Der wissenschaftliche Arbeitsalltag hält im Grunde genug Herausforderungen bereit; wenn dann noch ein Familienleben organisiert werden soll oder gar Kinder ins Spiel kommen, wird aus der Doppel- schnell eine Dreifachbelastung. Zwar sind Mentoringprogramme, Stipendien und andere Maßnahmen zur Frauenförderung in der Wissenschaft sehr wertvoll, aber der Tag einer Wissenschaftlerin, die gleichzeitig Mutter ist, hat dennoch nicht mehr als 24 Stunden.

Die Soziologin Dr. Kerstin Dressel gibt einen Einblick in diesen ganz normalen Wahnsinn. Sie schildert, was es konkret bedeutet, Wissenschaft und Familie miteinander in Einklang zu bringen und weshalb sie trotz der Mehrfachbelastung nicht tauschen möchte.

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Nein, früher ging es einfach nicht! Ich musste vergangene Woche einen Zwischenbericht für ein Projekt abgeben und dann hatte ich gleich anschließend zwei wichtige Vorträge auf internationalen Konferenzen. Es war einfach nicht möglich diesen Beitrag früher zu schreiben – obwohl ich Lust dazu hatte und es mich wirklich drängte, diesen Artikel für Scienceblogs zu schreiben.

Aber vielleicht ist ja das genau Ausdruck davon, einerseits meinen beiden Kindern eine gute Mutter, aber gleichzeitig eine gute Wissenschaftlerin sein zu wollen. Zeit habe ich eigentlich keine mehr seitdem ich Mutter bin – weder für Sachen die drängen (Steuerberaterin!), noch für Dinge, zu denen ich Lust habe (z.B. regelmäßig Freundinnen zu treffen). Die Abgabetermine für Abstracts, für Artikel, für Anträge, Zwischen- und Abschlußberichte koste ich praktisch immer bis zum Schluss aus (23.58 Uhr ist schließlich immer noch im Rahmen der Deadline!).

Ständig unterwegs, immer just in time

Freie Zeit habe ich eigentlich keine mehr seitdem ich Mutter bin.

Obwohl ich Pünktlichkeit sehr schätze, schaffe ich es trotzdem immer nur gerade noch in allerletzter Minute zu einem Termin einzutreffen. Im Grunde genommen bin ich ein umweltbewußter Mensch, aber trotzdem fliege ich praktisch zu allen beruflichen Terminen, auch wenn ich das Zugfahren bevorzugen würde. Es geht einfach schneller. Dass ich dabei den letztmöglichen Flieger benutze, und den erstmöglichen wieder nach Hause, versteht sich ohnehin von selbst als Mutter. Ich fühle mich eigentlich ständig gehetzt.

Es ist ein Lebensgefühl des immer Mittendrin-Seins und dabei doch Nicht-Genügens: Ein Leben ohne Kinder ist für mich schlechthin unvorstellbar! Aber ich wäre meinen Kindern (10 und 5 Jahre) eine schlechtere Mutter, wenn ich nicht arbeiten könnte. Davon bin ich überzeugt! Ich liebe meinen Beruf als Soziologin und ich bin gerne Wissenschaftlerin. Aber ich bin auch ständig unter Zeitdruck und mittlerweile sehr häufig auch am körperlichen Limit.

Der ambivalente Luxus freier Zeiteinteilung

Das Leben als Wissenschafterlin bietet aber auch Freiheiten: Wenn schon die Zeit hinten und vorn nicht reicht, um nur das Pflichtprogramm zu absolvieren, dann kann ich mir wenigstens die nicht vorhandene Zeit relativ frei einteilen. Ich denke mir häufig, dass jede Kassiererin an der Supermarktkasse schlechter dran ist. Normalerweise haben wir Wissenschaftlerinnen keine 9-to-5-Jobs, was ich wirklich als Luxus empfinde. Denn schließlich möchte ich meinen Kindern auch gerecht werden.

Es kommt nicht darauf an, wieviel Zeit man miteinander verbringt. Es zählt, wie intensiv und bewußt man die Zeit mit Kindern nutzt.

Nach einem meist stressigen Morgenprogramm, bis meine Tochter in der Schule und mein Sohn im Kindergarten ist, habe ich ein paar Stunden, die ich ganz der Wissenschaft widmen kann. Der Nachmittag, so ab 15 Uhr, gehört dann meinen Kindern, Zeit für und mit Ihnen, bis sie gegen 20 Uhr wieder im Bett sind. Ich bin eine Verfechterin der These, dass es auf die Qualität der miteinander verbrachten Zeit ankommt, nicht auf die Quantität.

Auch sollen meine Kinder, wie andere Kinder auch, deren Mütter weitaus mehr Zeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilhaben: Musik machen, zum Fußballspielen gehen, rauschende Kindergeburtstage feiern und Reitstunden nehmen – das volle Programm halt. Da auch mein Mann beruflich sehr eingespannt ist, liegt das Gros der Familienorganisation bei mir, d.h. neben dem Haushalt das Kümmern und Anmelden der Kinder zu diversen Aktivitäten, das Bringen und Abholen, das Organisieren von Kindergarten- und Schulfesten, das Dabeisein beim Üben – nur um eine kleine Auswahl zu geben.

Verantwortung für Kinder und Familie zu haben kostet Zeit und Kraft

Und weil man bekanntlich für seine Kinder nur das berühmte „Beste” will, läßt man sich auch gleich noch in den Elternbeirat wählen, um aktiv daran mitzuarbeiten, damit die Kleinen auch wirklich „das Beste” bekommen.

Förderprogramme für Wissenschaftlerinnen sind wertvoll, aber wenn mein Kind krank wird, dann helfen die auch nicht weiter.

