größten Gefahren für Tiger in Indien nicht nur die Zerstörung des Lebensraumes sondern Wilderei. Die Situation ist viel komplexer als sie in der Doku gezeigt wird, und unabhängig davon ob der WWF an einer Umsiedlung beteiligt ist oder nicht, die Dokumentation tut so als wäre es eine simple Moralfrage und als würden alle Menschen dort Opfer einer großangelegten Vertreibungsaktion sein, mit freundlicher Unterstützung vom WWF.
Die Dokumentation tut vieles, aber nicht informieren. Lange hält sie sich mit der Entstehungsgeschichte des WWFs auf, als ob sie heute eine Rolle spielt. Welche Motivation irgendein Prinz bei der Gründung des WWFs hatte, spielt nur eine Rolle, wenn die Motivation auch heute noch die gleiche ist. Und das ist sie offensichtlich nicht mehr, da jeder geschossene Tiger von Prinz Philip wahrscheinlich auf unzähligen Tageszeitungen landen würde.
Die bösen Gene
Ein großer Teil handelt von Gentechnologie und der inkonsistenten Einstellung des WWF International dazu. Hier auf den ScienceBlogs finden sich einige interessante Artikel zu der Thematik (ein guter Start ist der Artikel hier bei WeiterGen und die anschließende Linksammlung), die zeigen dass auch das keine Schwarz-Weiß-Geschichte ist. Gen-Food is here to stay. Kann man sich da so einfach offiziell von distanzieren?
Fast alles, was wir heute in großem Maße essen, ist “Gen-Food”. Ob Mais, Apfel oder Tomate, die wilden Varianten sehen ganz anders aus. Denn die Früchte dienten nicht dazu, bei Rewe in der Gemüseabteilung zu glänzen. Zur Weiterverbreitung der Samen reichen auch Maiskolben von der Größe eines Zeigefingers. Damit diese Produkte aber attraktiv und sättigend für uns sind, haben wir das Genom nach und nach verändert. Durch Transport um die Welt haben wir nicht-heimische Pflanzen eingeführt, ohne uns groß darum zu kümmern, ob sie ein Problem für unsere Gesundheit oder unser Ökosystem darstellen könnten.
Transgene Pflanzen wie Mais und Soja sind nicht viel anders. Die Genveränderungen werden einfach nicht mehr über langwierige Kreuzungen sondern durch Integration bestimmter Gene vorgenommen, die Resistenz gegen Schädlinge und/oder Pestizide verleihen. So können wir immer mehr und mehr Nahrung für eine immer mehr und mehr wachsende Weltbevölkerung produzieren. Ob neu genmanipulierte Pflanzen größere Gefahren darstellen als alt genmanipulierte, kann man allerdings heute besser beantworten als damals, denn eine Maissorte muss eine Vielzahl an Hürden überwinden bevor sie überhaupt in einem Land angepflanzt wird.
Das Problem ist aber doch gar nicht ob Genmais gut oder schlecht ist, und auch nicht ob der WWF für oder gegen Genmanipulation ist. Der WWF setzt sich für den Naturschutz ein, nicht für den Erhalt von Agrarflächen. Da transgene Mais- und Sojaarten nun mal überall auf der Welt angepflanzt werden, finde ich die Argumentation des WWFs, sie wollen mit Organisationen diskutieren, die sowohl “normale” wie transgene Produkte anbauen, völlig nachvollziehbar. Statt als Reaktion auf die Doku zu beteuern dass einzelne Mitglieder des WWFs in Bezug auf Gen-Food nicht die “offizielle” Stellung der Organisation vertreten, sollte der WWF es lieber ausnutzen und die Rolle (und Gefahren) von Genmanipulation im 21. Jahrhundert erörtern. Es darzustellen, als wäre es einfach nur schlecht und “Dies sind einzelne Außenseitermeinungen; der WWF hat international eine klar ablehnende Meinung zu Gentechnik” ist genauso schwach wie die Schwarz-Weiß-Malerei einer Dokumentation a la “Pakt mit dem Panda”.
Während gentechnisch veränderte Pflanzen nicht einfach verteufelt werden können, fällt es einem (zu Recht) einfacher bei einem Konzern wie Monsanto. Aber auch hier ist Monsanto ein nichtwegzudiskutierendes Problem. Kann man einer Naturschutzorganisation vorwerfen, sie verhandele mit dem Feind und verkaufe damit ihre eigenen Ziele? Man kann, wenn diese Verhandlung darauf hinaus läuft, dass sich die Naturschutzorganisation nur selbst bereichert. Doch wenn der WWF tatsächlich – wie sie beteuern – eine Kommunikation mit den Firmen der Agrarwelt zu Stande bringen möchte, gehört Monsanto genauso an den Tisch wie jede andere. Es ist naiv zu glauben, man könnte die Probleme einer dermaßen konsumorientierten Welt lösen, indem man sich in eine Abseitsposition stellt und erklärt wie schlecht das alles ist. Der WWF kommuniziert mit dem Feind aus dem einfachen Grund, dass der Feind momentan die Welt kontrolliert (leicht überspitzt ausgedrückt).
So weit so gut, die Argumente des Faktenchecks des WWFs finde ich nachvollziehbar und – soweit sie der Wahrheit entsprechen – richtig. Eine weltweit aktive Organisation wie der WWF, die von Spenden aber auch von Firmen und staatlichen Institutionen finanziert wird, muss zwangsläufig Zugeständnisse machen. Das haben sie sich so ausgesucht. Wenn man damit ein Problem hat, dann ist man vielleicht besser bei einer eher idealistischen Gruppe wie Greenpeace aufgehoben, die ihre Gelder fast ausschließlich durch Spenden bezieht.
Alles Lüge
Es gibt bei der ganzen Debatte nur ein Problem. Was, wenn der WWF tatsächlich lügt? Was, wenn die Anklagen der Dokumentation (unabhängig von der Qualität der Sendung) völlig richtig sind? Eine millionenschwere Organisation kann es sich leisten, die Antworten auf mögliche Kritiken schon vorher zu formulieren. Wenn sich Umweltschutzorganisationen und Firmen an einen Tisch setzen, und alle wissen, dass hier ja nur die Anbaumethoden und Produkte grün gewaschen werden sollen, dann wird jeder aktiv daran arbeiten, dass die Fassade einer Umweltorientierten Gesprächsrunde stehen bleibt. Woher sollen wir wissen, was hinter den geschlossenen Türen tatsächlich passiert?
Der RSPO (der Runde Tisch für Nachhaltiges Palmöl) ist eine Idee, die dem WWF neben wenigen anderen Naturschutzorganisationen die Möglichkeit bieten sollte, direkt mit der Industrie in Kontakt zu treten, um gemeinsam eine bessere, nachhaltige Lösung für die Produktion des Öls zu finden, welches u.a. für Margarine, Süßwaren und Shampoo genutzt wird. Das hört sich toll an, sieht in der Praxis aber kaum umsetzbar aus. Palmöl kann gar nicht nachhaltig angebaut werden, da es sich um Monokulturen handelt. Da von den fast 500 Mitgliedern nur 13 aus dem Naturschutz kommen (und vier davon sind verschiedene lokale WWFs), ist fraglich in wie weit dort irgendetwas bewegt werden kann.
Genauso sieht es beim RTRS aus. Das ist das Gleiche in Sojabohnen-grün (mit 16 aus 150 Mitgliedern im Naturschutz aktiv). Und was nachhaltige Forstwirtschaft angeht, da ist der WWF Mitglied des FSC (Forest Stewardship Council). Die Aufgabe dieser Gruppen ist es, Zertifizierungen an die besseren Betriebe und Plantagen zu verteilen, damit wir als Verbraucher wissen, wo unser Holz, Öl und Tofu her kommt. Diese Zertifikate sind z.T. recht bekannt und können ein ähnlich positives Licht auf ein Produkt werfen wir der WWF-Panda. Doch sollte gewährleistet sein, dass die Kriterien, nach denen die Zertifikate verteilt werden, streng genug festgelegt sind. Mir scheint, das ist in keinem dieser runden Tische der Fall. Auf vielen als “nachhaltig” zertifizierten Orten stand einst dichter Regenwald.
Das Argument “soy beans are here to stay, so let’s deal with it” ist hier wohl nicht mehr anwendbar. Der WWF steckt zu tief in der industriellen Welt, als dass deren Handlungen glaubwürdig für den Naturschutz verstanden werden könnten. Jetzt frage ich nur, stimmen dann die Vorwürfe, dass der WWF Schmiergelder nimmt, die Industrie grün wäscht und aktiv mithilft, den Regenwald abzuholzen? Oder ist er lediglich so tief gesunken, dass er zu viele Kompromisse eingeht und sich mit kleinen Flächen an gerettetem Regenwald begnügt? Beides wäre traurig.
Hier ein Video vom Rettet den Regenwald e.V., das (meiner Meinung nach besser als der “Pakt”) zeigt, wie es auf einer solchen zertifizierten Plantage aus sieht:
Interessanterweise werden hier die gleichen Gefangenen interviewt wie im “Pakt mit dem Panda” …
Ist aus dem WWF tatsächlich ein Mittäter bei der Zerstörung von Wäldern geworden? Er ist immer noch involviert in zahllosen kleinen Projekten zum Natur- und Artenschutz. Zusammen mit dem IUCN unterstützen sie TRAFFIC beim Vorgehen gegen illegalen Tier- und Pflanzenhandel. 10% der Ausgaben des WWFs fließen in die Bildung und Information über Regenwaldabholzung, Walfang, Wilderei und die Rolle des Menschen bei der Veränderung des Weltklimas. Dazu zählen sicher auch die Kooperation mit Magazinen, Supermarktketten und Poster, die uns an U-Bahn-Stationen ins Gewissen reden sollen. Ich denke diese Art der Information wird vielfach unterschätzt und kann weitaus mehr bewirken als ein paar Ranger in Südostasien einzustellen, die gegen riesige Soja-Konzerne kämpfen. Denn so erreicht man eine neue Generation; und so kann theoretisch innerhalb von Jahrzehnten ein konkreter Umschwung im globalen Denken statt finden. Ein gutes Beispiel für so eine Veränderung ist das zunehmende Interesse in den USA, in Supermärkten Müll zu vermeiden und “organische” Produkte zu kaufen.
Ob es nun in Deutschland richtig ist, gerade mit Rewe zu kooperieren um Tier-Aufkleber zu vertreiben? Wenn man viele Kunden erreichen möchte, ist das vielleicht kein schlechter Gedanke. Und warum kooperiert er nicht mit Bioläden? Warum findet man den WWF USA nicht häufiger bei Trader Joe’s, einer immer mehr wachsenden Kette von Bioläden? Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, weshalb er mit Coca Cola, IKEA, Panasonic und Nokia kooperiert. Weil dort das meiste Geld zu holen ist. Der WWF ist ein Multimillionen-Konzern mit Einnahmen von über 500 Million Euro im letzten Jahr. Jeder, der diesem Konzern sein Geld spendet, sollte sich darüber bewusst sein. Wenn er glaubt, er könnte dem, was der WWF sagt, vertrauen, dann sind die Spenden dort wahrscheinlich besser angelegt als bei einer Organisation, die den Kontakt zu Firmen aus ideologischen Gründen scheut. Vertraut er ihm nicht mehr als irgendeinem anderen Riesenkonzern (verstehen könnte man das nur zu gut), dann sollte der WWF schleunigst anfangen, transparenter bei seinen Projekten zu werden und Informationen zur Effektivität der runden Tische zu veröffentlichen, oder er läuft Gefahr, 57% seiner Einnahmen zu verlieren.
Ich hingegen halte die Scheine, die ich einer Organisation spenden würde, besser bei kleinen Organisationen angebracht. Ein paar Monate Arbeit in einer Naturschutzorganisation in den Philippinen haben mir gezeigt, wie viel ein bisschen Geld erreichen kann. Für ein paar hundert Euro kann eine ganze Insel über bedrohte Tierarten aufgeklärt werden oder ein weiterer Ranger kann ein ganzes Jahr lang mithelfen, Wilderei zu unterdrücken. In Neuseeland arbeitet ein kleines Team von Wissenschaftlern, Studenten und Freiwilligen daran, den Kakapo vor dem Aussterben zu bewahren. Lohnt sich das überhaupt und sollte man so etwas unterstützen? Ja! Denn nebenbei engagieren sich die Leute zwangsläufig für den Schutz des Lebensraumes.
Wenn es einem nur darum geht, wie groß der Effekt der eigenen Spenden ist, dann sind 50 Euro beim WWF vielleicht keine gute Investition. Givewell z.B. ist eine Organisation, die außerhalb des Naturschutzes untersucht, was Spendengelder bei verschiedenen Organisationen tatsächlich bewirken. Dabei sollte man sich überlegen, ob man eher eine aktivistische Organisation schätzt, oder eine, die gegen Geld auch Firmen berät. Welche verschiedenen Formen von Einfluss eine Naturschutzorganisation auf politischer Ebene haben kann, ist übrigens schön in einer Publikation zum Kyoto Protokoll (Global Environmental Politics 4/2004) zu lesen.
Ob der WWF mit seiner Insider-Politik Erfolg haben wird, und ob er das überhaupt noch will, hängt davon ab in wie weit er seine Ideale bereits verkauft hat. Offiziell kämpft die Organisation gegen das Image, welches sie spätestens seit Gründung der RSPO und RTRS durch die Ablehnung vieler anderer nennenswerter Naturschutzorganisationen schon lange vor der ARD-Doku bekommen hatte. Wenn das, was der WWF in seinem Jahresbericht schreibt, alles auch stimmt – kann man ihm die “Fehltritte” in der Palmöl- und Soja-Politik vielleicht verzeihen.
Aber bitte – eine Dokumentation von dem Niveau eines “Pakt mit dem Panda” sollte weder in die eine noch in die andere Richtung ausschlaggebend sein.
]]>“Is there an answer?” Searching for the meaning of life in The Hitchiker’s Guide to the Galaxy (ENG) ist ein kleiner Artikel von Journalistin Julia Galef (Bloggerin bei Rationally Speaking, von denen ich mir erlaubt habe die Idee und den Titel für diese Rubrik, “Picks”, zu klauen) darüber, was uns die Romanreihe “Per Anhalter durch die Galaxis” darüber verrät, warum wir Menschen eigentlich hier sind. “Mäuse?”
Ein Gefühl dafür, wie groß Zellen eigentlich sind kann man sich auf der Seite der University of Utah verschaffen. Was ist kleiner, das Hepatitis- oder das Grippevirus?
Hochintelligente Affen: Zufällig stieß ich auf ein Video, das zeigt dass manche Affen nicht nur bis 10 zählen können, sondern sich diese Zahlen auch noch merken können, wenn sie nur eine Sekunde lang auf einem Bildschirm gesehen haben. Wow. Wenn wir nicht aufpassen, sperren die uns bald in Käfige ein …
Sollte Mathe in der Schule unterrichtet werden? Drüben im Mathlog habe ich ein Video gefunden, auf dem die Kandidatinnen der Miss USA darüber diskutieren, ob Mathe ein Schulfach sein sollte. Im Anschluss zeigt Thilo noch ein Video, dass ich persönlich noch viel schrecklicher finde – ich musste mir tatsächlich die gesamten 14:48 Minuten anschauen.
Darwins persönliche Bibliothek (ENG) kann jetzt online angeschaut werden. Angeblich sind das alle Bücher, die bei ihm im Büro auch standen. Allerdings konnte ich bislang nicht das berühmte Vestiges of the Natural History of Creation finden, doch gelesen hatte das Darwin ganz sicher. Hat er es direkt weiter verschenkt?!
Und für alle, die es noch nicht wissen, Charles Darwins gesammelte Werke, inklusive Notizbücher, finden sich zum Lesen und Runterladen auf Darwin Online. Seine gesammelte Korrepondenz mit anderen Wissenschaftlern findet sich derweil beim Darwin Correspondence Project.
Zuletzt muss ich noch ein Buch empfehlen, das ich gerade zu lesen angefangen habe. Ich bin zwar erst bei Kapitel 6, aber ich wage es einfach und empfehle es jetzt schon. (Ich will nicht bis Seite 1157 warten, außerdem ist es noch gar nicht fertig und wer weiß wie viel noch kommt.) Harry Potter und die Methoden des rationalen Denkens ist ein Roman, der Harrys Geschichten nacherzählt – mit einer kleinen Änderung: Was wäre wenn Harry Potter nicht unter der Treppe seiner Tante und seines Onkels aufgewachsen wäre, sondern bei einen Biochemieprofessor und seiner Frau? Wenn Tante Petunia nicht einen Bohrmaschinenhersteller geheiratet hätte sondern einen Wissenschaftler, dann würde (laut diesem Buch) Harry schon mit elf Jahren wissen wie man Experimente durchführt, um etwas zu beweisen (“Nein,” sagte Harry, “um die Nullhypothese zu falsifizieren!”), er könnte komplizierte Mathematik und würde ganz sicher nicht ohne weiteres glauben, dass ein Mensch sich einfach in eine Katze verwandeln könnte, nur weil er es mit eigenen Augen sieht:
Harry atmete stoßweise. “Das GEHT nicht!”, keuchte er.
“Es ist nur eine Verwandlung”, sagte McGonagall. “Eine Animagusverwandlung, um genau zu sein.”
“Sie haben sich in eine Katze verwandelt! Eine KLEINE Katze! Sie haben gegen die Energieerhaltung verstoßen! Das ist nicht nur irgendeine Regel, es folgt aus der Darstellung des Hamiltonoperators in der Quantenphysik! Ohne Energieerhaltung kommt es zu Inkonsistenzen und Informationsübertragung mit Überlichtgeschwindigkeit! Und Katzen sind KOMPLIZIERT! Ein menschliches Gehirn kann sich nicht einfach die ganze Anatomie und biochemische Zusammensetzung einer Katze vorstellen, ganz zu schweigen von der Neurologie! Wie können Sie mit einem Katzenhirn denken?”
McGonagalls Lippen verzogen sich immer stärker. “Magie.”
“Magie reicht dafür nicht aus! Sie müssten ein Gott sein!”
McGonagall blinzelte. “Das ist das erste Mal, dass jemand so etwas zu mir sagt.”
Das Buch hat im Englischen bisher 72 Kapitel, ins Deutsche wird es relativ langsam übersetzt. Geschrieben wurde es übrigens von Eliezer Yudkowsky, ein Wissenschaftler aus Kalifornien, der Künstliche Intelligenz erforscht. Verschieden eBook-Varianten in verschiedenen Sprache gibt es hier runterzuladen.
