Kommentare (9)

  1. #1 2xhinschauen
    14. Juli 2013

    Dieser Blogpost befasst sich mit “Callouts” von Mensch und Maschine im Verlauf des Anflugs. Über einen bestimmten Typ von Ansagen habe ich bisher nichts gelesen, nämlich die vom “Ground Proximity Warning System” (GPWS) – jedenfalls gab es sowas mal als separate Unit, heutzutage sicher in die sonstige Software integriert, weil man mit mehr Eingangsdaten arbeiten kann, nicht wie früher nur den Werten vom Radarhöhenmesser.

    Je nach Fluglage, nicht nur beim Anflug, ruft es dann Dinge durchs Cockpit wie “Terrain, Terrain” oder “Too low” oder “Don’t sink”. Davon war bisher nicht die Rede. Gibt es das noch?

    Die etwas ungewohnte(?) tröpchenweise Information seitens des NTSB lässt ja mutmaßen, dass da immer noch was kommt und noch was und noch was.

    Und eine zweite Frage, wo wir gerade dabei sind: Airbus war m.W. der erste Flugzeugbauer, der die Steuerbewegungen der Piloten einer übergeordneten technischen Kontrolle unterwarf – so in dem Sinne, dass Stalls (Strömungsabrisse) vermieden wurden, wenn Steigrate und Speed nicht zusammenpassen wollten, oder dass der Bank Angle (Querneigung) begrenzt wurde usw. Boeing und andere haben da nachgezogen.

    Man könnte also denken, dass neue Flugzeuge einen Anflug, wie die Asiana-777 ihn hier gezeigt hat, gar nicht erlauben würden, in dem Sinne, dass die quantifzierbaren Parameter gut genug gewesen wären für einen Eingriff der “übergeordneten” Steuerelektronik (“envelope protection” hab ich mal gelesen – nochmal sorry für mein Halbwissen). Soll heißen: Das Flugzeug hätte irgendwann auch bei abgeschaltetem Autothrotte Gas gegeben und wäre womöglich sogar selbsttätig unter “go-around” Rufen in level flight gegangen, um den Aufschlag abzuwenden.

    Ist die 777 (Erstflug vor knapp 20 Jahren) entsprechend ausgestattet bzw stimmt meine Annahme überhaupt?

    Danke im voraus,

  2. #2 Pino
    15. Juli 2013

    Das GPWS (Ground Proximity Warning System) gibt es nach wie vor. Es ist auch heute noch unabhängig von den Flugzeugsystemen. Es wurde aber zum EGPWS (Enhanced GPWS) weiterentwickelt.
    Im Enhanced GPWS wird zusätzlich zu den „alten“ Modi des GPWS, die ausschließlich über den Radarhöhenmesser funktionieren, die GPS Position und eine Terrain/Obstacle Database verwendet. Damit kann das Warnsystem auch nach vorne schauen und vor Bergen und Hindernissen warnen, die der nach unten schauende Radarhöhenmesser nicht oder zu spät „sieht“.

    Vor Landeunfällen, wie diesem hier, kann das EGPWS allerdings nicht warnen, da es sonst bei jeder Landung warnen würde.
    Hier die Modi im einzelnen:
    Excessive Rate of Descent: Diese lag nicht vor. Die Sinkrate war zwar nach den veröffentlichten Daten zwischen 1000 und 500 Fuß mit 1500 Fuß/min zu hoch, aber nicht „excessive“.
    Excessive Terrain Closure Rate: Das Gelände vor der Landebahn war topfeben, nämlich das Wasser der Bucht. Damit gilt das gleiche wie für Punkt eins.
    Altitude Loss After Takeoff: Dieser Mode gilt nur nach dem Start.
    Unsafe Terrain Clearance When not in Landing Configuration: Hier handelt es sich um die „Too Low Flapps“ oder „Too Low Gear“ Warnings. Doch das Flugzeug war in Landekonfiguration. Also keine Warnung, da sonst keine Landung ohne Warnung möglich wäre.
    Descent Below Glide Slope: Diese Warnung wäre gekommen, wenn denn ein Glide Slope Signal hätte empfangen werden können. Der Glide Slope war aber abgeschaltet.
    Terrain Clearance Floor: Das ist die Warnung der Enhanced Funktion. Damit auch hier nicht bei jeder Landung gewarnt wird, ist in Bahnnähe eine Annäherung an den Boden ohne Warnung möglich. Wäre die Crew noch ein wenig früher so tief gewesen, dann hätte das System gewarnt.

    Die B777 ist zwar schon fast 20 Jahre alt, doch es gibt nur zwei Airbusse die neuer sind: A380 und A350. Die B777 hat genauso, wie die Airbusse ab A320 (also A320, A340, A330, A380 und A350) eine solche Flight Envelope Protection.
    Bei Boeing ist sie von der Philosophie her anders ausgelegt, als bei Airbus.
    Die Airbusse lassen nicht zu, dass der Flight Envelope verlassen wird. Hört sich toll an, ist es aber nicht. Denn wenn das Flugzeug seinen Envelope aufgrund von Sensorfehlern (z.B Ausfall der Fahrtmesser) falsch berechnet, dann kommt man als Pilot in Teufelsküche. Deshalb gibt es für die Envelope Protection zahlreiche Fehlermodi. Das führt aber hier zu weit. Bei Boeing wird den Piloten die Grenze des Envelopes unmissverständlich aufgezeigt ein bewusstes Überdrücken ist aber möglich.
    Soweit bisher bekannt war der Stickshaker bereits aktiv. Die B777 hat also den Piloten klar gemacht, dass das Flugzeug in der Nähe des Stalls ist. Die Protection, die den Stall verhindert hätte, brauchte aber noch nicht eingreifen, da das Flugzeug nicht gestallt wurde. Es wurde in der Nähe des Stalls gegen die Kannte der Seemauer geflogen.
    Nach mehr als 8000 Stunden Erfahrung auf A320/330/340 bin ich überzeugt, dass dieser Unfall genauso mit allen Airbussen passiert wäre.
    Die angesprochene Autothrustfunktion, die automatisch Vollgas gibt, wenn das Flugzeug zu langsam wird, ist bei der B777 eventuell nicht vorhanden, dazu habe ich zu wenig Kenntnisse von diesem Flugzeugtyp. Doch auch bei den Airbussen hätte sie nicht helfen können, da sie in Bodennähe nicht mehr funktioniert. Sie darf nämlich aus den gleichen Gründen wie oben für die GPWS Modi in Bodennähe nicht funktionieren, da sie sonst bei jeder Landung im Ausschweben über der Bahn Vollgas geben und das Landen unmöglich machen würde.