Ja, mein Leben ist anstrengend! Natürlich weiß ich um all die Förderprogramme, die für Wissenschaftlerinnen aufgelegt werden, weiß um die Vorteile von Frauenpromotions- und -habilitationsstipendien, Mentoringprogrammen und Frauenquoten. Rede mit, wenn die Sprache auf Gender Mainstreaming kommt.

Allein das ist nur die eine Seite der Medaille. Selbstverständlich bin ich froh, dass es all das gibt und mir ist klar, dass wir ohne diese Maßnahmen noch weitaus schlechter dastünden. Aber diese Programme helfen nur sehr wenig, wenn auf einmal ein Kind krank ist, gerade einen schlechten Tag (oder Nacht!) hat oder anderweitig Mama-bedürftig ist – und das ist die andere Seite der Medaille, die sich mit den wenigsten institutionalisierten Programmen auffangen läßt.

Oft wenn einem die besten Einfälle kommen, wird man durch ein herbeistürzendes Kind unterbrochen, das getröstet werden will oder sonstwie Zeit beansprucht.

Erfahrungsgemäß kollidieren solche familiären Ereignisse immer mit wichtigen beruflichen Terminen. Auch ein weiteres Phänomen ist vielen – nicht nur Müttern – bekannt: dass nämlich die besten Einfälle nicht unbedingt in der dafür vorgesehenen Schreibtischzeit kommen, sondern häufig zwischendurch. Allerdings: tolle Einfälle werden dann, bevor sie auch nur richtig zu Ende gedacht werden konnten, von herbeistürzenden Kindern, die getröstet, liebkost, bespielt oder irgendwohin gefahren werden wollen, dringend noch Schulhefte besorgen müssen, Streit mit der besten Freundin haben o.ä. einfach so vorbeigewischt.

Wer hat nur die Schulferien erfunden?

Ein Graus aller beruftstätigen Eltern, das im beruflichen Horrorszenario einer Wissenschaftlerin nicht fehlen darf, sind diese unsäglichen 14-Wochen dauernden Schulferien! Wer sich das ausgedacht hat, hatte entweder selbst keine Kinder oder hing dem klassischen male breadwinner model an, wo die nicht-beruftstätige Hausfrau und Mutter nur darauf wartet, mit ihren Kindern die sechs Wochen Sommerferien von frühmorgens bis zum Abend im Schwimmbad zu verbringen. Also jedenfalls nicht die typische Wissenschaftlerin. Natürlich brauchen Kinder Ferien und freie Zeit – mehr als Erwachsene. Aber doch keine 14 Wochen im Jahr!

Herkulesaufgabe: Wissenschaft und Partnerschaft zu vereinbaren

Auch hier erweist sich einmal mehr der Luxus der freien Zeiteinteilung in der Wissenschaft als Rettungsanker. Wenn auch als kein guter: Denn natürlich versuche ich das, was ich tagsüber nicht geschafft habe, in den Nächten wieder reinzuarbeiten.

Das Wissenschaftlerinnen-Dasein ist in jedem Fall partnerfeindlich. Denn selbst wenn ich es unter Normalumständen immer irgendwie noch schaffe, Kinder und Beruf zu vereinbaren, Zeit für Partnerschaft bleibt jedenfalls kaum mehr. Und gerade hier helfen Netzwerke leider auch nur sehr bedingt. Ja, man lernt es, das berühmte Networking, wenn man Wissenschaft mit aktivem Familienleben kombinieren will. Obgleich ich immer wieder feststellen musste, dass mir das Kinder-Networking häufig weitaus besser gelingt, als das berufliche, denn letzteres braucht Zeit – und gerade die habe ich ja nicht (siehe oben).

Mein Leben als Wissenschaftlerin mit Kindern ist wahnsinnig anstrengend. Aber es ist mein Leben.

Und so schließt sich der Kreis wieder und wieder. Ja, ich empfinde mein Leben als Wissenschaftlerin mit Kindern als sehr anstrengend. Nein, freie Zeit für mich habe ich keine mehr. Aber ohne Kinder geht es für mich nicht – genauso wenig wie ohne Wissenschaft. Es mag anstrengend sein dieses Leben als Mutter und Wissenschaftlerin, aber es ist mein Leben.

Dr. Kerstin Dressel ist Soziologin und Geschäftsführerin des Süddeutschen Instituts für empirische Sozialforschung (sine). Sie arbeitet hauptsächlich im Bereich der Umwelt-, Risiko- und Technik- sowie Wissenschaftsforschung, außerdem zu Fragen politischer Entscheidungsprozesse.

Kommentare (1)

  1. #1 florian
    Oktober 15, 2008

    Auch wenn meine familiäre Situation ein bisschen anders (und komplizierter 😉 ) habe ich mich in vielen der beschriebenen Situationen wiedererkannt. Die freie Zeiteinteilung ist ein klarer Vorteil dieses Berufs und kommt der Familie sehr zugute. Die heutzutage nötige Zeit die man aufwenden muss um im Wissenschaftsbetrieb mithalten zu können wirkt sich dagegen leider negativ aus. Noch schlimmer wird das ganze, wenn man noch keine fixe Anstellung ergattert hat aber trotzdem Kinder hat. Die ständige Jagd nach neuen Forschungsgeldern; der fast-schon-Zwang immer wieder den Arbeitsplatz (und damit auch den Wohnort) wechseln zu müssen verkompliziert die Lebensplanung und das Familienleben noch weiter. Und gerade die jungen Wissenschaftler (Doktoranden) sind ja heute finanziell gesehen auch nicht wirklich gut dran. Ohne eine ordentliche Portion Idealismus kommt man da nicht weiter 😉