So das war’s. Eigentlich wollte ich jetzt mich mal hinsetzen und meine Meinung zu der ganzen WWF-Geschichte schreiben, aber bisher fehlen mir dazu noch die Worte …
]]>Diese alte Weisheit stammt noch aus den Zeiten, zu denen ich mir regelmäßig das Micky Maus Magazin gekauft habe. Und so albern dieser Gedanke erscheinen mag, er stimmt. Wir lernen (in der Regel) aus Fehlern, und statistisch gesehen sollten wir uns in einer bestimmten Situation umso besser verhalten, je mehr Fehler wir bisher gemacht haben.
Evolutionsbiologisch haben Fehler jedoch eine ganz andere Bedeutung. Sie sind eine Notwendigkeit. Hier ist ein Zitat von Charles Darwin aus seinem “On the Origin of Species”:
Ich finde das Zitat großartig, aber der Punkt auf den ich hinaus möchte, ist dass wenn wir jede “grosse mechanische Erfindung als das Product der vereinten Arbeit, Erfahrung, Beurtheilung und selbst Fehler zahlreicher Arbeiter ansehen, wenn wir jedes organische Wesen auf diese Weise betrachten: wie viel ansprechender (ich rede aus Erfahrung) wird das Studium der Naturgeschichte werden!” (Übersetzung von H. G. Bronn, 1867)
Falsch hingeschaut
Die Summe all dessen, was heutige Lebewesen ausmacht, ist auch die Summe all der Fehler, die dazu geführt haben. Bei Diskussionen mit Kreationisten tauchen immer wieder die gleichen Argumente auf. Ein sehr beliebtes ist das menschliche Auge. Zu Darwins Zeiten wirkte es so perfekt, dass es unmöglich natürlich entstanden sein konnte. Deshalb wurde es gerne als Beispiel dafür aufgeführt, dass doch ein Designer hinter dem Auge stecken müsste. Doch dann stellte sich heraus, dass all die Übergangsformen, die zu dem heutigen Auge geführt haben könnten (Augen mit anderen Linsen, Augen ohne Linsen, Augen ohne Iris, Augen ohne Glaskörper, Augen ohne Netzhaut, und Augen ohne Hohlraum, um nur einige Fälle zu nennen), immer noch in anderen Tieren existierten. Es geht also doch, unperfekt zu sehen. Dabei ist unser Auge alles andere als perfekt. Blutgefäße laufen auf der Netzhaut entlang, was die Sichtqualität einschränken und bei möglichen Verletzungen der Gefäße zu extremer Sehschwäche führen kann. Aber nicht nur Blutgefäße, sondern auch alle möglichen Arten von Zellen liegen zwischen dem einfallenden Licht und der Netzhaut. Ganglienzellen, Amakrinzellen, und andere Nervenzellen müssen erst überwunden werden bevor das Licht registriert wird, denn beim Menschen und anderen Wirbeltieren liegen die Photorezeptoren dahinter (nicht wie z.B. bei Kraken vor den Nervenzellen, siehe Abbildung). Das führt zu einem nächsten Fehler: den blinden Fleck – es gibt tatsächlich einen Bereich, bei dem wir gar nichts sehen. Bedenkt man dann noch, dass das Bild was wir sehen eigentlich auf dem Kopf steht und erst unser Gehirn es wieder richtig dreht, dann fällt es einem schwer noch von Perfektion zu reden.
“Fehler” wie beim Auge lassen sich aber erklären, wenn man nachverfolgt, wie sich das Auge evolutionsbiologisch wahrscheinlich entwickelt hat. Eine Anpassung kann schließlich nur auf Vorhandenem aufbauen. Um einen vorherigen Fehler wieder gut zu machen, ist es unendlich viel schwieriger, alles noch einmal zu wiederholen. Einfacher ist es den Fehler zu reparieren, wie z.B. das Tapetum lucidum das bei nachtaktiven Tieren getan hat (das Tapetum ist der Grund für die bunten Augen von Hunden und Katzen auf Fotos). Damit möglichst viele Informationen aus dem einfallenden Licht gewonnen werden können, wird hinter der Netzhaut das Licht einfach reflektiert und noch einmal durch alle Photozellen geleitet. Das Tapetum ist dabei aber lediglich eine Ergänzung. Der umständliche Weg zur Netzhaut bleibt bestehen.
Fehler sind vielleicht überall in der natürlichen Welt zu finden, aber warum sind sie in der Evolution sogar notwendig?
Falsch abgeguckt
Die vielleicht simpelste Form eines Fehlers ist der Lesefehler. DNA wird von Enzymen abgelesen, den sogenannten DNA Polymerasen, die ab und zu die falschen Nukleotide in die kopierte DNA einbauen. Schlimmer noch, es könnten auch zu viele oder zu wenige Basenpaare hinzugefügt werden. Das ergäbe nicht nur einen kleinen, vielleicht sogar vernachlässigbaren Fehler, sondern verändert die ganze nachfolgende Bedeutung eines Gens. Beispielhaft könnte man sagen, dass der Satz “Wieviel Holz fällt ein Holzfäller?” durch einfügen eines zufälligen neuen Buchstabens zu “Wieviet Lhol zfäll tei Nholzfälle r?” Bei dem genetischen Rezept für rote Blutkörperchen z.B. wäre es fatal, wenn hinterher nicht das herauskommt, was eigentlich soll. (Einem Holzfäller könnte dann nämlich schnell die Puste ausgehen.)
All solche Fehler werden in der Regel durch andere Enzyme ausgebessert, aber manchmal entgeht selbst diesen molekularen Polizisten der eine oder andere Patzer. Das ist die Geburtsstunde einer Mutation. Ist die Mutation erst einmal in der DNA drin, wird sie von einer Zellgeneration zur nächsten weiter gegeben. Entstehen solche Mutationen in Zellen, aus denen Geschlechtszellen werden, können die Mutationen auch an Nachkommen dieser Mutationsträger weiter gegeben werden. So funktioniert schon ein wesentlicher Bestandteil evolutionärer Prozesse … und zwar nur wegen einem “kleinen” Lesefehler.
Aber damit nicht genug. Passiert dieser kleine Fehler in einem Gen, das eigentlich die Enzyme produziert, die die DNA-Replikation auf Fehler kontrollieren sollen, können sich Fehler erstaunlich schnell anhäufen. In vielen Fällen entstehen so Krebsgeschwüre. Über evolutionsbiologisch relevante Zeiträume allerdings bedeutet das eine erstaunliche Möglichkeit für Veränderungen im Erbgut von Lebewesen. Relevant wird so ein Fehler dann, wenn entsprechend starker Selektionsdruck auf einem Individuum lastet. Escherichia coli (momentan besser bekannt als EHEC) zum Beispiel ist ein Bakterium, welches in vielen Fällen mit Antibiotika bekämpft wird. Viel stärkeren Druck kann so ein Lebewesen gar nicht haben; für das Bakterium geht es um Leben und Tod. Entwickelt es nun eine hohe Vielfalt an Mutationen, erhöht sich die Chance dass irgendetwas dabei rum kommt, was doch etwas resistenter ist. Bei einem Genom von ca. 4 Millionen Basenpaaren und einer geschätzten Mutationsrate von einem Fehler pro einer Milliarde Nukleotiden, bedeutet das, dass ungefähr 1% aller neuen E. coli-Bakterien eine Mutation haben, die sie von ihrer “Mutter” abheben. So klein die Zahlen erscheinen, bei Zellen die sich alle paar Stunden vermehren, entwickeln sich so schnell neue Varianten – wie die, die jetzt auf Gurken (oder sind es Tomaten?) auftauchen.
Fehler sind aber nicht nur einer der Hauptmotivatoren der Evolution, gleichzeitig sind sie auch ein unheimlich wertvolles Werkzeug für Evolutionsbiologen, um der Verwandtschaft von Arten auf die Schliche zu kommen. Haben unterschiedliche Arten die gleichen “Fehler” in ihrer DNA, ist es wahrscheinlich, dass sie auch den gleichen Vorfahren haben. Genauso wie zwei Schüler wahrscheinlich voneinander (oder von einer gleichen Quelle) abgeschrieben haben, wenn sie die gleichen Wörter irgendwo gleich falsch geschrieben haben, lässt sich mit Hilfe von Fehlern in der DNA der Ursprung eines Fehlers bestimmen. Ein klassisches Beispiel ist Hämoglobin. Nicht nur Holzfäller sind auf den Sauerstofftransport im Blut angewiesen, und ohne Hämoglobin, der rote Farbstoff in unseren Venen und Arterien, kommt Sauerstoff nicht dort an, wo er gebraucht wird. Das Protein beta-globin ist dabei ein wesentlicher Bestandteil; fünf Gene kodieren dafür, dass es produziert wird. Schaut man aber genauer, findet man noch ein weiteres, ein sechstes Gen inmitten der anderen fünf, das auf Grund von Fehlern schlicht gar nichts mehr produziert. Hier handelt es sich nicht um einen kleinen Fehler von einem verwechselten Basenpaar, sondern um viele Fehler – darunter vertauschte Basenpaare, die nun für andere Aminosäuren kodieren, und gelöschte Basen, durch die der nachfolgende Strang völlig seine ursprüngliche Bedeutung verliert. Ansonsten ist dieses sechste Gen so wie seine anderen fünf funktionsfähigen “Brüder” aufgebaut.
Nun, jeder einzige dieser Fehler findet sich aber nicht nur beim Menschen, sondern auch noch woanders … in Schimpansen und Gorillas ist dieses Gen genauso fehlerhaft vorhanden wie bei uns. Die einfachste – und wahrscheinlichste – Erklärung dafür ist, dass wir alle einen gemeinsamen Vorfahren hatten, der auch nicht unbedingt ein völlig funktionsfähiges sechstes beta-globin Gen hat. So kann man an Hand von Fehlern in unserer DNA Schlüsse über Verwandtschaft ziehen. Und DNA hat noch weit mehr Gene, die alle Fragmente von längst vergessenen Fehlern beinhalten.
Falsch kombiniert?
Mutationen zu kriegen ist einfach, wir alle kommen mit einer auf die Welt. Viel schwieriger ist es, welche zu bekommen, die uns auch gleich einen Vorteil bieten, denn im Großteil der Fälle führen sie eher zu Problemen. Doch ohne sie gäbe es nicht so viel Vielfalt in der Welt. Ohne Fehler würde Selektion nicht stattfinden können.
Aber was bedeutet das für uns? Sollten wir auch möglichst viele Fehler machen? Den irrsinnigen Gedanken, ein evolutionsbiologisches Konzept auf soziale Strukturen zu übertragen, hatten wir eigentlich schon mit dem Sozialdarwinismus ad acta legen sollen. Man kann einen evolutionären Prozess, der über Hunderte, ja, Tausende von Generationen wirkt, nicht auf das Leben eines einzigen Individuums reduzieren. Individuen evolvieren nicht! Es ist vielleicht verlockend, zu sagen, dass was bei der Evolution des Menschen hilfreich war, auch für uns nicht schlecht sein kann – quasi “Aus Fehlern wird man klug.” Aber nun zu versuchen, ganz viele Fehler zu machen, um möglichst viel zu lernen, ist albern. Eben wie in der Evolution kann jeder Fehler in eine Sackgasse führen. Was ein Allel, eine Genvariante, zum Erfolg führt, kann für ein anderes das bittere Aussterben bedeuten. In unserem Alltag können Fehler passieren, die nicht wieder gut zu machen sind. Diese zu riskieren, ist – kurz gesagt – dumm.
Tatsache ist aber, dass Fehler uns helfen zu lernen. Wir alle machen Fehler, und genau wie bei der Entstehung von Mutationen kann analog bei uns ein Fehler zu einer Verbesserung führen. Dies wird zunehmend auch in Schulen erkannt. Besonders in Mathe wurde zu meiner Schulzeit noch sehr viel Wert darauf gelegt, dass man alles korrekt beherrscht und die Fehler so weit wie möglich minimiert. Heute werden Kinder zum entdeckenden Lernen ermutigt. Fehler werden dabei gerne in Kauf genommen, denn sie helfen den Kindern, selbst die Lösungen zu ihren Problemen zu finden.
Positive Mutationen in einem Genom sind etwa so selten wie sechs Richtige im Lotto (mit Zusatzzahl). Ein Fehler, der uns zu einer einfacheren, besseren Lösung eines Problems verhilft, kommt da schon wesentlich häufiger vor. Unser größter Vorteil ist, dass wir dem nachhelfen können, indem wir bewusst mit Fehlern umgehen, und nicht um jeden Preis versuchen, sie zu verhindern. Denn dabei lernen wir ganz sicher nichts.
Der britische Genetiker Steve Jones sagt in seinem Buch “Almost like a whale” irgendwo: “Errors are the stuff of evolution.” Auf genau diese Weise fasst er etwas später dann Darwins “Great idea” sehr prägnant zusammen:
]]>Leben ist eine Reihe erfolgreicher Fehler
Mir fällt nichts anderes ein als “Wow!” Der komplett animierte Film wirkt in jedem Detail so echt, dass man völlig vergisst, dass es nur ein Film ist. Bis er sich in abstrakte Kunst wandelt und illustriert, dass das Leben doch irgendwie einen Kreislauf darstellt.
Diejenigen mit einer gewissen Angst vor Spinnen seien gewarnt: So detailreich habt ihr eine Spinne aus der Nähe bestimmt selten gesehen …
Es lohnt sich übrigens, den Film in hochauflösendem Vollbild zu schauen. Viel Spaß!
]]>Aha, Evolution, Menschen, und die Welt. Ich bin aber Entomologe, wo sind denn dann die Insekten?! Oben links, ganz klein und unscheinbar. Aber immerhin neben dem Wort Fokus. Dann versuche ich doch mal die Relevanz dieser kleinen Hexapoden zu erhöhen: Insekten, Insekten, Insekten, Insekten … also: was gibt’s neues?
Insekten-Post aus der Vergangenheit
Pakete, zum Teil seit 1867 nicht mehr angefasst, wurden jetzt zum ersten Mal geöffnet. Die Pakete gehörten ursprünglich dem Geologen Charles Moore, der zu Lebzeiten eine Sammlung von über 4000 Fossilien angehäuft hatte. Ein großer Teil davon waren Insekten. Mr. Moore ließ sich einmal 3000 Tonnen Steine zu seinem Haus liefern, die er dann genauestens nach Fossilien inspizierte. Ein Teil dieser Fossilien ist jetzt aufgetaucht und wird von der Bath Royal Literary and Scientific Institution untersucht. Es wird vermutet, dass diese Sammlung bis zu 1000 fossile Insekten enthält. Bisher hat man Schaben und Käfer gefunden, aber es ist noch viel zu früh, um genaueres darüber sagen zu können.
Die Insekten sind fast ausschließlich aus dem Jura-Zeitalter, also über 150 Million Jahre alt.
Bienendiebe
Während die einen Insekten nach einem Jahrhundert wieder entdeckt werden, werden andere Insekten gestohlen. In Schottland wurden aus dem Labor von Chris Connolly vier Bienenstöcke mit dunklen europäischen Honigbienen (Apis mellifera mellifera) entwendet. Diese Unterart unserer Honigbiene ist relativ selten. Deshalb wird angenommen, dass es sich um Profis handelte, die die Tiere auf dem Schwarzmarkt verkaufen wollen. Der geschätzte Wert für diese Insekten, die Teil eines neurologischen Millionprojektes der Uni Dundee waren, liegt bei bis zu 3500 Pfund.
Gesucht werden zwei Männer in einem weißen Lieferwagen. Es wird vermutet, dass sie von starkem Summen begleitet werden.
Bienentelefonate
Eine Studie mit dem schönen Namen “Mobile phone-induced honeybee worker piping” erscheint jetzt im Journal Apidologie. Damit schließt sie sich einer Reihe von Publikationen an, die zeigen, dass Mobiltelefone schädlich für Bienen sind. Wie bei all diesen Studien wurden Telefone in unmittelbare Nähe zum Bienenstock gebracht (mit anderen Worten: die Handys lagen AUF dem Bienenstock), und das Verhalten der Insekten wurde dokumentiert. Und auch diesmal zeigt, dass die elektromagnetische Strahlung von Handys die Bienen beeinflussen: die Kolonie ändert ihre Signale zu einem bei Stress typischen “Piepsen”.
Falls die Frage also bestehen bleibt, ob CCD und andere mysteriöse Bienensterben auf Handys zurück zu führen ist, müssen wir nur noch herausfinden ob all die betroffenen Bienenstöcke in unmittelbarer Nähe von telefonierenden Imkern standen; oder ob Meistertwitterer Ashton Kutcher auf einer Odyssey durch die USA all diese Stöcke besucht hat.
Die Zikaden kommen (mal wieder)
In den USA ist es jedes Mal ein Spektakel, dem man spätestens nach einer halben Stunde aus dem Weg gehen möchte. Die periodischen Zikaden der Gattung Magicicada kommen alle 13 bzw. 17 Jahre aus der Erde, um sich zu paaren, zu fliegen und fressen und um pausenlos zu singen. Im Süden der USA (aber hoch bis nach Illinois) ist es mittlerweile wieder soweit für die 13-jährige. Zum ersten Mal seit 1998 singen sie nun wieder und vermitteln den Menschen den Eindruck einer außerirdischen Invasion. Das alles dauert ca. eine Woche, vielleicht zwei, bevor die Adulten ihre Nachkommen produzieren, welche sich in die Erde einbuddeln und erst mal eine Runde schlafen – so ungefähr 13 Jahre.
Hier ist eine beeindruckende Zeitrafferaufnahme vom Schlupf einer jungen Zikade, aufgenommen am 10. Mai von Mark Dolejs, Fotograf aus North Carolina:
Und hier ein Video, damit wir hier auch einen Eindruck davon haben, was in den USA gerade los ist: aus Sir David Attenboroughs “Life in the Undergrowth,” The emergence of the 17-year cicada.
PS: Apropos Wordle, falls jemand sich fragt welches Buch man denn in nächster Zeit mal lesen soll, hier sind die Top-Titel aus einem von InformationIsBeautiful durchgeführten Vergleich aller Buch-Bestenlisten (aus Bibliotheken, Pulitzerlisten, Umfragen, Top100 etc.).
]]>Abgesehen davon, dass dieses Video die Prozesse der Evolution verständlicherweise stark vereinfacht, so tut als würden Individuen evolvieren können, und (wie so viele Illustrationen) den Eindruck vermittelt, dass alles Leben in eine bestimmte Richtung evolviert, sollte einen doch bei dieser 54. Sekunde der Schlag treffen: Der Bartender, von dem ich gerade den Namen vergessen habe (ich glaube ich habe bisher erst sechs Folgen von den Simpsons gesehen), evolviert … zurück!
