In New York startet im Januar 2009 ein Airbus A320. In 3000 Fuß (900 m) Höhe fallen beide Triebwerke wegen Vogelschlag aus. Etwas mehr als drei Minuten später landet der Airbus im Hudson. Alle überleben mehr oder minder unverletzt.
All Engine Failure.
Was folgte, war für die Crew lange Zeit nicht der Ruhm für die erbrachte Leistung, sondern haarklein bissige Nachfragen, warum und wieso man denn nicht anders gehandelt hätte. Es war schlicht und einfach beschämend und demütigend für die Crew.
Kein Wunder am Hudson, sondern Erfahrung, Kenntnis und die Anwendung des lebenslangen Lernens. Weil es eben noch keine Verfahren für genau diesen Fall gab, den man als gut dressierter ausführender Pilot abarbeiten hätte können.
All Engine Failure.
Die Crew von Flug 1549 fand in weniger als drei Minuten eine Lösung und führte sie erfolgreich aus, die nun nach acht Jahren in ein Airbus-Verfahren münden. Dieses ist eine nahezu 100%ige Kopie des Handlungsablaufes von Kapitän Chesley Sullenberger und seinem Ersten Offizier Jeff Skiles.
Bei der Hudsonlandung in 2009 hatten Sullenberger und Skiles in etwa folgendes Verfahren zur Verfügung. Es stammt aus Dezember 2016; in den Jahren zwischen 2009 und 2016 gab es nur wenige Änderungen. Das waren vier Seiten im QRH (Quick Reference Handbook):
Dieses Verfahren eignet sich für den Ausfall beider Triebwerke in Reiseflughöhe.
Es zielt in erster Linie darauf ab, die Triebwerke durch Windmilling, also ohne den Einsatz des Anlassers einfach durch Anströmung von vorne, wieder an zu lassen. Dazu ist eine hohe Geschwindigkeit (Optimum Relight Speed, siehe Prozedur) von 280 Knoten (520 km/h) nötig, die mit einer sehr hohen Sinkrate verbunden ist. Hätten die beiden das gemacht, dann hätten sie kein sicheres Landefeld erreicht.
Statt dessen starteten sie die APU (Auxiliary Power Unit; Hilfsgasturbine). Das verbessert die Stromversorgung und ermöglicht einen Startversuch mit Unterstützung des Anlassers.
Da für den Rest der Prozedur keine Zeit war – das Ditching (die Notwasserung) wäre erst auf Seite 4 gekommen – , führen sie das Ditching nach eigenem Ermessen mit Klappen in Stellung 2 durch, um im Flare (Ausschweben) eine hohe Pitch (Winkel zwischen Längsachse des Flugzeuges und dem Horizont) zu erreichen. Dies erschien ihnen – und hat sich letztlich als wahr herausgestellt – imminent wichtig, damit der hintere Teil des Rumpfes vor den Triebwerken in Kontakt mit dem Wasser kommt und somit eine brachiale Drehung um die Hochachse verhindert wird, falls ein Triebwerk kurz vor dem anderen in das Wasser eintaucht. Sie setzten letztlich mit einer Pitch von 11 Grad auf.
Die oben genannte, alte, lange Prozedur verlangt an dieser Stelle Klappen in Stellung 3. Damit würde das Aufsetzen mit einer geringeren Pitch (flacher) stattfinden; mit all den negativen Konsequenzen.
Die Unfalluntersucher empfahlen nach der Befragung der Crew, dass es ein besser handhabbares Verfahren für den Ausfall beider Triebwerke in Bodennähe geben muss.
Airbus arbeitete daraufhin acht Jahre mit vielen Ressourcen daran. Doch all die Ingenieure, Testpiloten und Juristen – es muss ja „wasserdicht“ sein, damit Airbus nicht Schuld ist – konnten nichts besseres finden, als das, was Sullenberger und Skiles in drei Minuten „erfunden“ haben. Sogar die Empfehlung für das Aufsetzen mit 11 Grad Pitch steht nun in der ersten offiziellen Prozedur:
Auch in der langen Prozedur, die es – aus guten Grund – dazu noch immer gibt, wurden aufgrund der Erfahrungen von Cpt. Sullenberger und Skiles die Werte angepasst. Auf Klappen 2 und 11 Grad Pitch.
Fehlerbehebung durch die Praktiker.
Vielleicht kann man doch nicht alles aus Büchern so lernen, dass man es dann ebenso stur und prozedural nach einer Liste abarbeiten kann. Vielleicht kommt manchmal doch die Erfahrung und das lebenslang erworbene Wissen dazu und rettet mehr Leben als das sture Buchstaben abarbeiten. Vor allem, wenn nicht alle Fälle bekannt sind und der menschliche Geist gefordert ist.
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