    • #3 Helga Kleisny
      15. Juli 2013

      🙂 Wow! Danke für den Insight.

      Ich freue mich auch, dass sich dieses Forum zunehmend zu einem Forum entwickelt, von und für Piloten und von und für fliegerisch interessierte Leser, die alle korrekt informiert sein wollen und auch ihr Wissen und ihre Einschätzung gerne an andere weitergeben!

      Vielen Dank an ALLE, die dazu beitragen!

      Auf weitere rege Diskussionen! Auf weitere Fragen und konstruktive Antworten!

  3. #4 2xhinschauen
    15. Juli 2013

    @Pino, das war klasse, danke. Keine weiteren Fragen 🙂

    Oder, naja, eher eine Anmerkung: Der Laie denkt sich sicher, dass “das Flugzeug” einen irregulären Anflug “eigentlich” gut von einem zunehmend schiefgehenden unterscheiden können müsste, und die Ingenieure bei Boeing und Airbus haben da bestimmt viel geschwitzt über der Frage und sich dann aber offenbar gegen ein allzu voreiliges Eingreifen entschieden. Offenbar gibt es (noch) zu viele Sonderfälle, und eine optische Höhenführung statt des ILS-Glidepath-Signals wie in diesem Fall dürfte die Unterscheidung mit technischen Mitteln nicht leichter machen.

    Bin im übrigen sicher auch nicht der erste, der die unterschiedliche Auslegung der Envelope Protection bei Boeing und Airbus, die du geschildert hast, mit “typisch” kommentieren würde: Der Europäer reguliert und verbietet alles, der Amerikaner klebt erstmal nur Warning Labels drauf :))

  4. #5 Pille
    16. Juli 2013

    “Der Europäer reguliert und verbietet alles, der Amerikaner klebt erstmal nur Warning Labels drauf” Naja! Schon mal Überraschungseier in den USA gesehen? Sind nämlich verboten…

    Unabhängig davon: zusammenfassend lässt sich doch über den Vorfall vor allem Eines sagen: nach jetzigem Wissensstand hat der Pilot einfach Mist gebaut, oder?

    • #6 Helga Kleisny
      16. Juli 2013

      🙂 Prinzipiell korrekt. Etwas differenzierter:

      Mit dem jetzigen Wissensstand liegt die Vermutung nahe, dass der Pilot Flying zu tief im Endanflug war (Unstabiler Anflug). Das CRM (der Kommunikation im Cockpit, schon mal in einem früheren Kommentar genauer erklärt), das dies auffangen hätte sollen, hat nicht funktioniert.

      Wenn einer zu tief oder sonst wie off vom geforderten Flugweg ist, ist der zweite Pilot im Cockpit dazu da, das zunächst verbal zu kommunizieren und, wenn das zu spät ist oder nicht mehr hilft, mit: I have Control oder wie auch immer das in der Firmenconvention/Landessprache heißt, den Fauxpas zu beheben. Rechtzeitig.

      Das kann in manchen Kulturen, bevorzugt im Osten (Japan, Korea, Arabische Länder, aber hierzulande auch etwa in Spanien) eine Hemmschwelle sein, als jüngerer einem (vielleicht sogar Dienst-)Älteren “das Ruder zu entreissen”.

      Ich sehe das nun nicht unbedingt als Pilotenfehler, sondern eher als systeminhärenten Fehler. Kulturen, die auf grundlegend anderen, sehr patriachalischen Werten beruhen, wenden unsere westliche Technologie an und da clascht es dann eben. Nicht am mangelnden Wissen, das ist durchaus vorhanden, aber im komplett anderen alltäglichen Prozedere.

  5. #7 Theres
    16. Juli 2013

    Gab es nicht den “Supervisor” an Bord, der die Verantwortung trug, oder habe ich da etwas verwechselt?

    • #8 Helga Kleisny
      16. Juli 2013

      Der Instruktor war bei diesem Flug (wie bereits früher beschrieben) der verantwortliche Pilot. (Ist nicht in jedem Fall so).

      Auch Altersangaben und Gesamtflugerfahrung der Piloten sagen noch nichts darüber aus, wie lange der Pilot bereits bei der Firma beschäftigt ist, und daher per se nichts über seinen Status in der Hierarchie der Firma.

      Genau deshalb versuche ich Vermutungen und (Schuld-)Zuweisungen vor dem Abschlussbericht der Untersuchung zu vermeiden.

      🙂 Ihr könnt gerne weiter diskutieren, was die Ursachen sein könnten. Ich werde mich aus den Vermutungen allerdings (wieder) heraushalten.

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