Ja, sagen wir jetzt, das ist ja nur ein tiefsinniger Witz in einer sozialkritischen Zeichentrickserie. Doch der gleiche Witz findet sich auch in hochangesehen Journalen wie … Nature, Science, PNAS, TREE. Da zieren spannende Bilder die Titelseiten und man liest:
Ups and downs of evolution: Insects that lost their wings — but flew again (NATURE 2003)
Evolution and devolution: reversing opinion on Dollo’s law (TREE 2004)
Und ganz aktuell findet man im Journal Evolution:
Re-evolution of lost mandibular teeth in frogs after more than 200 million years, and re-evaluating Dollo’s Law (Evolution 65: 1283-1296)
Da tauchen Begriffe auf, die seit einiger Zeit in Mode sind: Devolution, Re-Evolution, das Dollo’sche Gesetz. Zugegeben, Dollos Gesetz ist alles andere als modern. Louis Dollo war ein belgischer Paläontologe, der ein paar Jahre vor Darwins “On the Origin of Species” zur Welt kam. Er formulierte ein Gesetz, nach dem ein Organismus unmöglich den Zustand wieder erlangen kann, welchen einer seiner Vorfahren einmal besessen hat – auch nicht wenn man ihn den exakt gleichen Umweltbedingungen aussetzen würde. Dieses Gesetz hatte lange Bestand. Oder – hat es das nicht noch immer? In den letzten Jahren häufen sich Publikationen, die behaupten das Gesetz zu widerlegen. Dabei handelt es sich um sekundär asexuelle Organismen, die wieder sexuell werden; um Frösche, die wieder Zähne im Unterkiefer entwickeln; um lebendgebärende Schlangen, die wieder anfangen, Eier zu legen; und um flügellose Insekten die wieder Flügel entwickeln. Ich schreibe jedes Mal “wieder”, weil von unserem momentanen Wissensstand ausgehend all diese Gruppen im Laufe der Evolution diese Merkmale verloren hatten. Es gibt keine Frösche mit Zähnen im Unterkiefer seit sich die Anura (die Frösche) von den anderen Amphibien abgespalten haben. Wir nehmen aber an, dass der gemeinsame Vorfahre dort Zähne besaß. Bei Gespenstschrecken haben sich die Flügel irgendwann komplett reduziert und all die Nachfahren besaßen folglich nur Flügelstummel, bis Flügel wieder in Mode kamen und eine Gruppe die Flügel wieder entwickelte.
Findet man in einem Stammbaum also plötzlich wieder eine Eigenschaft, die in dieser Linie eigentlich seit vielen Millionen Jahren als ausgestorben galt, stellt sich die Frage, was genau da eigentlich passiert ist. Hat sich der Insekten-Flügel bei einer eigentlich flügellosen Gattung ganz neu entwickelt und ist nur zufällig so ähnlich geworden, wie der von anderen Tieren, die ihre Flügel nie aufgaben? Oder ist es tatsächlich der gleiche Flügel, der dem gleichen Bauplan folgte wie die der anderen? Ist das Letztere der Fall, dann sollten die Informationen für den Bau des Flügels aber über all die Zeit vorhanden geblieben sein.
Geht so etwas?
Organismen haben so etwas wie eine natürliche Mutationsrate. Das beinhaltet nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Kopie von DNA ein Fehler unterläuft; auch durch Umwelteinflüsse wie UV-Strahlung kann die DNA Schäden nehmen, die z.T. nur schlecht repariert werden. Solche Mutationen können natürlich schädlich, aber auch neutral sein. Für den Menschen zum Beispiel variiert diese neutrale Rate stark zwischen den durch gewöhnliche Zellteilung entstandenen Mutationen und denen in den Geschlechtszellen. Zuletzt wurde die neutrale Mutationsrate des Menschen auf 175 Mutationen pro Genom pro Generation geschätzt (Genetics 156: 297-304), aber tatsächlich ist dies ein wesentlich komplizierteres Thema, unter anderem deswegen, weil wir ja immer noch nicht ganz verstehen wie viel unseres Genoms denn eigentlich für uns eine richtige Rolle spielt.
Natürliche Selektion wirkt diesem natürlichen “Verfall” jedoch entgegen, indem sie gewisse Gene, die häufig und erfolgreich in einer Population vorhanden sind, allem Zufall zum Trotz stur in der Population behält. Ist es hilfreich für ein Insekt zu fliegen, dann werden die Gene, die den Flug ermöglichen (und dazu gehört neben dem Flügel der gesamte Flugapparat, inklusive der Muskulatur, den Sinneshaaren und Neuronen, die zur Orientierung beitragen etc.), überdurchschnittlich wahrscheinlich in der Population verweilen. Die Gene jedoch, auf die keine Selektion wirkt, fallen stärker unter die natürliche Mutationsrate.
Dann gibt es natürlich auch noch diese Gene, die unter gewissen Umweltbedingungen sogar schädlich für das Individuum sind. Ist durch einen Sturm vielleicht eine Insel fast vollständig entwaldet worden, hat der Wind einen viel größeren Einfluss auf die einzelnen dort lebenden Tiere. Es könnte demnach schädlich sein, wenn man dem Wind eine große Angriffsfläche bietet, weil man sonst statt in die Arme des Paarungspartners weit aufs Meer hinaus getragen wird. Gene, die Flügel begünstigen, würden auf diese Weise quasi schnell “wie der Wind” aus einer Population verschwinden.
Die Chance, dass ein Gen, welches nicht unter positivem Selektionsdruck liegt – die Anpassung an die aktuelle Umwelt also nicht unterstützt – viele Millionen Jahre in einer Population verweilt, ist entsprechend gering. Und doch tauchen Merkmale immer wieder auf, die eigentlich schon längst von uns Menschen als ausgestorben, oder verloren, gedacht waren.
Charles Darwin hatte dazu einen Kommentar in seinem “Abstrakt” von 1859:
Darwin sagt, es wäre wahrscheinlicher, dass ein Tier nicht plötzlich ein Merkmal seines Tausende oder Millionen Jahre toten Großvaters ausprägt, sondern das gleiche Merkmal erneut produziert. Sprechen wir dann von Re-Evolution? Ist an solch einem Prozess irgendetwas rückwärts Gerichtetes? Warum hat das Tier dieses Merkmal denn produziert? Es ist ziemlich sicher zu behaupten, dass eine Art, die ein Merkmal “neu entdeckt” hat, dies auf Grund der aktuellen Umweltbedingungen tut. Warum sollte sich ein Gen für Flügel in der Population durchsetzen, wenn der Wind die geflügelten Tiere immer noch von der Insel bläst? Und wenn ein Merkmal auf Grund von Selektionsdruck sich ausbreitet, dann ist das schlicht und einfach Evolution.
Re-Evolution ist meines Erachtens ein von uns geprägter Gedanke, bei dem wir so tun als ob der Flügel unseres seit Millionen Jahren toten Großvaters plötzlich wiederkehrte. Aber haben wir irgendeinen Grund, dies anzunehmen? Uns erscheint der Flügel vielleicht wie der von anderen verwandten Tieren. Vielleicht ist er auch bis ins Detail identisch mit den Flügeln, die bei verwandten Arten schon seit Millionen von Jahren existierten. Aber selbst dann ist es ein neu evolvierter Flügel.
Es sei denn …
Es sei denn, wir könnten nachweisen, dass die Gene, die für diesen Flügel verantwortlich sind, auch identisch sind mit denen der verwandten Arten. In diesem Fall wäre es wahrscheinlicher, dass ein Master-Gen nach all der Zeit wieder angeschaltet wurde. Ähnlich wie bei Drosophila Gene existieren, die – je nachdem wo im Körper sie exprimiert werden – entweder eine Antenne oder eine Bein produzieren, haben alle Organismen Gene, die nichts weiter tun als andere Gene ein- und auszuschalten. Wenn unsere Insekten ihre Flügel also verloren haben, benötigt es vielleicht nur dieses eine Gen, um die Flügel wieder zurück zu bringen. Vorausgesetzt, der Wald ist wieder gewachsen und schützt vor dem Wind, und vorausgesetzt, die Gene, die für Flügel notwendig sind, sind unterdessen nicht so verändert, dass sie keine Flügel mehr produzieren können.
Nach dem Prinzip der Parsimonie sollten wir erwarten, dass dies der wahrscheinlichere Weg sei. Die Alternative wäre, dass die Umweltbedingungen verursachen, dass ein komplett neuer Flügel entstanden ist, der nur zufällig dem uralten gleicht.
Heißt das aber, dass Herr Dollo Unrecht hatte, und es doch möglich ist, zu alten Zuständen “zurück” zu evolvieren? Ich denke nicht. Was Louis Dollo sagte ist, dass ein einmal eingeschlagener Weg im Laufe der Evolution nicht ein zweites Mal eingeschlagen werden kann und dabei genauso abläuft wie beim ersten Mal. Richard Dawkins hat das in seinem Buch “Der blinde Uhrmacher” so formuliert:
“Eine statistische Wahrscheinlichkeit, den exakt gleichen Weg zweimal zu gehen.” Dawkins reduziert das auf die Gene und sagt dann, dass es unwahrscheinlich ist, dass ein Gen zweimal die exakt gleiche Basenzusammensetzung evolviert. Das muss natürlich nicht sein, da trotz Variation im Gen es immer noch für das gleiche Genprodukt verantwortlich sein kann. Doch im Kern ist es richtig, wie Herr Dollo ihm hundert Jahre zuvor zustimmte:
Ein Organismus ist nicht in der Lage, zu dem Ausgangszustand zurückzukehren, um den von Dawkins geforderten Weg erneut zu gehen. Zu vieles hat sich geändert. Zu viele Veränderungen verhindern, dass der Organismus sich genau gleich verändern kann. Evolution geht nicht rückwärts. Sie geht auch nicht wirklich vorwärts. Sie ist die Anpassung an das Jetzt und die Veränderung der jetzigen Zustände. Nur weil der jetzige Zustand einem gleicht, der einmal existiert hat, sollte das nicht als Rückwärtsbewegung verstanden werden. Es ist tatsächlich eine Art von Re-Evolution. Der Begriff ist dabei jedoch völlig überflüssig und wird wahrscheinlich in erster Linie für Marketingzwecke benutzt. Es ist Evolution, nicht mehr und nicht weniger.
]]>Solche Puzzleteile sind es, die uns Wissenschaftler tagtäglich beschäftigen. Das Spannende dabei ist, dass wir weder wissen wie das fertige Bild aussieht, noch wie viele Teile weiterhin fehlen. Wissenschaft ist ein andauernder Prozess – meist mit einem klaren Anfang (der Frage „Häh?”) aber häufig ohne definitives Ende. Es kommt darauf an was wir aus den Puzzleteilen lernen.
Und dann kommt ab und zu ein Teil, das wir schon ganz lange gesucht haben. Wir wussten, es musste doch irgendwo sein, dort bei den braun-beigen Stapeln, wo wir schon x-mal geschaut hatten.
So ein Teil ist AL 333-160.
Ein entscheidender Moment in der Evolution des Menschen, war der, als wir den aufrechten Gang entwickelten. Denn der erlaubte schließlich die Veränderung der Zehen, des Beckens, der Wirbelsäule und letztendlich des Schädels, die uns alle zu dem Menschen machen, der wir heute sind. Angefangen hat das mit der Gattung Ardipithecus. Bei dem berühmten Australopithecus afarensis war der große Zeh bereits nach vorne direkt neben die anderen vier Zehen “gerutscht”.
Was man aber bisher nicht wusste, war, ob Australopithecus auch schon aufrecht ging, oder noch in einer leicht gebückten Haltung, wie sie bei vielen heutigen Affen erhalten geblieben ist. Der entscheidende Fußknochen dafür fehlte nämlich bei allen Australopithecus-Skeletten, die man bisher gefunden hat.
Lucy, der Vorzeige-Australopithecine (benannt, über Umwege, nach einer Klassenkameradin von John Lennons Sohn Julian), lebte vor ca. 3,2 Millionen Jahren. Überreste des Skeletts fand man in den 70er Jahren in Äthiopien. Fast die Hälfte aller Knochen waren erhalten, aber um genaueres über die Gangart sagen zu können, braucht man den vierten Mittelfußknochen. Diesen fand man jetzt ganz in der Nähe von Lucys Skelett. Der Knochen wurde AL 333-160 genannt – jedes Skelett bekommt seinen eigenen Namen, selbst wenn es nur ein paar Knochen sind (Lucy heißt übrigens AL 288-1). Laut Carol Ward, William Kimbel und Donald Johanson, die über diesen Fund gerade in Science berichteten, ist dieser Knochen entscheidend bei der Unterscheidung eines Affen- und Menschenfußes, wenn man ihn im Längsschnitt betrachtet. Diese Knochen wirken als Stoßdämpfer und erlauben es, den Fuß beim Gehen abzurollen. Der Mensch hat dadurch im Vergleich zum Schimpansen (Pan troglodytes in der Abbildung) eine gebogene Fußform. Sehen kann man das an der mit dem blauen Pfeil gekennzeichneten Kurve. Der Ansatz des Knochens am Zeh (in diesem Fall: der “Ringzeh” des linken Fußes) ist beim Menschen wesentlich weiter oben als beim Schimpansen. Zwangsläufig ergibt sich so ein Gewölbe am Fußrücken.
Der Knochenfund fügt sich in eine Reihe anderer Funde, die alle zeigen, dass Lucy und ihre Verwandten dem heutigen Homo schon sehr ähnlich waren. Ihre Wirbelsäule hatte eine typische S-Form, perfekt um Schwingungen zu dämpfen. Ihre Hüfte ermöglichte eine balancierte Bewegung, was bei einem Gang mit nur zwei Extremitäten notwendig ist. Nun weisen auch die Füße darauf hin, dass sich Australopithecus afarensis dem heutigen Menschen ähnlich bewegt hat.
Heißt das, wir wissen jetzt genau wie Lucy sich bewegte? Natürlich nicht. Die Handknochen lassen eher darauf schließen, dass sie weiterhin eine geschickte Kletterin war. Außerdem sagen uns die Knochen nicht viel über die Ökologie der Hominiden zu der Zeit. Doch der Fund ist ein Puzzleteil, das uns hilft, das ganze Bild besser zu verstehen.
Das Puzzle geht weiter.
Ward, C., Kimbel, W., & Johanson, D. (2011). Complete Fourth Metatarsal and Arches in the Foot of Australopithecus afarensis Science, 331 (6018), 750-753 DOI: 10.1126/science.1201463
In erster Linie profitiert 3D-Kino davon, dass das Publiukum – wir – so für einen einfachen Kinoeintritt mittlerweile über 10 Euro hinblättern müssen. Vorbei ist die Zeit des 4,50 Euro Kinodienstag.
Ich würde ja behaupten dass ein einfacher Film, ein 2D-Film, mindestens genauso viel Dreidimensionalität besitzt wie ein 3D-Film. Die Eröffnungssequenz von Christopher Nolans The Dark Knight zum Beispiel: eine beeindruckende Kamerafahrt, deutlich in Anlehnung an Hitchcocks Markenzeichen, führt uns immer näher an ein komplett verspiegeltes Gebäude heran. Die Kamera ist digital wegretuschiert, so dass wir uns völlig frei durch die Luft bewegen. Schlagartig vergessen wir, dass wir in einem Kino sitzen und tatsächlich sind wir im Freiflug auf einen Wolkenkratzer zu. Das ist 3D, und zwar völlig ohne verdunkelnde Brille.
Vor ein paar Tagen schrieb der Oscarpreisträger Walter Murch, verantwortlich für den Schnitt bei Apolcalypse Now, an den Chicagoer Filmkritiker Roger Ebert. Wer Rogers Blog folgt, weiss dass er kein Freund von 3D ist. Und Herr Murch unterstützt ihn dabei voll und ganz. Der Brief ist äußerst lesenswert.
Aber die eigene Abneigung ist kein Grund, weswegen 3D-Kino uns bald wieder verlassen wird. Ich glaube aber, dass es sich auch heute nur um eine Modeerscheinung handelt. Und die Gründe, warum wir 3D bald wieder los sind, sind die gleichen wie schon bei den letzten Hochphasen in den 1950ern und 80ern.
Die Bilder werden dunkler
Jeder, der einen Film erst in 3D und dann in 2D schaut, wird feststellen, dass plötzlich ein Vorhang aufgeht und Licht auf die Leinwand fällt. Die Brillen verdunkeln das Bild, da sie nicht mehr so viel Licht ins Auge lassen. Pixars Oben, mit all seinen bunten Ballons und einem atemberaubenden Ausblick über Südamerika (ja, und über Iowa auch), wirkt blasser in 3D. Dabei müsste das gar nicht sein. Der Film ist im Computer entstanden, so dass man problemlos die Lichtstärke um ein paar Candela anheben könnte. James Cameron hat das für Avatar gemacht. Er wusste dass der Film in 3D zu dunkel sein würde, und kümmerte sich direkt beim Dreh um die Lichtverfügbarkeit.
Das zeigt aber, dass es möglich ist, einen Film in 3D zu produzieren, ohne die Qualität zu beeinträchtigen. Es wird selten gemacht, da viel Geld für diesen Prozess drauf geht, aber generell besteht die Möglichkeit. Es gibt allerdings ein Problem, dass in naher Zukunft nicht gelöst werden wird.
Unser Gehirn kann mit den 3D-Bildern nicht mithalten
Die Evolution des Menschen hat das 3D Kino nicht berücksichtigt.
Genauer gesagt, unser Auge ist kaum in der Lage, den plötzlich wechselnden Fokus bei einem Film nachzuvollziehen. Bei einem 2D-Film schauen wir auf eine Ebene, die in einem bestimmten Abstand von uns entfernt ist. Wir fokussieren auf sie und können den gesamten Film dann genießen. 3D macht es uns nicht so einfach. Hier wird die Ebene zu einem Raum aufgeblasen. Es gibt Charaktere, Autos, Gebäude, Pflanzen, Tiere und komische Pusteblumensamen-ähnliche Kreaturen, die in verschiedenen Ebenen des Raumes existieren. Uns wird zwar vorgeschrieben, auf welche wir uns konzentrieren sollen, aber dennoch müssen wir ständig den Fokus wechseln. Das alleine wäre noch nicht so schwer – wir tun das im Alltag ständig. Doch ein Film arbeitet mit cinematischen Mitteln, Schnitten und zum Teil plötzlichem Schärfewechsel, dem wir zwei Stunden lang folgen müssen.
Walter Murch erklärt das Ganze mit Hilfe eines Salzstreuers, der vor einem Fenster steht. Fokussiert man auf die Bäume und Nachbarn draußen, besteht unsere Blick aus zwei fast parallel laufenden Linien. Doch betrachten wir dann den Salzstreuer auf dem Tisch, formen wir ein virtuelles Dreieck – zwischen dem Streuer und unseren beiden Augen. Das geschieht, indem sich unsere Augen in ihren Augenhöhlen leicht aufeinander zu bewegen. Im Extremfall fangen wir an zu Schielen.
Dieser Prozess nennt sich Konvergenz. Bei einem gesunden Menschen dauert dieser Prozess des Scharfstellens max. 400 Millisekunden. Das ist zwar nicht viel, aber im Alltag müssen wir seltener und weniger plötzlich diesen Fokus wechseln. Bei einem sich bewegenden Objekt kann es sogar bis zu einer Sekunde dauern, vom Zeitpunkt des Stimulus bis zu dem Moment, auf dem wir unser Auge komplett auf das Objekt scharf gestellt haben.
Im Kino richten wir unsere Augen auf die Leinwand, während unser Fokus überall im Raum umher irrt. Das ist das der Grund, warum man Kopfschmerzen kriegt. In der Regel haben jüngere Besucher erwartungsgemäß weniger Probleme mit dieser Schwerstarbeit im Kinosessel.
(EDIT: Leser Mark hat in den Kommentaren das Problem von Konvergenz und Fokus wesentlich eleganter formuliert: “Der zentrale Kritikpunkt kommt in dem Artikel m.E. gar nicht richtig rüber: Im 3d-Kino müssen sich die Augen relativ zueinander so bewegen, als wären die betrachteten Gegenstände unterschiedlich weit entfernt (Konvergenz). Das Auge (die Linse) muss jedoch immer auf die Leinwand fokussieren, die in konstanter Entfernung vor dem Betrachter angebracht ist. Und das ist es, was vielen Menschen Kopfschmerzen bereitet. Und dafür gibt es auch keine technische Lösung, von bewegten Hologrammen mal abgesehen.”)
Wer entscheidet eigentlich was ich mir anschaue?
Der 3D-Effekt soll uns suggerieren wir wären in dem Film. Wie im echten Leben folgen wir den Charakteren durch ihre eigene Welt, doch ist uns nicht erlaubt selbst zu entscheiden, auf welchen wir fokussieren. Tiefenschärfe gibt uns vor wo die Action stattfindet. Bei einem komplexen Bildaufbau bedeutet das jedoch, dass wir uns bei jedem neuen Bild erst zu Recht finden müssen. In Avatar gibt es eine Szene, in der der Protagonist durch den Wald zu einer Reihe von Pflanzen kommt. Er berührt sie und plötzlich lösen sie sich in Luft auf, ziehen sich in die Erde zurück. Es gab viele dieser Pflanzen und ich wollte mir die Pflanzen genauer ansehen. Doch die Schärfe blieb bei dem Mann und den Pflanzen in seiner unmittelbaren Nähe.
Durch so eine Entscheidung tauchen wir nie in die 3D-Welt ein. Trotz aufwändiger Effekte bleiben wir immer in der vom Regisseur vorgeschriebenen Ebene, im Grunde nichts weiter als ein 2D-Film in einem 3D Raum. Schlimmer noch sind die Fälle in denen bildfüllend unscharfe Menschen durchs Bild rennen, aber unser Gehirn dazu gezwungen wird, sie zu ignorieren.
Die einzige Lösung für dieses Dilemma wäre, alles im Film scharf zu stellen, und dem Publikum die Entscheidung zu überlassen. Aber dann wären wir tatsächlich fast beim Hologramm, beim Holo-Deck – und das wäre fraglos ein atemberaubendes Erlebnis.
Quentin Tarantino ist der einzige Regisseur, von dem ich weiß, dass er bewusst so mit Tiefenschärfe spielt. In Pulp Fiction verfolgt Marcellus Wallace einen blutenden Butch; an einem Punkt verschnauft Butch an einer Hauswand während wir Marcellus stolpernd durch die Gassen rennen sehen – 100 Meter entfernt. Trotzdem sind beide gestochen scharf. In Jackie Brown gibt es bei mehreren Dialogen ähnliche Effekte; auch wenn die Charaktere nur ein paar Meter voneinander entfernt stehen, sind sie eindeutig schärfer als das erlaubt sein dürfte. So etwas kann entweder mit digitaler Nachbearbeitung, mit einer speziellen Split Field Lense oder einer extrem hohen Blendenzahl erreicht werden.
Ich denke, das ist auf kurz oder lang die einzige Option für einen 3D-Film. Denn solange der Film unser Gehirn dermaßen beansprucht, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir uns auf Dauer freiwillig in einen dunklen Saal setzen und zwei Stunden lang unsere Augen müde machen. Nicht für über 10 Euro!
Ich warte auf das Holodeck!
]]>Das Video ist von der BBC und zeigt beeindruckende Aufnahmen eines Wanderfalkens im Flug. Dank der Kamera auf dem Rücken des Tieres können wir einen Eindruck davon kriegen, was es bedeutet, wie ein Vogel zu fliegen.
Der Wanderfalke ist das schnellste Tier der Welt. Sein Jagdverhalten findet ausschließlich in der Luft statt, und dank der unheimlichen Manövrierfähigkeiten ist der Wanderfalke in der Lage einen Sturzflug von 240 kmh hinzulegen, nur um im letzten Moment wieder aufwärts zu fliegen.
Wer wissen will wie es aussieht, wenn man mit der Geschwindigkeit eines ICEs über die britische Küste fliegt und geradezu halsbrecherisch durch einen dichten Wald zischt, hier gibt es die Gelegenheit …
Viel Spaß!
]]>Dieses Jahr werden wir alle gemeinsam die genauso magische wie gruselige Grenze von 7 Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde erreichen. Ich erinnere mich gar nicht, wie es war, als wir vor etwas über 10 Jahren 6 Milliarden wurden, aber es erschreckt ein wenig wie schnell sich der Homo sapiens auf unserem Planeten ausbreitet.
Jeder redet ja davon dass wir die Kapazität der Welt langsam erreicht haben, dass der unglaubliche Anstieg unserer Bevölkerungsdichte zu einem unweigerlichen Kollaps führen wird. 7 Milliarden Menschen! Das kann doch einfach nicht mehr lange gut gehen. Und wenn ich mir nicht Gedanken über den nächsten Versuchsaufbau oder über die spitzen Zähne unseres Hundes mache, dann denke ich schon ab und zu darüber nach, was passieren wird wenn wir 7, 8 oder sogar 9 Milliarden erreichen.
Vor ein paar Tagen hat Christoph vom ErklärFix dann aber ein Video auf seinen Blog gestellt, eine Art Vorschau oder Werbung für die Serie „7 Milliarden Menschen” von National Geographic. Seitdem lässt mich eine Frage nicht los: Wieviel Platz braucht der Mensch wirklich? In dem Video wurde behauptet, dass die gesamte Weltbevölkerung, Schulter an Schulter stehend, in die Stadt Los Angeles passe. Das ist eine Fläche von gerade mal 1200 Quadratkilometern.
Sind 7 Milliarden Menschen, auf den ganzen Planeten verteilt, wirklich den ganzen Ärger wert?
Natürlich kann man das so nicht betrachten, also recherchierte ich ein wenig danach, welchen Einfluss wir denn jetzt eigentlich auf die Welt haben. Ich mag ja problemlos auf einer Fläche von 42×42 cm stehen können, aber tatsächlich beanspruche ich ja viel mehr Platz: die Wohnung, den Fahrradkeller, das Büro und Labor an der Uni, den Sitzplatz im Zug? Wieviel Platz brauchen wir also?
Ich habe mal eine kleine Grafik erstellt, um mir die Fläche der Erde vor Auge zu führen:
Laut den Geographen Erle Ellis und Navin Ramankutty haben wir tatsächlich viel größeren Einfluss auf die Erdoberfläche als nur durch unsere nackten Bauten. 78% des nutzbaren Landes (also ohne Gewässer und exklusive von Eis bedeckter Flächen) haben wir auf irgendeine Weise verändert, sei es durch Weiden (26%), Getreidefelder (12%) oder die großen Städte (0,4%). Dazu kommen von uns nicht genutzte Flächen, die aber von bebauten Bereichen komplett eingeschlossen sind (sogenannte „novel environments”). Für ihr Paper “Putting people in the map: anthropogenic biomes of the world” (PDF) erschufen die Autoren den Begriff Anthrom (anthropogenes Biom). Sie teilten die Welt unter Berücksichtigung des menschlichen Einflusses in 18 Anthrome ein und verglichen den Anteil jeder Bereiche in den einzelnen Kontinenten.
Nun untersuchten sie im letzten Jahr die Veränderungen in der Nutzung über die letzten 300 Jahre (Hier die PDF dazu.). Seit dem Jahr 1700 wandelte sich unser Planet von „größtenteils wild” zu „größtenteils anthropogen”. Sie erstellten dabei Karten der menschlichen Nutzung für jedes Jahrhundert und projizierten sie auf unsere blaue Kugel. Diese kann man sich bei Google Maps hier genauer anschauen (oder sie z.B. für das Jahr 2000 für Google Earth herunterladen).
Der Einfluss des Menschen ist also – wie ja irgendwie auch nicht anders zu erwarten war – weit größer als nur diese 1200 Quadratkilometer. Berücksichtigt man alleine die von uns für Landwirtschaft und Städtebau genutzte Fläche (39% der gesamten nicht mit Eis bedeckten Landflächen, das sind ca. 58 110 000 km2), hat im Durchschnitt jeder Mensch etwa 8545 m2 zur Verfügung. Das ist eine Fläche, die größer ist als ein reguläres Fußballfeld.
Ich schätze mal, ich nehme vielleicht tatsächlich eine Fläche von ein paar hundert Quadratmetern ein, aber da ich in mehrstöckigen Häusern wohne und arbeite kommt dabei pro Person gar nicht so viel bei rum. Und während George Lucas 60 000 m2 alleine bei sich zu Hause bebaut hat, rechnen Leute anderswo mit einzelnen Quadratmetern. Jeder 6. Mensch lebt in Indien, jeder 7. Mensch in einem Elendsviertel mit nicht viel mehr Platz als den 42×42 cm. Mittlerweile gibt es 21 Megacities mit über 10 Millionen Menschen, in denen der Raum auch langsam knapp wird. Trotzdem ziehen jedes Jahr immer mehr Menschen dorthin.
Wir Menschen haben uns enorm ausgebreitet. 7 Milliarden passen vielleicht nach Los Angeles, aber in einer vernetzten Welt wie der unseren würde sich niemand mit so engem Raum zufrieden geben. Es gibt kaum einen Ort, der nicht mit einem anderen verbunden ist. Es gibt kaum einen Ort auf der Welt, den man nicht innerhalb von 48 Stunden erreichen kann. Auch deshalb bauen wir uns immer mehr Platz, mehr als wir eigentlich brauchen.
Wer bei dem Gedanken an 7 Milliarden Menschen klaustrophobisch wird, dem empfehle ich übrigens diesen Ort:
34,7° Nord; 85,7° Ost
Das ist der am entlegenste Ort der Welt, das Tibetanische Plateau.
]]>Ein Team aus Harvard nutzte jetzt einen Großteil des Archivs von Google Books – das sind über 5 Millionen eingescannte Bücher, oder 4 % aller jemals gedruckten Werke – um die Rolle von Sprache in unserer Gesellschaft über die Zeit zu verfolgen. Sie werteten 500 Milliarden Wörter aus sieben Weltsprachen aus (37 Milliarden davon aus deutschen Büchern). Eine riesige Datenmenge. Zum Vergleich: Das menschliche Genom besteht aus ca. 3 Milliarden “Buchstaben”. In ihrer Publikation erläutern die Autoren diesen Datenwust noch weiter: Wenn man in einer geraden Linie schreiben würde, könnte man mit dieser Anzahl an Worten die Strecke von der Erde zum Mond zehnmal überbrücken. Versucht man das aber als sterblicher Mensch zu lesen, kommt man nicht weit – allein die Einträge aus dem Jahr 2000 würden bei zügigem Lesen (und ohne zu essen oder zu schlafen) 80 Jahre dauern.
Die Auswertung wurde selbstverständlich von Computern übernommen und ist bei Google mittlerweile über den sogenannten Ngram Viewer 1 verfügbar. Er lädt ein zum Herumspielen. Jürgen von Geograffitico hat dies auch schon mal getan, um zu sehen wie viel in den letzten paar Jahrhunderten eigentlich über Gott und die Welt geschrieben wurde.
Die Analysen, die nun online in Science veröffentlicht wurden, sind spannend. Im englischsprachigen Raum hat sich der Wortschatz zwischen 1900 und 2000 von ca. 500 000 Wörtern auf über 1 Million fast verdoppelt. Im Deutschen ist die “Frau” zunehmend stärker in Büchern aufgetaucht. Zwischen 1936 und 1944 verschwand der Künstler Marc Chagall aus den meisten deutschen Büchern, genau wie Pablo Picasso, während sie im englischen Sprachraum gleichmäßig weiter anstiegen. In der Kategorie “Berühmte, häufig erwähnte Persönlichkeiten” war lange Zeit “Sigmund Freud” deutlich in Führung, seit ca. 1995 fiel er aber stark ab und läuft Gefahr von “Charles Darwin” und “Albert Einstein” überholt zu werden.
Das nächste Ziel der Wissenschaftler ist der Kontext, in dem Worte, Namen und auch Zahlen auftauchen. Sie wollen die unmittelbaren Umgebung von Worten genauer untersuchen. Interessant fänden sie zum Beispiel ob der Kontext, in dem “Gott” erwähnt wird, sich über die letzten Jahrhunderte änderte.
Die Evolution der Grammatik
Ein spezielles Augenmerk wurde auf Verben gerichtet. Im Englischen gibt es ja irreguläre und reguläre Verben. Irreguläre sind die, die man in der Schule auswendig lernen musste, aber die doch sofort wieder aus den Köpfen verschwanden (to go, went, gone); nur durch die vielen regulären Verben machte der Englischunterricht glücklicherweise doch noch Spaß (to enjoy, enjoyed, enjoyed). Dies wurde durch die Studie bestätigt. Einfach zu merkende Verben trotzten den schweren Zeiten besser als komplizierte. Oder wie die Autoren es schön formulieren:
Eines meiner Lieblingsworte (im Englischen), mit dem ich mich immer rumärgern musste weil ich konstant den Eindruck hatte, es falsch zu benutzen, bekam eine Sonderstellung in der Studie. “to sneak” heißt schleichen, oder auch stibitzen. Interessanterweise wechselte in den USA die Popularität der Vergangenheitsform von Jahr zu Jahr. Während in manchen Jahren die Vergangenheitsform “sneaked” favorisiert wurde, ist es in einem anderen “snuck”. Ich bin erleichtert zu lernen, dass nicht nur ich die beiden jeweils nach Stimmung und Wetterbedingungen (oder sonst irgendwelchen willkürlichen Begründungen) auswählte. Es ist die gesamte US-amerikanische Literatur – oder genauer gesagt: 4 % davon.
Manche irregulären Worte stehen aber völlig vor dem Aussterben. In den USA, und zunehmend auch in England, weichen die -t Endungen wie z.B. von “smelt” (gerochen) und “burnt” (gebrannt) neuen Formen wie “smelled” und “burned”.
Wenn dies natürliches Artensterben ist, wie müssen wir dann unsere tolle “neue” Rechtschreibung verstehen?
E wie Extinktion
Worte sterben also auch aus. “Gott” ist seit 1850 immer seltener in Büchern vorgekommen. Erst letztes Wochenende unterhielt ich mich mit Freunden beim Essen darüber, was eigentlich aus dem “Vetter” geworden ist. Es dauerte einen Moment bis ich mir in Erinnerung gerufen hatte, dass es sich dabei um einen Cousin handelte. Wahrscheinlich deswegen, weil ich in meiner Familie mehr Kontakt zu meinen “Basen” pflege. Schulkinder von heute finden es zunehmend schwerer Worte zu finden, die alternativ für “gehen” benutzt werden können. Liegt das daran, dass abgesehen von Bundeskanzlern niemand mehr “schreitet” oder daran, dass Kinder von heute mehr zu Hause bleiben und “chillen” anstatt sich zu bewegen? Nein, das sind wahrscheinlich ungerechtfertigte Unterstellungen, aber in einem Zeitraum von gerade mal 20 Jahren sieht man schon, wie sehr der Wortschatz der Generationen sich unterscheidet.
Lol.
Was aber, wenn man den Wortschatz einer einzigen Person über ein gesamtes Leben verfolgen könnte? Findet man dann ähnliche Veränderungen? Professor Ian Lancashire von der Universität Toronto hat genau das gemacht. Er untersuchte die Werke von Shakespeare, Geoffrey Chaucer und John Milton und fand unter anderem, dass letzterer nie das Wort “because” benutzte. Schließlich widmete er sich letztes Jahr einer Leidenschaft, den Kriminalromanen von Agatha Christie. Er untersuchte die Frequenz, mit der unterschiedliche Wörter benutzt wurden. Zufällig wählte er 16 Romane aus, die von Miss Christie innerhalb von 50 Jahren geschrieben wurden. Als er bei einem ihrer letzten (dem 73sten der Autorin, geschrieben mit 81!) ankam, bemerkte er etwas Merkwürdiges. Das Buch hieß Elefanten vergessen nicht, doch genau dies passierte Agatha Christie. Sie verlor etwa ein Fünftel ihre Vokabeln. Worte wie “something” und “anything” nahmen erheblich zu, doch die Vielfalt in der Sprache war weg.
Prof. Lancashire sieht dies als ein Indiz dafür, dass Agatha Christie an Alzheimer litt. Die Krankheit wurde bei ihr nie diagnostiziert, aber die Hinweise durch ihr 73. Buch lassen darauf schließen, dass sie selbst so etwas vermutete: In dem Buch geht es um eine alternde Autorin, die Hercule Poirot bei einem Fall zu helfen versucht, obwohl sie starke Gedächtnisprobleme hat.
Es wäre interessant zu sehen, in wie weit sich Agatha Christies Wortschatz über ihr Leben verändert hat, welche neuen Worte hinzugekommen sind und welche ersetzt wurden. Bei jedem von uns, genau wie in der Gesellschaft als Ganzem, kann man solch eine Veränderung entdecken. Ich habe zum Beispiel bemerkt wie die Häufigkeit des Wortes “anscheinend” in meinem Wortschatz angestiegen ist, während das Wort “scheinbar” mittlerweile nur noch in wenigen Fällen auftaucht.
Um ein Wort muss man sich übrigens keine Sorgen machen. In der deutschsprachigen Literatur (oder besser: in den 4 %, die wir bisher kennen) ist es in den letzte zweihundert Jahren stetig angestiegen. In diesem Sinne:
Frohe Weihnachten
1 n-gram steht für n Worte, die vorne und hinten mit einem Leerzeichen begrenzt sind. 1-gram ist so etwas wie “Autobahn”, 2-gram ist z.B. eine “große Straße”. Der Viewer macht übrigens jede Menge Spaß, ausprobieren lohnt sich.
Michel, J., Shen, Y., Aiden, A., Veres, A., Gray, M., , ., Pickett, J., Hoiberg, D., Clancy, D., Norvig, P., Orwant, J., Pinker, S., Nowak, M., & Aiden, E. (2010). Quantitative Analysis of Culture Using Millions of Digitized Books Science DOI: 10.1126/science.1199644
]]>Heute kann man sich einen ersten Eindruck vom Comic machen, denn das dritte Kapitel “E Is For Extinction” ist schon mal als PDF herunter zu laden. Es mag auf Anhieb etwas wirr und überdreht erscheinen, denn die Geschichte wird von zwei außerirdischen Kreaturen erzählt, die die Erde genaustens untersuchen. Da gibt es den König der Squinch, einer asexuellen Art des Planeten Glargal, und den interplanetarischen Biologen Bloort 183, der dem König von der Erde erzählt. Beide sind auf der Suche nach der Heilung für eine genetische Krankheit, die ihre Art bedroht.
2009 erschien “The Stuff of Life”, quasi Teil 1 der Serie um die wirren Außerirdischen. Darin erkunden sie alles zur Genetik:
“Evolution” erscheint wie sein Vorgänger kein einfaches Buch zu sein. Zwar ist es an Kinder ab 10 gerichtet, aber wenn der PDF-Ausschnitt einen guten Eindruck des gesamten Buches wieder gibt, wird versucht, sehr viel Detail zu vermitteln. Viel wird mit paläontologischen Begriffen um sich geworfen, und wer sich in den geologischen Zeitskalen nicht bestens auskennt, wird das Triassic wohl einfach als “einen Zeitraum” hinnehmen müssen. Doch die Begriffe werden mit Leben und bunten (wenn auch nicht farbig illustrierten) Charakteren gefüllt.
Ich muss zugeben, ich finde das Kapitel lustig, auch wenn ich mit den Squinch nicht viel anfangen kann. Jay Hosler ist sehr amüsant, und manche der Zeichnungen hier sind echt beeindruckend. Wie z.B. der Abschnitt über die Dinosaurier (ein Klick darauf vergrößert die Ansicht):
Die Geschichte um die Paleoptera (Libellen- und Eintagsfliegenartige, die ihre Flügel nicht falten konnten) ist besonders schön erzählt. Auch wenn die Paleoptera allgemein eher als paraphyletisch angesehen werden, und deren Auftauchen hier wirkt, als handele es sich um eine feste klassifizierte Gruppe, erklärt Mr. Hosler die Rolle der Ökologischen Nische in der Evolution sehr schön.
Wie auch immer – für alle, die Comics mögen und sich auch interessante Texte zu Evolutionsbiologie gerne zu Gemüte führen, ist das vielleicht genau das Richtige.
Ich denke ich falle ganz bestimmt in beide Kategorien.
]]>Wenn im Januar hier in Deutschland der neue Film Tron: Legacy anläuft, wird er mit vielen neuen Spielzeugen und einem überdimensionalen Aufwand an Werbung erscheinen. Unter anderem wird dann aber auch das Computerspiel Tron: Evolution im Handel erhältlich sein. Für jeden, der den Film von 1982 nicht mehr auswendig im Kopf hat: es geht darum, dass Menschen in eine im Computer existierende Welt eintauchen, in der es nur so wimmelt von Möglichkeiten, eine Handlung für ein Actionspiel zu aufzubauen. Doch wenn dort von Evolution geredet wird, dann meinen die Entwickler lediglich die Weiterentwicklung dieser Welt von 1982 zu einer Welt von 2010. Und Evolution selbst wird, soweit ich das bisher beurteilen kann, nirgends im Spiel eine Rolle spielen. Genauso wenig wie in den “Evolutionsspielen” der letzten Jahre: Pro Evolution Soccer, Dance Evolution, GTR Evolution oder 4×4 Evolution. Auch beim Spiel Natural Selection wurde lediglich das mittlerweile zum Klischee verkommene “Überleben des Stärkeren” ausgenutzt – nur wenn du das Alien zuerst tötest, kannst du überleben.
Das hat mit Evolution alles herzlich wenig zu tun.
Phylo
Letzte Woche erschien aber im Internet ein neues Spiel. Allerdings erschien es ohne die üblichen Werbekampagnen, Vorstellungen auf Computerspielmessen und Trailern auf YouTube. Der Grund ist so einfach wie nachvollziehbar: für Werbung fehlte das Budget. Denn das Spiel ist von einer Universität produziert worden (und die haben bekanntermaßen nicht viel Geld). Genauer gesagt, es wurde von zwei jungen Studenten im Labor von Professor Jerome Waldispuhl an der McGill Universität in Kanada entwickelt. Das Spiel heißt Phylo und ist für jeden frei zugänglich und online spielbar. Ziel des Spieles ist es, einen genetischen Code von zwei nahe verwandten Lebewesen so anzuordnen, dass bei seiner Entstehung möglichst wenige Mutationen notwendig waren. Für Löcher im Code gibt es Minuspunkte, für Übereinstimmungen Pluspunkte.
Gleiche Regionen sind dabei solche die einen gleichen evolutionären Ursprung haben und z.B. in Affen und Menschen beide vorkommen. Dieser Code (im Grunde nichts anderes als DNA) mag für ein bestimmtes Protein stehen, oder er ist verantwortlich für den Haarwuchs an einer bestimmten Stelle am Kopf, oder aber er verursacht Brustkrebs. Die Codes in diesem Spiel sind nämlich alles tatsächlich existierende Sequenzen, die alle mit einer Reihe von Krankheiten assoziiert werden. Der Gedanke dahinter ist, dass die Daten, die einer Spieler am Computer produziert, von den Wissenschaftlern hinter Phylo ausgewertet werden. Die Kreativität und Intuition des Menschen soll so für die Datenanalyse ausgenutzt werden.
So etwas ist nichts Neues: Foldit fordert Spieler auf, Proteine zu kreieren und dabei den Wissenschaftlern zur Hand zu gehen. Und der Galaxy Zoo bietet anscheinend das Gleiche für Astronomie-interessierte Spieler an.
Bei meinen ersten Durchgängen muss ich zugeben: das Spiel ist nicht einfach. Es macht Spaß und ist vorbildlich designt. Durch einen kleinen Stammbaum neben dem Code lernt man nicht nur mehr über die phylogenetische Verbindung der Organismen kennen, man kann sich auch den Ursprungscode des gemeinsamen Vorfahren anzeigen lassen.
Ich muss aber zugeben, dass ich das Wertungssystem noch nicht ganz durchschaue. Bei meinen Spielen bekam ich grundsätzlich die meisten Punkte, wenn ich alle Basenpaare (oder hier: bunte Würfel) an den linken Rand schob. Die unverhältnismäßig große Bestrafung von Lücken im Code (-5 Punkte) gegenüber den geringen Belohnungen für Übereinstimmungen (+1 Punkt) erinnert mich da eher an Quidditch – dort frage ich mich auch immer, warum überhaupt irgendwer sich um die Punkte kümmert, wenn am Ende eh das Team gewinnt, welches den Goldenen Snitch fängt (150 Bonuspunkte!).
Spore
Ich will mich gar nicht lange an diesem Spiel aufhalten, da seit seinem Erscheinen 2008 genug darüber geredet wurde. In diesem Spiel muss man einen Einzeller “erschaffen” und ihn nach und nach hin (hinauf?) zu einem komplexen, intelligenten Lebewesen evolvieren. Der Entwickler des Spiels behauptet zwar, dass man dies gar nicht unbedingt muss, aber dann kommt man im Spiel eben nicht weiter:
Das “Evolvieren” findet hier eher statt, indem man seinem Tier irgendwelche Körperteile “anklebt”. Diese haben allerdings wenig oder gar keine Auswirkung auf die Fitness des Tieres. Allerdings greift Spore trotz alledem wichtige Punkte auf: In dem Spiel so wie beim tatsächlichen Evolvieren entwickeln sich einfache Kreaturen zu komplexeren, ein Prozess der, wenngleich nicht notwendig, sehr verbreitet ist. Außerdem sind die Lebewesen aus Spore meist bilateralsymmetrisch und geben so den Großteil der tatsächlichen Tiervielfalt wieder. Schließlich ist das Ankleben von Körperteilen vielleicht eine sehr vereinfachte Variante der Evolution, aber die Entscheidung zu solch einem Teil fällt meist auf Gedanken der Anpassung zurück. “Oh, der dritten Fuß bei dem komischen Nashorn dort scheint sehr hilfreich zu sein. Es läuft mir immer davon, wenn ich es angreife.” Man verändert sein eigenes Tier daher in der Regel nur wenn es einen Vorteil bringt. Tut es das nicht, tauscht man sein drittes Bein schnell wieder gegen ein Paar Geweihe.
Who Wants to Live a Million Years?
In der Welt der Online-Gelegenheitsspiele gibt es eine große Zahl an Spielen, die Evolution zum Thema machen. Die Flash-Games Monster Evolution und Evolution 2 bedienen sich da eher dem Spore-Prinzip: der Spieler spielt Gott und entscheidet welchen Weg die Kreatur gehen soll. Das ist künstliche Selektion, wenn überhaupt. Leider findet die Entwicklung dann auch immer vom Einzeller im Wasser zum intelligenten Wesen im Weltraum statt. Ich denke dass solche Spiele eher wenig zum Verständnis der Evolution beitragen. Liest man in Foren und bei Youtube die Kommentare zu Spore oder solchen Spielen, ist leider nur wenigen Kommentatoren Natürliche Selektion ein Begriff, und Mutationen dienen eher dazu, ein Individuum zu verbessern.
“Komm, ich lasse mir Flügel wachsen, damit ich den schießenden Soldaten davon fliegen kann.”
Eine wunderbare Alternative ist das zum Darwin-Jahr 2009 produzierte Online-Spiel des Science Channels: Darwin’s Survival Game. Liebevoll designt, mit einem Charlie Darwin in der Ecke, der mit ausgefallenen Hüten für Unterhaltung sorgt während er Tipps gibt. Und zum ersten Mal steuert man nicht die Evolution, sondern lediglich die Verbreitung einer Anpassung in der Population. Steht ein kalter Winter bevor, lohnt es sich, Allele für dickes Fell in der Population zu haben. Ziel ist es, seine Population möglichst divers zu halten, damit sie die 1-Million-Marke erreichen. Aber selbst wenn man mal nicht an alles gedacht hat, darf man als Joker eine neue Mutation einbringen.
Darwin Pond
Es gibt viele lehrreiche Spiele zur Evolution, manche sind dabei besser gemacht als andere. Bei denen fehlt es meist nur leider am Spaß und an einem schönen Design. Wo ist das Spiel in ansprechender 3D-Grafik, in dem ich die Allelverteilung in den Populationen bestimmen darf und die Ökologie verändere um es den kleinen, süßen Kreaturen nicht zu einfach zu machen?
Das Nächstbeste, was ich finden konnte, ist Darwin Pond, eine Simulationssoftware ähnlich dem berühmten Blinden Uhrmacher von Richard Dawkins (den man übrigens mittlerweile auch online ausprobieren kann). Schön ist bei Darwin Pond allerdings das Spielelement. Es ist nichts weiter als eine Simulation von kleinen, schwimmenden Viechern in einem Teich; aber ihr Aussehen und ihre Fähigkeiten hängen von vielen Faktoren ab. Sie haben Farbpräferenzen bei den Partnern, unterschiedlich komplexe Bewegungen, sie sind ständig auf der Suche nach Futter, und man kann sich in die Evolution der Population einmischen indem man künstliche Mutationen herbeiführt. Aber bei dem Versuch, eine gesunde dreibeinige Gruppe zu evolvieren (oder zwei Populationen, die sich nicht mehr miteinander paaren), stellt man eines fest: Egal was man tut, am erfolgreichsten und gesündesten sind die Tiere dann, wenn man sie in Ruhe lässt. Nach 6 Stunden hat sich ein gesundes, aber durchaus spannendes Gleichgewicht eingestellt. Die Grafik ist dem Spielalter entsprechend simpel (die erste Version ist von 1996), aber als Biologe muss ich zugeben: es macht erstaunlich Spaß!
Das perfekte Evolutionsspiel gibt es bisher leider nicht. Eine Simulation schafft es nur bis zu einem bestimmten Punkt, Spielspaß zu entwickeln. Aber Evolution funktioniert nun mal nicht als Actionspiel, und nicht als Taktik- oder Strategiespiel. Das widerspricht dem Kerngedanken des Ganzen …
Das perfekte Spiel mit Evolution als Schwerpunkt? Für mich wäre es wahrscheinlich eine Art Puzzle.
Kennt sonst noch jemand ein Spiel, sei es zur Unterhaltung oder zum Lernen, in dem evolutionsbiologische Konzepte benutzt oder erklärt werden?
]]>Wenn dann aber jemand kommt, der sich weigert, in diese Schublade gesteckt zu werden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er sein Studium nicht mit einer Professur abschließen wird. Oder: er wird ein Genie.
Ein kleiner Artikel zum Todestag von J. B. S. Haldane
(weil sein Geburtstag schon letzten Monat war)
Ich weiß nicht ob jeder einen Lieblingsbiologen braucht. In vielerlei Hinsicht kann ich aber sagen, dass John Burdon Sanderson Haldane nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen anderen Wissenschaftlern, Philosophen und sogar Science Fiction-Autoren einer der beliebtesten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts war. Eventuell lag es an seinen unzähligen, bekannten Zitaten, auf die man immer wieder stößt (wenn jemand welche kennt, möge er sie gerne in den Kommentaren ergänzen); oder daran, dass man sich irgendwie in ihm selbst wieder finden kann. Zu seinem 100sten Geburtstag schrieb der Genetiker James F. Crowe über Mr. Haldane: “Er machte zu viele Sachen, hatte zu viel Zerstreuung, er war zu vielseitig, er interessierte sich zu sehr für die Arbeiten anderer, und er war zu aufgeschlossen, als dass er spezifische Ideen verfolgte.”
J. B. S Haldane war einer der bekanntesten Genetiker des letzten Jahrhunderts. Nach ihm benannt ist die Briggs-Haldane Gleichung, eine Abwandlung der Michaelis-Menten-Gleichung; und die Haldane-Regel: In Säugetieren, Vögeln und verschiedenen Insekten ist es demnach immer das heterogamete Geschlecht (das mit zwei verschiedenen Geschlechtschromosomen, bei uns also die Männer), welches bei der Kreuzung unterschiedlicher Arten steril oder einfach seltener ist.
Aber solch Kleinigkeiten sind genauso wenig der Grund für seine Bekanntheit wie die ganzen Publikationen, die er über sein Leben verteilt produziert hat. Haldane liebte es, die Wissenschaft populär zu machen. Auf die verschiedensten Arten. Der Historiker (und “singende Darwin”) Richard Milner bezeichnete ihn als “einen der großen Lausebengel in der Wissenschaft” (im Englischen: one of the great rascals of science). Er bezog sich wahrscheinlich darauf, dass Haldane nie ein Blatt vor den Mund nahm, wenn es darum ging, etwas auf den Punkt zu bringen. In einer neuen Einleitung zu einem seiner bekanntesten Texte – Daedalus, or Science and the Future (1924), einem fiktiven Aufsatz über die revolutionäre Rolle der Biologie, in dem er das “Retortenbaby” vorhersagte – schreibt er:
Haldane war bei Weitem kein vorbildlicher Biologe. Er lernte Mendelsche Genetik durch Experimente mit den Mäusen seiner Schwester, trank Salzsäure um den Effekt auf seine Muskeln zu untersuchen und nachdem er gelernt hatte, während des Redens ein und aus zu atmen, irritierte er seine Kollegen mit Vorträgen ohne Atempausen. Bei einem Versuch in einer Dekompressionskammer durchlöcherte er aus Versehen sein Trommelfell, was ihn zu der Aussage bewegte: “Das Trommelfell heilt wieder. Und wenn ein Loch zurückbleiben sollte, ist man zwar etwas taub, aber man kann Tabakrauch durch das entsprechende Ohr ausblasen – was eine ziemlich unterhaltsame Leistung darstellt.” Sein Biograph bezeichnete Haldane als “cuddly cactus”, ein anschmiegsamer Kaktus, und es ist nicht schwer zu verstehen, was er damit meinte.
Fraglos waren es aber seine vielen Interessen, die ihm einen weiten Überblick über das gesamte Feld der Biologie verschafften. Er forschte und veröffentlichte zu solch vielfältigen Themen wie Atmung und enzymatischen Reaktionen beim Menschen, Biochemie von Pflanzen, genetische Rekombination, Malariaresistenz und Evolution. Er argumentierte oft und gerne für die entscheidende Rolle von infektiösen Krankheiten bei der Evolution des Menschen. Schließlich waren es aber seine mathematischen Modelle zu Selektion und Allelfrequenzen, die ihn zu einem der Begründer des Feldes der Populationsgenetik machten.
Eines seiner berühmtesten Zitate gab er seinem wohl berühmtesten Schüler, John Maynard Smith, mit auf den Weg und öffnete so die Tür für die Verwandtenselektion:
Können wir denn jetzt aus so einer verrückten Biografie etwas lernen? Ich merke manchmal, dass ich viel zu viele Interessen habe. Aber wie man an Mr. Haldane sehen kann, auch mit vielfältigen Interessen kann man es noch zu etwas bringen. Oder?
J. B. S. Haldane starb am 1. Dezember 1964 an Krebs, doch nicht bevor er seine Situation kommentierte – in einem Gedicht, das mit den folgenden Worten endete:
But so do cars and sleeping pills;
And it can hurt one till one sweats,
So can bad teeth and unpaid debts.
A spot of laughter, I am sure,
Often accelerates one’s cure;
So let us patients do our bit
To help the surgeons make us fit.
Dies ist wahrscheinlich eines der bekanntesten und am Häufigsten gebrauchten Zitate aus der Evolutionsbiologie. Man findet es irgendwann sicher in jedem Biologiestudium, am Anfang von Biologietextbüchern, zur Einleitung von Papern und letztendlich auf irgendwelchen … Blogs. Genau, mir gefällt das Zitat so gut, dass ich es für meine Blogbeschreibung schamlos ausgenutzt habe. Warum? Na, weil es sich doch toll anhört und super in einen Blog über Evolution passt, oder?
Aber steckt da eventuell nicht etwas mehr hinter? Vielleicht macht tatsächlich nichts Sinn ohne Berücksichtigung von den zu Grunde liegenden evolutionären Prozesse. Oder handelt es sich bei dem Zitat um eine übertrieben gebrauchte Floskel, die völlig aus seinem Zusammenhang gerissen wurde?
Molekular oder organismisch?
Es ist tatsächlich so, dass das Zitat ursprünglich eine ganz spezielle Bedeutung hatte. Es stammt vom ukrainischen Wissenschaftler Theodosius Dobzhansky, der es erstmals im Sommer 1964 bei einem Treffen der American Society of Zoologists benutzte. Als Präsident dieser Gesellschaft hielt er eine lange Rede darüber, welchen Platz organismische Biologie in einer zunehmend von der molekularen Forschung bestimmten Welt hat. Er widmete sich dabei den Kommentaren von Kollegen, die alles, das nicht Molekularbiologie ist, als “Vögel beobachten” oder “Schmetterlinge sammeln” bezeichneten. Es war Dobzhansky wichtig, den Organismus weiterhin im größeren Zusammenhang zu sehen:
Er plädierte für interdisziplinäre Forschung und unterschied zwischen zwei Fragestellungen: „Wie Dinge sind” und „wie Dinge so wurden wie sie sind”. Evolution, so meint er, könne Molekularbiologie und organismische Biologie verbinden wie sonst nichts in der Biologie.
Bekannt wurde das Zitat erst neun Jahre später, durch seinen berühmten Aufsatz mit gleichem Titel. Dort jedoch benutzt er es in einem ganz anderen Zusammenhang. Die Formulierung “im Lichte der Evolution” führt angeblich zurück zum Jesuiten, Geologen und Paläontologen Pierre Teilhard de Chardin. Dobzhansky und er hatten nämlich gemein, dass sie davon überzeugt waren, Religion und Wissenschaft verbinden zu können.
Dobzhansky glaubte, dass Gott die Welt geschaffen hatte und Evolution dessen Mechanismus für die Entstehung der Artenvielfalt war. In seinem Text kritisierte er anti-evolutionäre Kreationisten, und erklärte, dass die Artenvielfalt nicht durch eine Schöpfung erklärt werden könnte. Es seien einfach viel zu viele Lebewesen, die viel zu perfekt in ihre jeweiligen Nischen passten, als dass sie vor Tausenden von Jahren allesamt geschaffen worden sein könnten.
Es ist irgendwie interessant, dass Theodosius Dobzhansky nicht auch noch den letzten Schritt gemacht hat und die Existenz eines allmächtigen Schöpfers als ebenso absurd betrachtete.
Dobzhanskys Hammer
Es mag viele wissenschaftliche Untersuchungen geben, die den Begriff Evolution nicht erwähnen, Studien, die sich voll und ganz auf ihren physiologischen, medizinischen oder genetischen Kern konzentrieren. Im Schulunterricht wird Evolution (wenn überhaupt) als separates Thema behandelt, als ob man mit Mendelscher Genetik und der Entstehung des Menschen so das Thema zügig vom Tisch fegen könnte. Der Entomologe Ray Fisher von der Universität in Arkansas/Fayetteville möchte dies ändern. Sein Konzept heißt „Dobzhanskys Hammer” – statt irgendwann auf Evolution zurück zu kommen, möchte er Vorlesungen für Studenten mit Evolution beginnen. Ein phylogenetischer Stammbaum ist mehr als nur ein Wirrwarr von Beziehungen; es ist ein Leitfaden, an dem man sich orientieren kann, wenn man verstehen möchte wie Eigenschaften von Tieren und Pflanzen im Zusammenhang stehen. Die Käfervielfalt mag auf Anhieb einschüchternd wirken (immerhin machen diese krabbelnden Insekten ein Viertel aller bekannten Arten aus), aber sie wird übersichtlich, wenn man sieht, welche Anpassungen die einzelnen Gruppen gemein haben.
Prof. Olaf Bininda-Emonds von der Universität Oldenburg veranschaulichte vor ein paar Wochen diese Problematik in einem wunderbaren Vortrag über den Stammbaum der Säugetiere. Man könnte meinen, dass Robben und Landraubtiere deutlich voneinander verschieden sind. Die einen haben Flossen und leben im Meer, die anderen leben auf dem Land und haben Füße mit deutlich voneinander getrennten Zehen. In welche Kategorie würde man dann also den Schwarzbären stecken? Selbstverständlich in die der Landräuber. Tatsächlich ist der aber viel stärker verwand mit den Robben als mit Wölfen und Hunden. Trotzdem zählte man lange die Bären zu den Fissipedia, den Landraubtieren, und auch heute noch werden bei Forschungen eher Wölfe und Bären in eine Gruppe gesteckt als Wölfe und Walrosse.
Übrigens ist der nächste Verwandte des Elefanten auch kein Landsäugetier, sondern die Seekuh. Wenn es darum geht, Erklärungen für das Verhalten oder auch den Körperbau von Tierarten zu finden, dann darf man sich die Tierart nicht ohne Rücksicht darauf, wo das Tier evolutionsbiologisch herkommt, anschauen. Das wäre so als ob Sherlock Holmes sich entscheidet, die Fußspuren am Tatort zu ignorieren, nur weil sie nicht von der Leiche stammen.
Nichts macht Sinn in der Medizin …
Aber zurück zu Herrn Dobzhansky: Wenn Evolution als Verbindung von Molekularbiologie und organismischer Biologie funktioniert, warum soll sie also nicht auch die anderen Disziplinen vereinen?
Der französische Mediziner und Molekularbiologe Bernard Swynghedauw argumentierte für die Relevanz von Evolution bei der Behandlung von Krankheiten. Zum Beispiel kann man komplizierte Krankheiten wie Diabetes erst verstehen wenn man sie “im Lichte der Evolution” untersucht. Erik Corona, ein Student an der Stanford University School of Medicine, veröffentlichte im August eine Studie im Journal PLoS One, die zeigte, wie verschiedene Krankheiten miteinander im Zusammenhang stehen können. Es ist bekannt, dass eine Beziehung zwischen einer relativ großen Anzahl von Genen und Typ-1 Diabetes besteht. 80 verschiedene Mutationen auf diesen Genen (die allseits bekannten und beliebten SNPs mal wieder) haben laut Corona im Laufe der Evolution des Menschen an Häufigkeit in unserem Genom zugenommen. Überraschenderweise hat der Großteil von ihnen (58 der 80 SNPs) aber die Wahrscheinlichkeit, dass wir an Diabetes erkranken, erhöht. Wie kann Selektion auf etwas für uns so offensichtlich Nachteiliges wirken? Wenngleich wir die Antwort noch nicht kennen, ist es naheliegend zu vermuten, dass die entsprechenden Gene gleichzeitig auch einen positiven Einfluss auf andere Merkmale haben, oder zumindest Gene in unmittelbarer Nähe der SNPs unsere Erwachsenwerden- und Fortpflanzungschancen steigern. Corona entdeckte zum Beispiel, dass ein Gen, welches die Diabetes-Gefahr erhöht, vor einer ganz speziellen viralen Infektion schützt. Ähnlich gibt es Gene die uns vor Tuberkulose bewahren, aber uns anfälliger für Rheumatoide Arthritis machen.
Die Zusammenhänge können wir allein durch molekularbiologische Studien erkennen, aber erst im Lichte der Evolution werden ihre Bedeutungen klar. Man kann zwar fragen: Müssen wir die evolutionsbiologische Bedeutung denn wirklich kennen, um etwas behandeln zu können? Vielleicht nicht, aber dann können wir nicht behaupten, wir würden die Krankheit verstehen.
In der Biologie gibt es die Unterscheidung von proximaten und ultimaten Ursachen. Ganz einfach kann man die beiden an Hand der mit ihnen verbundenen Fragestellung unterscheiden: wie bzw. warum? Wie die schwarzen Streifen eines Zebras zu Stande kommen ist die proximate Frage. (Pigment produzierende Melanozyten wandern bei der Entwicklung des jungen Zebras im rechten Winkel zur Wirbelsäule hinab und ordnen sich in Streifen an.) Aber erst wenn man untersucht, warum es die Streifen hat (Schutz vor Parasiten und Raubtieren, Gruppenspezifische Unterscheidung und Temperaturregulierung spielen anscheinend alle eine Rolle), machen die Streifen auch tatsächlich “Sinn”.
Die biologische Welt ist auf komplizierte Weise entstanden. Blendet man diesen Entstehungsweg aus, kann man sich vielleicht immer noch an ihr erfreuen und sie sogar wissenschaftlich erforschen, aber richtig verstehen kann man sie dann nicht.
]]>Die größten Hoden der Welt
Falls es jemand noch nicht in der Zeitung gelesen hat, die weltweit größten Hoden gehören einem Insekt. Natürlich relativ zur Körpergröße – sonst müssten die Tiere wirklich eine Menge mit sich herumschleppen. Der Gewinner ist eine Laubheuschrecke namens Platycleis affinis, die südliche Beißschrecke. Der Heuschrecken-Herr lebt im Mittelmeerraum und ist laut einer Studie in Biology Letters etwa 1 Gramm schwer. Seine Hoden wiegen aber jeweils ca. 70mg. Zusammen machen sie also fast 14% des Körpergewichtes aus. Die Studie verglich das Gewicht der Hoden von vielen Laubheuschreckenarten mit den aus Literatur bekannten Daten zum Sexualverhalten und konnte bestätigen, dass Hodengröße mit dem Grad an Polyandrie (ein Weibchen hat bis zu 23 Männchen) steigt, die Masse des Ejakulats aber mit steigender Hodengröße abnimmt. Zur Spermienzahl im Ejakulat hingegen konnten die Autoren keine Korrelation finden.
Zum Vergleich: das Gewichtsverhältnis von Hoden und Körper beim Menschen beträgt gerade mal eine Promille.
Meganeura Park: Aufzucht der gigantischen Libellen
Die Geological Society of America hat Ende Oktober bekannt gegeben, dass sie ein Jurassic Park für Entomologen gebaut haben. Na ja, genauer gesagt, sie zogen Insekten in Luft von unterschiedlichem Sauerstoff-Gehalt auf. Schon lange wird angenommen dass die gigantischen Insekten der Urzeit, allen voran die Riesenlibelle Meganeura mit einer Flügelspannweite von bis zu 70cm, auf Grund des vielen Sauerstoffs so groß werden konnten. Insekten haben Tracheen statt Lungen, die es ihnen erlauben den Sauerstoff direkt aus der Luft über ihre Körperoberfläche an alle Orte des Körpers zu bringen; doch genau dieses System stellt heute ein Limit für ihr Wachstum dar. Die Wissenschaftler nutzten für ihr Experiment die Plastizität in der Entwicklung verschiedener Insektengruppen und zogen Libellen, Kakerlaken und andere Insekten in Luft mit 12 bis 40% Sauerstoff auf. Das Ergebnis? Libellen wuchsen tatsächlich schneller und wurden größer wenn der Sauerstoffgehalt groß war. Bei 10 der untersuchten 12 Insektengruppen hingegen war das Gegenteil der Fall – die Insekten wurden kleiner. Allerdings wurden auch die Tracheen kleiner und es wird angenommen, dass diese Ersparnis im Aufbau des Atmungsapparats zur Verbesserung der Reproduktions- und Verdauungsorgane genutzt werden könnte.
Apropos Sauerstoff, es sieht so aus als ob das wertvolle O2 schon länger in großem Maße in der Erdatmosphäre vorkommt als bisher angenommen. Laut einer Studie aus dem Journal Nature wurden in 1,2 Milliarden Jahre alten Gesteinsschichten aus Schottland Hinweise auf Aktivität von Bakterien gefunden, die eine relative große Menge Sauerstoff benötigt haben mussten. Dieser große Anstieg an O2 wurde bisher auf einen Zeitpunkt vor 800 Millionen Jahre datiert und wird allgemein als der Ursprung mehrzelligen Lebens gesehen.
Und blinde Fliegen konnten sehen!
Es ist keine entomologische Variante der biblischen Geschichte vom Blinden, der am See Genezareth das Augenlicht wieder bekam. Stattdessen haben Forscher der University of California San Francisco herausgefunden, wie Fliegen, von denen man dachte dass sie blind seien, trotzdem sehen konnte. Die Bolwig-Organe sind Licht empfindliche Zellen am Kopf von Fliegenmaden, die es ihnen erlauben in gammeligem Obst ihren Weg nach draußen zu finden. Doch auch Tiere ohne dieses Organ finden ins Freie. Mutanten von Drosophila melanogaster-Larven, denen diese Organe fehlten, fanden auch ihren Weg zum Licht. Es stellte sich heraus dass sie Nervenzellen über ihren gesamten Körper verteilt haben, die UV-Licht, blaues und violettes Licht registrieren können. Nicht eine Zelle ist dabei überflüssig; die Anordnung erlaubt es den Larven genauestens die Unterschieden an Licht zu bestimmen und verlieren so nie die Orientierung.
Handlungsreisende Hummeln
Ein berühmtes Problem in der Mathematik ist das Problem des Handlungsreisenden: Der Reisende macht eine Reise durch lauter Orte und versucht dabei, die möglichst kürzeste Strecke auszuwählen. Dabei ist es leichter eine gute Lösung zu finden, als die optimale. Mittlerweile helfen Computer dabei, auch Tausende von Orten optimal zu verbinden. Die Erdhummel, Bombus terrestris, kann das aber schon lange. Um Energie zu sparen, fliegt sie grundsätzlich die kürzeste Distanz. Mit Computer-kontrollierten Blumen wurde dies jetzt getestet – die Hummeln flogen die Blüten nicht in der Reihenfolge an, wie sie sie entdeckten, sondern wählten bei jedem Flug die optimale Route. Wenn zwischendurch eine neue Blüte in die Strecke eingefügt wurde, nahmen sie den neuen „Ort” einfach kostengünstig in ihre Streckenplanung auf. Zu lesen war das im American Naturalist.
Apropos Hummeln …
Da ich in den letzten Wochen ja nicht untätig war, kann ich nun erwähnen dass meine erste (ehrlich, die erste!) Publikation soeben offiziell angenommen wurde. Wir haben in den letzten Jahren nämlich die nordamerikanischen Hummelarten genauer untersucht, um zu schauen, in wie weit die dort tatsächlich vom Aussterben bedroht sind. Unsere Ergebnisse sind leider eher deprimierend. Was genau dort los ist, kann ich aber erst erzählen wenn die Proceedings of the National Academy of Sciences den Artikel zu Beginn des nächsten Jahres veröffentlichen. Juhuu!
Aber das nicht genug. Vor ein paar Wochen erschien auch May Berenbaums neustes Buch – ein Kochbuch rund um die Honigbiene. Darin wimmelt es nur so von Rezepten, die Honig benutzen, oder solchen, die ausschließlich Früchte von Bienen bestäubter Pflanzen verwenden. Das Highlight ist wahrscheinlich Mays preisgekrönte Apiscotti.
Ich durfte dafür das Cover designen und ein paar Illustrationen beisteuern und habe das Buch dafür letzte Woche in der Post gehabt. Wer möchte, kann bei Amazon einmal drin blättern. Ich denke es lohnt sich. Und wer ein Set typisch amerikanischer Measuring Cups zu Hause hat, der kann sich das Buch jetzt auch bei Amazon.de bestellen.
Tja, das hätte mir mal vor Jahren jemand sagen sollen – dass meine erste Publikation ein Kochbuch werden würde …
]]>Wie bitte?! Das erschien mir wie ein Artikel, der gerne am 1. April in Zeitungen auftaucht. Aber in der Süddeutschen Zeitung am 27. Oktober? Der Sache wollte ich genauer auf den Grund gehen.
Zuerst einmal: Myanmar liegt zwischen China, Thailand und Indien. Das Klima dort wird vom Indischen Monsun bestimmt, d.h. statt Frühling, Sommer, Herbst und Winter, gibt es dort die kühle, die warme und die Regenzeit. Die Affen würden also ca. 500 cm Regen im Jahr abkriegen. Gäbe es solch nachteilige Nasen dort wirklich würden sie wohl schon längst ausselektiert worden sein. Es sei denn sie besitzen einen unbekannten, aber ganz wichtigen Vorteil, für den die Affen das starke Niesen in Kauf nehmen müssen. Ich bezweifele allerdings, dass irgendein Vorteil verhindert, dass ein stark niesendes Tier von den zahlreichen Räubern gefressen würde – und in Myanmar gibt es neben Habichten und Adlern auch noch Leoparden, Füchse und Tiger, die diese Tiere nur zu gerne fressen.
Nun gut, Nasenlöcher, die nach oben wachsen, mögen ein Nachteil sein. Aber wenn es sowas gibt, dann muss ich einfach mehr dazu herausfinden. Laut dem Zeitungsartikel erschien die Publikation dazu in der Oktoberausgabe des American Journal of Primatology. Dank des Uni-Abos wollte ich mir den Artikel sofort aus dem Netz laden, aber so einfach war das nicht. Denn in der Oktoberausgabe gibt es keinen Artikel zu einer neuen Affenart aus Myanmar (in dieser Sonderausgabe ging es sowieso vielmehr um das Verhältnis von Affe und Mensch). Dazu kam, dass sich das Journal längst bei der Dezemberausgabe befindet. (Ja, die sind manchmal so schnell.) Das Ganze kam mir immer suspekter vor. Doch ein verspäteter Aprilscherz?
Der neue Affe bekam den Namen Rhinopithecus strykeri (es irritiert mich immer fürchterlich wenn in einer Tageszeitung ein lateinischer Artenname nicht in kursiv gedruckt ist). Abgesehen davon, dass der Affe leider mal wieder einem Menschen zu Ehren benannt wurde, und nicht nach seinen ökologischen Sonderheiten, war ich beim Lesen des Namens endgültig überzeugt: Das muss ein Scherz sein! Rhinopithecus gehört sicher zu den Rhinogradentia, den verrückten Fabeltieren, die Biologiestudenten im ersten Semester kennen lernen und erst viel zu spät begreifen, dass die gerade abgeschrieben Notizen für die Katz waren. Die Rhinogradentia sind Stars des Sachbuches Bau und Leben der Rhinogradentia, und unter uns gesagt: Es gibt sie gar nicht.
Doch welch eine Schande? (Und wie peinlich!) Die Rhinopithecus-Affen gibt es wirklich. Es sind Stumpfnasenaffen, Verwandte der Meerkatzen, die in China, Vietnam und eben Myanmar zu Hause sind. Es gibt insgesamt vier (jetzt fünf) Arten. Und zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass Wikipedia sogar schon einen Artikel über die neuentdeckte Art hat. Wie machen die das bloß so schnell? War da vielleicht einer der Forscher dran beteiligt?
Und auf Wikipedia findet sich dann auch eine DOI, mit der man den Artikel direkt aufspüren kann: 10.1002/ajp.20894. Einmal eingetippt in Google und … „0 Treffer”. Es stellte sich heraus: ich war einfach zu voreilig. Mittlerweile ist der Artikel auch im Netz:
A new species of Snub-nosed monkey, Genus Rhinopithecus Milne-Edwards, 1872 (Primates, Colobianae), From Northern Kachin State, Northeastern Myanmar.
Der Burmesische Stumpfnasenaffe, Rhinopithecus strykeri, von den Bewohnern dort liebevoll mey nwoah (in Lisu) oder myuk na tok te (Law Law) genannt („Der Affe mit aufgestellter Nase”), existiert wahrscheinlich nur noch in ein paar letzten Populationen, die durch zwei Flüsse von anderen Stumpfnasenaffen-Gruppen getrennt sind. Sie unterscheiden sich in der Morphologie nur wenig von anderen Arten, doch ein ausgeprägtes schwarzes Fell hebt sie deutlich von der Schwarzen Stumpfnase (die eher grau ist) ab. Es ist schade dass keine genetischen Vergleiche durchgeführt wurden, da wir doch heute problemlos in der Lage sind, Arten genetisch zu unterscheiden. Morphologie hingegen, und ganz besonders Fellfärbungen (die einen Großteil der Bestimmung hier ausmachen), sind manchmal sehr riskant. Wenn ihr mir den Abstecher erlaubt … eine Hummelart alleine kann in über 10 verschiedenen Farbmustern existieren. Dabei handelt es sich aber immer noch um die selbe Art.
Leider ist aber auch dieser Affe schon vom Aussterben bedroht. Aufgefallen ist er nur durch die Bemerkungen von Jägern aus der Region, und genau diese Jäger töten den Affen für Nahrung, “Medizin” und um ihn zu Handtaschen zu verarbeiten. Deshalb hat R. strykeri auch gleich schon einen IUCN Status zum Bedrohungsgrad bekommen. Er gilt als “critically endangered”.
Was nun das eigenartige Verhalten bei Regen angeht – nun, das basiert auf den Erzählungen der Jäger und der Bewohner lokaler Dörfer. Manche sagen auch, der Affe würde bei Regen seinen Kopf zwischen den Beinen verstecken, um seine Nasen zu schützen. Die Autoren der Publikation haben meines Wissens kein Tier in freier Wildbahn beobachten können. Die Bestimmung basiert allein auf Skelett und Haut von einigen wenigen Exemplaren, die den Jägern abgenommen wurden.
Bis auf YouTube ein Video mit Großaufnahme der Nasenlöcher bei Regen zu sehen ist, glaube ich deshalb erst mal nicht dass diese Affen bei Regen dermaßen Probleme bekommen. Immerhin haben keine der anderen Arten ein ausgesprochenes Problem damit. Und wenn sie vor lauter Niesen wirklich so einfach zu finden wären, dann hätten die Autoren hier bestimmt neben dem Skelett und der Fotomontage auch ein paar originale Fotos zeigen können.
Hier ist noch ein Video von Rhinopithecus roxellana, der Goldstumpfnase:
Geissmann, T., Lwin, N., Aung, S., Aung, T., Aung, Z., Hla, T., Grindley, M., & Momberg, F. (2010). A new species of snub-nosed monkey, genus Rhinopithecus Milne-Edwards, 1872 (Primates, Colobinae), from northern Kachin state, northeastern Myanmar American Journal of Primatology DOI: 10.1002/ajp.20894
Einstein wird gerne zitiert, wenn es darum geht dass der Mensch, sobald Honigbienen ausgestorben sind, nur noch wenige Jahre zu leben hat. Aber abgesehen davon dass Einstein nicht gerade für sein entomologisches Fachwissen bekannt ist, gibt es auch keinen Hinweis darauf dass er so etwas jemals gesagt hat. Es ist nichts weiter als eine moderne Sage. Außerdem sind wir nicht so sehr auf Honigbienen angewiesen, dass wir ohne sie völlig aussterben würden. Zur Bestäubung gibt es viele Alternativen, und der Honig würde dann einfach ein bisschen teurer als sonst. Angeblich schmeckt der Honig von stachellosen Bienen der Gattung Melipona eh viel besser.
Es stimmt aber, dass Honigbienen eine wichtige Rolle im Netzwerk der Natur spielen. Sie bestäuben Blütenpflanzen von großer Vielfalt, und in besonders großer Menge. Würde CCD die Honigbienen komplett dahinraffen, wäre dieses große Loch erst einmal nicht leicht zu füllen.
Aber: CCD wird Honigbienen nicht “dahinraffen”. (So, jetzt ist’s gesagt.) CCD ist nicht einmal eine richtige Krankheit. Anders als bei einer Erkältung, bei der Symptome direkt auf den viralen Erreger zurück zu führen sind, handelt es sich bei CCD um mysteriöse Merkmale, die in einigen Jahren (besonders in den USA im Winter 2006/07) gehäuft in Kolonien auftraten. In anderen Kolonien waren die Merkmale wiederum ganz andere, und in verschiedenen Ländern waren es wieder andere. Manche Länder hatten sich nie über diese Probleme beklagt, für andere erschien es als der Weltuntergang. Trotzdem redet die ganze Welt von CCD. Spanische Wissenschaftler haben in den letzten Jahren mehrfach erklärt, sie hätten des Rätsels Lösung gefunden. Dabei vergaßen sie zu erwähnen, dass es sich bei ihren Forschungen um Honigbienen von spanischen Imkern handelte. Na ja, natürlich haben sie das erwähnt, aber sie behaupteten CCD weltweit erklären zu können. Alleine betrachtet wären die Ergebnisse gar nicht schlecht gewesen, wenn sie sich darauf beschränkt hätten, ihre Ergebnisse vernünftig zu präsentieren. Nach denen sind CCD-ähnliche Symptome in den von ihnen untersuchten Kolonien nicht aufgetreten, wenn man sie mit Fumagillin behandelte. Das war ein interessantes Ergebnis und hätte dazu führen können, dass der Pilz Nosema ceranae, den Fumagillin unterdrücken sollte, als Krankheitserreger in kommerziellen Kolonien genauer untersucht würde. Stattdessen verloren die Autoren dadurch, dass sie Bienensterben weltweit in einen Topf warfen und eine Lösung für alle Bienenvölker vorstellten, in den Bienenkreisen viel Respekt.
Es ist einfach viel zu verlockend, aus seinen Ergebnissen etwas zu machen, dass die Medienwelt aufhorchen lässt. Aber eine übertriebene Interpretation der eigenen Daten ist in meinen Augen auch nichts anderes als falsche Daten zu präsentieren. In einer Welt, in der man meist nur noch den Abstrakt liest, gehen die interessanten Aspekte einer Studie meist verloren.
Ist CCD jetzt tatsächlich geklärt?
Wenn ich “CCD” schreibe, dann beziehe ich mich auf die US-amerikanische Situation. Mysteriöses Verschwinden von Bienen passierte in den letzten Jahren zwar weltweit, aber die Symptome sind überall unterschiedlich. Einfaches, wenn auch starkes, Bienensterben kann oft allein durch einen schweren Winter erklärt werden, und in Deutschland ist weiterhin die Milbe Varroa destructor ein Problem für die Imker.
Die Symptome in den USA sind ganz spezifische: die adulten Arbeiterinnen sind fort, aber gesunde Larven und genügend Futter sind im Nest zurückgelassen. Bisher gab es mehrere Verdächtige, meist Pathogene, von denen bekannt war, dass sie bei Bienen Krankheiten verursachen. IAPV (Israeli Acute Paralysis Virus) war einer der ersten Viren, für den ein Zusammenhang zu CCD hergestellt wurde. Mittlerweile hat man jedoch bestätigt, dass er schon lange vor CCD-Ausbrüchen in US-Populationen vorhanden war und auch die ausgelösten Symptome nicht mit denen von CCD ohne weiteres überein stimmten. Andere RNA-Viren wurden vermutet, da viele RNA-Fragmente in Bienen aus CCD-Völkern gefunden wurden. Das Mikrosporidium (das ist ein ganz bestimmter einzelliger Pilz) namens Nosema ceranae wurde häufig gefunden, und (siehe oben) mehrfach als Lösung angeführt. Allerdings ist Nosema auch in Bienenvölkern zu finden, die keinerlei gesundheitliche Probleme zeigten (und auch nicht plötzlich unerklärlich verschwanden).
Im aktuellen Paper wurde nun ein neuer Virus präsentiert: IIV (Invertebrate Iridescent Virus). Im Gegensatz zu den oben erwähnten Viren handelt es sich hier um einen DNA-Virus. Mit einem proteomischen Verfahren namens MSP (eine Untersuchung einer großen Reihe von Peptiden aus kranken und gesunden Völkern) fanden die Forscher, dass der Virus in fast allen CCD-Kolonien, nicht aber in Kontrollen aus Australien und Montana auftauchte. Ein ähnliches Bild ergab sich für Mikrosporidien der Gattung Nosema. In verschiedenen CCD-Kolonien fanden sie diese Korrelation zwischen Nosema und IIV.
Ein interessantes Ergebnis. Während viele Studien einzelne Übeltäter verantwortlich machen wollten, könnten es jetzt zwei sein. Das würde auch Diskrepanzen zwischen bisherigen Untersuchungen erklären, und könnte eine Erklärung dafür sein, warum CCD so ein spezieller Fall ist und eigentlich nur im Winter 2006/07 überraschend stark gewütet hat. Seitdem hat sich die Situation fast wieder normalisiert und die Fälle von Bienensterben über den Winter sind in mehr oder weniger alte Verhältnisse zurück gekehrt.
Das Problem ist aber, dass wir hier bislang nur eine Korrelation haben. Es wäre eine elegante Erklärung, aber eine direkte Bestätigung dafür, dass diese beiden Pathogene für CCD verantwortlich sind, gibt es bislang nicht. Die Wissenschaftler haben außerdem Bienen infiziert und eine leicht erhöhte Sterblichkeit ausgemacht, wenn sie Virus und Mikrosporidium gemeinsam verfütterten. Leider war aber dadurch auch die Dosis erhöht, was das Ergebnis doch stark fragwürdig erscheinen lässt. Und die einzige Korrelation zwischen Pathogendichte und Sterberate kommt von einer einzelnen Kolonie, die über den Verlauf der “Collapse” beobachtet wurde. Die in der Pathologie typische Methode um experimentell eine Ursache-und-Wirkungs-Beziehung nachzuweisen – das geben die Autoren offen zu – haben sie bislang nicht durchgeführt. Das sind nicht zu ignorierende Schwächen der Studie.
Die Foscher geben dem Leser aber den Eindruck, dass mit dieser Studie das Geheimnis um CCD gelüftet wurde. Die nächsten Schritte wären demnach Maßnahmen zur Bekämpfung:
We next need to … develop management practices to reduce honey bee losses.
Leider ignoriert die Presse die Probleme bei so einer Veröffentlichung meist zu Gunsten der spannenderen Überschrift – die New York Times verkünden derweil schon mal “Honey Bee Killer Found by Army and Entomologists: Scientists and Soldiers Solve a Bee Mystery”. Wenn wir Korrelationen zu Ursachen machen, dann laufen wir Gefahr, mit Scheuklappen bestückt in die falsche Richtung zu laufen.
Schade eigentlich, denn die Ergebnisse können sich sehen lassen. Es scheint mir nur immer schwieriger zu werden, Daten als das zu publizieren was sie sind: Teile eines Puzzles.
Bromenshenk, J., Henderson, C., Wick, C., Stanford, M., Zulich, A., Jabbour, R., Deshpande, S., McCubbin, P., Seccomb, R., Welch, P., Williams, T., Firth, D., Skowronski, E., Lehmann, M., Bilimoria, S., Gress, J., Wanner, K., & Cramer, R. (2010). Iridovirus and Microsporidian Linked to Honey Bee Colony Decline PLoS ONE, 5 (10) DOI: 10.1371/journal.pone.0013181
]]>Richtig gelesen – in der linken Augenbraue.
Haarbalgmilben der Gattung Demodex sind winzige Parasiten, die in unseren Haarfollikeln (der Einstülpung in der Haut an der Haarbasis) leben. Ungefähr jeder zweite erwachsene Mensch hat sie, und in den meisten Fällen sind sie völlig harmlos. Ganz selten wächst ihre Population so stark dass es anfangen kann zu jucken. Und genau so ein Tier fängt in “The Sandwalk Adventures” ein Gespräch mit Darwin an.
Bei dem Buch handelt es sich um einen Comic, der bereits 2003 erschienen ist. Er wurde geschrieben vom US-amerikanischen Professor Jay Hosler, der am Juniata College in Pennsylvania arbeitet und in seiner Freizeit … zeichnet. Mit seinem Verlag, Active Synapse, produzierte er mittlerweile drei Bücher zu Biologie und Evolution. Ein viertes ist gerade in Vorbereitung.
The Sandwalk Adventures
Während Charles eines Morgens, nichts Böses denkend, an einem Forschungsprojekt über Würmer arbeitet, hört er plötzlich eine Stimme. Nach anfänglicher Verwirrung stellt sich heraus, dass diese Stimme Mara gehört, einer Milbe in seiner Augenbraue. Mara und ihre Familie leben seit Generationen dort und erzählen sich Geschichten von ihrer Erschaffung durch den mächtigen Gott Flycatcher, einem jungen Charles Darwin. Als Mara genauer erfahren möchte was es damit auf sich hat, nimmt Darwin seinen Stock und geht auf seinen mittäglichen Spaziergang, um sich die Zeit zu nehmen, Mara mal genauer zu erklären, woher wir denn alle kommen.
MARA:
“Äh, das sind 84 Generationen.”
DARWIN:
“Gut, gut. Was ich sagen will, ist, dass eure Welt nicht zu der Zeit begann, von der es eure Geschichten behaupten.”
MARA:
“DIE WELT IST ÄLTER ALS 58 JAHRE??!!”
Im Laufe der Geschichte fängt Mara mehr und mehr an, die Geschichten ihrer Familie in Frage zu stellen. Wenn sie an der Reihe ist, eine Geschichte zu erzählen, fällt es ihr schwer, die neuen Erkenntnisse zum “Survival of the Fittest” nicht mit einzubauen.
Prof. Hosler erzählt nicht nur von Darwins Leben und seinen Sorgen bei der Suche nach der Wahrheit, er erweckt die Evolutionstheorien Darwins auch auf unterhaltsame Weise zum Leben. Die 5 Kapitel des Buches folgen dabei dem gleichen Weg, den Darwin nahm, um seine Theorie aufzustellen. In God’s Follicle geht es um den Schöpfungsgedanken der Milben und die Erkenntnis, dass daran nicht alles so ohne Weiteres stimmt. The Stone Path handelt von Darwins Reise auf der Beagle, durch die er auf die immense Vielfalt im Tier- und Pflanzenreich aufmerksam wurde. In Darwin Saves the World lernen wir mehr über Fitness, und in The Application of Pressure lernt Mara am eigenen Leibe was Selektionsdruck bedeutet. Das Buch schließt mit dem Kapitel Legacy: Darin geht es um Darwins großes Problem zur Vererbbarkeit von Eigenschaften. Wie können Merkmale der Überlebenden an die nächste Generation weiter gegeben werden? Darwin kannte DNA noch nicht.
Das Buch funktioniert als Lehrbuch der Wissenschaft, Wissenschaftsgeschichte, Soziologie und Philosophie. Es ist vielleicht an Kinder gerichtet, doch jedes Kind wird bei einem erneuten Lesen Kleinigkeiten entdecken, die man erst nach Jahren versteht. Auch als “Erwachsener” habe ich mich bei diesem Buch köstlich unterhalten, wozu die absurden und verrückt-humorvollen Dialoge und Situationen sicher beigetragen haben. Wo sonst lernt man, dass Haarbalgmilben keinen Hintern haben, und auch keinen brauchen?!
“Ehrlich, wir sollten ihn [Darwin] Sachen fragen. Wir könnten endlich die Antworten zu den großen Fragen des Lebens bekommen.”
“Wie welche zum Beispiel?”
“Na ja, zum Beispiel warum wir keine Hintern haben.”
Am Ende ist “The Sandwalk Adventures” genau das, was drauf steht – eine Abenteuergeschichte mit zwei unerwarteten aber liebevollen Charakteren. Ich habe vielleicht sieben Jahre gebraucht, um es zu entdecken; weiterempfehlen kann ich es aber sofort.
Hier ein kleiner Comic von Prof. Hosler, der noch vor Sandwalk entstanden ist.
Wer mehr lesen möchte, kann auf Jay Hoslers Blog, Drawing Flies, in den kommenden Tagen die Abenteuer von Wilbur, der Fliege, als Webcomic verfolgen. Darin geht es um Photosynthese.
Englisch ist dabei allerdings sehr zu empfehlen.
]]>Ein Endlager muss die Anforderung erfüllen, seinen Müll von jeglichen Umwelteinflüssen fern zu halten; die Radioaktivität darf nicht in die unmittelbaren Kreisläufe gelangen. Bei vielen Feststoffen und Flüssigkeiten muss das mindestens 1000 Jahre gewährleistet sein. Bei Radionukliden wie Uran und Plutonium hingegen kann erst nach 1 Million Jahren (oder sogar mehr) sicher gestellt sein, dass sie nur noch eine geringfügige Belastung für die Umwelt darstellen.
Das ist eine lange Zeit.
Hier habe ich ein paar Vergleiche zusammengetragen, damit man mal einen Eindruck davon kriegt, wie lange:
Wie sieht die Welt dann in 1 Million Jahren aus?
Ist es da nicht verantwortungslos von uns, Atommüll überhaupt zu produzieren? Eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken zu beschließen, ohne auch nur irgendeine Idee zu haben, was wir mit dem Müll dann eigentlich anstellen – wow, das ist für mich einfach nicht nachvollziehbar …
]]>Das Paper hat dann, wie zu erwarten war, Richard Dawkins dazu gebracht, Gruppenselektion erneut zu kritisieren. Das wiederum hat David Sloan Wilson, dem geistigen Vater der modernen Gruppenselektion, zurück zu seinen ScienceBlogs geführt, auf denen er seitdem erneut seine Fehde mit Mr. Dawkins aufrecht hält und in mehreren Artikeln die theoretischen Hintergründe zu besagtem Paper diskutiert. Und dazu gehört selbstverständlich seine Gruppenselektion.
Ich sage gleich, dass ich das Konzept der Gruppenselektion nicht gerade umarme und mit ihm abends etwas trinken gehen würde. Gruppenselektion und ich sind keine guten Freunde. Das liegt aber weniger daran, dass ich es für falsch halte (Selektionsdruck kann auch auf Gruppen wirken, das bestreite ich nicht), als daran, dass ich seinen Wert in Frage stelle. Gruppenselektion ist für mich ein eher philosophisches Konzept, welches u.a. dazu dient, Mr. Wilson und Mr. Dawkins zu Meinungsverschiedenheiten zu animieren. Es erklärt aber – meiner Meinung nach – sehr wenig Konkretes in der Biologie.
Und damit wären wir beim Thema: Was ist eigentlich Gruppenselektion?
Vero Wynne-Edwards, ein britischer Zoologe, entwickelte das Konzept 1962. Danach verhalten sich Tiere so, dass sie ihrer Gruppe zum Überleben verhelfen. Genauer gesagt, sie reduzieren Nahrungskonsum und Anzahl der Nachkommen um die verfügbaren Ressourcen nicht auszuschöpfen und so das Überleben ihrer Population gefährden. „Zum Wohle der Gruppe” ist dabei eine ähnliche Floskel wie „zur Erhaltung der Art”. Beides sind Ideen, die in der Natur so nicht nachgewiesen werden konnten. Ein Verhalten dient nie der Erhaltung der Art. Der kürzlich verstorbene George C. Williams klärte das in seinem Buch „Adaptation and Natural Selection” (1966); Richard Dawkins baute darauf in seinem Buch „Das egoistische Gen” (1979) auf und erläuterte, das Ziel eines Individuums ist allein die Erhaltung und das Wohl des Individuums, und zwar so weit bis es seine Gene an die nächste Generation weiter geben konnte. Auch ohne von DNA und Genen zu wissen, war das schon Charles Darwins Definition von „Fitness”.
Nun, auch wenn das „egoistische Gen” der Hauptangelpunkt für Evolution sein mag, bedeutet das nicht dass das Gen das einzige Objekt ist, das Selektion unterliegt. Das Individuum (oder genauer gesagt: der Phänotyp des Individuums) wird in erster Linie selektiert: Ist das Verhalten und Erscheinungsbild eines Tieres gut an seine Umgebung angepasst, überlebt es lange genug um Nachkommen zu produzieren. Gleiches gilt für Gruppen – Individuen aus Populationen, die besser an ihre Umwelt angepasst sind und in der direkten Konkurrenz mit anderen Gruppen Vorteile haben, werden eher ihre Gene weiter geben als andere. Auch das hat Charles Darwin schon erkannt:
Die Gruppe als Selektionsniveau – aus diesem Gedanken formte David Sloan Wilson eine neue Form der Gruppenselektion. Während es klare Parallelen zu Wynne-Edwards Konzept gibt, unterscheidet Wilson ganz deutlich zwischen dem Selektionsdruck „innerhalb” der Gruppe und „zwischen” den Gruppen. Der Hauptantrieb für diesen Gedanken entstand aus dem Wunsch, Altruismus zu erklären. Laut Wilson kann altruistische Verhaltensweise in der Gruppe nur evolutionär stabil sein wenn der Selektionsdruck, der auf die Gruppe wirkt, stärker ist als der, der auf das Individuum wirkt. Die Individuen haben das Interesse, ihren eigenen Erfolg zu maximieren, aber sie können durch dieses egoistische Verhalten den Erfolg der Gruppe gefährden. Sozialverhalten kann vor diesem Hintergrund nur entstehen, wenn das „Wohl der Gruppe” größeren Wert für das Überleben der Individuen hat, als das Wohl des Individuums. Deshalb argumentiert Wilson, dass eine Individuums-zentrische Sicht der Evolution nicht ausreicht um Sozialverhalten zu erklären. Dies war die Geburtsstunde der Multi-Level Selektion („Selektion wirkt auf mehrere Ebenen, inklusive Gruppe und sogar Art.”) – die moderne Gruppenselektion ist davon nur ein Bestandteil.
Jingle-Jangle
Der Sozialpsychologe Sam Gosling hat letztens auf einer Konferenz das hierbei bestehende Problem schön auf den Punkt gebracht, und dabei hat er gar nicht von Gruppenselektion geredet. Laut ihm gibt es in der Wissenschaft die Jingle Fallacy (verschiedene Wissenschaftler verstehen unter dem gleichen Namen verschiedene Sachen), und die Jangle Fallacy (das gleiche Konzept wird von verschiedenen Wissenschaftlern unterschiedlich benannt). Im Falle der Gruppenselektion ist es meiner Meinung nach ein Jingle-Jangle, mit Hang zum Jingle.
Der Begriff der Gruppenselektion ist mittlerweile so missverstanden dass seine Benutzung zwangsläufig zu Problemen führt. Häufig werden Wynne-Edwards und Wilsons Begriffe durcheinander geschmissen, nicht zuletzt von Wilson selbst. Außerdem wird Gruppenselektion gerne Verwandtenselektion gegenüber gestellt, als ob es bei beiden „Modellen” um verschiedene Sachen ginge. In Wirklichkeit ist Gruppenselektion nichts weiter als eine ganz spezielle Form der Verwandtenselektion, da genetische Korrelationen zwischen sozialen Partnern aus den verschiedensten Gründen auftreten können. Tatsächlich ist es in den meisten Fällen so, dass Gruppen im Tierreich stärkere Verwandtschaft untereinander aufweisen als mit geographisch getrennten, anderen Gruppen. Interessanterweise war Wilsons erstes Modell daher auch nur signifikant, wenn die untersuchten Gruppenmitglieder untereinander verwandt waren.
Auch andere Definitionen sind in diesem Disput von Bedeutung: Was ist eine Adaption, und auf welchem Niveau prägt sie sich aus? Was ist eigentlich Altruismus, direkte Fitness und wie unterscheiden sich Kosten und Einschränkungen bei Verhalten? Ab diesem Punkt nimmt ein großer Teil der semantischen Meinungsverschiedenheiten philosophische Ausmaße an und hat letztendlich auch nur noch einen philosophischen Wert. Die Stanford University hat dazu einen umfangreichen Artikel in ihrer Encyclopedia of Philosophy: Units and Levels of Selection.
In einem empfehlenswerten Mini-Review (PDF) haben sich die Autoren West, Griffin & Gardner von der University of Edinburgh mit den Problemen der Semantik in der Soziobiologie auseinandergesetzt.
Welchen Beitrag leistet Gruppenselektion?
Die Frage, die Biologen in erster Linie interessiert, ist eine ganz andere als die der Philosophen. Es ist egal wer Recht hat, und wer was missversteht; entscheidend ist wie gut Gruppenselektion als Modell funktioniert. Und genau da ist sie bisher gescheitert. Als Modell ist sie zu kompliziert um mit Verwandtenselektion mit zu halten. Verwandtenselektion ist ein ultimates Modell (im Gegensatz zu proximat), das beschreibt, ob ein soziales Allel sich in der Population ausbreitet. Es ist kein Mechanismus, der Sozialität fördert, sondern nichts weiter als eine Form der evolutionären Kontoführung, wie Mr. Wilson hier sehr schön erklärt. Als solches ist Verwandtenselektion einfach besser anwendbar[*] als Gruppenselektion, besonders da Wilson eingestanden hat, dass Gruppenselektion bisher nicht mit statistischen Modellen vereinbar ist.
Aus: A defense of reductionism in evolutionary biology, G. C. Williams, 1985
Was mich aber vielmehr interessiert, ist, ob Gruppenselektion überhaupt hilfreich ist. Ich bewege mich damit inhaltlich auf der gleichen Ebene wie Nowak et al. – nur frage ich nach einem anderen Modell: ist Gruppenselektion nötig, um Adaptionen und soziale Verhaltensweisen zu erklären? Oberflächlich macht Gruppenselektion Sinn, doch betrachtet man einzelne Fälle, findet man, dass viele allein mit Selektion auf das Individuum zu erklären sind. Das heißt: Oft ist nicht mal Verwandtenselektion nötig um gesteigerte Fitness in einem Fall zu finden. Erfolgreichere Gruppen sind in erster Linie deswegen besser angepasst, weil die Individuen dieser Gruppe besser angepasst sind. Die Aufteilung in „innerhalb der Gruppe” und „zwischen den Gruppen” ist völlig willkürlich, denn Selektionsdruck wirkt zwangsläufig auf beide. Es wäre Schwarz-weiß-Malerei, eine Eigenschaft zu wählen (oder vielleicht ein Gen für Altruismus) und zu fragen, ob der Selektionsdruck auf die Gruppe in diesem Fall stärker ist als der auf das Individuum. Die Interaktion in der Gruppe sowie mit Individuen außerhalb der Gruppe formt das Verhalten der Individuen völlig unabhängig vom Selektionsdruck auf die Gruppe.
Solange wir nicht die einzelnen Schritte in der Entstehung von komplexem Sozialverhalten kennen, hilft uns Gruppenselektion nicht weiter, da sie die individuelle Komponente ausschließt. Verwandtenselektion ist dabei meines Erachtens ein hilfreiches Modell, welches Fragen beantworten kann, zu denen Gruppenselektion nicht in der Lage ist. Durch die oben beschriebenen, semantischen Missverständnisse bewirkt Gruppenselektion aber vor allem eines: sie gibt Mr. Wilson und Mr. Dawkins die Gelegenheit, sich öffentlich zu streiten.
Womit wir wieder beim Anfang wären – so ungefähr läuft die Gruppenselektionsdiskussion seit über 20 Jahren.
[*] Zumindest war sie das bisher in jahrzehntelanger Forschung. Nowak et al. argumentieren z.T. recht erfolgreich, dass selbst sie als Modell gar nicht nötig ist.
]]>Seit gestern ist auf Google alles neu – aufgefallen ist es jedoch nur Wenigen, denn die Veränderung fand vor allem hinter den Kulissen statt. Die gleiche schlichte, weiße Oberfläche, der gleiche markante Google-Schriftzug. Aber wenn man jetzt einen Suchbegriff eingibt, passiert plötzlich etwas Unerwartetes: Man bekommt eine lange Liste an Ergebnissen! Der Trick ist, dass dies passiert ohne dass man „Suchen” gedrückt hat, oder die „Enter”-Taste. Die neue Suchmethode nennt sich Google Instant (wie Instant-Kaffee).
Was bewirkt der neue Mechanismus? Google ist jetzt noch schneller. Man muss nicht mehr die (durchschnittlich) 0,3 Sekunden warten bis das Ergebnis erscheint. Nein, es kommt sofort. Während man tippt. Tippe ich etwa „Wie schnell” erfahre ich schlagartig wie schnell Haare wachsen. Tippe ich weiter „ist eigentlich Google”, dann bin ich gleich wieder bei dem alten Problem, die Antwort aus dutzenden Links heraus suchen zu müssen. („Wie schnell ist eigentlich … das Schneckentempo?!” )
Das „neue” Google wurde in den letzten Tagen durch aufwändige Doodles (diesen bunten Google-Logo-Varianten) auf der Google-Seite beworben. Und jetzt führt es in der Zeit, in der ich sonst eine Suche durchgeführt habe, je nach meiner Tippgeschwindigkeit, zwischen 4 und 17 Suchen durch. Für jeden Buchstaben wird nämlich neu gesucht. Da denke ich auf Anhieb: Was für eine Energieverschwendung! Ich weiß doch was ich suchen wollte, da interessiere ich mich nicht für Haarwachstum. Aber das neue Google ist symptomatisch für unsere Welt. Selbst 0,3 Sekunden sind noch nicht schnell genug. Es muss doch noch schneller gehen.
Google, der Klimakiller?
Letztes Jahr machte eine Studie die Runde, nach der eine Google-Suche so viel Energie verbraucht wie eine Energiesparlampe in der Stunde; und 7g CO2 produziert sie dabei. Dabei handelte es sich aber um eine Suche, die bis zu einem Ergebnis gelangt. Google selbst nahm dazu Stellung und erläuterte, dass eine Suchanfrage tatsächlich nur 0,2 g CO2 produziere. Immer noch eine beträchtliche Menge wenn man bedenkt, wie viele Suchen ich alleine an einem Tag durchführe (und multipliziert man das mit der im Internet surfenden Bevölkerung, ca. 2 Milliarden bis zum 30. Juni …).
Schön und gut, eine Internetsuche verbraucht Energie. Genauso wie eine Ersteigerung bei eBay und eine Literatur-Recherche über die Konkurrenzfähigkeit von Honigbienenspermien. Bedenkt man aber was damit gespart wird, ist das Ganze eventuell wieder relativiert: Fahre ich mit dem Auto in die Bibliothek, um dort mehr über das Paarungsverhalten von Bienen herauszufinden, verbrauche ich wahrscheinlich mehr Energie. Und statt meine alte Büchersammlung bei eBay zu verkaufen, schmeiße ich sie lieber weg. Da freut sich unsere Umwelt.
Ich frage mich aber, muss es sein, dass wir eine Google-Suche um weitere 0,3 Sekunden beschleunigen? Ich gebe zu, es ist eine hilfreiche und elegante Lösung, so wie das Meiste, das sich Google bisher ausgedacht hat. Aber die alte Methode funktionierte doch auch. Mit seinen letzten Doodles hat Google jedenfalls nicht gerade versucht, Energie zu sparen. Die bunten „Bouncy Balls” vor ein paar Tagen haben mich stark von der eigentlichen Suche abgehalten und ich ertappte mich, wie ich sie über den Bildschirm jagte. Interessant ist aber, dass diese Jagd meinen Prozessor stärker forderte als die klassische Seite; 20% mehr des CPU wurde benötigt damit die nette HTML 5 Animation funktionierte (HTML 5 ist die neue Variante der Webseitensprache, mit der Videos eingebettet und Inhalte auf die Eingabe durch den Benutzer direkt reagieren können). Angeblich forderte das HTML 5-Fulleren vom letzten Wochenende sogar bis zu 100% (mehr zu diesem Molekül gibt es übrigens bei Thilo im Mathlog). So schön diese Animationen auch sind, rechtfertigen sie den erhöhten Energiebedarf?
Stromverbrauch bei einer Google-Suche (nebenbei bemerkt, auch bei einer Yahoo- oder Ask.com-Suche) findet nicht nur am eigenen Computer statt. Vor allem wirkt es sich auf die Internet-Infrastruktur und die Server aus, auf denen Google seine Datenbanken hostet. Das sind eine Menge Rechen-“Power”. Letztens erst wurden die Google-Computer “ausgeliehen” um zu zeigen, dass der Rubik-Würfel aus jeder beliebigen Form heraus in 20 Schritten zu lösen ist.
Es geht auch anders
Google ist bekannt dafür, dass sie viel für die Reduktion ihrer Energiekosten tun. Sie versuchen aktiv, den CO2-Ausstoß ihrer Maschinerie zu reduzieren. Statt Rasenmäher werden tatsächlich Ziegen auf ihrem Gelände in San Jose, Kalifornien, eingesetzt (aber damit sind sie nicht die einzigen dort). Laut Energiechef Bill Weihl (gerade erst in der Zeit) benutzt Google Kühlungssysteme, die zu den effizientesten der Welt gehören. Sie setzen sich bei Ökostrom ein, und beteuern, dass sie die Finger von Atomenergie lassen. Damit wäre mir persönlich Google um einiges lieber als unsere liebe Koalition aus CDU und FDP.
Wer dennoch meint, mit Google (oder dem neuen Google Instant) Energie zu verschwenden, der hat viele Alternativen um sein Gewissen zu beruhigen. Mit Ecosia.org kann man mit jeder Suche den Regenwald schützen, oder mit Znout (=zero negative output) erneuerbare Energien unterstützen. Beides sind gewöhnliche Suchmaschinen, die aber bis zu 80% ihrer durch Werbung eingenommenen Gelder in den Umweltschutz investieren. Dabei verliert man allerdings den Luxus, direkt auf eine Suche wie Google Scholar zugreifen zu können. Als Wissenschaftler lernt man diese Suche nach wissenschaftlicher Literatur sehr zu schätzen.
Außerdem gibt es bei Ecosia, Znout und Co. nicht diese spannenden, Zeit raubenden aber einfach unwiderstehlichen Doodles.
Wir sollten uns bewusst sein, dass das Surfen im Internet auch eine Art ist, wie man Energie verschwenden kann. Bewusstes Surfen ist nicht nur eine Form von Umweltschutz, es sollte auch dazu bewegen, dass wir uns bewusst mit unserer Umwelt auseinander setzen. Und eine Suche mit Google, um einen Link zu finden, den wir eh in unseren Favoriten gespeichert haben, ist – egal welch eine CO2-Produktion das sein mag – Verschwendung. Ich glaube aber, es gibt viele bessere Wege, unserer Umwelt zu helfen, als Google’s Websuche zu demontieren.
Oder?
]]>Der Anblick des Auges war damals schrecklich und ich muss zugeben dass ich mir nicht wenig Sorgen um mein Auge gemacht habe. Man sollte meinen, ich hätte daraus gelernt und reibe im Sommer nicht mehr an den Augen …
Nun ja, ich habe auf jeden Fall den Wert meiner Augen schätzen gelernt. Einen ganz anderen Fall von Augenproblem hatte der berühmte Neurologe Dr. Oliver Sacks. Wenige Neurologen (von denen ich weiß) haben ein Talent mit Worten wie Dr. Sacks. Seine Bücher sind eine Mischung aus medizinischem Wahnsinn und humorvollen, menschlichen Geschichten, die deutlich machen, wie beeindruckend und zugleich fehlbar unser Körper doch ist. Wenn ich etwas von Oliver Sacks lese denke ich automatisch an eine Folge von „Pinky and the Brain” – die, in der das Brain versucht, einen riesigen Roboterkörper zu steuern, dabei aber das Mobiliar im Büro seines Vorstellungsgespräches vernichtet. So ungefähr steuert unser Gehirn unseren Körper. Meistens funktioniert es gut, doch manchmal steht man neben sich und fragt sich: „Warum habe ich das gerade eigentlich gemacht?!”
Unser Gehirn steckt nicht nur hinter der einfachen Motorik und der Verarbeitung externer Reize, es ist auch verantwortlich für optische Täuschungen, Geräusche und Gerüche, die gar nicht da sind, sowie für die Erklärung warum riesige, rosa Kaninchen in unserem Garten leben nachdem wir eine viel zu intensive Petersiliensuppe gegessen haben.
Jetzt hat Dr. Sacks eine neues Buch vorgestellt, The Mind’s Eye, in dem er das Verhältnis unserer Augen zu unserem Gehirn genauer untersucht. Denn als er 2005 im Kino plötzlich einen Teil seiner Sicht verlor, lag das an einem Krebstumor im Auge. In seinem Buch beschreibt er die Monate der Behandlung und der Angst, die er bei verlierendem Augenlicht hatte. Aber er erzählt auch davon wie spannend es zugleich war, sein Gehirn auszutricksen und ihm Sachen vor zu gaukeln, die nicht da waren.
Das Zitat ist aus einem neuen Interview mit Dr. Sacks, geführt von Steve Silberman. Steve ist ein Autor der New York Times und Wired, der nun einen neuen Blog, NeuroTribes, auf der neu errichteten Plattform der Public Library of Science, kurz: PLoS, betreibt. PLoS Blogs ist ein kürzlich von dem bekannten open-access Journal PLoS gegründetes Foyer für Wissenschaftler, ganz ähnlich unseren ScienceBlogs.
Das Interview mit Dr. Sacks ist sehr zu empfehlen. Leider nur auf Englisch, erzählt er unter anderem von seinen Gefühlen bei der Diagnose, seinem Umgang mit nur einem Auge, aber auch von Blinden, die Unglaubliches zu Stande bringen, Braille „sehen” und ihr Haus reparieren – mitten in der Nacht. Aber er erzählt auch in anschaulicher und meiner Meinung nach wunderbarer Weise, was es heißt Wissenschaftler zu sein und warum es so wichtig ist, seine Umwelt bewusst zu beobachten und zu hinterfragen: