Auch ich bin Mutter von zwei Kindern und gleichzeitig engagierte Forscherin und habe mich damit für ein Leben entschieden, dessen Alltag mich mitunter vor größere Herausforderungen stellt. Wie bereits in mehreren Beiträgen geschildert wurde, ist es nicht immer ganz einfach, das Familien- und das Wissenschaftlerinnenleben unter einen Hut zu bekommen. Das Hauptproblem ist und bleibt der Zeitmangel. Auch wenn man dieses Problem wohl nie ganz zufriedenstellend wird lösen können, so gibt es doch aus meiner Sicht einige wesentliche Dinge, die es Frauen erleichtern, gleichzeitig Mutter und Forscherin zu sein. Dies sind (1) eine gute Ganztagskinderbetreuung, mitunter auch über die Schließzeiten der Kita hinaus, (2) die Möglichkeit, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren und unwichtigere Dinge zu delegieren, (3) die Flexibilität des Arbeitsplatzes und (4) ein engagierter Partner.
Während sich der letzte Punkt nur bedingt steuern lässt und es letztlich eine große Glückssache ist, ob man einen entsprechenden Partner zur Seite hat, der nicht nur ebenso wie man selbst Freude an der Erziehung der Kinder hat, sondern auch bereit ist, dafür manchmal Kompromisse einzugehen, gibt es für die anderen Punkte in zunehmenden Maße Unterstützungsmöglichkeiten. Mir persönlich wurden diese zuteil, als ich mich vor einem guten Jahr um ein Stipendium der Nüsslein-Volhard Stiftung beworben habe.
Von „For Women in Science” hatte ich zwar gehört – allerdings kannte ich nur das internationale Programm von der UNESCO und L’Oréal. Mich habe ich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht als Zielgruppe für die Auszeichnung gesehen – darum war ich umso überraschter, als ich über die Nüsslein-Volhard-Stiftung für eine Förderung vorgeschlagen wurde. Durch dieses umfassende Stipendium konnte ich im vergangenen Jahr meine Kinder zusätzlich und mit gutem Gewissen individuell betreuen lassen und somit deutlich mehr Zeit für meine Arbeit aufwenden und mir andere Arbeiten, im Haushalt, abnehmen lassen.
Bei der Preisverleihung tauschte ich mich mit den beiden weiteren Preisträgerinnen Maiwen Caudron-Herger und Petra Ritter über den Verwendungszweck des Stipendiums aus und wir stellten bald fest, dass wir drei über die familiäre Unterstützung hinaus gar nicht so individuelle, sondern vielmehr dieselben Bedürfnisse für unsere Arbeit hatten: Wir alle hatten zu Hause nur „alte Krücken” stehen, uralte Laptops, die die Arbeit nicht gerade erleichtern. Gerade, wenn man zu Hause aber ein Kleinkind hat, ist es umso wichtiger, auch mal von dort aus Paper schreiben zu können.
In der deutschen Förderlandschaft ist es schwer, einen Laptop zu bekommen. Wenn man zum Beispiel an die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen Projektantrag stellt, sind Fördermittel für die „Grundausstattung” darin nicht inbegriffen, da Grundausstattung in unserem föderalen System Ländersache ist und die Universitäten selbst für solchen “Luxus” meist kein Geld haben. Laptops müssen privat finanziert werden, leider. Dabei ist es nicht nur praktisch, sondern extrem hilfreich, auch einmal vom „Home Office” aus zu arbeiten oder via Skype Konferenzschaltungen mit den Kollegen – die ja zum Teil im “zeitverschobenen” Ausland arbeiten – abzuhalten. Auch wenn ursprünglich eher für individuelle Karriereseminare gedacht, wurde von Seiten der Stiftung und UNESCO-L’Oreal unserem Wunsch stattgegeben und ich tippe inzwischen diesen Artikel abends von zu Hause auf dem neuen Laptop – die Kinder sind bereits im Bett. Auch wenn ein Laptop nicht das Institut beziehungsweise Labor ersetzen kann: Er trägt auch wesentlich dazu bei, dass ich die vorhandene Zeit besser nutzen kann.
Eine pauschale Lösung für die Herausforderungen, denen Wissenschaftlerinnen mit Kindern sich stellen müssen, gibt es leider nicht. Aber ich persönlich habe erfahren können, dass mit einer überschaubaren finanziellen Unterstützung auch scheinbar kleine Dinge wesentlich dazu beitragen, dass man als Forscherin seinen individuellen Weg weitergehen kann. Ich hoffe, dass die Initiative der Nüsslein-Volhard Stiftung nicht die einzige bleibt, sondern dass es langfristig politisch durchsetzbar wird, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Kindern und Partnern, die ebenfalls beruflich engagiert sind, die Vereinbarkeit von Familie und Forschung durch finanzielle Unterstützung zu erleichtern.
]]>Eva Matthes skizziert den Geschlechterkampf um Bildungschancen seit Ende des Zweiten Weltkriegs und die ermüdende Auseinandersetzung mit den immergleichen Vorurteilen.
Bald nach Kriegsende wurden 1945/46 die Universitäten auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik Deutschland unter den drei Besatzungsmächten Frankreich, Großbritannien und USA wieder eröffnet. Vor dem Trümmerhaufen einer Ideologie, von Hunger, Familienzerstörung und Armut gezeichnet, begannen Studierende und Lehrende 1945 mit dem Aufbau der zu 80 % zerstörten Universitätsgebäude. 1946 konnte ein stark eingeschränkter Lehrbetrieb wieder aufgenommen werden.
Aufbau der Nachkriegsuniversitäten
Der Andrang der Studierenden war groß, die finanzielle Ausstattung der Universitäten blieb demgegenüber weit zurück. Bald wurden Zulassungsbeschränkungen nötig. Die Diskussion um eine Beschränkung des Frauenstudiums lebte erneut auf.
Nicht nur in der studentischen Presse entbrannte eine über Jahre hinweg geführte Kontroverse über das Frauenstudium schlechthin, in der den Frauen vielfach das Recht auf ein Studium vollständig abgesprochen wurde. Trotz der im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3/Abs. 2 GG) wurden in den 50er Jahren traditionelle Rollenbilder propagiert und der Beruf der Frau zur Hausfrau und Mutter betont.
In den 50er Jahren ging der Frauenanteil unter den Studierenden erstmal zurück.
Diese gesellschaftliche Grundeinstellung blieb nicht ohne Wirkung: Der Frauenanteil an den Studierenden ging zurück, zumal auch die Berufschancen für Akademikerinnen als sehr schlecht eingeschätzt wurden. Hatte etwa der Studentinnenanteil an der Universität Erlangen 1946/47 noch 23 % betragen, so sank er in den 50er Jahren auf 16 %. In München und Würzburg lag er noch deutlich niedriger.
Auch die bereits in den Kriegsjahren und auch noch in den Nachkriegsjahren – aus Mangel an männlichen Kollegen – erfolgte Steigerung der Zahl der Hochschuldozentinnen trug keine Früchte. Die meisten von ihnen erhielten – trotz Habilitation – keinen Lehrstuhl; sie wurden nach Rückkehr der Männer von diesen wieder verdrängt. In diesem Zusammenhang ist die zwischen dem Wintersemester 1953/54 und dem Wintersemester 1955/56 durchgeführte repräsentative Erhebung des Soziologen Hans Anger an den Universitäten Bonn, Frankfurt/M., Heidelberg und Kiel aufschlussreich. 138 Hochschullehrer wurden unter anderem zu den Themen “Die Frau als Studentin” und “Die Frau als Dozentin” befragt.
Nach Kriegsende wurden viele Dozentinnen wieder aus der Hochschule verdrängt.
Ausgangspunkt für diese Befragung war die extreme Seltenheit weiblicher Hochschullehrer. Die fachlichen Leistungen der Studentinnen wurden im Vergleich zu den Studenten – in bekannter Weise – dahingehend eingeschätzt, “daß rein intellektuelle Fähigkeiten geringer oder seltener seien, abstraktes Denken, jedes Denken überhaupt liege ihnen nur weniger, es mangele an Kritikfähigkeit, Erfindungsgabe, Einfällen, wissenschaftlicher Phantasie, sie seien schüchterner, nicht selbständig genug und hätten weniger Initiative” (Anger 1960, S. 475f.). Markanter noch als diese Einschätzungen waren die Aussagen über die weiblichen Kollegen.
“Die akademische Tätigkeit ist eine vorwiegend abstrakte und liegt deshalb der Frau nicht so; auch die intellektuellen Beziehungsverknüpfungen liegen ihr nicht. Die Notwendigkeit der Autorität mag der Frau auch Schwierigkeiten bereiten. Der Mann kann bis ins hohe Alter hinein eine intellektuelle Steigerung erfahren. Die Frau neigt bei wachsendem Alter zur Ruhe und Seßhaftigkeit. In jungen Jahren wird sie sicher sehr Gutes leisten, aber auch physisch ist der Beruf zu anstrengend für sie, deshalb haben wir kein Angebot seitens der Frauen.” (Anger 1960, S.479)
Mangelnde Präsenz von Frauen auf Professuren und Lehrstühlen wurde als naturgegeben interpretiert.
Mangelnde Präsenz von Frauen auf Professuren und Lehrstühlen wurde als naturgegeben interpretiert, der natürlichen Bestimmung der Frau entsprechend. Die Vorurteile, die die Studentinnen erlebten, aber nach wie vor auch die Aufgabe des Studiums mit der Eheschließung führten zu deutlich höheren Abbruchquoten als die ihrer männlichen Kommilitonen.
Der frustrierende Kampf gegen Vorurteile
In einer Studentinnenbefragung um 1960 finden sich Aussagen wie:
“Studentinnen werden nicht als echte Studierende angesehen; von der Mehrzahl belächelt; es gibt immer noch viele Professoren, die Mädchen […] nicht für voll nehmen. Das habe ich selbst erlebt; Ja, ich habe mich immer sehr durcheinanderbringen lassen, wenn man mich nicht ernst nahm; Wenn man seine geistige Persönlichkeit immer wieder beweisen muß, sich immer wieder gegen Vorurteile wehren muß, kann einen das schon mürbe machen; Es ist schwer, Achtung zu erringen.” (Gerstein 1965 , S. 88f.)
Mitte der 60er Jahre wurde die Bildungspolitik zu einem zentralen öffentlichen Thema. Auslöser war die 1964 von Georg Picht veröffentlichte Schrift “Die deutsche Bildungskatastrophe”, in der er darlegte, wie sehr das deutsche Bildungswesen im internationalen Vergleich zurückgeblieben sei und – um die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten – eine deutliche Steigerung höherer Bildungsabschlüsse anmahnte. Großes Aufsehen erregte auch Ralf Dahrendorfs 1965 veröffentlichte Schrift “Bildung ist Bürgerrecht”, in der er betonte:
“Es darf keine systematische Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Gruppen aufgrund leistungsfremder Merkmale wie soziale Herkunft oder wirtschaftliche Lage geben” (S. 22).
Bildungsoffensive der Sozial-liberalen Koaltion
Die sozial-liberale Regierung von 1969 schrieb sich eine Bildungsoffensive auf ihre Fahnen. Brachliegende Begabungsreserven sollten mobilisiert werden. In diesem Kontext stieg die Zahl der Abiturientinnen und Studentinnen in den 70er Jahren deutlich an. In Erlangen etwa stieg der Studentinnenanteil von 18,9 % im Jahre 1967 auf 35, 2 % im Jahre 1980. An der Universität München verdoppelte sich zwischen 1970/71 und 1975/76 die Zahl der Studentinnen, die Zahl der männlichen Studierenden erhöhte sich im selben Zeitraum nur um ca. 30 %.
Auch bei den 68ern hatten Frauen mit Vorurteilen zu kämpfen
Im Zuge der 68er Bewegung hatten sich auch die Studentinnen politisiert. Zunächst kämpften sie an der Seite ihrer männlichen Kommilitonen für eine Demokratisierung der deutschen Hochschulen und eine gesellschaftstheoretische Verankerung der Wissenschaften. Doch schnell mussten sie feststellen, dass sie auch von ihren männlichen Kommilitonen nicht ernst genommen wurden und für sie für unterschiedliche Dienstleistungen zur Verfügung stehen sollten. Aus Protest gründeten sich deshalb in allen größeren Städten der Bundesrepublik “Weiberräte”, zu denen Männer keinen Zugang hatten.
Die Neue Frauenbewegung
Auf dieser Basis begann sich zu Beginn der 70er Jahre eine Neue Frauenbewegung zu organisieren. So trafen sich im ASTA der Universität München seit Anfang 1971 die “Roten Frauen”, die zusammen mit einer Berliner und einer Frankfurter Frauengruppe die von Alice Schwarzer nach Deutschland importierte Aktionsidee gegen den § 218 aufgriffen. Gemeinsam organisierten sie die Unterschriftenaktion “Wir haben abgetrieben”, die als “Stern”-Titel im Juni 1971 die bundesdeutsche Öffentlichkeit in Aufruhr versetzte.
Kritik und Anstöße der Neuen Frauenbewegung fanden jedoch auch Eingang in den Universitätsbetrieb. Erstmals wurden in Lehrveranstaltungen frauenspezifische Themen aufgegriffen, Forschungsprojekte zu Frauenfragen wurden initiiert, Sommeruniversitäten für Frauen durchgeführt, Ringvorlesungen veranstaltet, universitäre Frauenvollversammlungen einberufen. Innerhalb der studentischen Vertretung traten nun eigenständige Frauengruppen auf.
Was die weitere Integration von Frauen in die Wissenschaft betrifft, standen die 80er Jahre im Zeichen der Bemühungen von (jungen) Wissenschaftlerinnen, Frauenförderung und Frauenforschung an den Hochschulen zu verankern.
Universitäre Gleichberechtigung wird ein Thema – endlich
Zielsetzung der in Frauenfragen engagierten Wissenschaftlerinnen war es, mehr begabten Frauen größeren Anreiz bieten zu können, sich die Universität als Arbeitsfeld zu erobern, also sie zu Promotion und Habilitation zu ermuntern. Doch noch immer fehlten häufig die Vorbilder und es stellt(e) sich das Problem der schwierigen Vereinbarkeit von Studium/Berufstätigkeit und Familie. Frauenförderpläne und Frauenbeauftragte an den Hochschulen wurden gefordert; Frauenforschung sollte institutionalisiert werden.
Nachdem der Passus “Die Hochschulen wirken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben auf die Beseitigung der für Wissenschaftlerinnen bestehenden Nachteile hin” in das 1985 novellierte Hochschulrahmengesetz Eingang gefunden hatte, das Defizit an Gleichberechtigung auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Konkurrenz also gleichsam bestätigt worden ist, wurden die Landeshochschulgesetze und schließlich die Grundordnungen der Länderuniversitäten dieser Zielvorgabe angepasst.
“Frauenbeauftragte achten auf die Vermeidung von Nachteilen für Wissenschaftlerinnen, weibliche Lehrpersonen und Studierende; sie unterstützen die Hochschule in der Wahrnehmung ihrer Aufgabe, die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.” (Bayerisches Hochschulgesetz Art.34, Abs. 1)
Neben der vom Senat gewählten Universitätsfrauenbeauftragten und ihren Stellvertreterinnen gibt es noch die Fakultätsfrauenbeauftragten, die von den jeweiligen Fachbereichsräten gewählt werden. Erst seit 1998 hat die Universitätsfrauenbeauftragte Stimmrecht im Senat und in den Kommissionen, denen sie durch ihr Amt angehört, vorher hatte sie lediglich beratende Funktion.
Abschließend will ich noch auf etwas hinweisen, was in bestimmten Frauenkreisen manchmal allzu gern tabuisiert wird. Nicht nur Männer bekämpfen Frauen als Konkurrentinnen, die Konkurrenz unter Frauen ist manchmal mindestens ebenso hart. Zugespitzt formuliert in diesem Kontext die Soziologieprofessorin Ulrike Gräßel:
“Projekten von Männern bekunden viele Frauen lobendes Interesse, den Verriss schreiben sie über die Kollegin. Notwendig wäre an dieser Stelle ein bisschen mehr Solidarität unter Frauen. Frauen sollten Frauen leben und arbeiten lassen wie Männer auch.”(Gräßel 2003, S. 43).
Männer und Frauen werden an der Universität damit leben und umgehen lernen müssen, die Konkurrenz von Frauen auszuhalten, beide Geschlechter werden sich darum bemühen müssen, ihr Konkurrenzverhalten zu humanisieren und sachbezogene Arbeitsbündnisse zu schließen.
Frauen werden stärker als bisher Netzwerke gründen und ihre Berührungsängste gegenüber mit Macht und Einfluss verbundenen Positionen aufgeben müssen.
In den ersten beiden Artikeln rekonstruierte Eva Matthes zunächst die ersten Schritte der Frauen an Universitäten und den Kampf um die Zulassung zu einem regulären Studium. Im zweiten Text behandelte sie die Situation von bildungswilligen Frauen in der Weimarer Republik und der Nazizeit.
» Literatur
Ines Weller zeigt, dass in der Chemie quasi ein Idealbild des “erfolgreichen Chemikers” dominiert und gepflegt wird – und dieses ist männlich codiert. Pech für die Chemikerinnen…
Die unzureichende Partizipation von Frauen insbesondere in den einflussreichen Positionen der Chemie in Wissenschaft und Unternehmen wirft die Frage auf, worauf dies zurückzuführen ist. Hier bieten z.B. Studien über den Einfluss der jeweiligen Fachkultur und den Habitus ihrer VertreterInnen Ansatzpunkte für Erklärungen.
Für die Chemie hat dies beispielsweise die Sozialwissenschaftlerin Barbara Nägele untersucht (Nägele 1998). An einem konkreten Fachbereich, dem Fachbereich Chemie der Universität Göttingen, hat sie eine Fallstudie zu den Geschlechterverhältnissen durchgeführt.
Wissenschaftliche Disziplinen unterscheiden sich auch durch den Habitus, der in ihnen gepflegt wird…
Sie hat dazu weibliche und männliche Mitglieder der verschiedenen Statusgruppen zu ihrer Wahrnehmung der Geschlechterordnung befragt, mit ihnen Gruppendiskussionen durchgeführt und das Geschehen an diesem Fachbereich mit der Methode der teilnehmenden Beobachtung untersucht.
Je attraktiver die Stellen, desto seltener bekommen sie Frauen
Dabei hat sie zum einen die häufig wenig greifbaren Formen der Benachteiligung von Frauen z.B. bei der Vergabe von Qualifizierungsstellen und Forschungsressourcen, sowie bei der Einbindung in professionelle Netzwerke nachgezeichnet. Beispielsweise konnte sie zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Besetzung eines Arbeitsplatzes mit einer Chemikerin abnehme, „je besser eine Stelle bezahlt ist, je mehr Karriereaussichten sie bietet und je besser sie sozialrechtlich abgesichert ist” (Nägele 1998: 48).
Ihre Untersuchungen verdeutlichen außerdem den nach wie vor schwierigen Zugang von Chemikerinnen zu den Netzwerken der jeweiligen scientific community, der für den erfolgreichen Aufbau einer wissenschaftlichen Karriere jedoch eine wesentliche Voraussetzung darstellt.
Zum anderen hat sie versucht, den Habitus, d.h. die Selbstdarstellungen und -inszenierungen der Chemiker und Chemikerinnen, zu bestimmen.
Der “erfolgreiche Chemiker”
Als ein Ergebnis hat sie bei den von ihr befragten RepräsentantInnen der Chemie die geschlechtliche Codierung des „erfolgreichen Chemikers” herausgearbeitet. Danach wird das Bild eines erfolgreichen Chemikers implizit mit Eigenschaften, wie z.B. praktisches Geschick und Intuition verknüpft.
Diese werden sowohl männlich gedacht, als auch naturalisiert, d.h. dass sie als biologisch gegeben gelten:
„Die meisten Professoren betreiben in ihren Diskursen eine Vergeschlechtlichung ihres Berufes (insbesondere Intuitionsdiskurs und Praktikerdiskurs). Sie konstruieren ihn so, dass er rein männlich ist und bleibt” (Nägele 1998: 142).
Zugleich verweist sie auf mögliche, in Ansätzen erkennbare Modernisierungstendenzen in den jüngeren ChemikerInnengenerationen, deren Relevanz für eine tatsächliche Umsetzung von mehr Chancengleichheit in der Chemie allerdings noch zu überprüfen ist.
Nägeles Untersuchung über einen chemischen Fachbereich einer Universität bezieht sich streng genommen nicht allein auf die Ebene „women in chemistry”, sondern verweist durch ihren Blick auf die Fachkultur bereits auf „gender in chemistry” und die Wechselbeziehungen zwischen beiden.
Literatur:
* Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Passage aus: Weller, Ines (2006). Geschlechterforschung in der Chemie: Spurensuche in der Welt der Stoffe. In: Smilla Ebeling, Sigrid Schmitz (Hrsg.). Geschlechterforschung und Naturwissenschaften. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, 117-138 (Daten 2008 aktualisiert)
Im Grunde halte ich Frauen und Männer nicht per se für grundverschieden. Es gibt viel eher einfach Unterschiede zwischen Leuten, also auch unter Frauen. Aber genau das ist das Schöne an der Forschung: Sie ist ganz individuell. Und jeder Wissenschaftler forscht auf seine eigene, unvergleichliche Art.
Dass ich mal in der Hirnforschung lande, war auch ein recht individueller Weg. Ich konnte in der Schule gut lernen und habe anschließend Physik studiert. Das Fach fand ich interessant. Am Gehirn war ich zwar schon immer interessiert, aber ein Biologiestudium reizte mich so gar nicht – ich dachte, dort geht es nur um Pflanzen und Tiere. Medizin wollte ich nicht studieren, weil ich auf keinen Fall Ärztin werden wollte.
Forschung und Hochschularbeit kannte ich zu dem Zeitpunkt ein wenig durch meinen Vater: Er ist Wirtschaftsprofessor mit dem Schwerpunkt Marketing. Zugegeben, das ist ein völlig anderes Feld als meine Studien, aber das wissenschaftliche Umfeld lag mir durch ihn nicht fern. Meine Mutter hat studiert und immer gearbeitet. Auch meine Schwester und Cousinen haben alle studiert – als Frau an eine akademische Laufbahn einzuschlagen war bei uns eigentlich ganz normal – was aber nicht heißen soll, dass wir unter Druck gesetzt wurden, ein Studium machen zu müssen.
Am Ende des Physikstudiums hatte ich dann schon verstanden, dass ich nicht in dieser Disziplin bleiben werde. Ich fand es zwar interessant, aber um als Physikerin in die Forschung zu gehen, fehlte mir persönlich die Abwechselung. In der Physik hat man schon alles, beziehungsweise fast alles verstanden. Zumindest war das mein Eindruck: Physikforschung geht „nur” noch ins Detail, weil das Große schon verstanden wurde.
Das Gehirn schien mir dazu der genaue Gegensatz. Dort gibt es noch viel zu erforschen und man kann noch ganz große Schritte machen. Darum habe ich meinen Ph.D. in Neurobiologie in Amsterdam angefangen, das hat richtig Spaß gemacht. Von dort bin ich einfach weitergegangen nach Boston und bin jetzt hier in München – geplant war das nicht. In der Schule habe ich mir nicht gesagt, dass ich in die Forschung möchte. Für mich fühlt es sich eher an, als hätte ich mein Studium nur wieder verlängert – bis jetzt eigentlich.
Ich komme aus den Niederlanden. Dass Frauen in der Wissenschaft hierzulande eine auffallende Minderheit sind, hat mich zunächst überrascht. Wenn bis 2014 ein Drittel aller Professoren in den Ruhestand gehen, bin ich gespannt, welche Rolle dem weiblichen Nachwuchs dann zugedacht wird. Bisher ist mein Eindruck, dass man in der Bundesrepublik mindestens 40, gar 50 Jahre alt sein muss, um Professor zu werden.
Das ist in den Niederlanden ein bisschen besser und soweit ich weiß in den USA auch. Es gibt dort einen „Assistant Professor”, das kann man auch in jüngeren Jahren werden. Es fehlt in Deutschland an Festanstellungen für junge Forscher. Hier gibt es ja nur Vollprofessuren und die machen den Sprung vom PostDoc zum Professor riesig. Das gilt allerdings für Männer wie für Frauen.
Ich bin natürlich dafür, dass es mehr Frauen in der Forschung gibt, aber eine Gleichstellungsquote halte ich dennoch für falsch – viele Frauen wollen auch gar nicht so hoch hinaus. Nur: Diese Grundhaltung, das Männer eben besser sind als Frauen, die darf es nicht geben. Um Professor zu werden braucht man eine gewisse Einstellung, muss bestimmte Qualitäten haben, das ist meiner Meinung nach zwar schwer zu finden aber grundsätzlich bei beiden Geschlechtern gleichermaßen möglich.
Gerade für Frauen, die Kinder haben, ist der Sprung nach dem PostDoc mit vielen Unsicherheiten verbunden. Es gibt sicher nicht viele, die das in Kauf nehmen. Vielleicht brauchen Männer diese Sicherheit, dass sie nach Jahren in der Forschung auch Professor werden, weniger. Professuren müssen ja auch nicht Fifty-Fifty unter den Geschlechtern aufgeteilt werden, aber 10 bis 20 Prozent mehr Frauen wären schon sehr toll.
In Holland ist es viel normaler „mit Kind” zu arbeiten. Hier hat mich jeder gefragt, wieso ich mir das antue, als ich drei Monate nach der Geburt meiner Tochter wieder zu arbeiten anfing. „Bleib das erste Jahr zu Hause,” sagten mir andere Mütter, „das ist viel besser fürs Kind!” Ich halte das für Blödsinn. Aber hier ist es ganz normal, dass die Frau ein Jahr zu Hause bleibt – aber wenn man das in der Forschung macht, ist ein Jahr viel zu lang.
In Holland ist es viel normaler, dass man nach drei oder vier Monaten wieder zur Arbeit kommt. Fast alle meine Freunde haben das so gemacht – und Mann und Frau teilen sich die Arbeit auch, indem z.B. jeder nur drei oder vier Tage pro Woche arbeitet. Das finde ich gut, weil das Kind dann seine Eltern zu gleichen Anteilen kriegt aber auch in die KiTa gehen kann. Für Forscher ist das natürlich nicht immer möglich, man kann nicht nur drei Tage pro Woche ein guter Forscher sein.
Dass es hier die Möglichkeit gibt, ein Jahr Elterngeld zu beziehen, ist natürlich schön – meine holländischen Freunde sind neidisch auf solche Möglichkeiten. In Holland muss man nach vier Monaten spätestens wieder arbeiten, glaube ich, aber da bin ich mir nicht ganz sicher.
Was die Geschlechterverteilung betrifft: In der Neurobiologie ist das Verhältnis insgesamt ohnehin recht ausgeglichen. Am Professorenlevel gibt es nur nach wie vor mehr Männer. Noch ist das normal, aber ich hoffe doch, dass das in 10 Jahren anders sein wird. Ich zumindest finde, in fünf Jahren sollte ich Professorin sein!
]]>Eva Matthes skizziert, mit welchen obskuren, heute nur noch lächerlich erscheinenden Argumenten zu Beginn des 20. Jahrhunderts versucht wurde, den Anspruch von Frauen auf höhere Bildung abzuwehren.
Wir haben inzwischen gehört, warum es Initiativen für eine akademische Bildung von Frauen gab – es gab allerdings auch viele Gegenstimmen. Ganz entscheidend war hierbei immer die Konkurrenz, die Männer durch die Frauen fürchteten. Scharfe Gegner einer akademischen Bildung für Frauen waren von daher vorrangig Gymnasiallehrer und Ärzte.
Erstere fürchteten, dass Frauen, die bisher den Volksschullehrerinnenberuf erlernten, in die höhere Laufbahn der Gymnasiallehrerin drängen würden. Ärzte hatten die Konkurrenz bereits durch im Ausland ausgebildete und im Deutschen Reich praktizierende Ärztinnen zu spüren bekommen. Den Gegnern ging es also nie ausschließlich um die Frage, ob Frauen zum Studium berechtigt seien, vielmehr stand die Ausübung eines akademischen Berufs im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Die Männer reagierten auf die Gefährdung ihrer Alleinvertretungsansprüche nach dem Motto: “Wo Gleichheit [und damit Konkurrenz; E. M.] droht, muss Natur her!”
Abwehrkampf der männlichen Besitzstandswahrer: “Ein Studium widerspricht der Natur der Frau…”
Es ging also darum zu “beweisen”, dass ein Universitätsstudium der Natur der Frau widerspricht. Theodor von Bischoff (1807-1882), ein im In- und Ausland anerkannter Anatom und Physiologe, der an der Universität München lehrte, war einer der ersten, der aus Ergebnissen der vergleichenden Gehirn- und Schädelanatomie die intellektuelle Unzulänglichkeit von Frauen für ein Studium und die Ausübung eines akademischen Berufes folgerte.
“Es fehlt dem weiblichen Geschlechte nach göttlicher und natürlicher Anordnung die Befähigung zur Pflege und Ausübung der Wissenschaften und vor Allem der Naturwissenschaften und der Medicin. Die Beschäftigung mit dem Studium und der Ausübung der Medicin widerstreitet und verletzt die besten und edelsten Seiten der weiblichen Natur, die Sittsamkeit, Schamhaftigkeit, Mitgefühl und Barmherzigkeit, durch welche sich dieselbe vor der männlichen auszeichnet. Die Bildung weiblicher Ärzte läßt sich mit unseren staatlichen Einrichtungen auf Schulen und Universitäten nicht vereinigen.
Ihre Theilnahme an dem an denselben ertheilten Unterricht stört und hindert denselben in unerträglicher Weise, und gefährdet das sittliche Wohl der männlichen Theilnehmer auf das allerschlimmste. Die Überladung des ärztlichen Standes mit unbefähigten halbgebildeten weiblichen Handwerkern, wie sie allein von dem weiblichen Geschlechte zu erziehen sind, hemmt und stört die Fortbildung der ärztlichen Wissenschaft und Kunst auf das Schädlichste.” (Bischoff, T.: Das Studium und die Ausbildung der Medicin durch Frauen 1872)
Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm hielt von Bischoff folgerichtig Konkurrenzangst entgegen.
“Sind die Männer wirklich das höhere Geschlecht, das heißt, mit höheren Kräften für alle die Fächer begabt, von denen sie die Frauen ausschließen, so brauchen sie doch die Concurrenz nicht zu fürchten, im Gegentheil, die Frauen werden ihnen zur Folie dienen; sind ihre Kräfte aber nicht höher, so setzen sie sich dem Verdacht aus, daß sie die Frauen einsperren, damit dieselben ihnen die Preise nicht verderben, und ihr Verhalten wird zur Gewaltthat, zur widerrechtlichen Aneignung eines Monopol”. (Dohm, H.: Die wissenschaftliche Emancipation der Frau 1874)
Obskure Argumente: “Wissende” Frauen büßen ihre (sexuelle) Attraktivität ein…
Weitere Stellungnahmen, wie die von Prof. Dr. med Lewin, zeigten die Befürchtungen der Männer, dass sie wissenden Frauen, Akademikerinnen gegenüber keine Erregbarkeit, keine sexuelle Lust mehr verspüren könnten, da hierfür ein Gefühl der Unterlegenheit der Frau wohl unverzichtbar erscheint.
“Eine Frau, die über die Anatomie der Geschlechsteile nicht allein des Weibes, sondern auch des Mannes orientiert ist und über das Mysterium des Geschlechtsaktes ohne Erröten sprechen kann, wird den Mann, wann nicht immer abstoßen, so doch immer kalt lassen”. (Prof. Dr. med Lewin 1897)
Auch wenn heute wohl kein Mann in Deutschland mehr wagte, öffentlich eine ähnliche Aussage zu tätigen, sind damit verbundene Ängste und – quasi als Entlastung – das Weibliche betonende Erwartungshaltungen gegenüber Frauen durchaus präsent. Und es können auch heute noch sehr viele Hochschullehrerinnen ihre individuellen Bestätigungen hierzu beitragen.
4. Die Weiterentwicklung des Frauenstudiums von 1903 bis zum Ende der NS-Zeit
Doch trotz aller Proteste – die Reform von 1903 wurde von vielen als Anspruch der Mädchen auf wissenschaftliche Bildung verstanden. In den ersten Jahren studierten mehr als die Hälfte der Frauen Naturwissenschaften, doch wuchs der Anteil bald nicht mehr so schnell wie in den Geisteswissenschaften.
An den theologischen und juristischen Fakultäten studierten wegen ihrer beruflichen Perspektivlosigkeit fast keine Frauen. Erst 1922 wurden Frauen zum Referendariat und zur Staatsprüfung für den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst zugelassen.
Die soziale Herkunft der Studentinnen konzentrierte sich auf die Beamtenschaft und die freien Berufe. Ihre Väter waren Professoren, Gymnasiallehrer, Rechtsanwälte, Ärzte, Fabrikanten oder Rittergutsbesitzer, die sich ein Studium ihrer Töchter leisten konnten.
Die Motive für ein Studium und die Fächerwahl waren unterschiedlich. Sie reichten von dem Wunsch, einer wissenschaftlichen Neigung nachzugehen über die Absicht, einen akademischen Beruf außerhalb der Universität zu ergreifen bis zu dem Anliegen, die Zeit bis zur Ehe sinnvoll auszufüllen. Manche brachen ihr Studium mit der Heirat oder der Geburt eines Kindes ab.
Häufig versuchten Studentinnen durch Anpassung in Kleidung und Verhalten sich dem männlichen, akademischen Habitus anzupassen.
Nicht selten versuchten die ersten Studentinnen durch Anpassung an die Sitten und Gebräuche, ja selbst an die Kleidung der männlichen Kommilitonen als das “andere Geschlecht” an der Universität nicht aufzufallen, ihren Geschlechtscharakter – zumindest innerhalb des wissenschaftlichen Bereiches – zu neutralisieren. Aufschlussreich ist auch folgende Aussage Elisabeth Flitners:
“Als in unserem Freundeskreis bekannt wurde, daß ich Abitur machen und studieren wolle, verblüffte uns Otto Herbig, der Maler, durch den […] Ausruf: ,Wie schade!’ und begründete sein Bedauern auf Fragen hin mit: ‘Da wird man [er meinte allerdings nur: frau; E. M.] doch so häßlich’.” (Flitner 1988, S.153).
Während des Ersten Weltkriegs stieg die Zahl der studierenden Frauen relativ stark an – in Würzburg etwa lag er bei ca. 25%, obgleich nicht nur Studenten Kriegsdienst leisteten, sondern auch Studentinnen in Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz oder in Rüstungsbetrieben arbeiteten. Die Studienbedingungen verschlechterten sich deutlich unter den Folgen des Ersten Weltkriegs.
“Als ich im Herbst 1917 nach München kam, saßen in den Hörsälen Frauen und Kriegskrüppel. Die Studenten hungerten und froren in ihren schlecht geheizten Buden und in den schlecht geheizten Hörsälen und Bibliotheken.” (ehemalige Studentin Julie Meyer-Frank)
Auch fürchteten die Studenten während der Jahre des ersten Weltkriegs verstärkt die weibliche Konkurrenz.
“In Heuschreckenschwärmen fallen die weiblichen Berechtigten’ über die deutschen Universitäten her, seitdem die männlichen Berechtigten in vielen Tausenden sich aufgemacht haben, dem Vaterlande Gut und Leben zu weihen […] Während sich die Elite der deutschen Männerschaft vor dem Feind verblutet, besetzen daheim die Weibchen die Kollegienbänke, um die gelehrten Berufsarten zu feminisieren.” (Adam Röder in der Süddeutschen Conservativen Correspondenz 12. Mai 1916)
Die Weimarer Republik brachte die Frauen auf ihrem Weg zur Gleichberechtigung ein entscheidendes Stück voran. Am 12. November 1918 erhielten die Frauen per Dekret des Rates der Volksbeauftragten das allgemeine, gleiche, aktive und passive Wahlrecht. Im Art. 109 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 heißt es: “Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten”.
Die Weimarer Republik bringt Fortschritte
Diese Bestimmung wurde zur Grundlage der Zulassung von Frauen zu Berufen im Öffentlichen Dienst und in der Rechtspflege. Diese Entwicklungen und erweiterte Möglichkeiten, das Abitur zu erwerben, führten in der Weimarer Republik zu einer deutlichen Zunahme der weiblichen Studierenden. Auch die soziale Herkunft veränderte sich im Verlauf der Weimarer Republik; allmählich kamen auch Töchter aus den Mittelschichten an die Hochschulen.
Verzweifelte Thesen vor 90 Jahren: Die “stärkere Erregbarkeit”, die insgesamt psychische Labilität der Frau, ihre “sexuelle Bindung” behinderten ihre geistigen Fähigkeiten.
Je normaler im Laufe der Jahre das Erscheinen von Studentinnen in den Hörsälen wurde, desto stärker formierte sich auch wieder der Widerstand, der schließlich in einer in aller Öffentlichkeit geführten Kampagne gegen das Frauenstudium mündete. Hierbei wurde häufig auf die Argumentation des Berliner Gynäkologen Professor Ernst Bumm Bezug genommen, der mit einer vielbeachteten Rektoratsrede im Jahre 1917 die Gegner mit neuer Munition aus dem alten Repertoire versorgte.
Die “stärkere Erregbarkeit”, die insgesamt psychische Labilität der Frau, ihre “sexuelle Bindung” behinderten ihre geistigen Fähigkeiten. “Der vollen dauernden Hingabe ans Werk wirft sich der Körper entgegen”. Wenn die Frauen nicht mehr von den Universitäten ausgeschlossen werden könnten, dann müsse zumindest versucht werden, ihre Zahl zu begrenzen.
1926 beruft sich etwa die “Nürnberger Zeitung” in einem Bericht über “Das Schicksal weiblicher Akademiker” ausdrücklich auf Professor Bumm. Der Artikel endet mit dem Vorwurf: “Von zehn akademisch gebildeten Frauen empfängt das Land nur sechs Kinder, während es nahezu 40 erhalten würde, wenn die studierten Frauen den anderen glichen”.
Mehr Polemik in Krisenzeiten
In den Jahren der Weltwirtschaftskrise verschärfte sich die Polemik gegen das Frauenstudium zunehmend. In dem 1932 veröffentlichten Pamphlet des promovierten Juristen Manfred Rompel “Die Frau im Lebensraum des Mannes” wurden die Studentinnen als die Schuldigen für die auch unter Akademikern wachsende Arbeitslosigkeit ausgemacht. Das Abitur sei für sie zur “Modesache” geworden. Massiv kritisiert Rompel die Öffnung der höheren Lehranstalten für die Mädchen.
Es finden sich die uns bereits vertrauten Argumentationsmuster: Wo Konkurrenz droht, muss Natur her. Und so heißt es bei Rompel dann auch: Durch die immer stärkere Angleichung an das Vorbild der männlichen Bildung werde “im Mädchen der Trieb zur Weichheit, Zärtlichkeit und Hingabe gehemmt oder verdrängt.” Worum es ihm eigentlich geht bzw. was ihm im Letzten Angst einjagt, macht folgende Aussage deutlich:
“Die unvermeidliche Folge des weiblichen Massenstudiums und das Eindringen der Frau in alle männlichen Berufe sind Blaustrumpfkultur und Frauenherrschaft.”
Auch aus dem Deutschen Studentenwerk erhoben sich Stimmen, den Anteil weiblicher Studierender deutlich einzugrenzen. Diese Stimmungsmache gegen das Frauenstudium, verbunden mit der schlechten Wirtschaftslage und der hohen Akademikerarbeitslosigkeit, führte Anfang der 30er Jahre zu einem deutlichen Rückgang der Zahl weiblicher Studierender (war deren Anstieg gegenüber der Zahl männlicher Studierender in der Weimarer Republik zunächst überproportional hoch gewesen, so war nun auch der Rückgang überproportional hoch).
Frauenstudium und Wissenschaftskarrieren in Zeiten des Nationalsozialismus
Einen nochmaligen Schub erhielt diese Entwicklung durch das von den Nationalsozialisten am 25. April 1933 erlassene “Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen” mit der entsprechenden Ausführungsverordnung mit konkreten Zahlenangaben Ende des Jahres, am 28. 12. 1933. Die Verordnung trennte für den Abiturjahrgang 1934 Abitur und Hochschulreife voneinander. Letztere, und damit die Möglichkeit zu studieren, sollten vom Abiturjahrgang 1934 höchstens 15.000 Abiturienten erhalten, wobei darunter in keinem Land mehr als 10% Mädchen sein durften.
Mit diesem geschlechtsspezifischen Numerus Clausus enthielt die Verordnung eine eklatante Schlechterstellung der weiblichen Abiturienten gegenüber den männlichen. Denn sie bedeutete, dass von zu erwartenden 40.000 Abiturienten (30.000 Männer und 10.000 Frauen) zwar jeder zweite männliche Abiturient, aber nur jede siebte Abiturientin die Hochschulreife und damit einen Studienplatz erhalten würde.
Bayern durfte nach der Durchführungsverordnung insgesamt 1670 Studienplätze vergeben, also höchstens 167 an Frauen. Allerdings hob der Reichserziehungsminister, Bernhard Rust, die Verordnung bereits am 9. Februar 1935 wieder auf, sie hatte also nur für die Abiturienten und Abiturientinnen des Jahrgangs 1934 gegolten. Trotzdem hielt die Talfahrt der Zahl der Studierenden beiderlei Geschlechts, allerdings wieder überproportional des weiblichen Geschlechts, noch bis Ende der 30er Jahre an. Hierzu trug nicht zuletzt die seit 1933 nochmals deutlich verstärkte Stimmungsmache gegen studierwillige und studierende Frauen bei, die der nationalsozialistischen Ideologie korrespondierte. Diese war generell antiintellektualistisch; für die Frauen sah sie den Beruf der Hausfrau und Mutter vor.
Die Nazis verschärften die Stimmungsmache gegen studierwillige Frauen.
Das Gesetz gegen das “Doppelverdienertum” erschwerte die Berufstätigkeit verheirateter Frauen, zugleich wurde Frauen der Beruf als Richterin und als Staatsanwältin verschlossen, 1934 verheirateten Ärztinnen die Kassenzulassung entzogen.
Zur Reduktion weiblicher Studierender trug nicht zuletzt auch das “Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre” und der weiteren “Nürnberger Gesetze” vom 15. September 1935 bei, mit deren Anwendung die Zulassung von Studentinnen und Studenten jüdischer Herkunft zu Promotion und Staatsprüfungen untersagt wurde. Der Anteil der “nichtarischen” Studentinnen an der Gesamtzahl der studierenden Frauen war etwa dreimal so hoch wie bei den männlichen Studierenden.
Den Hintergrund hierfür bildete, dass das jüdische Bürgertum, der Mädchen- und Frauenbildung überdurchschnittlich aufgeschlossen gegenüberstand. Dementsprechend war auch der Anteil jüdischer Akademikerinnen relativ hoch. Mit dem Gesetz “Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums” vom 7. April 1933 wurden Jüdinnen aus ihren universitären Ämtern oder aus ihren beruflichen Positionen vertrieben. Manche konnten sich in die Emigration retten und dort die wissenschaftliche Laufbahn beginnen, die ihnen in Deutschland versagt blieb. Einige erhielten Rufe an ausländische Universitäten. Von den 58 Wissenschaftlerinnen, die 1933 in Deutschland an Universitäten als Dozentinnen lehrten, ging ein sehr hoher Anteil ins Exil, andere wurden deportiert und in den Vernichtungslagern ermordet.
Als man Ingenieurinnen brauchte, wurden Frauen plötzlich zum Studium ermuntert…
Ende der 30er Jahre vollzog sich in der Haltung des nationalsozialistischen Staates aus funktionalen Gründen gegenüber dem Frauenstudium ein Einstellungswandel. Frauen wurden nun zur Aufnahme eines Studiums ermuntert. Die Frauen sollten den inzwischen eingetretenen Akademikermangel beheben helfen. Entgegen der bisherigen Geschlechterideologie sollten Frauen vor allem Naturwissenschaften studieren, damit sie zum Berufseinsatz in der Industrie oder in der Forschung zur Verfügung stünden.
Hierfür wurde ihnen sogar der Reichsarbeitsdienst erlassen. Vor diesem Hintergrund stieg während des Krieges der Frauenanteil kontinuierlich wieder an, bis im Sommersemester 1943 mit 25.000 Studentinnen (47,8 %) absolut und relativ mehr Frauen als jemals zuvor in Deutschland studierten. 1943 betrug der Frauenanteil an der Universität München 45 %, an der Universität Erlangen sogar 51 %.
Im ersten Artikel berichtete Eva Matthes über die Einführung des Frauenstudiums und die Widrigkeiten für bildungswillige Frauen und Mädchen. Im abschließenden Artikel beschreibt sie die Entwicklung seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
» Literatur
Dabei vergessen wir manchmal, dass sich Frauen die Beteiligung in der Wissenschaft erst mühsam erkämpfen mussten. Noch vor wenigen Generationen war die Immatrikulation an Universitäten Männern vorbehalten. Eva Matthes rekonstruiert die ersten Schritte der Frauen auf dem Weg zu akademischer Anerkennung und Gleichberechtigung.
In Gesprächen mit Frauen werden als ein Haupthindernis für die akademische Laufbahn von Frauen häufig die fehlenden Vorbilder und damit die fehlende Orientierung an weiblichen Biographieverläufen an der Universität genannt.
Inzwischen nehmen zwar mehr Frauen als Männer ein Studium auf – in dieser Hinsicht fehlt es also nicht mehr an Vorbildern – aber schon auf Lehrstuhlebene und erst recht aber in Leitungs- und hochschulpolitischen Entscheidungsgremien sind die Frauen in der Unterzahl. Der Weg bis zur gleichberechtigten Präsenz von Frauen in allen universitären Bereichen wird wohl steinig bleiben.
Blick zurück auf die ersten Schritte der Frauen an der Universität.
Allerdings wurde in den vergangenen 100 Jahren doch sehr vieles für die Frauen an den Universitäten erreicht. Zwar nicht alles, aber immerhin – blicken wir nun zurück zu den ersten Schritten der Frauen an der Universität.
„Der geistige Fortschritt geht vom Süden aus”
Am 21. September 1903 unterzeichnete Prinzregent Luitpold mit einem knappen “Genehmigt” eine Vorlage des Bayerischen Kultusministeriums, nach der “vom Wintersemester 1903/04 an Damen, welche das Reifezeugnis eines deutschen humanistischen Gymnasiums oder eines deutschen Realgymnasiums besitzen, zur Immatrikulation an den bayerischen Universitäten zugelassen werden”.
Das klingt zunächst fortschrittlich und ein Kommentator schrieb hierzu: “Es geht ein geistiger Fortschritt vom Süden aus”. Das ist nicht ganz verkehrt, denn in anderen Ländern erfolgte die Zulassung von Frauen zum ordentlichen Universitätsstudium noch später. In Württemberg erst 1904, in Sachsen 1906, in Thüringen 1907, in Hessen und Preußen 1908 und in Mecklenburg 1909.
Allerdings war ehrlicherweise das Großherzogtum Baden Vorreiter: es hatte als erstes deutsches Land die gesetzlichen und strukturellen Voraussetzungen für eine Gleichstellung des höheren Mädchen- mit dem höheren Knabenschulwesen schon im 19. Jahrhundert geschaffen. Der badische Staat anerkannte das 1893 eröffnete erste deutsche Mädchengymnasium in Karlsruhe, das als sechsjähriges humanistisches Gymnasium konzipiert war und mit dem Abitur abschloss.
Am 28. Februar 1900 verfügte Baden schließlich:
“Frauen, welche ein anerkanntes Reifezeugnis vorzulegen vermögen, sind versuchs- und probeweise zur Immatrikulation an den beiden Landesuniversitäten [Heidelberg und Freiburg] zugelassen.”
Allerdings war die formelle Öffnung der Universitäten nur ein sehr begrenzter Fortschritt. Die Etablierung von Bildungseinrichtungen für Mädchen, die zur allgemeinen Hochsculreife führten, ging nur schleppend voran. Und folglich konnte in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts nur eine verschwindende Minderheit deutscher Frauen ein Abiturzeugnis nachweisen.
So blieb den allermeisten studierwilligen Frauen weiterhin nichts anderes übrig, als – anstelle der Immatrikulation – sich darum zu bemühen, als Hörerin zugelassen zu werden. Im Wintersemester 1903/4 besuchten 107 Hörerinnen und 29 Studentinnen die drei bayerischen Universitäten. Noch 1910/11 überstieg die Gesamtzahl der Hörerinnen (301) die der Studentinnen (236) erheblich.
Zunächst wurden die meisten studierwilligen Frauen nur als “Hörerin” zugelassen. Gleichberechtigte Studenten waren sie damit nicht.
Was hatte es mit den “Hörerinnen” auf sich? Kurz gesagt: Die Institution der “Hörerin” unterstreicht den Ausnahmecharakter von Frauen an der Universität, die “Studentin” erhebt den Anspruch einer gleichberechtigten universitären Existenz.
Akademikerinnen zweiter Klasse
Dem mit der Einführung des Immatrikulationsrechts für Frauen verbundenen Anspruch auf universitäre Gleichberechtigung wurde auch noch dadurch entgegengewirkt, dass Frauen zunächst noch nicht zu den juristischen und auf das Lehramt bezogenen Staatsprüfungen zugelassen wurden. Auch immatrikulierte Frauen hatten also den Status von “Akademikern zweiter Klasse”. Zudem blieb die formale Benachteiligung der Studentinnen eingebettet in frauenverachtende Anschauungen.
Im Folgenden will ich mich nun der Frage zuwenden, warum (bürgerliche) Frauen im 19. Jahrhundert an die Universitäten drängten und sich nicht mehr damit abzufinden bereit waren, dass die Universität – wie über die vergangenen Jahrhunderte hinweg – eine Männerinstitution war.
2. Der Kampf bürgerlicher Frauen um den Zugang zu den Universitäten
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich für studierwillige Frauen im 19. Jahrhundert die Situation gegenüber vergangenen Jahrhunderten gewissermaßen nochmals verschärfte. Bis dahin war nämlich der Besuch der Universität an keine spezifischen staatlichen Zulassungsbedingungen gebunden. Nun aber führte die staatliche Institutionalisierung des Schulwesens und das Abitur – das zunächst ausschließlich am humanistischen Gymnasium erworben werden konnte – dazu, dass Mädchen die ordentlichen Zugangsvoraussetzungen für ein Studium gerade nicht aufbringen konnten.
Paradox: Für den Besuch der Universität wurde im 19. Jh. das Abitur an einem humanistischen Gymansium verlangt. Das stand allerdings nur Jungen offen.
Gleichzeitig drängten jedoch im 19. Jahrhundert zunehmend bürgerliche Frauen in die Arbeitswelt. Den Hintergrund hierfür bildete die Erwerbslosigkeit und Armut unverheirateter Frauen in bildungsbürgerlichen Schichten.
Strukturwandel der bürgerlichen Familie
Der Wandel der bürgerlichen Familie führte dazu, dass sich für unverheiratete Frauen die Notwendigkeit ergab, in der Zeit zwischen Beendigung der Schule und einer eventuellen Eheschließung berufstätig zu sein. Die Bildungs- und Berufsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen waren allerdings sehr eingeschränkt. Nur die Berufe der Gouvernante, Gesellschafterin und Lehrerin waren am Ende des 19. Jahrhunderts für ledige Frauen aus dem Bürgertum zugänglich. Alle diese Positionen waren schlecht bezahlt.
In diesem Zusammenhang ist auch die erste bürgerliche Frauenbewegung zu verstehen. Ihr Anliegen war es, die Situation der bürgerlichen Töchter über eine qualifizierte Schul- und Hochschulbildung sowie eine ihrem gesellschaftlichen Status angemessene und anerkannte Erwerbstätigkeit zu verbessern. Auguste Schmidt verlangte bei der Gründung des “Allgemeinen Deutschen Frauenvereins” in Leipzig 1865 die Öffnung der “Arena der Arbeit” für die “höheren Töchter”.
In diesem Sinne beschloss die Leipziger Frauenkonferenz:
“§ 1. Wir erklären die Arbeit, welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, für eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts (und) nehmen das Recht der Arbeit in Anspruch und halten es für notwendig, dass alle der weiblichen Arbeit im Wege stehenden Hindernisse entfernt werden”.
Auf dieser Basis entstanden in vielen Städten Frauenvereine. Am entschiedensten trat der 1888 von Johanna Kettler in Weimar gegründete “Deutsche Frauenverein Reform” für die Zulassung “des weiblichen Geschlechts zum Besuch deutscher Universitäten” und “in logischer Folgerung” zugleich auch für die Errichtung von zur Hochschulreife führender Mädchengymnasien ein.
In zahlreichen Städten gründeten sich Initiativen und Vereine, die Ende des 19. Jahrhunderts immer vehementer die Gründung von Mädchengymnasien einforderten und insgesamt eine Frauenbildungs-Reform anmahnten.
Mit Beharrlichkeit zum Erfolg: Die ersten Mädchengymnasien werden eingeführt
Den meisten Vereinen ging es dabei gar nicht um Zulassung zu allen akademischen Berufen, vordringlich ging es um die Schaffung von erweiterten Berufsmöglichkeiten für Frauen, weniger um den Gedanken der Frauenemanzipation.
Der anhaltende Druck, die Petitionen und Positionspapiere hatten in der Summe aber doch Erfolg. In Bayern und andernorts wurden letztlich doch Mädchengymnasien eingeführt und auch das Immatrikulationsrecht auf Frauen ausgeweitet.
Im nächsten Artikel berichtet Eva Matthes über die Widerstände gegen das Frauenstudium und die Situation für Wissenschaftlerinnen und Studentinnen unter den Nazis.
» Literatur
Nein, früher ging es einfach nicht! Ich musste vergangene Woche einen Zwischenbericht für ein Projekt abgeben und dann hatte ich gleich anschließend zwei wichtige Vorträge auf internationalen Konferenzen. Es war einfach nicht möglich diesen Beitrag früher zu schreiben – obwohl ich Lust dazu hatte und es mich wirklich drängte, diesen Artikel für Scienceblogs zu schreiben.
Aber vielleicht ist ja das genau Ausdruck davon, einerseits meinen beiden Kindern eine gute Mutter, aber gleichzeitig eine gute Wissenschaftlerin sein zu wollen. Zeit habe ich eigentlich keine mehr seitdem ich Mutter bin – weder für Sachen die drängen (Steuerberaterin!), noch für Dinge, zu denen ich Lust habe (z.B. regelmäßig Freundinnen zu treffen). Die Abgabetermine für Abstracts, für Artikel, für Anträge, Zwischen- und Abschlußberichte koste ich praktisch immer bis zum Schluss aus (23.58 Uhr ist schließlich immer noch im Rahmen der Deadline!).
Ständig unterwegs, immer just in time
Freie Zeit habe ich eigentlich keine mehr seitdem ich Mutter bin.
Obwohl ich Pünktlichkeit sehr schätze, schaffe ich es trotzdem immer nur gerade noch in allerletzter Minute zu einem Termin einzutreffen. Im Grunde genommen bin ich ein umweltbewußter Mensch, aber trotzdem fliege ich praktisch zu allen beruflichen Terminen, auch wenn ich das Zugfahren bevorzugen würde. Es geht einfach schneller. Dass ich dabei den letztmöglichen Flieger benutze, und den erstmöglichen wieder nach Hause, versteht sich ohnehin von selbst als Mutter. Ich fühle mich eigentlich ständig gehetzt.
Es ist ein Lebensgefühl des immer Mittendrin-Seins und dabei doch Nicht-Genügens: Ein Leben ohne Kinder ist für mich schlechthin unvorstellbar! Aber ich wäre meinen Kindern (10 und 5 Jahre) eine schlechtere Mutter, wenn ich nicht arbeiten könnte. Davon bin ich überzeugt! Ich liebe meinen Beruf als Soziologin und ich bin gerne Wissenschaftlerin. Aber ich bin auch ständig unter Zeitdruck und mittlerweile sehr häufig auch am körperlichen Limit.
Der ambivalente Luxus freier Zeiteinteilung
Das Leben als Wissenschafterlin bietet aber auch Freiheiten: Wenn schon die Zeit hinten und vorn nicht reicht, um nur das Pflichtprogramm zu absolvieren, dann kann ich mir wenigstens die nicht vorhandene Zeit relativ frei einteilen. Ich denke mir häufig, dass jede Kassiererin an der Supermarktkasse schlechter dran ist. Normalerweise haben wir Wissenschaftlerinnen keine 9-to-5-Jobs, was ich wirklich als Luxus empfinde. Denn schließlich möchte ich meinen Kindern auch gerecht werden.
Es kommt nicht darauf an, wieviel Zeit man miteinander verbringt. Es zählt, wie intensiv und bewußt man die Zeit mit Kindern nutzt.
Nach einem meist stressigen Morgenprogramm, bis meine Tochter in der Schule und mein Sohn im Kindergarten ist, habe ich ein paar Stunden, die ich ganz der Wissenschaft widmen kann. Der Nachmittag, so ab 15 Uhr, gehört dann meinen Kindern, Zeit für und mit Ihnen, bis sie gegen 20 Uhr wieder im Bett sind. Ich bin eine Verfechterin der These, dass es auf die Qualität der miteinander verbrachten Zeit ankommt, nicht auf die Quantität.
Auch sollen meine Kinder, wie andere Kinder auch, deren Mütter weitaus mehr Zeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilhaben: Musik machen, zum Fußballspielen gehen, rauschende Kindergeburtstage feiern und Reitstunden nehmen – das volle Programm halt. Da auch mein Mann beruflich sehr eingespannt ist, liegt das Gros der Familienorganisation bei mir, d.h. neben dem Haushalt das Kümmern und Anmelden der Kinder zu diversen Aktivitäten, das Bringen und Abholen, das Organisieren von Kindergarten- und Schulfesten, das Dabeisein beim Üben – nur um eine kleine Auswahl zu geben.
Verantwortung für Kinder und Familie zu haben kostet Zeit und Kraft
Und weil man bekanntlich für seine Kinder nur das berühmte „Beste” will, läßt man sich auch gleich noch in den Elternbeirat wählen, um aktiv daran mitzuarbeiten, damit die Kleinen auch wirklich „das Beste” bekommen.
Förderprogramme für Wissenschaftlerinnen sind wertvoll, aber wenn mein Kind krank wird, dann helfen die auch nicht weiter.
Ja, mein Leben ist anstrengend! Natürlich weiß ich um all die Förderprogramme, die für Wissenschaftlerinnen aufgelegt werden, weiß um die Vorteile von Frauenpromotions- und -habilitationsstipendien, Mentoringprogrammen und Frauenquoten. Rede mit, wenn die Sprache auf Gender Mainstreaming kommt.
Allein das ist nur die eine Seite der Medaille. Selbstverständlich bin ich froh, dass es all das gibt und mir ist klar, dass wir ohne diese Maßnahmen noch weitaus schlechter dastünden. Aber diese Programme helfen nur sehr wenig, wenn auf einmal ein Kind krank ist, gerade einen schlechten Tag (oder Nacht!) hat oder anderweitig Mama-bedürftig ist – und das ist die andere Seite der Medaille, die sich mit den wenigsten institutionalisierten Programmen auffangen läßt.
Oft wenn einem die besten Einfälle kommen, wird man durch ein herbeistürzendes Kind unterbrochen, das getröstet werden will oder sonstwie Zeit beansprucht.
Erfahrungsgemäß kollidieren solche familiären Ereignisse immer mit wichtigen beruflichen Terminen. Auch ein weiteres Phänomen ist vielen – nicht nur Müttern – bekannt: dass nämlich die besten Einfälle nicht unbedingt in der dafür vorgesehenen Schreibtischzeit kommen, sondern häufig zwischendurch. Allerdings: tolle Einfälle werden dann, bevor sie auch nur richtig zu Ende gedacht werden konnten, von herbeistürzenden Kindern, die getröstet, liebkost, bespielt oder irgendwohin gefahren werden wollen, dringend noch Schulhefte besorgen müssen, Streit mit der besten Freundin haben o.ä. einfach so vorbeigewischt.
Wer hat nur die Schulferien erfunden?
Ein Graus aller beruftstätigen Eltern, das im beruflichen Horrorszenario einer Wissenschaftlerin nicht fehlen darf, sind diese unsäglichen 14-Wochen dauernden Schulferien! Wer sich das ausgedacht hat, hatte entweder selbst keine Kinder oder hing dem klassischen male breadwinner model an, wo die nicht-beruftstätige Hausfrau und Mutter nur darauf wartet, mit ihren Kindern die sechs Wochen Sommerferien von frühmorgens bis zum Abend im Schwimmbad zu verbringen. Also jedenfalls nicht die typische Wissenschaftlerin. Natürlich brauchen Kinder Ferien und freie Zeit – mehr als Erwachsene. Aber doch keine 14 Wochen im Jahr!
Herkulesaufgabe: Wissenschaft und Partnerschaft zu vereinbaren
Auch hier erweist sich einmal mehr der Luxus der freien Zeiteinteilung in der Wissenschaft als Rettungsanker. Wenn auch als kein guter: Denn natürlich versuche ich das, was ich tagsüber nicht geschafft habe, in den Nächten wieder reinzuarbeiten.
Das Wissenschaftlerinnen-Dasein ist in jedem Fall partnerfeindlich. Denn selbst wenn ich es unter Normalumständen immer irgendwie noch schaffe, Kinder und Beruf zu vereinbaren, Zeit für Partnerschaft bleibt jedenfalls kaum mehr. Und gerade hier helfen Netzwerke leider auch nur sehr bedingt. Ja, man lernt es, das berühmte Networking, wenn man Wissenschaft mit aktivem Familienleben kombinieren will. Obgleich ich immer wieder feststellen musste, dass mir das Kinder-Networking häufig weitaus besser gelingt, als das berufliche, denn letzteres braucht Zeit – und gerade die habe ich ja nicht (siehe oben).
Mein Leben als Wissenschaftlerin mit Kindern ist wahnsinnig anstrengend. Aber es ist mein Leben.
Und so schließt sich der Kreis wieder und wieder. Ja, ich empfinde mein Leben als Wissenschaftlerin mit Kindern als sehr anstrengend. Nein, freie Zeit für mich habe ich keine mehr. Aber ohne Kinder geht es für mich nicht – genauso wenig wie ohne Wissenschaft. Es mag anstrengend sein dieses Leben als Mutter und Wissenschaftlerin, aber es ist mein Leben.
Ines Weller informiert über den aktuellen Stand und aktuelle Zahlen in Sachen Geschlechtergerechtigkeit in der Chemie.*
Bis in die 1980er Jahre lagen für das Feld der Chemie kaum nach Geschlecht differenzierte Daten über Studium und Berufsleben vor. Heute ist die Datenlage über die Beteiligung von Frauen in der Chemie dagegen vergleichsweise gut. Neben einer allgemeinen Sensibilisierung für das Thema Frauen in Naturwissenschaft und Technik, ist dies mit zurückzuführen auf das Konzept Gender Mainstreaming. Es zielt auf die de facto Umsetzung der Chancengleichheit der Geschlechter und hat europaweit seit Ende der 1990er Jahre eine hohe Verbindlichkeit entfaltet.
Deutschland ist im europaweiten Vergleich häufig das Schlusslicht bei der Beteiligung von Frauen in Naturwissenschaft und Technik.
Seitdem finden Analysen über die Beteiligung von Frauen in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft immer mehr Beachtung. Ihre hohe politische und auch programmatische Relevanz ergibt sich für Deutschland mit daraus, dass im europaweiten Vergleich Deutschland häufig das Schlusslicht bei der Beteiligung von Frauen in Naturwissenschaft und Technik bildet (Färber et al. 2003).
Speziell bezogen auf die Situation in der Chemie zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen Studium und Beruf bzw. wissenschaftlicher Professionalisierung. Auf der einen Seite ist der Anteil von Frauen im Studium im Vergleich zur Physik oder zu den Ingenieurwissenschaften sehr hoch. So lag der Frauenanteil bei den StudienanfängerInnen in der Chemie bei 42% und ist damit im Vergleich zu den Vorjahren leicht zurückgegangen (GDCh 2007). (1)
Je höher die Qualifikationsstufe, desto weniger Frauen
Andererseits gelingt es nicht, diese hohe Frauenbeteiligung zu halten, vielmehr nimmt sie im Rahmen der weiteren Qualifizierungsphase deutlich ab. So lag der Anteil von Frauen bei den abgeschlossenen Promotionen 2007 bei 33%, bei den Habilitationen 2006 bei 19% (GDCh 2007, Schmitz 2007). Auffallend ist, dass Chemiestudentinnen mit durchschnittlich besseren Abiturnoten als Chemiestudenten das Studium beginnen, sich bei den Diplom- und Promotionsnoten dies Verhältnis aber umkehrt: Während 63,1% der Chemiker mit Auszeichnung bzw. der Note 1 ihr Diplom abschließen, sind dies nur 51,4% bei den Chemikerinnen (Könekamp 2004).
Auch der Eintritt in den Beruf stellt für Chemikerinnen eine Hürde dar, so waren beispielsweise 36% der in 2003 promovierten ChemikerInnen, die noch keine Anstellung hatten, weiblich (GDCh 2004). Im Berufsleben sind die Chancen auf Erfolg und Anerkennung zwischen den Geschlechtern ebenfalls ungleich verteilt, wie eine aktuelle Befragung der Mitglieder der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) aus dem Jahr 2003 zeigt (Könekamp 2004).
Führungspositionen in der Chemie werden deutlich häufiger von Männern besetzt. Und diese erzielen auch höhere Gehälter.
Männer arbeiten deutlich häufiger in Führungspositionen: 16,1% der männlichen und nur 5,1% der weiblichen GDCh-Mitglieder hatten eine Position in der Bereichsleitung, Geschäftsführung oder im Vorstand. Besonders deutlich sind die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern: nur 6% der Chemikerinnen, aber immerhin 23% der Chemiker hatten ein Jahreseinkommen über 90.000 € (Könekamp 2004).
Gerade in den einflussreichen Bereichen und Spitzenpositionen der chemischen Forschung und Entwicklung, sowohl in den Hochschulen, als auch in der Industrie verharrt somit die Zahl der Chemikerinnen trotz leichter Verbesserungen in den letzten fünfzehn Jahren auf niedrigem Niveau. Dies bestätigen zwei Studien des Verbands angestellter Akademiker und leitender Angestellter in der chemischen Industrie (VAA) über den Anteil von Frauen in verschiedenen Hierarchieebenen. Nach den VAA-Befragungen lag er 1993 in den beiden oberen Führungsebenen in der Chemieindustrie bei 2 % (Betriebs- bzw. Bereichsleitung) und in der Ebene darunter durchschnittlich bei 3,2 % (Abteilungs- bzw. Gruppenleitung), in Großunternehmen wie Bayer und BASF sogar noch deutlich darunter (VAA 1996, Fell 1999).
Unter den Chemie-Studenten liegt der Frauenanteil bei 40%. Unter den Professoren nur bei 7%.
Bei der jüngsten Befragung 2001 zeigte sich eine Verbesserung insofern, dass bei den Befragten 18% der Frauen als Abteilungs- bzw. Gruppenleiterinnen arbeiteten, sie aber in den Spitzenpositionen als Führungskräfte mit 4,5% nach wie vor kaum vertreten waren (VAA 2001). Ein deutliches Missverhältnis lässt sich zwischen dem Frauenanteil bei den Studierenden und bei den Professorinnen feststellen: Während immerhin etwas mehr als 40% Frauen Chemie studieren, ist der Anteil der Professorinnen mit 7% nach wie vor sehr gering (Schmitz 2007), auch wenn er in den letzten Jahren angestiegen ist, denn 1999 lag er noch bei nur 4% (Statistisches Bundesamt 1999).
Während aber die Frage nach der (adäquaten) Beteiligung von Frauen bis Anfang der 1990er Jahre für die Chemie kaum ein Thema war, (2) hat sie heute deutlich mehr Gewicht. Dies ist u.a. daran zu erkennen, dass einer der wichtigsten Berufsverbände der Chemie, die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) im Jahr 2000 eine Arbeitsgruppe „Chancengleichheit in der Chemie” gegründet hat.
Dass heute die geringe Partizipation von Frauen in der Chemie zunehmend als Problem anerkannt wird, ist meines Erachtens wesentlich darauf zurückzuführen, dass die Chemie sich angesichts deutlich gesunkener Studierendenzahlen Sorgen um ihren Nachwuchs macht und dabei das Potenzial von Frauen entdeckt. Zum anderen trägt dazu auch die bereits erwähnte EU-Strategie zum Gender Mainstreaming bei, die zur Folge hat, dass europaweit systematisch Statistiken über die Beteiligung von Frauen und Männern in Naturwissenschaft und Technik erarbeitet werden und es hier zu einem Ranking kommt, in dem Deutschland bislang eher schlecht abschneidet und damit der Veränderungsbedarf auf nationaler Ebene nicht mehr geleugnet werden kann. Welche Rolle dabei das Ziel Chancengleichheit der Geschlechter jenseits der Forderung nach einer besseren Beteiligung von Frauen hat, wird sich erst noch zeigen müssen.
* Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung von: Weller, Ines (2006). Geschlechterforschung in der Chemie: Spurensuche in der Welt der Stoffe. In: Smilla Ebeling, Sigrid Schmitz (Hrsg.). Geschlechterforschung und Naturwissenschaften. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden, 117-138 (Daten 2008 aktualisiert)
(2) So sprach sich der Bundesarbeitgeberverband Chemie 1988 noch gezielt gegen spezifische Frauenfördermaßnahmen aus (siehe Weller 1995).
Interview: Monika Hombach.
]]>In dieser Woche wollen wir an dieser Stelle Nobelpreisträgerinnen vorstellen. Für ihren Einsatz für den Frieden wurden diverse Frauen ausgezeichnet – Rigoberta Menchu Túm, Wangari Maathai und Jody Williams etwa. Die Iranerin Shirin Ebadi jedoch unterscheidet sich von ihnen, weil sie den Preis nicht alleine erhielt: Ihre Auszeichnung ging stellvertretend auch an alle Iranerinnen und Iraner, die in ihrem Land für Demokratie kämpfen.
Und unter denen sticht die Juristin Shirin Ebadi als kluge wie mutige Einzelkämpferin hervor. Ebadi wurde am 21. Juni in Hamadan im Nordwesten des Irans geboren. Ihr Vater war dort Direktor der Meldebehörde, während ihre Mutter, wie ihr Mann Akademikerin und praktizierende Muslima, zwei weitere Töchter und einen Sohn großzog.
Schon als Shirin ein Jahr alt war, zog Familie Ebadi jedoch nach Teheran, wo sie bis heute lebt. Ihr Vater, ebenfalls Jurist, schrieb in den folgenden Jahren die ersten Bücher über persisches Verhandlungsrecht. Auch Shirin zog es zu den Rechtswissenschaften und so begann sie 1965 ihr Jurastudium an der Universität Teheran.
Im März 1969 wurde Shirin Ebadi zur Richterin vereidigt – als erste Frau im Iran. Sechs Jahre später wurde sie von einem kleineren Gericht an den Teheraner Gerichtshof befördert, den sie bis 1979 als Senatsvorsitz leitete.
Im Jahr der Iranischen Revolution, Shirin Ebadi war 32 Jahre alt, änderte sich ihr Leben radikal: Als im Februar der Schah endgültig gestürzt wurde und Mullahs die Macht im Iran übernahmen, änderten sich die Gesetze: Der Iran, bis dahin einer der „westlichsten” Staaten Vorderasiens, wurde ein Gottesstaat. Und in dem, so legten die neuen Machthaber die Scharia aus, waren Frauen nicht als Richterinnen zugelassen. Shirin Ebadi wurde Sekretärin am selben Gerichtshof, den sie kurz zuvor noch geleitet hatte.
Hier zeigt sich zum ersten Mal in Shirin Ebadis Biographie ihr Kampfgeist: Gemeinsam mit weiteren aus dem Amt gejagten Richterinnen protestierte Ebadi gegen die Degradierung und erreichte so, dass sie mit ihren Kolleginnen als „Expertinnen” an ihren jeweiligen Gerichtshöfen wieder eingestellt wurden.
Diese schwammige Berufsbezeichnung reichte ihr jedoch nicht aus – Shirin Ebadi war frustriert, fühlte sich unterfordert und reichte einen Antrag auf frühzeitige Pensionierung ein. Den gaben die neuen Juristen des Landes auch statt – allerdings erteilten sie Shirin Ebadi zugleich Berufsverbot, sodass sie bis 1992 arbeitslos war. In dieser Zeit gebar sie zwei Töchter und schrieb Bücher über annähernd jede Fachrichtung der Rechtswissenschaften, unter anderem Urheberrecht, Architektur, Medizin und Arbeitsrecht um nur einige zu nennen.
Zeitgleich bemühte sich die renommierte Juristin jedoch um einen Wiedereinstieg in den Beruf, was ihr 1992 auch gelang: Dann erhielt sie ihre Berufslizenz wieder und praktizierte fortan als Anwältin. Zu ihren Klienten gehören politisch Verfolgte, größtenteils intellektuelle Iraner, aber auch Opfer von Kindesmissbrauch und Zeitungen, die in medienrechtlichen Prozessen von Shirin Ebadi vertreten werden. 1996 wurde sie dafür mit der Medaille der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geehrt.
Parallel Ebadi Vorlesungen an der Universität Teheran zu Menschenrechten und setzt sich bei der UNICEF Teheran und der von ihr 1995 gegründeten Association for Support of Children’s Rights für die Rechte der Kinder im Iran ein. Auch dort bemüht sie sich um eine Änderung der Gesetzeslage – bisher sind Mädchen im Iran beispielsweise ab neun Jahren voll strafmündig, Jungen ab ihrem 15. Lebensjahr.
1997 beteilitge sie sich am Wahlkampf des reformorientierten Präsidentschaftskandidaten Mohammed Khatami – in den folgenden Jahren arbeitete ihr Mann, ein Elektroingenieur, als politischer Berater des Präsidenten. Dennoch gratulierte ihr der Präsident nicht offiziell als sie einige Jahre später den Nobelpreis erhielt mit der Begründung, der Friedensnobelpreis sei nicht so wichtig wie die Nobelpreise der naturwissenschaftlichen Kategorien.
Für ihre Verteidigung politisch Verfolgter wurde die Anwältin im Jahr 2000 wegen „Störung der öffentlichen Meinung” angeklagt und zu 26 Tagen Einzelhaft verurteilt – außerdem wurde ihr ein zeitlich begrenztes Berufsverbot auferlegt.
Im Jahr 2003 erhielt sie als erste muslimische Frau den Friedensnobelpreis für „Für ihre Bemühungen um Demokratie und Menschenrechte” – dem vorausgegangen war 2001 der norwegische Rafto-Menschenrechtspreis. Zur Preisverleihung erschien sie ohne Kopftuch und kommentierte dies damit, dass sie sich im Iran eben an die zur Zeit geltenden Gesetze halten müsse. Sie selbst verstehe sich als demokratische Frau muslimischen Glaubens. Die Gesetzgebung im Iran bezeichnet sie als „Missbrauch der Religion und Fehlinterpretation der Scharia”. Shirin Ebadi fordert eine pluralistische demokratische Gesellschaft und lehnt fundamentalistisches Gedankengut ab.
In den letzten Jahren betonte Shirin Ebadi wiederholt, dass eine Demokratie im Iran nur mit der Ausdauer und dem Kampfgeist der Iraner selbst zu erreichen sei – nicht mit Eingriffen aus dem Ausland. „Die Menschenrechte kann man den Menschen gewiss nicht durch Bomben bringen,” erklärte sie etwa im Oktober 2005 bei einer Rede an der Universität Tübingen und forderte ihre Landsleute zugleich auf: „Lasst uns geduldig sein, wir haben keine andere Wahl.” Die Migration intellektueller Iraner in den Westen auf der Hoffnung nach einer besseren Lebensqualität verurteilt sie drastisch und gab in einem Interview an, den Kontakt zu migrierten Freunden abzubrechen.
Kritik erntete Shirin Ebadi auch für ihre offene Verteidigung des iranischen Nuklearwaffenprogramms: „Neben der wirtschaftlichen Rechtfertigung ist es eine Frage des Nationalstolzes geworden, speziell für so eine alte Nation mit einer glorreichen Geschichte. Keine iranische Regierung, unabhängig von ihrer Ideologie oder Zeugnissen ihrer Demokratie, würde dieses Programm je abbrechen.”
Vor zwei Jahren gründete Shirin Ebadi gemeinsam mit weiteren Friedensnobelpreisträgerinnen die Nobel Women’s Initiative, ein Netzwerk, das sich weltweit für Frauenrechte engagiert. Zur Zeit vertritt sie als Anwältin sieben Führer der religiösen Minderheit der Baha’i, weswegen sowohl sie als auch ihre Familie Morddrohungen erhielten.
]]>Nachdem der ständige Sektretär des schwedischen Literaturnobelpreiskomitees Horace Engdahl letzte Woche damit provozierte, dass US-amerikanische Autoren “zu isoliert und unwissend, um große Literatur zu schreiben” seien, möchte ScienceBlogs gerne eines von zahlreichen Gegenbeispielen vorstellen: Pearl S. Buck erhielt 1938 den Literaturnobelpreis und war damit neben Ernest Hemingway, John Steinbeck und Toni Morrison eine von zehn PreisträgerInnen in ihrer Heimat.
Geboren wurde die Tochter eines presbyterianischen Missionars als Pearl Comfort Sydenstricker am 26. Juni 1892 in Hillsboro in West Virginia als viertes von insgesamt sieben Kindern. Bereits als Pearl drei Monate alt war, reiste ihre Familie nach China, wo das Mädchen große Teile seiner Kindheit verbrachte. Vier ihrer Geschwister starben bereits während ihrer Kindheit.
Pearl wurde sowohl von ihrer Mutter als auch einem chinesischen Erzieher großgezogen, wodurch sie nicht nur zweisprachig aufwuchs, sondern auch den Wunsch entwickelte, diese beiden so gegensätzlichen Kulturen zu überbrücken. Dieser Gedanke hatte auch großen Einfluss auf ihr späteres Werk als Autorin.
Während ihr Vater als Missionar viel durch das Land reiste, missionierte Pearls Mutter im kleinen Kreis in einer Apotheke in Zhenjiang, die sie selbst errichtete. Während des Boxeraufstandes 1900 flüchteten die Sydenstrickers zunächst nach Shanghai um später in die USA zurückzukehren.
Dort machte Pearl im Jahre 1914 ihren Abschluss am Woman’s College in Lynchburg in Virginia. Ihre Eltern waren mittlerweile wieder nach China zurückgekehrt – Pearl selbst zog es zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht nach Asien. Als sie jedoch erfuhr, dass ihre Mutter dort schwer krank sei, reiste sie dennoch wieder ins Reich der Mitte.
Dort verliebte sie sich 1915 den Landwirtschaftsökonomen John Lossing Buck, den sie 1917 heiratete. Das Paar zog in die ärmliche Provinz Anhui, wo Pearl zum ersten Mal den wahren Lebensstandard der Mehrheit der chinesischen Bevölkerung kennenlernte.
Ihre Ehe wurde auf eine harte Probe gestellt: 1921 wurde die Tochter Carol mit einer starken geistigen und körperlichen Behinderung geboren. Kurze Zeit später wurde bei Pearl Unterleibskrebs diagnostiziert, der sie zu einer Gebärmutterentfernung zwang. 1921 stirbt Pearls Mutter, kurze Zeit später zieht Pearls Vater bei dem jungen Paar ein. 1925 adoptierten die Bucks ihre zweite Tochter Janice. Ihre bis dahin bereits zerrüttete Ehe lässt sich damit nicht retten – “18 Jahre gab ich alles, was ich geben konnte, … und 18 Jahre bekam ich nichts zurück,” erklärte sie später.
Bis 1933 arbeiten Pearl und John Lossing als Lehrer in Nanjing. Parallel dazu veröffentlichte Pearl bereits Kurzgeschichten in englischsprachigen Zeitungen in China. Ihr erster Roman, “Ostwind – Westwind” wird 1930 veröffentlicht, ein Jahr später erscheint “Die gute Erde”. Der Roman beschreibt das alltägliche, harte Leben chinesischer Bauern.
Bereits ein Jahr, nachdem “Die gute Erde” auf den Markt kommt, erhält Pearl S. Buck für den Roman den Pulitzerpreis. 1935 heiratet Pearl S. Buck ihren ersten Verleger Richard Walsh, nachdem beide aus ihren vorigen Ehen geschieden sind. Zwei Jahre später wird “Die gute Erde” von Sidney Franklin verfilmt.
1934 kehrt Pearl S. Buck edngültig in die USA zurück, da ihre Tochter Carol dort in einer betreuten Wohneinrichtung lebt und auch ihr Mann fast ausschließlich in den USA arbeitet. Dort lebt sie auf einer Farm in Pennsylvania und adoptiert mit Richard Walsh in den folgenden Jahren sechs weitere Kinder.
1938 dann erhält sie als erste US-amerikanische Frau den Literaturnobelpreis “für ihre reichhaltigen und wahrlich epischen Beschreibungen des Lebens chinesischer Bauern und für ihre biographischen Meisterwerke”. Die Verleihung gilt als eine der umstrittensten, da zwischen der “Guten Erde” und dem Preis die für Nobelverhältnisse wenigen sieben Jahre liegen und Kritiker ihr keinen großen literarischen Rang beimessen. Die seither geltende Regelung, den Nobelpreis nur an AutorInnen zu verleihen, die bereits vorher mindestens einmal dafür nominiert waren, wird bis heute oft als „Lex Buck” bezeichnet.
Mit ihrem Mann gründet Pearl 1942 die “East and West Association”, eine Gesellschaft, die sich um den kulturellen Austausch zwischen Asien und den USA bemüht. Daneben engagiert sie sich für Frauen- und Bürgerrechte. Da in den bis dahin in den USA verfügbaren Adoptionsagenturen asiatische Kinder als “nicht-adoptierbar” gelten, ruft sie 1949 die erste internationale, hautfarbenübergreifende Adoptionsagentur “Welcome House” ins Leben.
Nach dem Tod Richard Walshs 1960 stürzt Pearl S. Buck sich in neue Hobbies und beschäftigt sich unter anderem mit Bildhauerei, Filmregie und Landwirtschaft. Sie gründet eine Hilfsorganisation für alleingelassene Kinder amerikanischer Soldaten mit asiatischen Frauen.
Als sie am 6. März 1973 in Danby in Vermont stirbt, hat sie über 70 Bücher veröffentlicht, darunter Romane, Kurzgeschichtensammlungen, Biographien, ihre Autobiographie, Theaterstücke, Kinderbücher, Übersetzungen aus dem Chinesischen und Gedichte. Bis heute besuchen jedes Jahr 15.000 Menschen ihr Anwesen in Pennsylvania.
]]>In der Summe ergibt sich eine beeindruckende Forscherinnenbiographie, die 1964 mit dem Nobelpreis für Chemie ihren Höhepunkt fand. Dorothy Crowfoot Hodgkin war damit die dritte Frau, der diese Ehrung zuteil wurde. Aber auch die (vorläufig) Letzte. Seit über 40 Jahren hielt das Stockholmer Nobelpreiskomitee keine andere Chemikerin mehr für preiswürdig. Ob sich das mit der Bekanntgabe des Chemie-Nobelpreisträgers 2008 ändert?
Kindheit und frühes Interesse für die Chemie
Geboren wurde Dorothy Crowfoot am 12. Mai 1910. Der Geburtsort Kairo erklärt sich ganz einfach: ihr Vater war Archäologe und englischer Kolonialbeamter und zu jener Zeit in Ägypten tätig. Ihre Mutter, vielleicht daher das naturwissenschaftliche Gespür, war Botanikerin.
Das unstete Familienleben und der erste Weltkrieg veranlasste die Eltern dazu, ihre Töchter zurück nach England zu schicken. Dort wuchs Dorothy Crowfoot bei ihrer Großmutter behütet auf. Die älteste von vier Töchtern interessierte sich schon in der Grundschule für Kristalle und deren Züchtung. Als sie fünfzehn Jahre alt war, bekam sie von ihrer Mutter das Buch “Über die Dinge der Natur” des Nobelpreisträgers William Bragg geschenkt. Kurz darauf verschlang sie das Standardwerk von Dorothy Parsons “Grundlagen der Chemie”.
Ihr Berufswunsch Chemikerin zu werden, stand fest. Sie studierte von 1928 bis 1932 in Oxford Chemie und war hier eine Exotin unter all den jungen, ehrgeizigen Männern. Nach ihrem Abschluß ging sie für zwei Jahre nach Cambridge, um dort mittels der Röntgenstrukturanalyse Sterole zu untersuchen. Diese Methode hatte es ihr angetan:
“Die Röntgenstrukturanalyse zeigte uns Dinge, von denen wir anfangs nicht einmal geträumt hatten.”
Ein Forscherleben in Oxford
1934 kehrte sie nach Oxford zurück und blieb dieser ehrwürdigen Institution bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 1977 treu. Eine Professur erhielt sie allerdings erst im Jahr 1956, damals hatte sie sich längst einen Namen im Feld der Biochemie gemacht.
Ihr Lebensthema war das Insulin. Über 30 Jahre lang arbeitete sie an der chemischen Analyse und vollendete diese Arbeit Ende der 60er Jahre. In der Zwischenzeit sorgte sie aber mit anderen Erfolgen für Aufsehen: 1946 gelang es ihr nach langen Jahren intensiver Arbeit die Struktur von Penicillin aufzuschlüsseln: die Voraussetzung zu seiner halbsynthetischen Herstellung.
1956 veröffentlichte sie auch ihre Untersuchungen zur Struktur des Vitamins B12, die ihr acht Jahre später auch den Nobelpreis einbrachten.
Mit Leidenschaft der Krankheit trotzen
Diese außergewöhnliche Forscherleistung ist freilich umso höher zu bewerten, wenn man weiß, daß Dorothy Crowfoot Hodgkin im Alter von 28 Jahren kurz nach der Geburt ihres ersten Sohnes Luke schwer an entzündlichem Gelenkrheuma erkrankte.
Bei der Biografin Luise F. Pusch lesen wir die Aussage eines Labormitarbeiters:
“Trotz ihrer schrecklich verkrüppelten Finger und Handgelenke,war sie so gut wie jeder im Labor und besser als die meisten.”
Und Dorothy Crowfoot Hodgkins Engagement beschränkte sich keineswegs nur auf die Chemie: sie mischte sich auch in gesellschaftliche Debatten ein und engagierte sich in der Friedensbewegung. Sie war Gründungsmitglied und zeitweilig sogar Präsidentin der Pugwash-Konferenz, eines Zusammenschlusses von WissenschaftlerInnen, die sich – besonders während des kalten Krieges – für die Verständigung zwischen WissenschaftlerInnen in Ost und West einsetzten.
Die Idee, eine solche Stiftung zu gründen, sei ihr gekommen, als eine besonders talentierte Forscherin an ihrem Institut vor einigen Jahren schwanger geworden sei. Der jungen Frau blieb in ihrer finanziellen Situation keine andere Wahl, als sich aus der Forschung zu verabschieden. Dagegen wollte Christiane Nüsslein-Volhard etwas unternehmen.
Im Exklusivinterview mit ScienceBlogs erklärt Christiane Nüsslein-Volhard, was Spitzenwissenschaftler mit Spitzenmusikern- oder -Sportlern eint und was sie jungen Wissenschaftlerinnen empfiehlt, die eine Karriere in der Forschung anstreben.
Interview: Monika Hombach & Jessica Riccò
]]>In der Medizin ist Françoise Barré-Sinoussi, die gestern zusammen mit ihrem Kollegen Luc Montagnier geehrt wurde, gerade einmal die achte Frau. In der Chemie kommt man lediglich auf drei Forscherinnen und in der Physik sind es genau zwei Wissenschaftlerinnen, die seit 1901 einen Nobelpreis zugesprochen bekamen. Dabei war es gleich 1903 Marie Curie, die für ihre Arbeiten zu radioaktiven Strahlungsphänomenen ausgezeichnet wurde.
Danach dauerte es aber ganze 60 Jahre, bis wieder eine Frau an der Reihe war: und – man traut es sich kaum auszusprechen – die theoretische Physikerin Maria Goeppert-Mayer war auch die letzte Frau, die mit Nobelpreiswürden in der Physik ausgestattet wurde. Das war im Jahr 1963.
Eine Familientradition im Zeichen der Wissenschaft
Geboren wurde die außergewöhnlich scharfsinnige Wissenschaftlerin im schlesischen Kattowitz am 28. Juni 1906. Und – das muß auch erwähnt werden – sie war von Geburt an ungemein privilegiert. Nur nur daß sie einen hellwachen Geist in die Wiege gelegt bekam, nein, sie wurde auch in einer Familie hineingeboren, der Bildung und Wissenschaft seit Generationen alles bedeutete.
“Werde nie eine Frau, wenn du groß bist.”
Ihr Vater Friedrich Goeppert – der später Professor für Kinderheilkunde in Göttingen war – war sage und schreibe der siebte Hochschullehrer in direkter Folge in der Familie Goeppert. Und ihr Vater – so ist überliefert – schärfte der heranwachsenden Maria auch ein: “Werde nie eine Frau, wenn du groß bist.”
Um diese Mahnung richtig zu verstehen: Professor Goeppert sah den Platz seiner talentierten Tochter nicht am Herd und in der Familie.
Maria studierte dann auch zunächst Mathematik, dann Physik. Beides in Göttingen – zu jener Zeit in den späten 20er Jahren die allererste Adresse. Max Born, James Franck und viele andere spätere Nobelpreisträger lehrten dort und auch der große David Hilbert hatte seinen Lehrstuhl in Göttingen.
Maria war bald von der Quantenmechanik so begeistert, daß sie die Mathematik links liegen ließ und sich der Physik hingab. 1927 lernte sie den Physikstudenten und Kommilitonen Joe Mayer kennen und freundete sich mit ihm an. 1930 promovierte Maria Goeppert bei Max Born über Doppel-Photonen-Prozesse und heiratete Joe Mayer.
Der Weg in die USA, der Weg in die zweite Reihe
Als dieser kurz darauf einen Ruf an die Johns-Hopkins-Universität Baltimore erhielt, siedelte das junge Paar nach Amerika über. Joe hatte eine Professur für Chemie inne – und wie es damals üblich war (Gerty Cori erduldete dasselbe Schicksal), durfte Maria nicht gleichzeitig an der Uni beschäftigt werden.
Maria Goeppert-Mayer trat zunächst ins zweite Glied zurück, bekam 1933 und 1938 zwei Kinder, arbeitete aber bisweilen zusammen mit ihrem Mann an physikalisch-mathematischen Problemen. So schrieben sie zusammen das Lehrbuch “Statistische Mechanik”, das ein Klassiker wurde.
Viele Jahre lang stellte Maria Goeppert-Mayer ihre Ambitionen zurück. Dann erst konnte sie ihre Scharfsinnigkeit beweisen…
Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Maria am Atomwaffenprogramm der Amerikaner mit und dann nach Kriegsende erhielt sie endlich eine ordentliche Professur an der Universität von Chicago.
Nun konnte sie endlich beweisen, wie brillante sie eigentlich war. 1949 fand sie – angeregt durch Enrico Fermi – eine Lösung für die sog. “magischen Zahlen”, die für die Stabilität der Atomkerne verantwortlich gemacht wurden. Sie entwickelte ihre Theorie vom zwiebelartigen Aufbau des Atomkerns, den man sich bis zu diesem Zeitpunkt ohne Struktur vorgestellt hatte.
Für diese Arbeit wurde ihr zusammen mit dem deutschen Physiker J. Hans D. Jensen eine Hälfte des Nobelpreises für Physik zuerkannt.
Heute wird der erste der insgesamt sechs Nobelpreise verliehen – und da ScienceBlogs nach wie vor ein besonderes Augenmerk auf Wissenschaftlerinnen im Rahmen des For Women in Science Blogs legt, heißt es ab sofort: Damenwahl! Zu jedem Nobelpreis werden wir daher eine prominente Preisträgerin vorstellen. Den Anfang macht Rita Levi-Montalcini, die 1986 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie erhielt.
Geboren wurde die Italienerin sefardischer Herkunft am 22. April 1909 in Turin gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Paola. Ihr Vater Adamo Levi arbeitete als Elektroingenieur während ihre Mutter Adele Montalcini die Zwillinge und zwei weitere Kinder – Gino und Nina – großzog. Während von Paola bekannt ist, dass sie ein sehr lebhaftes Kind gewesen sein soll, war Rita sehr ängstlich und schüchtern und scheute andere Kinder, aus Angst vor antisemitischen Anfeindungen.
Nachdem Rita und ihre Schwestern die Grundschule besucht hatten und theoretisch die Mittelschule hätten besuchen können, entschied ihr Vater, sie nur auf eine Höhere Töchterschule zu schicken. Dort konnten sie keinen Abschluss erwerben, der ihnen den Zugang zur Universität ermöglicht hätte.
Als Rita 19 Jahre alt war, erkrankte ihr früheres Kindermädchen an Krebs. Getrieben vom Wunsch, ihr Leben zu retten, erkämpfte Rita sich vom Vater die Erlaubnis, eine weitere Schule besuchen zu dürfen um anschließend Medizin studieren zu können. Innerhalb von acht Monaten eignete Rita sich bei privaten Lehrern die für ein Universitätsstudium damals nötigen Kenntnisse in Latein, Altgriechisch, Mathematik und Geographie an.
Bei der Aufnahmeprüfung für externe Kandidatinnen der Universität Turin fiel Rita zwar in Geographie durch – sie wusste nicht, wo der Golfstrom lag – dennoch wurde sie jedoch zum Medizinstudium zugelassen. Von 1930 bis 1936 studierte Rita Levi-Montalcini Medizin – um im Anschluss mit der Realität konfrontiert zu werden, dass unter den Faschisten „nichtarischen” Frauen der Zugang zu akadamischen Positionen nicht gestattet war. Darum zog die junge Ärztin nach Belgien, wo sie bis zur Invasion der Deutschen arbeitete.
Als die Situation für Rita auch in Belgien zu gefährlich wurde, kehrte sie nach Turin zurück und lebte mit ihrer Familie versteckt in einer Wohnung. Während Freunde die Familie mit Lebensmitteln versorgten, erforschte Rita die Extremitätenausbildung von Hühnerembryonen in einem improvisierten Labor in ihrem Schlafzimmer. Da die Familie Gefahr lief, entdeckt zu werden, zogen sie in dieser Zeit mehrfach um. Im August 1944 lebten sie in Florenz, als britische und amerikanische Truppen die Deutschen verdrängten.
Anschließend bekämpft Rita Seuchen und Epidemien in einem Flüchtlingslager als Krankenschwester und Ärztin. Wenige Monate später kehrt die Familie nach Turin zurück, wo Rita eine Assistenzstelle am Anatomischen Institut annimmt und zugleich ein Biologiestudium beginnt. Drei Jahre später geht sie in die USA, wo sie in der zoologischen Abteilung der Washington University in St. Louis die Funktion des Nervensystems erforscht.
1969 kehrt Rita Levi-Montalcini nach Italien zurück und leitet in Rom das Laboratorium für Zellbiologie des Nationalen Forschungsrates. Dabei erforscht sie vor allem die zelluläre Nachrichtenübertragung und entdeckt den Nervenwachstumsfaktor, ein Polypeptid – eine Leistung für die sie Jahre später den Nobelpreis erhält.
Weshalb Nerven zu wachsen beginnen, entdeckte Rita Levi-Montalcini anhand von Hühnerembryonen: Ihnen pflanzte sie Krebszellen von Mäusen ein und beobachtete anschließend, dass die Nervenzellen der Embryonen übermäßig wuchsen – verantwortlich dafür war das vom Tumor abgesonderte Polypeptid.
Stanley Cohen, mit dem sie sich den Nobelpreis 1986 teilt, war bereits 1953 zu ihrem Labor gestoßen. Die Wissenschaftlerin beschloss, ihren Anteil des hochdotierten Preises dem wissenschaftlichen Nachwuchs in ihrem Spezialgebiet zu spenden – ihr Leben werde der Nobelpreis nicht mehr verändern, erklärte die damals bereits 77-jährige. Sie werde weiterarbeiten wie bisher.
Obwohl sie mittlerweile auch die US-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt, lebt und arbeitet Rita Levi-Montalcini in Italien, wo sie bis heute diverse Positionen inne hat: So ist die Wissenschaftlerin beispielsweise Präsidentin der italienischen Multiple-Sklerose-Gesellschaft und sowohl Mitglied der Accademia Nazionale die Lincei als auch der International Academy of Science. Außerdem wurde sie im Jahr 2001 vom damaligen Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi zur Senatorin auf Lebenszeit ernannt.
Momentan ist Rita Levi-Montalcini die älteste, lebende Nobelpreisträgerin. Bis zu ihrem 85. Lebensjahr ging sie täglich ins Institut für Neurobiologie.
]]>Vielleicht kein Wunder: Irene Pieper-Seier stellt (nachdem sie die Situation von Studentinnen und Doktorandinnen bereits skizziert hat) die Ergebnisse einer Studie vor, die eindeutig belegen, dass auch habilitierte Mathematikerinnen auf allen Karrierestufen zum Teil manifeste Diskriminierungserfahrungen machen.
Ein anderer Blickwinkel auf die Beteiligung von Frauen in der Wissenschaftsdisziplin Mathematik ergibt sich, wenn man die Berufsverläufe von Frauen, die im universitären Bereich Karriere gemacht haben, im Vergleich mit entsprechenden Männern analysiert.
Die einschlägigen Studien (vgl. Tobies 2008, Abele et al. 2004, Vogel/Hinz 2004) zeigen übereinstimmend, dass – so die Erfahrungen der Betroffenen – NachwuchswissenschaftlerInnen in der Mathematik besser gefördert werden, als in den Sozialwissenschaften, dabei jeweils die Männer noch stärker als die Frauen.
Als Förderung wird hier die Ermunterung zu Publikationen, wie zur Teilnahme an Kongressen und Übernahme von Vorträgen, die Einführung in die jeweilige scientific community und die Einladung als MitautorIn auf einem Paper verstanden.
Interviewstudie: Frauen in der Mathematik
An der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg habe ich gemeinsam mit der Soziologin Prof. Dr. Karin Flaake und den Mitarbeiterinnen Dr. Kristina Hackmann (Soziologie) und Studienassessorin Stephanie Radtke (Mathematik und Musik) von 2002 bis 2004 eine Interviewstudie zum „Status von Frauen in der Wissenschaftsdisziplin Mathematik” durchgeführt.1
Versuch der Rekonstruktion von mathematischen Berufsbiografien. Welche Faktoren begünstigen eine Karriere?
Ziel war es, aus den Erzählungen von besonders erfolgreichen Frauen in der akademischen Profession Mathematik die Berufsbiografien zu rekonstruieren, sowie Muster für besonders günstige bzw. ungünstige Bedingungen einer Karriere zu ermitteln und die Wahrnehmung und Verortung in der Disziplin zu bestimmen.
Nach umfangreichen Recherchen ermittelten wir 76 Frauen in dieser Gruppe.2 Es stellte sich heraus, dass an knapp der Hälfte der mathematischen Institute und Fachbereiche keine Professorin oder habilitierte Dozentin in Dauerposition beschäftigt ist. Mit 65 der Frauen konnten wir verwertbare, leitfadengestützten Interviews führen.
Fast alle diese Frauen, die wissenschaftliche Universitätskarrieren in Mathematik erfolgreich abschließen konnten, sind in ihrem mathematischen Interesse und in ihren Kompetenzen schon früh und im weiteren Verlauf ihres Berufsweges immer wieder unterstützt und gefördert worden. Dieses Fazit korrespondiert mit den Ergebnissen des Braunschweiger Projekts (vgl. Vogel/ Hinz 2004: 69).
Auch in der Mathematik erleben Frauen geschlechtsspezifische Diskriminierungen. Je höher sie in den Hierarchien klettern, desto häufiger.
Die Karrierewege der befragten Frauen zeichnen sich mehrheitlich durch Geradlinigkeit aus. Zugleich wird jedoch auch von — mit jeder Qualifikationsstufe zunehmenden — geschlechtsspezifischen Diskriminierungserfahrungen in der Institution Universität berichtet. Mehr als die Hälfte der Frauen hat Kinder; sie berichten von besonderen Belastungen und Diskriminierungen. In der wissenschaftlichen Community fühlen die Mathematikprofessorinnen sich akzeptiert, sie sind mit der Resonanz auf Publikationen und Vorträge zufrieden. Aber es gibt auch Hinweise auf Ausschlussmechanismen.
Im Folgenden sollen die Formen der Förderung an der Universität und ihre Bedeutung sowie die geschlechtsspezifischen Diskriminierungserfahrungen genauer diskutiert werden.
Förderung und Unterstützung:
Für das Studium und die Promotionsphase werden der Betreuer, in seltenen Fällen eine Betreuerin, und häufig die Arbeitsgruppe als unterstützend genannt. Dabei kommt es auf die Möglichkeit zu ernsthaften Gesprächen an, darauf, akzeptiert und ernst genommen zu werden und zu erleben, dass der eigenen Leistungsfähigkeit Vertrauen von erfahreneren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen entgegengebracht wird.
Generell geht es also um eine ermutigende und motivierende persönliche Arbeitsumgebung. Es folgen einige Beispiele aus verschiedenen Interviews:
„Mein Doktorvater hat mich so mental in dem Sinne unterstützt, dass er mir immer klargemacht hat, er denkt, ich kann das. Das ist auch unheimlich wichtig, das braucht man.”
„…weil sie (die betreuende Hochschullehrerin, Anm. d. Verf.) mir einfach auch den Mut und die Kraft gegeben hat, das immer wieder durchzustehen, weil man ja doch Frustphasen hat.”
Von den befragten Frauen waren 80 % während ihres Studiums studentische Hilfskraft oder Tutorin, von denjenigen mit BRD- Ausbildungsbiografie sogar 95 %. Eine solche Tätigkeit trägt zur Ausbildung des Interesses am späteren Forschungsgebiet bei, sie bietet aber auch Zugang zu weiterer Unterstützung und systematischer Förderung und vermittelt Anerkennung, wie die folgenden Beispiele zeigen:
„Da hab ich an einem Forschungsprojekt mitgearbeitet, wo ich mich als Wissenschaftlerin auch ernst genommen gefühlt habe, zwar sicherlich als forschende Studentin, aber trotzdem, wo ich etwas selber auch tun konnte, eigenständig etwas bearbeiten konnte. Das sind sicherlich Menschen gewesen, die mir einerseits deutlich gemacht haben, du kannst dir auch zutrauen, wissenschaftlich zu arbeiten, und die mir auch den Freiraum gegeben haben, um das zu tun.”
Als Förderung wird also – so kann man die vielen verschiedenen Aspekte zusammenfassen – die Einbeziehung in fachliche Strukturen und Institutionen erlebt. Außerdem ist es von großer Bedeutung, dass die …… Zugleich wird dadurch Rückhalt und Anerkennung erfahren, eine wichtige Stütze für fachbezogenes Selbstbewusstsein.
Geschlechtsspezifische Diskriminierungserfahrungen
Auf die Frage nach Situationen, in denen es einem Mann anders ergangen wäre, berichten insgesamt 18 % für die Zeit des Studiums3 von Fällen, in denen es einem Mann besser ergangen wäre, 35 % für die Zeit der Promotion, 44 % für die Zeit der Habilitation und 45 % für den weiteren Weg.
In den frühen Karrierestufen geht es seltener um direkte Behinderung als um den Eindruck, dass die Akzeptanz in Frage gestellt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Kind vorhanden ist.
„Ganz einfach, ich meine, einem Mann wäre nie gesagt worden, ‚Du kannst das nicht, weil du ein Mann bist’, was man mir halt andersrum durchaus genauso in diesen Worten, also ‚Du kannst das nicht, weil du eine Frau bist’ gesagt hat. Dieses Gefühl der Verunsicherung, das dadurch entsteht, das kriegt man nicht einfach so raus. Also z.B. das Arbeiten mit Ingenieuren, das war immer ganz deutlich, das hat man mir nie zugetraut.”
„Einer kam mal in mein Zimmer und sagte mir dann so, also eins müsse er mir jetzt doch mal sagen, er dächte, dass eine Frau mit Kindern nicht in die Mathematik gehört, sondern nach Hause zu ihren Kindern.”
Auf dem weiteren Weg geht es durchweg um Diskriminierung im Zusammenhang mit Berufungsverfahren.
„Bei meinem allerersten Vorstellungsgespräch bin ich zum Beispiel gefragt worden, was für ein Verhältnis ich zu Computern hätte. Dann, ob ich unter Zeitdruck arbeiten könnte. Die einzige vernünftige Antwort wäre gewesen: ‚Was glauben Sie denn, wie ich mit drei Kindern habilitiert habe?’.”
„Einmal, in der Berufungskommission, bin ich im Gespräch gefragt worden ‚Junges Fräulein, waren Sie denn schon mal auf einer internationalen Konferenz?’.”
„Frauen, die werden schon kritischer angeguckt. Oftmals auch einfach aus Alibifunktion wird man eingeladen. Also ich habe da wirklich Beispiele erlebt, dass man mir sagte, ‚ja, wir laden Sie ein, aber wollen Sie wirklich kommen? Wir laden Sie nur ein, weil wir eine Frau einladen müssen’.”
Ein wichtiger Aspekt der Diskriminierungserfahrungen – neben den zum Teil verletzenden Unterstellungen und Zurechtweisungen – liegt wohl darin, dass sie die Einbindung in die Community in Frage stellen, also Ausgrenzung bedeuten können.
Schlussfolgerungen
Die einzelnen Studien ergänzen sich in ihren zentralen Ergebnissen: Die Professorinnen-Studie zeigt, wie wirksam persönliche Förderung und Unterstützung für den Erfolg einer akademischen Karriere im männerdominierten Fachgebiet Mathematik sein kann. Die zitierte AbsolventInnen-Studie zeigt, dass schon für die Promotion eine Förderung durch DozentInnen eine wichtige Voraussetzung ist. Die StudentInnen-Studie macht dagegen deutlich, dass ohne eine solche Förderung und Unterstützung das fachbezogene Selbstvertrauen und damit auch Interesse von Frauen an einer akademischen Weiterbeschäftigung mit Mathematik fragil bleiben kann.
Das fachbezogene Selbstvertrauen von Frauen muß gestärkt werden. Konkrete, individuelle Fördermaßnahmen und v.a. positive unterstützende Signale können helfen.
Dabei muss hier offen bleiben, ob das Phänomen, das hier als Mangel an fachbezogenem Selbstvertrauen benannt wird, nicht als ein Konstrukt anzusehen ist, das im Interaktionsprozess unter Beteiligung der jeweiligen Frau hergestellt wird und das auch die Funktion hat, die Identität als weibliche Person hervorzuheben.
Der Wissenschaftsrat hat darauf hingewiesen, dass die gängige Form der Nachwuchsrekrutierung eine entscheidende Barriere für Wissenschaftlerinnen darstellt, da sie sich de facto vor allem nach dem Prinzip der homosozialen Kooptation vollzieht (Wissenschaftsrat 2007: 23f). Die für eine erfolgreiche Entwicklung notwendige Förderung käme damit vor allem der sozialen Gruppe zugute, die das gleiche Geschlecht wie die derzeitige Mehrheitsgruppe hat, also den Männern. Diesem Problem kann nur mit einer offensiven Gegenstrategie entgegengewirkt werden, mit der Frauen schon früh im Studium durch individuelle Ansprache, persönliche Kontakte und Einbindung als studentische Hilfskraft nachhaltige Ermutigung erfahren.
Teil I: Frauen in der Mathematik
Teil II: Selbstzweifel und fehlende Anerkennung: Weshalb so wenige Mathematikerinnen promovieren
(2) Verglichen mit den Angaben des statistischen Bundesamtes für 2002 (s.o.) haben wir außer den Professorinnen an Pädagogischen Hochschulen möglicherweise auch einige wenige an Universitäten nicht erfasst.
(3) Bei den nach 1960 geborenen Frauen ist dieser Anteil etwas niedriger.
Irene Pieper-Seier nennt Zahlen, Fakten und Erklärungen, weshalb in der Mathematik immer noch relativ wenige Frauen promovieren. Und wenn sie skizziert, welche psychologischen Momente die Karrierewege junger Mathematikerinnen bestimmen, dann wird deutlich: Frauen sind häufig unnötig selbstkritisch, gerade was ihre fachliche Eignung angeht…
Gerade einmal bei 10% lag der Frauenanteil an mathematischen Promotionen in den Jahren 1986-1988. Ab 1992 ist – wie die Angaben des Wissenschaftsrats belegen – ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Im Jahre 1998 wurden erstmals mehr als 20% (genauer 21,9%) erreicht. Allerdings lag der Frauenanteil bei den Promotionen in allen Fächern zu diesem Zeitpunkt bereits bei 33,3%.
Interessant ist auch ein Blick ins europäische Ausland: So lag der Frauenanteil bei den Promotionen in der Fächergruppe Mathematik/Statistik im Jahr 2003 nach Angaben der Europäischen Kommission in Italien bei 42,4%, in Portugal bei 58,3% und in Schweden bei 16%.
Welche Faktoren sind für die geringe Promotionsneigung von Frauen in Deutschland verantwortlich?
Daher ist die Frage von Interesse, welche Faktoren die geringere Neigung von Frauen in Deutschland zur Promotion in Mathematik beeinflussen, denn die allgemein genannten Aspekte wie Familiengründung, Vereinbarkeitsfrage und (zumindest an der Universität) unsichere Beschäftigungsverhältnisse erklären die spezifische Situation in der Mathematik nicht ausreichend.
Wie im einführenden Artikel schon erwähnt wurde, liegt ein Grund in der Tatsache, dass Frauen häufiger das Lehramt wählen, wobei sie mit dem Staatsexamen zwar promovieren könnten, dies aber entsprechend dem allgemeinen Trend in der Mathematik nur in Ausnahmefällen tun.
Ergebnisse eines Forschungsprojekts
In einem Forschungsprojekt „Zur Entwicklung von fachbezogenen Strategien, Einstellungen und Einschätzungen von Mathematikstudentinnen in den Studiengängen `Diplom Mathematik´ und `Lehramt an Gymnasien” haben wir an 28 Universitäten in Deutschland mehr als 700 Studierende beiderlei Geschlechts getestet und zu ihrer Studienfachwahl, ihrem Interesse an Mathematik, ihren Studienerfahrungen und Selbsteinschätzungen, ihrer Einstellung zu mathematischer Forschung und einer möglichen Promotion sowie zu ihren Berufs- und Lebensentwürfen befragt.
Die Antworten wurden mit einer Hauptkomponentenanalyse ausgewertet.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Studentinnen sich eher mit Blick auf den Beruf für den Studiengang und das Fach entschieden haben, während die Studenten vorrangig das Fach wählten, weil sie überzeugt sind, dass es ihnen besonders liegt. (Bei den meisten Fragekomplexen gibt es übrigens einen deutlichen Unterschied zwischen den Studiengängen Lehramt und Diplom.)
Für Frauen sind positive Vorbilder und Anerkennung wichtiger als für Männer.
Dies gilt insbesondere für die positive Einstellung zu einer möglichen Promotion, wie auch zur mathematischen Forschung. Erkennbar ist zugleich, dass die Frauen sich stärker als die Männer durch Anerkennung und Vorbild der Lehrenden motiviert fühlen. Die Frage nach der Vereinbarkeit einer möglichen wissenschaftlichen Karriere mit persönlichen Lebensentwürfen bzw. Familienwunsch, war für die Befragten weniger bedeutsam bzw. hatte keinen signifikanten Einfluss auf eine positive Einstellung zu einer (späteren) Promotion. Hier ist zu berücksichtigen, das zum Zeitpunkt der Befragung die Familiengründung in den meisten Fällen noch kein aktuelles Problemfeld war.
Bei den Diplomstudierenden zeigten sich insgesamt deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen zeigen die für eine positive Haltung zur Promotion förderlichen Voraussetzungen in geringerem Ausmaß als Männer.
Zu viel Selbstkritik, zu wenig Selbstvertrauen
Für die geringere Neigung von Frauen zur Promotion in Mathematik ist auch ihre kritische Selbsteinschätzung, insbesondere der Mangel an fachbezogenem Selbstvertrauen bedeutsam. Zudem spielt die bei den Frauen hohe Wertschätzung von Sicherheit und Klarheit in der Mathematik eine wesentliche Rolle, die die Arbeit an offenen Problemen, wie sie für Dissertationen und Forschung typisch sind, eher als Wagnis erscheinen lässt. Zudem betonen die Diplomfrauen stärker als die Männer, dass sie im Studium zu wenig Einblick in mathematische Forschung erhalten.
Die besonders kritische Selbsteinschätzung der Frauen wurde auch deutlich in den qualitativen Interviews, die die Studie abrundeten. Ein typisches Zitat einer Studentin, die entschieden hat, nicht zu promovieren, soll diesen Aspekt exemplarisch beleuchten:
„Also ich finde jemand, der promoviert, der muss richtig gut sein. Der muss zu den drei Besten seines Semesters gehören, und das tu’ ich nicht.”
In einer Studie mit dem Absolventenjahrgang 1998 der Mathematik-Studiengänge Diplom und Lehramt an Gymnasien, die an der Universität Erlangen durchgeführt wurde, zeigten sich mit Blick auf den Promotionswunsch geringe Geschlechterunterschiede (vgl. Abele et.al. 2004: 81ff). MathematikerInnen, die promovierten, zeichneten sich durch starkes Sachinteresse, sehr gute Noten und kurze Studienzeiten aus; sie hatten ihr Studium positiv erlebt und waren von Dozenten gefördert worden.
Die wissenschaftliche Laufbahn erschien jedoch nur für einen kleinen Teil der Befragten attraktiv, für Frauen noch weniger als für Männer (a.a.O.: 88). Als Gründe für die Entscheidung gegen eine wissenschaftliche Laufbahn gaben die Befragten vorrangig an, dass sie die Chancen derzeit für ungünstig hielten oder ihre eigenen Kompetenzen eher anders gelagert seien (a.a.O.: 84).
(2) Hier wurden nicht Frauenanteile an den verschiedenen Qualifikationsstufen mit den entsprechenden Daten für alle Fächer verglichen, sondern die Anteile der Absolventen bzw. Absolventinnen dieses Jahrgangs bestimmt, die promovieren wollten. Der gerade erfolgreich erreichte Studienabschluss kann für diese Frauen auch eine positive Wirkung auf das fachbezogene Selbstvertrauen gehabt und damit möglicherweise die positive Entscheidung zu einer Promotion verstärkt haben.
(3) Für diese Begründungen ist keine geschlechtsbezogene Auswertung angegeben.
Für meinen Beruf bin ich oft unterwegs und ich bin häufig umgezogen. Zum Wohle meiner Kinder wünsche ich mir, dass unser Standort in Heidelberg stabil bleibt, schließlich sind wir schon seit sechs Jahren hier.
In meiner Zeit im Ausland – ich habe vier Jahre in den USA gelebt und stehe immer noch in engem Kontakt mit dem Labor, bei dem ich tätig war – habe ich jedoch andere Möglichkeiten kennen gelernt, wie man Familie und Arbeit unter einen Hut kriegt.
In den USA hatte ich nie das Gefühl, eine Sonderrolle als Frau einzunehmen. Am Institut in Philadelphia gab es bessere Strukturen, das heisst, die Kinderbetreuungsstätte befand sich im selben Gebäude wie die Labore und das machte es Müttern leichter. Zwar hatte ich zu dem Zeitpunkt noch keine eigenen Kinder, aber ich schätze, dass es sehr geholfen hat, Wissenschaftlerinnen zur Familienplanung zu ermutigen.
In Italien hingegen, wo ich mein Studium begonnen habe, waren meine Erfahrungen ziemlich schlecht. Wir hatten fast keine Professorinnen und unter den Studierenden war nur etwa ein Fünftel weiblich. Um zum Studium zugelassen zu werden, gab es damals ein Auswahlverfahren – wer weiß, wonach dort sortiert wurde.
In meinem jetzigen Team waren wir anfangs nur 2 Frauen und 13 Männer – mittlerweile sind wir aber mehr. Vor allem unsere studentischen Mitarbeiter sind meist weiblich. Es wäre wünschenswert, dass diejenigen mit Talent und einer Begeisterung für Wissenschaft später die Chance ergreifen und versuchen, Professorin zu werden.
Bisher entscheiden Frauen sich leider eher dazu, zu Hause zu bleiben oder sie schlagen einen anderen Weg ein und gehen beispielsweise in die Industrie. Dort gibt es andere Arbeitszeiten, man kann eher seine „Zeit absitzen”, als das in der Forschung möglich ist. Diese Berufe haben geringere Anforderungen, qualifizierte Frauen müssen dann leider auch manchmal „tiefstapeln”.
Es ist aber bereits ein Fortschritt, dass bei Bewerbungen die Zeit, die ich im Mutterschutz verbracht habe, durchaus vom Lebensalter abgezogen wird. Das ist ein Bonus. Die Anzahl der Publikationen, die man im Laufe seines Lebens geschafft hat, zählt natürlich auch. Aber auch da würde ich sagen: Wenn Unterstützung da ist, klappt auch das. Wer eine gute Kinderbetreuung hat, erhält dafür vieles zurück. Ich arbeite manchmal auch zu Hause zwischen 23 und 2 Uhr nachts – nicht weil es unumgänglich ist, sondern weil ich mich einfach danach fühle und die Energie habe. Ich denke, an den Arbeitsbedingungen von Wissenschaftlern wird sich so schnell nichts ändern – bei der Kinderbetreuung sind Verbesserungen aber möglich und nötig.
]]>Irene Pieper-Seier hat sich jahrzehntelang in wissenschaftshistorischer, didaktischer und genderzentrierter Perspektive mit der Rolle von Frauen in der Mathematik beschäftigt. In drei Beiträgen schildert sie, wie sich die Situation auf den einzelnen Qualifikationsstufen heute darstellt:
Vor genau 100 Jahren, im Jahr 1908 erschien die Dissertation von Emmy Noether in Crelles „Journal für die Reine und Angewandte Mathematik”. Damit war Emmy Noether nicht die erste Frau, die in Deutschland eine mathematische Promotion beendete, aber sie war eine der ersten, die ein reguläres Studium absolvieren konnte.
In Preußen, dem deutschen Teilstaat mit den meisten Universitäten, wurden Frauen erst 1908 zum Studium der meisten Fächer ohne besondere Auflagen wie Genehmigung der Dozenten zugelassen.
Aktuelle Zahlen und Fakten
Heute, 100 Jahre später, erscheint es selbstverständlich, dass Mädchen und Jungen Mathematikunterricht im gleichem Umfang und mit denselben Zielen, meist koedukativ erhalten. Die Mädchen stellen heute mehr als 50% der SchülerInnenschaft an den Gymnasien, der Studentinnenanteil an allen Mathematikstudiengängen an Universitäten und Fachhochschulen beträgt etwa 50 %.
Auf den Stufen der wissenschaftlichen Qualifikationen und der akademischen Karriere gehen allerdings immer mehr Frauen verloren. Einen Überblick über die Frauenanteile in Mathematik im Vergleich zum Durchschnitt aller Fächer gibt die folgende Übersicht:
Der hohe Frauenanteil bei den Studierenden der Mathematik erklärt sich aus der Quote bei den Lehramtsstudiengängen. Sie liegt z.B. beim Lehramt für die Primarstufe (einschl. vergleichbarer Abschlüsse) bei 82%.
Karrierestufen der mathematischen Laufbahn
Zulassungsvoraussetzung für eine Promotion in Mathematik ist in aller Regel das Diplom oder das erste Staatsexamen für das höhere Lehramt. Es ist allerdings inzwischen eher selten, dass jemand mit Lehramtsexamen eine Promotion anstrebt. Bezieht man die Promotionsdaten ausschließlich auf die Diplomabsolventen, so liegt der Verlust „nur noch” bei 11 Prozentpunkten, im Durchschnitt aller Fächer bei 9 Prozentpunkten. Der Frauenanteil bei den Promotionen liegt zwar insgesamt deutlich unter dem Niveau beim Durchschnitt aller Fächer, er hat sich aber seit den 1980er Jahren sehr verbessert, wie noch dargelegt werden wird.
Habilitationsdaten für ein einzelnes Jahr müssen jedenfalls bezogen auf das Fach Mathematik sehr vorsichtig beurteilt werden, denn die absoluten Zahlen sind niedrig und daher können zeitliche Zufälle im Verfahrensablauf die Quote stark beeinflussen. Im Jahr 2006 habilitierten 6 Frauen und 37 Männer in Mathematik. In den Jahren 1997 bis 2006 war die Frauenquote bei Habilitationen für Mathematik am höchsten im Jahr 2000 mit 19,8%, am niedrigsten im Jahr 2001 mit 6,8%.
Mit jeder weiteren Qualifikationsstufe nimmt der Frauenanteil weiter ab.
Gerade bei den Professuren ist in den letzten Jahren nicht nur der Anteil gewachsen, auch die absoluten Zahlen zeigen ein positives Bild. An den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen wuchs die Zahl der Mathematikprofessorinnen von 51 im Jahre 2002 auf 86 im Jahre 2006, bei einer Gesamtzahl, die von 1162 im Jahr 2002 auf 1097 im Jahr 2006 leicht abnahm. Die stärksten Zuwächse waren 2003 und 2004, vermutlich haben hier die neu eingerichteten Juniorprofessuren eine Rolle gespielt.
Insgesamt fällt jedoch auf, dass mit jeder weiteren Qualifikationsstufe der Frauenanteil weiter abnimmt. Welche Faktoren im Einzelnen die Entscheidung eine Promotion oder Habilitation im Fach Mathematik aufzunehmen beeinflussen, soll in den folgenden Artikeln skizziert werden.
In der Wissenschaft sind wir alle gleich: Unsere Gehirne arbeiten daran, Grundkonzepte zu begreifen. Dabei ist es egal, ob man als Mann oder Frau forscht: Was zählt sind nur die Ergebnisse. Dennoch ist es etwas Besonderes, als Frau in der Wissenschaft tätig zu sein. Und da ich einige Jahre auch in den USA gelebt und gearbeitet habe muss ich sagen: In Deutschland umso mehr.
Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Wissenschaft fangen schon in ihrer Herangehensweise an wissenschaftliche Themen an: Frauen fangen eher mit ganz kleinen Details an und fügen sie erst später zu einem größeren Ganzen zusammen. Ihr Ausgangspunkt ist meiner Ansicht nach meist breiter gefächert. Männer funktionieren meiner Beobachtung nach genau andersrum: Sie sehen zuerst das große Ziel und füllen dann nur noch die Lücken mit den benötigten Details aus.
Und in einem weiteren Punkt unterscheiden wir Wissenschaftlerinnen uns von unseren männlichen Kollegen: Wir sind viel ordentlicher! Alles hat seinen Platz. Meistens kann man wirklich bereits beim Anblick einer Laborbank sagen, ob dort ein Mann oder eine Frau arbeitet.
Meiner Meinung nach sollte die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Wissenschaft auf jeden Fall ein Ziel sein. Momentan ist das aber noch nicht möglich – zum einen weil es an Unterstützung fuer Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlt, zum anderen ist meine Beobachtung, dass es vielen Forscherinnen an Unterstützung seitens ihrer Familien fehlt. Wir sind in der Gesellschaft immer einsamer. Auch dadurch, dass man heutzutage jobbedingt oft umzieht, wird es nicht leichter. Die Leute, die bereit wären uns zu unterstützen, wie etwa Großeltern, sind einfach zu weit entfernt.
Frauen in der Wissenschaft haben vermutlich immer eine außergewöhnliche Stellung und in Bezug auf meine Karriere darf ich behaupten, dass sie durchaus unkonventionell war:
Mein Studium habe ich in Italien begonnen – dort studierte ich zunächst Zahnmedizin. Als Zulassung für das Studium mussten wir eine Eignungsprüfung ablegen – danach waren wir im ersten Semester etwa nur ein Fünftel Frauen.
Meine Entscheidung, in die Forschung zu gehen, war ziemlich außergewöhnlich. Die Zahnmedizin entfachte mein Interesse für Zellbiologie, in einem Biologiekurs. Meine Abschlussarbeit habe ich dann auch dort am Institut für Zellbiologie und Anatomie geschrieben.
Als ich anschließend als Zahnärztin arbeitete, fand ich die Vorstellung schrecklich, ein Leben lang „nur” am Menschen zu arbeiten. Ich wollte wissen, was hinter den Krankheiten steckt. Ich muss dazu sagen: In meiner Familie gibt es sonst nur „praktisch” arbeitende Leute; Ingenieure und Physiker etwa, ich bin darunter die Einzige, die forscht.
Um also mehr über die Ursachen von Krankheiten zu Erfahren, habe ich ein Zweitstudium in Angriff genommen: In Biologie habe ich zunächst einen Master gemacht und anschließend auch promoviert, um mein Wissen zu vertiefen.
Von einer Disziplin in die andere zu wechseln, war nicht immer leicht. Schließlich musste ich lernen, mein Wissen als Biologin mit Chemie und Physik zu verbinden. Im Laufe meiner Karriere habe ich aber viel Unterstützung erfahren. Promoviert habe ich bei einer Doktormutter. Hier in Heidelberg bin ich sehr glücklich, dass mein Institutsleiter mich bei meiner Doppelbelastung zu 100 Prozent unterstützt. Ich bin hier nicht die einzige mit Kindern, eine Kollegin von mir hat letztes Jahr auch ihr zweites Kind auf die Welt gebracht.
]]>Als Biochemikerin hat sie sich durchgekämpft. Prof. Dr. Stefanie Dimmeler ist eine von Deutschlands Vorzeigewissenschaftlerinnen. Seit 2008 ist sie Mitglied des Deutschen Ethikrates und zugleich Professorin an der Goethe-Universität in Frankfurt. Stefanie Dimmeler habilitierte in experimenteller Medizin – Themenschwerpunkt: Für Arteriosklerose verantwortliche Endozellen und ihr programmierter Zelltod.
Momentan arbeitet Stefanie Dimmeler im Bereich der Stammzellforschung. Zusammen mit ihrem Kollegen Andreas Zeiher erarbeitete sie ein Konzept, mit dem sich Stammzellen aus Knochenmark gewinnen lassen, um sie dann ins Herz einzubringen. Für ScienceBlogs interviewte Robert Steinkrüger die Forscherin, die vor drei Jahren sogar mit dem Leibnizpreis ausgezeichnet wurde.
Robert Steinkrüger: Wie sind Sie zur Biochemie gekommen?
Stefanie Dimmeler: Ich war immer fasziniert von Naturwissenschaften. Ich habe dann Biologie studiert, weil mich das Fach vielseitig angesprochen hat: von Ökologie bis Biochemie/Chemie/Physik ist alles enthalten. Nach dem Diplom habe ich mich dann auf Biochemische Pharmakologie spezialisiert, vor allem wegen den medizinischen Ansatzpunkten, die sich daraus ergeben haben.
R.S.: In der Vanity Fair gaben Sie an, Frauen “würde der unbedingte Wille zur Macht fehlen “. Was meinen Sie damit genau?
S.D.: Dass die meisten Frauen aus meiner Sicht eher die Sache (in unserem Fall die Wissenschaft) im Vordergrund sehen und sich nicht gerne auf Machtspiele einlassen. Im Zweifel habe ich den Eindruck, dass Frauen lieber solchen Konflikten und Kämpfen um die Vormacht aus dem Weg gehen. Aber ich muss zugeben, dass es auch Beispiele für andere Verhaltensmuster gibt, wie man aktuell beispielsweise an Frau Ypsilati sieht.
R.S.: Hatten Sie weibliche Vorbilder?
S.D.: Früher nicht – in den letzten Jahren hatte ich aber das Glück wirklich tolle Frauen kennenzulernen, die mich sehr beeindruckt haben.
R.S.: Fühlten Sie sich je als Frau in Ihrem Beruf benachteiligt?
S.D.: Nein.
R.S.: Was müsste sich in der Bundesrepublik ändern, um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen?
S.D.: Die Rahmenbedingungen müssen stimmen: es muss genügend Infrastruktur (Kindergärten, Betreuungsmöglichkeiten etc) geschaffen werden, um den Frauen mehr Flexibilität zu ermöglichen. Zudem brauchen wir eine Akzeptanz von Lebensläufen, die Erziehungszeiten mit einbeziehen. Alles andere braucht einfach Zeit bis Frauen in Führungspositionen einfach selbstverständlich sind.
R.S: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
]]>Bei der gestrigen Preisverleihung For Women in Science waren die Preisträgerinnen bereits im Vorfeld bekannt – dennoch steckte der Tag voller Überraschungen. Prof. Dr. Christiane Nüsslein-Volhard etwa erzählte in ihrer Dankesrede die wahre Entstehungsgeschichte ihrer Stiftung, die sich für Frauen in der Wissenschaft engagiert: Während sie bereits Direktorin am Max-Planck-Institut war, fiel ihr eine Mitarbeiterin als besonderes Forschungstalent auf – dieselbe Kollegin wurde schwanger und musste schon bald ihren Mann, ihr Kind und sich selbst von einem kargen Postdoc-Gehalt ernähren.
Währen der Vater auf das Kind aufpasste, arbeitete die junge Wissenschaftlerin Tag und Nacht. Einige Monate, nachdem ihr Kind auf der Welt war, erklärte sie ihrer Vorgesetzten, dass sie der Doppelbelastung nicht gewachsen sei und sich von einer Karriere in der Forschung verabschieden müsse.
Christiane Nüsslein-Volhard dachte an wohlhabende Mäzene, die Künstler sponsern – warum sollen Ausnahmetalente nicht auch in anderen Disziplinen nicht gezielt gefördert werden?
„Im Grunde ist es auch viel logischer, als Doktorand oder Postdoc eine Familie zu gründen,” erklärte die Nobelpreisträgerin gestern: „Später, als Gruppenleiter etwa, trägt man ja noch mehr Verantwortung – da kann man sich seine Zeit weniger wahrscheinlich frei einteilen.” Das einzige, was als jüngere Forscherin nur eben fehle, seien Geld für Haushaltshilfen und Kinderbetreuung „und nicht selten der richtige Mann,” fügte Christiane Nüsslein-Volhard schmunzelnd hinzu. „Das ist wohl nicht zu ändern. Sollte man dann wahrscheinlich auch nicht krampfhaft.”
Den Vater für bereits ihr zweites Kind hat Dr. Dr. Elisabetta Ada Cavalcanti-Adam (hier links im Bild) gefunden – die diesjährige Preisträgerin erschien mit ihrem dreijährigen Sohn und ihrer Tochter, die gerade erst „Zwei-Monats-Geburtstag” feierte und damit mit Abstand der jüngste Gast der Preisverleihung war. Ihre Mutter, eine ehemalige Zahnärztin, erforscht Zelladhäsion am Max-Planck-Institut in Heidelberg.
Dr. Eva Rother, ebenfalls diesjährige Preisträgerin stellte in einer kurzen Präsentation ihren Forschungsbereich vor: Sie untersucht die Rolle des Hypothalamus bei der Entstehung von Übergewicht und Diabetes: Ihrer Vermutung nach regelt die Hirnanhangdrüse je nachdem wie viel „Hunger-” oder „Sättigungsgefühl” sie uns ausschütten lässt die Voraussetzungen für Stoffwechselerkrankungen.
Die dritte im Bunde, Dr. Corette Wierenga, entwickelt neue Methoden zur Darstellung unserer Hirnsynapsen und untersucht dabei insbesondere die hemmenden Synapsen, die etwa 10-15 Prozent der Informationen, die unser Gehirn erhält wieder filtern: Andernfalls würde uns die Reizüberflutung zu sehr verwirren.
]]>Doch der Frauenanteil innerhalb dieser Berufsgruppe stagniert seit Jahren bei ca. 10%. Und auch die Universitäten tun sich schwer, mehr Studentinnen für die einschlägigen Fächer zu begeistern. Möglicherweise findet aber allmählich ein Umdenken statt: das Diversity-Konzept wird immer populärer. Prof. Dr. Susanne Ihsen und Sabrina Gebauer von der TU München erläutern die Hintergründe.
Derzeit herrscht in Deutschland immer noch ein Mangel an Ingenieurinnen und Ingenieuren, und so werden immer neue Möglichkeiten gesucht um diesen Bedarf gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang hat sich Diversity Management als neuer Trendbegriff etabliert.
Gerade in der Technik- und Produktentwicklung spielt der Diversity-Ansatz eine tragende Rolle. Hier gilt es durch sogenannte „mixed teams” unterschiedlichste Produkte zu entwickeln, um den vielfältigen Bedürfnissen gerecht werden. Diversity Management umfasst aber auch eine Vielzahl an Maßnahmen, deren Schwerpunktsetzung sich je nach Unternehmen unterscheidet. Diversity Managment umfasst die verstärkte Integration ausländischer Mitarbeiter, die Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Arbeitsalltag, und den Abbau von Vorurteilen gegenüber Behinderungen.
In Deutschland haben wir nach wie vor nur eine sehr geringe Zahl an Frauen in ingenieurwissenschaftlichen Fächern.
Die Diskussion über den zu erwartenden demografischen Wandel und den Fachkräftemangel in Deutschland ebbt nicht ab. Ingenieure und Ingenieurinnen sind in Deutschland wie in der Welt begehrt, die Berufsaussichten hervorragend. Dem gegenüber steht in Deutschland eine nach wie vor sehr geringe Zahl an Frauen in ingenieurwissenschaftlichen Fächern. Insbesondere in der Elektrotechnik und im Maschinenwesen gibt es bundesweit wenig weibliche Studierende, wodurch sich das Problem des fehlenden ingenieurwissenschaftlichen Nachwuchses verfestigt.
Zudem steht Deutschland dem großen Problem gegenüber, dass Frauen in den wissenschaftlichen Karrieren „verloren gehen”. Dieses Phänomen wird als „leaky pipeline” bezeichnet (European Commission 2001). Es beschreibt das Problem, dass Frauen auf den höheren Stufen der wissenschaftlichen Karriereleiter unterpräsentiert sind und dies betrifft nicht nur technische Fachbereiche, tritt in diesen aber natürlich gravierender auf. Die Zahl der Frauen in Führungspositionen, sei es Wirtschaft oder Wissenschaft, wird geringer, je höher die Position dotiert ist.
Unternehmen haben erkannt, dass künftig Fachfrauen fehlen und zu wenig Ingenieure und Ingenieurinnen zur Verfügung stehen.
Mehr Vielfalt: Der Mix macht’s
„Diversity” (Vielfalt) heißt das neue Zauberwort. Entstanden ist die betriebliche Berücksichtigung verschiedener Personengruppen übrigens nicht bei der Klärung der Geschlechterfrage. Vielmehr sahen weltweit operierende Unternehmen sich vor dem Managementproblem, globale Strategien und lokale Märkte zusammen zu bringen.
Der Spagat lohnt sich: Die Vielfalt wird nun bei den Ansprüchen von Kundinnen und Kunden sowie bei Märkten in unterschiedlichen Kulturen und Regionen nutzbar gemacht. Gemeinsam mit der Erkenntnis in Unternehmen, dass künftig nicht nur Fachfrauen fehlen, sondern insgesamt zu wenige Ingenieurinnen und Ingenieure zur Verfügung stehen, führt das dazu, eine Vielzahl von Programmen und Maßnahmen aufzulegen, um bis in einzelne Entwicklungsteams hinein diese unterschiedlichen Kundengruppen zu „spiegeln”.
In einem zweiten Schritt führt dieser neue Forschungs- und Entwicklungsansatz zu personalpolitischen Konsequenzen, zu maßgeschneiderten Arbeitszeitmodellen, zu Programmen rund um „Work-Life-Balance”. Laut einer aktuellen Prognos-Studie sind Unternehmen mit entsprechenden Programmen wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich. Dabei wird es wohl gar nicht an den Programmen liegen, sondern an den passgenaueren Produkten, die sie nun vertreiben.
Wie so oft bei gesellschaftlichen Prozessen entwickelt sich eine unternehmerische Veränderung aber nicht sofort flächendeckend. Während die einen Unternehmen auch gemeinsam mit Forschungseinrichtungen neuen Zielgruppen längst auf der Spur sind, fühlen sich andere weiterhin sicherer bei der Einstellung möglichst gleichaltriger junger Männer einer Fachrichtung und vermeiden das „Risiko” von Veränderung. Dennoch: die Arbeitslosigkeit nimmt laut VDI in der gesamten Berufsgruppe weiter ab (insgesamt noch ca. 3,8%) und auch bei Ingenieurinnen sinkt die Quote auf 8,4% (vgl. hierzu: www.vdi.de/monitoring).
Ingenieurinnen bleiben häufiger als ihre männlichen Kollegen im mittleren Management hängen.
Und während die Zahl der Studentinnen in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen erfreulicherweise stabil bleibt, hat sich der Anteil angestellter Ingenieurinnen in den letzten Jahrzehnten nicht nennenswert erhöht. Betrachtet man die einzelnen Jahre, kommt man auf eine langsame Steigerung von rund 1000 Ingenieurinnen pro Jahr seit Mitte der 70er Jahre. Da ist eine Schnecke schneller. Der überwältigende Teil der angestellten Ingenieurinnen hat volle Stellen, davon haben 75% keine Kinder. Häufiger als ihre männlichen Kollegen bleiben sie trotzdem im mittleren Management hängen. Es ist also doch noch nicht alles so rosig und der Vielfalt verpflichtet, wie man aktuell meinen könnte.
(Keine) Karriere um jeden Preis
Trotz mannigfaltiger Maßnahmen, Programme und entsprechender Öffentlichkeitsarbeit seitens der Hochschulen, der Berufsverbände, Ministerien und Unternehmen geht die quantitative Entwicklung nur mühsam voran. Die Studierendenzahlen in den Ingenieurwissenschaften sind, trotz generell guter Berufsaussichten, zu niedrig; der Anteil der Studentinnen stagniert. Seit Jahren kommen wir über einen 10%igen Frauenanteil in der Berufsgruppe nicht hinaus.
Es ist sicherlich davon auszugehen, dass der oben beschriebene Veränderungsprozess parallel zu den bisherigen Selektionsverfahren verläuft, d.h. es werden sich deutlich mehr Unternehmen weiterhin schwer tun, Ingenieurinnen einzustellen und personalpolitisch zu fördern, als bislang Unternehmen mit der erklärten Absicht in die Öffentlichkeit getreten sind, die Fähigkeiten der Fachfrauen konsequent zu nutzen.
Frauen lehnen eher als Männer eine eindimensionale Karriere ab.
Und diese selbst haben klare Vorstellungen, wie sie leben und arbeiten wollen. Frauen lehnen eher als Männer eine eindimensionale Karriere ab. Sie wollen nicht ausschließlich arbeiten, sondern gleichzeitig ein Privatleben haben – ein Ansatz, der auch vielen Männern mindestens gesundheitlich ebenfalls gut anstünde (vgl. dazu auch Kosuch 1994). Unternehmen, die es mit Gender und Diversity ernst nehmen, brauchen neue Arbeitszeitmodelle, neue Konzepte für Teilzeit-Karrieren, Angebote zur Unterstützung bei Betreuungsengpässen – sei es von einem Kind oder einem zu pflegenden Familienmitglied.
Der Mix macht’s – auch in der Technikentwicklung
Erwartungen und Anforderungen, die heute an technische Produkte, Verfahren und Dienstleistungen gestellt werden und die Frage, wie Ingenieurinnen und Ingenieure damit umgehen sollen, prägen die öffentliche Diskussion. Längst wird von dieser Berufsgruppe weit mehr erwartet, als die Entwicklung von funktionsfähiger Technik.
Längst wird von dieser Berufsgruppe weit mehr erwartet, als die Entwicklung von funktionsfähiger Technik.
Ob eine Technik akzeptiert wird oder sich durchsetzt, hängt nicht nur von ihrer Funktionsfähigkeit und ihrem Preis ab. Stets geht es darum, die Chancen neuer Technologien und ihre Konsequenzen abzuwägen, sich gleichzeitig mit der Technikentwicklung der öffentlichen Diskussion zu stellen und für neue Produkte und Dienstleistungen zu werben. Der Ingenieur, die Ingenieurin, wird sichtbar, nimmt Stellung.
Das Berufsbild von Ingenieurinnen und Ingenieuren hat sich somit entscheidend verändert und bietet nun auch den Personengruppen eine attraktive Berufstätigkeit, die sich vom „sprachlosen” und „grauen” Tüftler nicht angesprochen fühlen. Hier liegen gerade für junge Frauen viele Mitgestaltungschancen.
Es war ein heißer Augusttag des Jahres 1896 in Prag, als sich die Eheleute Otto und Martha Radnitz über die Geburt ihrer ersten Tochter freuen durften. Daß das Mädchen, das sie auf den Namen Gerty Theresa tauften, einmal eine brillante Medizinerin werden sollte, ahnten sie freilich nicht.
An der Lebensgeschichte der Gerty Theresa Cori, wie sie nach der Heirat mit dem Biochemiker Carl Cori hieß, lässt sich beispielhaft nachvollziehen, welche unheimliche Leistungs- und Leidensbereitschaft damals notwendig war, um sich als Frau in der Wissenschaftswelt durchzusetzen.
Die Familie des böhmischen Zuckerfabrikanten Otto Radnitz gehörte zum aufgeklärten jüdischen Bürgertum Prags. Man war bildungsbeflissen und so verstand es sich von selbst, daß auch die Mädchen schulisch gefordert wurden. Gerty erhielt in den ersten Jahren Privatunterricht, bevor sie – eine hellwache, neugierige Schülerin – ans Teplitzer Realgymnasium wechselte und dort 1914 ihr Abitur machte.
Der Mann ihres Lebens
Es ist gut möglich, daß der weitere Lebensweg der jungen Gerty auch durch ihren Onkel beeinflusst wurde, der Kinderheilkunde an der Deutschen Universität in Prag lehrte. Jedenfalls entschied sich die rothaarige Gerty für ein Medizinstudium. Bereits im ersten Semester lernte sie den gleichaltrigen Carl Ferdinand Cori kennen. Die beiden teilten dieselben Interessen, waren sozial engagiert, trieben Sport, machten gemeinsame Wandertouren und blieben tatsächlich bis ans Lebensende ein Paar.
Ihr Studium absolvierten die beiden zügig und erfolgreich. Gerty promovierte in Medizin, Carl Cori wechselte nach Studienabschluß als Assistent an die TU Graz und Gerty zog nach der Promotion nach Wien, wo sie als Medizinalpraktikantin am Karolinen-Kinderspital über stoffwechselkranke Kinder forschte.
Abschied vom alten Europa
Die beiden heirateten noch 1920, doch bereits 1922 erhielt Carl ein Angebot des Staatlichen Krebsforschungszentrum in Buffalo am Eriesee. Er nahm die Stelle Biochemiker und übersiedelte nach New York. Wenige Monate später folgte ihm Gerti, die als Assistentin am Krebsforschungszentrum arbeiten konnte.
Zu dieser Zeit beschäftigten sich die beiden mit dem Zuckerstoffwechsel des Tumorgewebes und später vertieften sie sich weiter in die Grundlagenforschung im Bereich der Physiologischen Chemie. Tagsüber arbeiteten beide an ihren getrennten Arbeitsplätzen, danach, in vielen Nachtschichten, versuchten sie die Rolle des Zuckers, sowie der Hormone Adrenalin und Insulin im Muskelstoffwechsel klären.
Erfolgreiches Team: Der “Cori-Zyklus” und weitere Entdeckungen
Und die beiden hatten Erfolg: sie beschrieben den Mechanismus, wie im Muskel Glukose umgesetzt wird, der bis heute als „Cori-Zyklus” in den Lehrbüchern steht. Den Erfolg hatten sie sich gemeinsam erarbeitet, den Lohn erhielt zunächst nur Carl Cori.
Er erhielt 1931 einen Ruf auf den Pharmakologie-Lehrstuhl der Washington University in St. Louis. Aber nicht genug, daß fortan Gerty noch stärker im Schatten ihres Mannes stand – offiziell durfte sie nicht einmal am Institut ihres Mannes arbeiten.
Geschlagene zwölf Jahre lang arbeitete das hocheffiziente und kreative Forscherduo aus Gerty und Carl Cori und konnte dutzende wichtige Entdeckungen im Feld der Biochemie auf dem Konto verbuchen. Er als Lehrstuhl-Inhaber, sie assistierte ihm und wurde mit einem „symbolischen Gehalt” entlohnt. Der Hintergrund: es war untersagt, daß Familienangehörige an derselben Universität beschäftigt waren – Gerty akzeptierte, steckte zurück und wirkte (ganz ohne Professorentitel, aber nicht minder effizient) im Hintergrund.
Im Sommer 1936 kam Tom, der einzige Sohn des Ehepaares Cori, zur Welt, was die ehrgeizige Gerty nur kurz von der Arbeit abhielt. Nach außen hin repräsentierte Prof. Dr. Carl Cori das Institut. Die Laborarbeit und das Klima bestimmte, so ist zu lesen, vornehmlich Gerty:
„Den inneren Stil beeinflusste die scharf und kritisch urteilende Gerty T. Cori mit ihrer kühnen Intelligenz, ihrer sorgenden Umsicht und ihrer allseitigen Anteilnahme an Menschen.”
Nobelpreis und späte Anerkennung
Es dauerte allerdings noch einige Jahre, bis Gertis herausragende wissenschaftliche Fähigkeit auch nur annähernd gewürdigt wurde. Im Jahr 1943 erhielt sie immerhin eine Assistenz-Professur. Und 1947 – ganze 16 Jahre später als ihr Mann – wurde sie dann auch noch auf eine “vollständige” Professur berufen.
Erst 16 Jahre nach ihrem Mann erhielt Gerty Cori, die brillante Forscherin, eine Professur.
Und kaum zur Professorin für Biochemie an der Washington University ernannt, erhielt dieses Traumpaar der Wissenschaft dann auch eine Nachricht aus Stockholm – im Dezember 1947 wurde das Ehepaar Cori „für die Entdeckung des Ablaufs der katalytischen Umwandlung des Glycogens” mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Der Lohn für jahrzehntelange Forschungsarbeit.
Nach der Verleihung des Nobelpreises sagte Carl Cori in seiner Dankesrede:
Unsere Forschungen haben sich größtenteils ergänzt, und einer ohne den anderen wäre nie so weit gekommen, wie wir es nun geschafft haben.
Zu diesem Zeitpunkt war Gerty Cori freilich nicht mehr ganz gesund. Sie hatte bereits Atembeschwerden und Schwächeanfälle – die Vorboten der Myelofibrose, einer fortschreitenden Knochenmarkserkrankung.
Es ist letztlich doch ein wenig tragisch, daß die Arbeit der lebhaft-dynamischen Gerty Cori erst dann Anerkennung fand, als sie erkrankte. Noch zehn Jahre lang hatte das Forscher-Ehepaar Zeit.
Gerty Cori kämpfte gegen ihre Krankheit und unterdrückte die Schmerzen und die beiden arbeiteten unbeirrt weiter. Sie wurde geehrt, war dann auch international anerkannt und Präsident Truman berief sie gar noch in den Beirat der neugegründeten National Science Foundation. Gerty Theresa Cori starb am 26. Oktober 1957 in St. Louis, Missouri. Carl Cori lebte noch 37 Jahre lang.
Bislang können Aussagen über die Kinderzahl von Professorinnen und Professoren in Deutschland lediglich aufgrund von Umfrageergebnissen gemacht werden, statistisches Datenmaterial liegt nicht vor. Zimmer et al. (2007) fanden in ihrer Studie einen Anteil von kinderlosen Professorinnen von 51% und von kinderlosen Professoren von 19%. (1)
Die Anteile kinderloser Professorinnen in dieser Erhebung variieren jedoch mit betrachteter Kohorte: Daten zum Anteil der Mütter unter Professorinnen verschiedener Geburtskohorten zeigen mehr Kinder für die sich heute im mittleren Erwachsenenalter befindlichen Professorinnen verglichen mit der ersten Generation von Professorinnen (Zimmer et al., 2007).
Aktuelles Datenmaterial zur Kinderzahl des akademischen Mittelbaus in Nordrhein-Westfalen hat das Team von Prof. Metz-Göckel und Dr. Auferkorte-Michaelis an der Universität Dortmund vorgelegt (Auftertkorte-Michaelis et al., 2006a; 2006b). In einer Totalerfassung des wissenschaftlichen Mittelbaus an Universitäten in Nordrhein Westfalen mittels statistischer Sekundäranalyse konnte ein Anteil kinderloser Nachwuchswissenschaftlerinnen von 78% und ein in den letzten 10 Jahren deutlich gestiegener Anteil kinderloser männlicher Nachwuchswissenschaftler von 71% nachgewiesen werden.
Nachwuchswissenschaftler werden seltener und immer später Eltern
Diese Werte verdeutlichen einen Querschnitt über alle Altersgruppen hinweg. Damit sind drei Viertel des Mittelbaus an den Universitäten von Nordrhein-Westfalen kinderlos bzw. noch kinderlos. Während der Anteil kinderloser Wissenschaftlerinnen in der letzten Dekade konstant hoch geblieben ist, lässt sich unter den männlichen Nachwuchswissenschaftlern ein deutlicher Zuwachs an Kinderlosigkeit verzeichnen. (2) Auch ein Altersvergleich zeigt, dass die Geburt eines ersten Kindes bei Wissenschaftlerinnen immer mehr auf die Lebensphase nach 35 Jahren hinausgeschoben wird (Auftertkorte-Michaelis et al., 2006b).
Damit ist der Anteil kinderloser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Nordrhein-Westfalen deutlich höher als der Durchschnitt der Akademiker in der Gesamtbevölkerung. (3) Mit der geplanten Ausweitung der Studie auf weitere Bundesländer wird demnächst eine beachtliche Datenbasis bezüglich des wissenschaftlichen Personals an deutschen Universitäten zu dieser Fragestellung bereitstehen. (4)
Kinderwunsch
Kinderlosigkeit ist selten eine bewusste Entscheidung.
Die realisierten Kinderzahlen scheinen jedoch nicht den tatsächlichen Wünschen der Wissenschaftlerinnen zu entsprechen. In einer Umfrage an der Universität Mainz gab nur ein geringer Teil der kinderlosen Wissenschaftlerinnen an, eine bewusste Entscheidung zu Karrierebeginn gegen Kinder getroffen zu haben (Kemkes-Grottenthaler, 2003).
Eine Diskrepanz zwischen Kinderwunsch und Kinderzahl fand sich auch in einer Befragungen des CEWS an rund 700 Nachwuchswissenschaftlerinnen. Hierbei zeigte sich, dass vor allem berufliche Gründe für die Wissenschaftlerinnen der Realisierung eines vorhandenen Kinderwunsches entgegenstanden (Lind & Löther, 2006). Auch Wissenschaftlerinnen, die bereits eine Juniorprofessur oder eine C1-Stelle inne hatten, gaben an, dass vor allem berufliche Gründe gegen ein (weiteres) Kind sprechen (CEWS, Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung 2006).
Nach wie vor sind es in erster Linie die Wissenschaftlerinnen, die allein oder überwiegend allein für die Betreuung zuständig sind (Buchholz, 2004, Buchinger et al., 2004; CEWS, 2006; Krimmer & Zimmer, 2003; Lind & Löther, 2006; Strehmel, 1999). Insgesamt sind sowohl in der alltäglichen Arbeitsteilung als auch in den Rollenvorstellungen noch immer eine starke Tendenz zur traditionellen Aufgabenverteilung zu verzeichnen, die insbesondere bei männlichen westdeutschen Wissenschaftlern besonders ausgeprägt zu sein scheint (Hanson et al., 2004).
Europäische Perspektive
Für die Einordnung der deutschen Situation in den europäischen Kontext kann nur auf wenige Studien rekurriert werden. Eine Ausnahme bildet hier das bereits zitierte Projekt des ‚Research and Training Network’ (Zimmer et al., 2007). Im Rahmen dieses Netzwerkprojekts wurden Erhebungen in verschiedenen europäischen Ländern zu Karrierewegen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie soziodemographische Daten erhoben.
Dabei zeigte sich, dass im europäischen Vergleich Deutschland mit 51% den höchsten Anteil kinderloser Professorinnen aufweist (vgl. Abb.). Anders in Frankreich, wo sich kein signifikanter Geschlechtereffekt finden lässt und bereits eine Angleichung zwischen den Geschlechtern auf einem niedrigen Kinderlosigkeitsniveau stattgefunden hat.
Quelle: Research and Training Network „Women in European Universities”, Krimmer, Stallmann et al. (2004); Majcher (2007).
Österreich weist große Ähnlichkeiten mit Deutschland auf, nicht nur hinsichtlich einer hohen Kinderlosigkeit (48% der Professorinnen), sondern auch im Hinblick auf institutionelle Strukturen des Wissenschaftssystems und vorherrschender Geschlechterrollen. Was Schweden und Frankreich betrifft, so verwundern die niedrigeren Werte der Kinderlosigkeit kaum angesichts des gut ausgebauten Kinderbetreuungssystems und gesellschaftlich weitgehend akzeptierten nontraditionellen Rollenmodellen.
Eine eindeutige Ursachenzuschreibung ist jedoch schwierig, da gesellschaftliche Rahmenbedingungen und die Vorgaben für wissenschaftliche Karrieren interferieren und in beiden Bereichen in den einzelnen Ländern jeweils sehr unterschiedliche Bedingungen existieren.
Für den Fall Polens hat Majcher (2007) die Ursachen der Unterschiede zu Deutschland näher beleuchtet: Die Autorin weist darauf hin, dass 74% der Professorinnen und 91% der Professoren in Polen Kinder haben. Während also in Polen Kinderlosigkeit seltener ist, hat die Mehrheit der polnischen Wissenschaftlerinnen jedoch nur ein Kind. Im Gegensatz dazu haben Professorinnen in Deutschland – wenn sie Kinder haben – mehrheitlich mehr als ein Kind.
Qualifikationswege an deutschen Unis kennzeichnen sich durch enge Zeitfenster, große Planungsunsicherheit und eine “Alles oder Nichts”-Logik.
Als weitere Faktoren identifiziert Majcher (2007) eine kulturelle Feindseligkeit gegenüber arbeitenden Müttern in Deutschland sowie eine unzureichende Kinderbetreuungsinfrastruktur. Vor allem scheinen jedoch Unterschiede in den akademischen Qualifikationsverläufen ausschlaggebend zu sein:
Das polnische Wissenschaftssystem bietet eine relative Arbeitsplatzsicherheit und stellt geringere Mobilitätsanforderungen, wohingegen der Qualifikationsweg an deutschen Universitäten charakterisiert ist durch enge Zeitfenster, große Planungsunsicherheit und eher einer „Alles oder Nichts”- Logik zu folgen scheint. Eine Familiengründung ist vor diesem Hintergrund in Deutschland mit größeren Risiken für eine Hochschulkarriere verbunden als in Polen (Majcher, 2007).
Ergebnisse zur Vereinbarkeit von Wissenschaft und Elternschaft: (5)
Bereits seit längerer Zeit ist bekannt, dass Wissenschaftlerinnen mit Kindern vor allem mit organisatorischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die sich ungünstig auf ihre Präsenz im alltäglichen Wissenschaftsbetrieb auswirken und die Pflege von Netzwerken und informellen Kontakten ungünstig beeinflussen (Drews, Lydia 1996, Strehmel, Petra 1999). Vorteilhaft für die Wissenschaftlerinnen mit Kindern sind vor allem flexible Arbeitszeiten, weniger stark wirkt sich die Anzahl der Arbeitsstunden als solche auf die Zufriedenheit und Belastung der Wissenschaftlerinnen aus (Drews, 1996; Strehmel, 1999).
Männer fühlen sich durch die Vaterschaft kaum in ihren Karriereoptionen beschränkt.
Als problematisch wird von Wissenschaftlerinnen mit Kindern die hohen zeitlichen Verfügbarkeits- erwartungen sowie negative Vorurteile bezüglich ihrer Leistungsfähigkeit von Vorgesetzen und Kollegen genannt (Krais, 2000; Strehmel, 1999). Die Vereinbarkeit beider Lebensbereiche wird von Wissenschaftlerinnen mit Kindern als belastend und karrierehinderlich eingeschätzt; Wissenschaftler erleben dagegen deutlich weniger Konflikte und fühlen sich kaum in ihren Karriereoptionen durch die Vaterschaft begrenzt (Buchholz, 2004; CEWS, 2006).
Eine nicht unerhebliche Rolle kommt der privaten Lebenssituation und der Paarkonstellation zu: Ganz im Gegensatz zu männlichen Wissenschaftlern mit Familie sind Wissenschaftlerinnen zumeist mit einem hochqualifizierten, ebenfalls beruflich stark engagierten Partner liiert (Buchholz, 2004; Buchinger et al., 2004; Krimmer & Zimmer, 2006; Lind & Löther, 2006) und somit mehrheitlich Teil eines Dual Career Couples.
Dies sofern sie überhaupt partnerschaftlich gebunden sind, was wiederum bei sehr viel weniger Wissenschaftlerinnen auf hohen Positionen im Vergleich zu Wissenschaftlern der Fall ist (Buchholz, 2004; Krimmer & Zimmer, 2003). Für die Wissenschaftlerinnen mit Kindern bedeutet dies, dass sie in der Regel nicht in derselben Weise auf Entlastung von Reproduktionsarbeit zurückgreifen können wie ihre männlichen Kollegen. Im Gegenteil zeigt sich, dass gerade Wissenschaftlerinnen mit Kindern angeben, in erster Linie selbst für die Kinderbetreuung und deren Organisation zuständig zu sein (Macha et al., 2000; Solga & Wimbauer, 2005; Strehmel, 1999).
Inzwischen liegen jedoch erste Ergebnisse vor, die als eine Tendenz zur allmählichen Auflösung der traditionellen Rollenverteilung gewertet werden können (vgl. CEWS, 2006).
Fazit
Insgesamt betrachtet bestehen bei der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Elternschaft weiterhin erhebliche Erkenntnislücken. So ist bislang unklar, wie die konkrete Lebens- und Arbeitssituation von Wissenschaftlerinnen und vor allem Wissenschaftlern mit Kindern aussieht und wie diese ihre Karriereoptionen einschätzen.
Bislang kaum thematisiert wurden die wissenschaftsimmanenten Bedingungsfaktoren, die in Deutschland einer Familiengründung entgegenstehen und somit zu der hohen Kinderlosigkeit unter Wissenschaftlerinnen und jüngeren Wissenschaftlern beitragen. Auch die Ursachen für Karrierebrüche bzw. Karrierestagnationen im Spannungsfeld von Wissenschaftsstrukturen und Vereinbarkeitsmodellen verdienen eine genaue Analyse. Schließlich ist unklar, welche Wechselwirkungen zwischen Bedingungen unterschiedlicher Fachkulturen und Organisationsformen mit generativen Entscheidungen und der Lebenssituation als Mutter oder Vater in der Wissenschaft bestehen.
Welche Faktoren sind für Karrierebrüche im Zusammenhang mit Elternschaft verantwortlich? Welchen Einfluß haben unterschiedliche Fachkulturen auf die Vereinbarkeitsfrage? Wir wissen noch viel zu wenig über die Situation von Wissenschaftlerinnen mit Kind.
Wenig Wissen existiert zudem zu den individuellen Bewältigungsstrategien für die Vereinbarkeit sowie zu hilfreichen institutionellen Rahmenbedingungen für eine bessere Balancierung der Lebensbereiche. Ein zentrales Desiderat stellt die Vernachlässigung von Männern im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie dar.
Mit einer derzeit laufenden Studie an weiblichen und männlichen Wissenschaftlern geht das Kompetenzzentrum diesen Fragestellungen nach. Es handelt sich um das vom BMBF geförderte Projekt ‚Balancierung von Wissenschaft und Elternschaft BAWIE’. Erste Ergebnisse der Befragung an über 8.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind im Herbst 08 verfügbar. Das Forschungsprojekt dauert noch bis Sommer 2009 und umfasst neben der quantitativen Erhebung eine qualitative Interview-Studie.
» Teil I des Artikels: Erkundungen in vermintem Gelände: Vereinbarkeit von Hochschulkarriere und Elternschaft I
Dr. Inken Lind, die seit vielen Jahren zu diesen Fragen forscht, plädiert allerdings dafür, zwischen dem geringen Frauenanteil in der Wissenschaft und dem Vereinbarkeitsdiskurs zu unterscheiden. Weshalb es sich lohnt, diese Aspekte auseinanderzuhalten, erläutert sie in zwei spannenden Artikeln:
Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Wissenschaft existieren in Deutschland eingeschränkte Gestaltungsspielräume, darüber herrscht weitgehend Einigkeit. Dies wird vor allem an dem geringen Anteil von Professorinnen mit Kindern festgemacht. In jüngster wird zunehmend auch die Situation von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern hinsichtlich vorhandener Kinder und der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie betrachtet (Auferkorte-Michaelis et al. 2006a; 2006b).
Gleichzeitig verdeutlicht der Blick über die Grenzen, dass sich die Situation für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie bei unseren europäischen Nachbarn anders darstellt, wie der höhere Anteil an Wissenschaftlerinnen mit Kindern in anderen europäischen Ländern zeigt (vgl. European Commission, 2006; Zimmer, et al. 2007).
In anderen europäischen Ländern gibt es mehr Wissenschaftler- innen mit Kindern.
Die bisherigen Ergebnisse zum Thema beziehen sich überwiegend auf die Lebens- und Arbeitssituation von Wissenschaftlerinnen mit Kindern (z.B. Strehmel, 1999) oder erfassen die Anzahl von Wissenschaftlerinnen, die mit oder ohne Kindern ihre Karriere verfolgen (Zimmer et al., 2007; Auftertkorte-Michaels et al., 2006b). Wenige Erkenntnisse gibt es dagegen zu den Bedingungsfaktoren der Wissenschaftsinstitutionen, die die Ausbildung eines Lebensstils ohne Kinder begünstigen. (1)
Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick zur Kinderzahl von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in Deutschland sowie im internationalen Vergleich. Das Zahlenmaterial wird ergänzt durch Befunde zur Vereinbarkeit in der Wissenschaft. Doch zunächst soll der deutsche Diskurs zur Vereinbarkeit in der Wissenschaft kritisch hinterfragt werden. (2)
Der Vereinbarkeits-Diskurs
Die Debatte um die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie weist einige Merkmale auf, die in dieser Form als nicht haltbar und für die Sache kontraproduktiv bezeichnet werden müssen. Vor allem zwei Spezifika des aktuellen Diskurses sind hierbei zu nennen: zum einen wird das Thema (fast) ausschließlich in Bezug auf Frauen diskutiert, zum anderen dient die Thematisierung der Vereinbarkeitsproblematik als Erklärung für den geringen Frauenanteil an hohen wissenschaftlichen Positionen in Deutschland. Beides ist dysfunktional sowohl für die Verbesserung der Chancengleichheit als auch der Work-Life-Balance in der Wissenschaft.
In der Diskussion um die Vereinbarkeit werden Männer und Väter weitgehend ausgeblendet.
Die weitgehende Ausblendung von Männern und Vätern aus der Diskussion um Vereinbarkeit ist problematisch und läuft anderen derzeit wirkenden gesellschaftlichen Veränderungen entgegen. In der Wissenschaft bleiben damit alte Rollenbilder und Verfügbarkeitserwartungen an Männer unhinterfragt. Gleichzeitig wird die Ausblendung von Vätern jenen Männern nicht gerecht, die sich partnerschaftlich oder alleinverantwortlich um ihre Kinder kümmern. Dass auch für Männer die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Zuge neuer Lebens- und Partnerschaftsformen zunehmend schwierig wird, dringt erst langsam ins Bewusstsein wissenschaftlicher Mentoren (vgl. Wolf-Wendel, 2003; Solga & Rusconi, 2004; Rusconi & Solga, 2002).
Zum anderen wird die Vereinbarkeitsproblematik häufig als zentrale Erklärung für die ungleichen Karrierechancen von Frauen in der Wissenschaft herangezogen; mitunter findet sogar eine weitgehende Gleichsetzung von Vereinbarkeitsthematik und Marginalisierung von Frauen in der Wissenschaft statt (vgl. Lind, 2007).
Dies mag vor allem an zweierlei Beobachtungen liegen: Der Tatsache des geringen Frauenanteils in hohen wissenschaftlichen Positionen sowie der Erfahrung, dass Wissenschaftlerinnen bei uns seltener und weniger Kinder haben als männliche Wissenschaftler. Diese beiden für sich stehenden Befunde werden zu der Annahme verschmolzen, dass die Vereinbarkeitsproblematik die zentrale Ursache für die geringeren Aufstiegschancen von Frauen ist. Da in Deutschland die gesellschaftlichen Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer ungünstiger sind als in anderen Ländern, scheint dies intuitiv plausibel (Lind, 2007).
Chancenungleichheit und Vereinbarkeitsproblematik auseinanderhalten!
Die undifferenzierte Gleichsetzung von Chancenungleichheit und Vereinbarkeitsproblematik für Frauen in der Wissenschaft verstellt jedoch die Sicht auf wissenschaftsimmanente strukturelle Barrieren, die unabhängig von vorhandenen Kindern die Karriereoptionen von Frauen generell einschränken.
Auch kinderlose Wissenschaftlerinnen sind weniger erfolgreich als ihre männlichen Kollegen.
Tatsächlich finden sich derzeit keine Belege für eine monokausale Beziehung zwischen Kindern und geringen Karriereoptionen für Wissenschaftlerinnen. Weder gibt es durchschnittlich Unterschiede zwischen Müttern und kinderlosen Wissenschaftlerinnen in der Zeitspanne für ihre Qualifikationsphasen (vgl. Lind, 2004b; Lind, 2006), noch eindeutige Belege für eine geringere Publikationsrate der Mütter (Kiegelmann, 2000; Leemann, 2002; Allmendinger, 2005; Lind, 2004c; Lind & Löther, 2006).
Vielmehr kann bereits zu einem Zeitpunkt vor der Geburt des ersten Kindes ein unterschiedlicher Karriereverlauf von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern festgestellt werden (Lind, 2004a, 2007; Lind & Löther, 2007; vgl. Allmendinger, 2005). Und nicht zuletzt sind auch Wissenschaftlerinnen ohne Kinder alles in allem seltener erfolgreich als ihre männlichen Kollegen, unabhängig davon, ob diese Kinder haben oder nicht (Allmendinger, 2005; Allmendinger et al., 2000; Stebut; 2003; Wimbauer, 1999). Diese und ähnliche Befunde verdeutlichen, dass Mutterschaft nicht das einzige Hindernis für eine Hochschulkarriere von Frauen ist.
Mutterschaft ist nicht das einzige Hindernis für eine Hochschulkarriere von Frauen!
Das Phänomen der Unterrepräsentanz von Frauen und die Thematik der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie sind im Sinne eines konstruktiven Diskurses daher als zwei getrennte – wenn auch interferierende – Phänomene zu betrachten (Lind, 2007). Möglicherweise ist beides – sowohl die geringe Kinderzahl von Wissenschaftlerinnen (und zunehmend Wissenschaftlern) als auch die geringere Aufstiegswahrscheinlichkeit von Frauen – durch Spezifika des deutschen Wissenschaftssystems bedingt, die sowohl auf die Chancenungleichheit als auch auf unzureichende Vereinbarkeitsoptionen verstärkend oder zumindest aufrechterhaltend wirken.(3)
Sie hat mehrere Studien und Analysen zu Genderaspekten in wissenschaftlichen Biographien durchgeführt und leitet derzeit das Projekt “Balancierung von Wissenschaft und Elternschaft” (www.bawie.de).
(2) Für eine ausführlichere kritische Analyse der Debatte um die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie sowie zu verbreiteten Annahmen über die Ursachen des vergleichsweise geringen Frauenanteils in der Wissenschaft in Deutschland siehe Lind , 2007.
(3) Aus unserer Sicht birgt die Betrachtung von strukturellen Bedingungen in ihrer Wirkung auf Chancengleichheit und Vereinbarkeit ein hohes Erkenntnispotential. Insbesondere die zu vermutenden Wechselwirkungen zwischen der individuellen Ebene auf Seiten der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und der strukturellen Ebene der Wissenschaftsinstitutionen sind höchst interessant und könnten Hinweise auf sinnvolle Maßnahmen liefern (vgl. dazu auch Lind, 2004a)
Als Lise Meitner nach ihrer Habilitation im Jahr 1922 eine erste Vorlesung mit dem Titel „Kosmische Physik” ankündigte, konnte sich der berichtende Reporter nicht vorstellen, dass eine Frau ernsthafte Wissenschaft betreibt. Frau Meitner werde über „Kosmetische Physik” sprechen, schrieb er. Das liegt lange zurück, und doch: Ausgerechnet in einem Lande voller Gleichstellungsbeauftragten, Frauenministerinnen, Mutterschutz und Kinderfreibeträgen sind Geburtenrate und Professorinnen so gering wie fast nirgendwo sonst. Was also machen wir falsch?
Vielerorts übt die Gleichstellungsbeauftragte eine bloße Alibifunktion aus. Man informiert sie, hört sie an; Dekan, Unipräsident und das Ministerium sind zufrieden. Man hat alles getan, was man konnte. Am Ende wird gleichwohl ein Mann berufen.
Der Anteil von Frauen in Führungspositionen an der Uni ist in zehn Jahren nur um etwa ein Prozent gestiegen.
Nur 19 von 266 Direktoren der Max-Planck-Gesellschaft sind Frauen – knapp sieben Prozent. An den Universitäten liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen ein wenig höher, bei neun Prozent. Beunruhigend ist auch die Dynamik dieser Entwicklung. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen an der Uni ist in zehn Jahren nur um etwa ein Prozent gestiegen. Wenn das so weiter geht, wird Deutschland erst Mitte des 22. Jahrhunderts mit Frankreich oder Schweden gleichziehen.
Mit Ehrgeiz und Augenmaß für die Frauenförderung
Was also tun? Die Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei! Jetzt müssen die Universitäten in die Pflicht genommen werden. Zum Beispiel über konkrete Zielvereinbarungen zwischen Hochschulleitung und Forschungsministerium mit jenen Fakultäten, die bereit sind, Frauen innerhalb einer festgelegten Zeitspanne zu berufen. Solche Fakultäten könnten in den Genuss zusätzlicher Stellen und Mittel kommen. Zugleich muss der systematische Aufbau von Nachwuchswissenschaftlerinnen geplant und organisiert werden, damit auch geeignete Bewerberinnen existieren. Die Ziele müssen realistisch aber ehrgeizig sein.
Es ist kaum sinnvoll, in nur wenigen Jahren die Hälfte aller Positionen im Maschinenbau mit Frauen zu besetzen, wenn es diese (noch) gar nicht gibt. Wo keine Wissenschaftlerinnen sind, lassen sie sich auch nicht berufen. Doch in vielen Fächern ist der Pool an weiblichem Nachwuchs schon heute signifikant – und die Frauen müssen gerade nach der Promotion unterstützt werden, vor allem in den Jahren, in denen der Karriereknick am größten ist.
Mehr Offenheit bei Berufungsverfahren
Zweitens brauchen wir andere Berufungsverfahren. Eine öffentliche Ausschreibung klingt zwar demokratisch, weil sich im Prinzip jeder bewerben kann. Tatsache ist jedoch, dass bestimmte Personengruppen sich selten, ungern oder nie bewerben, darunter Ausländer, Frauen, sowie die Allerbesten, ob nun Männer oder Frauen.
Deshalb müssen Fakultäten wissen, wen sie wollen und auf diese Personen zugehen. Nun heißt es gerne, dass das zu teuer sei, man hätte das Geld nicht, um die Besten zu berufen. Das stimmt jedoch einfach nicht mehr. Und notfalls muss man sich eben mit benachbarten Max-Planck-Instituten, mit Industrieunternehmen oder anderen Forschungseinrichtungen zusammentun.
Verkrustete Strukturen und fehlende Familienfreundlichkeit
Drittens sind die Strukturen innerhalb der Universität veraltet. Wer einen Lehrstuhl hat, wird mit Verwaltungsarbeit belastet, die Frauen oft wenig interessiert. Männer dagegen neigen dazu, es als prestigereich anzusehen, möglichst viele „Untergebene” und Sitze in Gremien zu haben. Dass es auch ganz anders geht und dennoch der Wissenschaft nicht abträglich sein muss, zeigen die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich oder auch angelsächsische Universitäten.
Dort gibt es echte Departments mit kleinen Lehr- und Forschungseinheiten, die räumlich so begrenzt ausgestattet sind, dass keine Empire entstehen können. Natürlich gibt es auch Frauen, die gerne große Lehrstühle führen. Aber viele tun es notgedrungen, weil andere Alternativen nicht angeboten werden. Das „Lehrstuhlprinzip” ist eine eher maskuline Konstruktion, die automatisch die Berufungschancen für Wissenschaftlerinnenverringert.
Schließlich vermisse ich die Kinder in der Universität. Vielleicht war ich zu lange nicht mehr im Hauptgebäude der Münchener Universität, an Kinderstimmen kann ich mich jedenfalls nicht erinnern. Andernorts lebt man in der Universität, bei uns besucht man die Universität. Dabei ist ein Großteil dieser Besucher in einem Alter, das die Existenz von Kindern nahezu zwangsläufig bringt.
Die Strukturen innerhalb der Universität sind veraltet. Und: Ich vermisse die Kinder in der Universität.
Doch es geht auch anders: Als sich kürzlich eine hochschwangere Mitarbeiterin verabschiedete, erwartete ich, der ich noch an deutsche Mutterschaftsregelungen gewohnt war, sie vielleicht erst in drei Jahren wieder zu sehen. Falsch! Sie wird nach spätestens drei Monaten zurückerwartet.
In Belgien zum Beispiel ist sowas selbstverständlich. Ein großes Angebot an Kinderkrippen, Tagesmüttern – bis in die Bürogebäude hinein – sowie Waschsalons
und Drogerien nahe des Campus, erleichtern Vätern und Müttern den Alltag. Und unlängst flatterte mir eine Tagungseinladung aus den USA auf den Tisch. Auf dem Anmeldeformular war eine Spalte vorgesehen, in der angekreuzt werden konnte, wie viele Stunden oder Tage Kinderbetreuung man benötige. Einen solchen Service habe ich bei der Einladung zu einem Kongress in Deutschland noch nie erlebt.
Warum eigentlich nicht?
Als die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai, geboren 1940, ein Kind war, gingen Mädchen selten zur Schule. Ihr älterer Bruder fragte die Mutter:
„Warum geht eigentlich Wangari nicht zur Schule, wie wir anderen alle?” Darauf antwortete die Mutter, nach kurzem Nachdenken: „Es gibt keinen Grund, warum eigentlich nicht?” Und sie schickte Wangari zur Schule.
Wenn es weiter so schleppend vorangeht, brauchen wir die Quote
Dieses erleuchtende „Warum eigentlich nicht?” ist bei der Gleichstellung in der Forschung in Deutschland kaum jemanden bislang in den Sinn gekommen, noch ist es wirklich in die Tat umgesetzt.
Wenn es weiter so schleppend vorangeht, muss die so gefürchtete Quote eingeführt werden, ob wir es denn wollen oder nicht. Ich persönlich wäre dafür. Lieber gestern als heute.
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Dieser Text erschien unter dem Titel “Es muss etwas passieren!” zuerst bei EMMA – Copyright: www.emma.de.
Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Online-Veröffentlichung.
Es ist schon auffällig, wie fortschrittlich die Helmholtz-Gemeinschaft handelt. Als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte, wurden an den 15 Instituten mit insgesamt 26.500 MitarbeiterInnen im letzten Jahr gleich drei Frauen in Führungspositionen neu eingestellt. Sicher, das lässt noch jede Menge leitende Jobs, die von Männern besetzt sind – aber es ist ein Anfang.
Die Helgoländer Station des Alfred-Wegener-Instituts etwa und auch die Verwaltung im Haupthaus in Bremerhaven unterstehen Frauen – und im November 2007 wurde Prof. Dr. Karin Lochte Direktorin des AWI.
Damit ist Lochte die erste Frau in Deutschland, die ein so großes Forschungszentrum (780 Mitarbeiter) leitet. „Ich freue mich auf die große Aufgabe, dieses hervorragende Institut zu leiten”, erklärte die Professorin für Biologische Ozeanografie damals im Interview. “Das Alfred-Wegener-Institut bearbeitet wichtige Fragen des Klimawandels in den Polarregionen und der Veränderungen in den Lebensräumen, die uns auch in Europa direkt betreffen werden.”
Als die gebürtige Hannoveranerin ihren Dienst in Bremerhaven antrat, hatte sie bereits einen Erfahrungsschatz für fünf im Gepäck: Nach ihrem Chemie-, Biologie- und Philosophiestudium an der TU Hannover gelangte sie über ein Stipendium des DAAD an die Marine Science Laboratories in Menai Bridge in Wales. Dort erforschte sie sieben Jahre lang mikrobiologische Prozesse in der Meeresbiologie. 1984 schloss sie ihre Studien mit einem PhD ab – ihr Thema dabei waren “Mikrobiologische Beobachtungen an Diskontinuitäten im Meerwasser”.
Anschließend forschte Karin Lochte am Institut für Meereskunde der Universität Kiel – auch hier hatte es ihr die Tiefseemikrobiologie angetan. Wie die Wissenschaftlerin erklärt, könne man aus dem Meereis und dem Plankton der Arktis Informationen gewinnen, die helfen, Klimamodelle zu verbessern. Das Alfred-Wegener-Institut ist ihr auch aus dieser Zeit bereits bekannt: Von 1990 bis 1994 forschte sie dort an bakteriellen Besiedelungen und Aktivitäten von Bakterien im Meereis.
Seit 2004 ist sie zudem Mitglied des Wissenschaftsrats. Zwei Jahre später wurde Karin Lochte Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission. Bezeichnenderweise kritisierte sie in dieser Position auch das Auswahlverfahren für Eliteuniversitäten. Zwar sei es geeignet, exzellente Universitäten, Forscherteams und Gruppen zu finden, wenn es aber um Einzelpersonen ginge, die gegen den Strom schwimmen, sehe sie Verbesserungsbedarf. “Man sollte öfter den Mut haben, die schräge Idee, die Innovation zu fördern,” erklärte sie im Interview mit dem Tagesspiegel.
ScienceBlogs: Frau Schick, aktuelle Zahlen zeigen einen erfreulichen Trend. Immerhin jede vierte Habilitation in Deutschland stammt von einer Frau. Allerdings ist die Wahl der Fächer sehr spezifisch. Nur 16 Prozent in den Ingenieurswissenschaften aber 46 Prozent in der Veterinärmedizin.
Frauen haben aber meist keine Lust an irgendwelchen Gimmicks mitzuarbeiten. Frauen wollen mehrheitlich an Dingen mitzuwirken, die Sinn machen und die letztendlich heilend für Mensch, Umwelt und Gesellschaft sind. Deshalb finden Sie die Frauen in der Medizin und Tiermedizin.
ScienceBlogs: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, DFG, will ihre „Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards” mit einem Kaskadenmodell – also einer jährlichen Steigerung der Frauenquote etwa auf Lehrstühlen – befördern.
Schick: Quote hat etwas Statisches und erinnert an Stützräder, mit denen Kinder das Fahrrad fahren lernen. Ich halte es häufig für ein Zeichen der Hilflosigkeit und habe durchaus Bedenken, ob wir damit nicht wieder einen typisch deutschen Weg der Überbürokratisierung beschreiten.
Ich habe Bedenken, ob wir mit der Quote nicht wieder einen typisch deutschen Weg der Überbürokratisierung beschreiten.
ScienceBlogs: Wenn das alles nichts hilft, was dann?
Schick: Der erste Ansatz ist sehr simpel. Just do it. Jeder, dem das Thema ernst ist, soll in seinem Wirkungsfeld überlegen, was er dafür tun kann. Statt Quoten sage ich zum Beispiel ganz pragmatisch, wir müssen der Welt zeigen, dass Männer und Frauen Wissenschaft gestalten. Das meine ich durchaus bildhaft. So muss auf jedem Foto mit Würdenträgern mindestens eine Frau sein – und zwar nicht die Sekretärin. Wenn man keine findet, die dort stehen könnte, dann ist es höchste Zeit zu handeln. Und natürlich drückt sich die Relevanz auch in weiblichen Titeln aus.
ScienceBlogs: Und der zweite Ansatz?
Schick: Wie schon erwähnt, sollten wir aufhören, Frauen an die männliche Logik der Technik anzupassen. Dagegen sollten wir die Technik thematisch auf die Frauen zu bewegen.
ScienceBlogs: Wie soll das gehen?
Schick: Ein Beispiel. Wir haben an der Hochschule in der Elektrotechnik einen Frauenanteil von vier Prozent bei den Studentinnen und Studenten. Als wir den Studiengang Regenerative Energien eingeführt haben, hatten wir schlagartig einen Frauenanteil von über 20 Prozent, und das obschon dort ebenfalls ein sehr hoher Anteil an Elektrotechnik gelehrt wird. Frauen suchen schon im Studium nach Inhalten, mit denen sie die Welt ein wenig verbessern können. Wir müssen die Studiengänge entsprechend verändern, dann werden Frauen verstärkt in diese Studiengänge gehen.
ScienceBlogs: Frau Schick, wir danken für das Gespräch
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Das Interview führte Beatrice Lugger
Mehr:
Teil I – Wie wird man eine erfolgreiche Wissenschaftlerin?
Teil II – Wie vereint man Beruf und Familie?
ScienceBlogs: Im ersten Teil unseres Gesprächs raten Sie Frauen ihren Traum zu träumen, Familie und Beruf gleichzeitig zu leben. Hatten Sie im Laufe Ihrer Karriere denn nie ein schlechtes Gewissen, etwa ihren zwei Kindern gegenüber?
Schick: Wir kennen das doch alle. Mit dem schlechten Gewissen muss man leben. Wer Beruf und Familie zu vereinbaren sucht, kennt das zweischneidige Gefühl: Ich bin zu wenig bei meinen Kindern und ich bin zu wenig im Job. Frauen haben einen sehr hohen Anspruch an ihre eigene Leistung. Das erlebe ich bei allen Karrierefrauen. Aber von der Selbstkritik muss man sich lösen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass das, was ich im Job mache, trotz zwei Kindern, doch ziemlich ordentlich ist.
Frauen, die berufstätig sind und Familie haben, müssen lernen stolz zu sein auf das, was sie leisten.
ScienceBlogs: Das klingt verhalten stolz.
Schick: Nicht nur verhalten. Frauen, die berufstätig sind und Familie haben, müssen lernen stolz zu sein auf das, was sie leisten. Weil sie für die Gesellschaft Kinder erziehen, die später Staatsbürger werden. Gleichzeitig helfen sie im Beruf einem Unternehmen, einer Organisation, einer Forschungsrichtung weiter. Da kann man doch stolz sein und soll sich nicht zerfleischen. Diese Leistung sollen andere erst einmal nachmachen.
ScienceBlogs: Führen die klar definierten Arbeitszeitfenster, die erziehende Mütter haben, zu mehr Effektivität?
Schick: Sicher. Wir können das nur machen, wenn wir unglaublich effektiv sind und uns trauen, Dinge zu verändern. Das führt etwa dazu, dass man unnötig lange Sitzungen abkürzt, einfach auf den Punkt kommt, viele Rituale nicht mitmacht und sie aber auch nicht braucht. Ich gebe allerdings zu, es hat lange gedauert, ehe ich etwa vor einem Feiertag um 16.30 Uhr in einer Sitzung den Mut aufbrachte zu sagen: „Ich muss jetzt gehen, ich muss einkaufen, morgen ist Feiertag.” Letztlich sind alle froh, wenn jemand sein Menschsein, sein Mutter- oder Vatersein auch einbringen kann.
ScienceBlogs: Wie kann man fördern, dass sich auch Väter verstärkt im Familienleben engagieren?
Schick: Überall wo ich einwirken kann, will ich dies tun – für Männer und Frauen! Immerhin habe ich im engeren Arbeitskreis zwei männliche Mitarbeiter, die sich sehr in ihren Familien engagieren. Einer bringt etwa täglich seine Kinder in den Kindergarten und kann nicht vor 9:30 Uhr hier sein. Ich frage auch männliche Mitarbeiter bei der Einstellung: Wie vereinbaren Sie Familie und Beruf? Das sind kleine Zeichen. Aber wenn das jeder von uns macht, ändert sich doch viel.
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Das Interview führte Beatrice Lugger
Mehr:
Teil I – Wie wird man eine erfolgreiche Wissenschaftlerin?
Es folgt noch:
Teil III – Wie können Hochschulen und Forschungseinrichtungen zur Frauen fördern?
Ich arbeite in der Gruppe von Karsten Rippe seit Januar 2007. Chromatinorganisation und Zelldifferenzierung ist das Thema.
Zellen sind die Bausteine aller Lebewesen. Alle Zellen des menschlichen Körpers enthalten grundsätzlich die gleiche DNA-Sequenz. Sie trägt sämtliche genetischen Informationen und hat die Form einer langen Kette mit vier Bausteinen: A, T, C, und G. Je nach ihrer Reihenfolge in der DNA-Sequenz bilden diese den einzigartigen Bauplan eines Menschen. Zellen können durch Verwendung verschiedener DNA-Teilsequenzen zahlreiche Sonderaufgaben erfüllen – sie werden beispielsweise zu Muskelzellen, Leberzellen oder Hautzellen.
Innerhalb der Zelle sorgen komplexe Mechanismen dafür, dass das richtige DNA-Programm für die gewünschte Funktion ausgewählt wird. Einer dieser Mechanismen ist die Verpackung der DNA im Zellkern. Die negativ geladene DNA wird um kleine, positiv geladene Histon-Proteine gewickelt. Diese Struktur heißt Chromatin, abgeleitet vom griechischen Wort Chroma (= Farbe). Sie heißt deshalb so, weil sie sich leicht färben und dann unter dem Lichtmikroskop untersuchen lässt.
Je nachdem, wie die DNA im Zellkern angeordnet ist, wird der Zugriff auf die DNA-Sequenz moduliert. In Chromatinbereichen, in denen die DNA besonders dicht verpackt ist, kann sie nicht ausgelesen werden, so dass die Gene in diesen Bereichen inaktiv sind. In anderen Chromatinbereichen lässt sich die DNA-Sequenz leicht auslesen und die Gene sind aktiv. Unterschiede in der Chromatinorganisation bestimmen also neben anderen Regulierungsmechanismen die Zellfunktion.
Neben den spezialisierten Zellen sind im Körper aber auch sogenannte Stammzellen zu finden. Sie wissen noch nicht, zu was für einer Zelle sie sich weiterentwickeln sollen. Stammzellen teilen sich entweder immer weiter in neue Stammzellen (das ist die Selbsterneuerung), oder sie werden differenziert und können zu einer spezialisierten Zellart werden, die sich nur noch wenige Male teilen kann. Diese Pluripotenz und die einzigartige Eigenschaft von Stammzellen, sich praktisch unbegrenzt teilen zu können, spiegeln sich in einigen Merkmalen der Chromatinorganisation wieder. Gerät der Zellteilungsmechanismus allerdings außer Kontrolle, ist das sehr gefährlich, denn dann propagieren die Zellen unkontrolliert weiter und bilden einen Tumor.
Interessanterweise hat man festgestellt, dass bei vielen Formen von Krebserkrankungen nur sehr wenige Tumorzellen überhaupt die Fähigkeit haben, einen neuen Tumor zu bilden. Diese sogenannten tumorbildenden Zellen wuchern unbegrenzt weiter, bis sie schließlich zu anderen Tumorzellen werden. Darin ähneln sie den Stammzellen in gesundem Gewebe und werden aus diesem Grund auch Tumorstammzellen genannt. Sie teilen sich nur langsam und sprechen daher nicht so gut auf die übliche Chemotherapie an, die auf sich schnell teilende Zellen abgestimmt ist.
Wenn die Tumorstammzellen besser erforscht wären, könnte man die Leistungsfähigkeit der Krebsbehandlung deutlich verbessern. Aus diesem Grund charakterisieren wir die Chromatinorganisation in Tumorstammzellen aus Gehirntumoren und vergleichen sie mit anderen Tumorzellen. Dabei gehen wir davon aus, dass die räumliche Anordnung des Chromatins in diesen Zellen maßgeblich dafür ist, wie sich die Zelle entwickeln wird und ob sie neue Tumorstammzellen bildet oder nicht.
Zu diesem Zweck vergleichen wir Tumorstammzellen mit normalen Stammzellen auf ihre Chromatineigenschaften hin und untersuchen, ob diese mit der Pluripotenz der Zelle und ihrem Selbsterneuerungspotential zusammenhängen.
]]>Am 11. August dieses Jahres fahre ich früh morgens Richtung Kinderhaus und bringe meine zwei Kinder zu ihrer Betreuung. Für die Große nichts Neues, sie freut sich darauf, ihre Freundin Ariana wiederzusehen und auch, dass ihr Brüderchen ab jetzt mit ihr „arbeiten” geht. Für ihn wird alles neu: Neue Bezugspersonen, neue Räume, neues Bett und neue Spielzeuge. Er muss nun aus der Flasche trinken lernen. Wenn es funktioniert, bekommt er weiter Muttermilch.
Diese Situation ist mir schon bekannt. Bereits vor 3 Jahren habe ich meine Tochter mit 3,5 Monaten in die Kinderkrippe gebracht. Trotzdem fällt es mir wieder sehr schwer. Damals war sie nur 5 Minuten zu Fuss entfernt und ich konnte sie zum Stillen besuchen. Heute liegt meine Arbeitstelle 20 Minuten entfernt. Ich hoffe, dass er gut mitmacht. So könnte ich mich schneller auf meine Arbeit konzentrieren.
Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich gleich am ersten Tag den ganzen Tag im Labor bleiben kann. Aber er ist unglaublich. Er war fast 5 Stunden in der Kinderkrippe. Er hat gut gegessen und gut geschlafen. Von den anderen Kindern ist er sehr begeistert. Als ich die Kinder abhole, bin ich etwas erleichtert. Der erste Tag hat gut geklappt.
Schwierige Eingewöhnungsphase in die Krippe: für Mutter und Sohn
Am nächsten Morgen bringe ich sie wieder hin. Die Große rennt ins Zimmer und fängt gleich an zu spielen. Die Betreuerin kommt und nimmt den Kleinen in die Arme. Keine Tränen, kein Schrei, ein dicker Kuss und ich bin weg. Es ging so schnell, zu schnell für mich. Auf den Weg zur Arbeit kommen mir die Tränen. Sie sind nicht mehr zu stoppen.
Im Büro rufe ich meinen Mann an. Er versucht mich zu beruhigen. Letztes Mal habe ich auch so reagiert, ich hatte es vergessen. Ich muss ein paar Tage durchhalten, es wird schon besser sein. Die Eingewöhnungsphase ist ja nicht nur für das Kind schwer, sondern auch für die Mutter. Zum Glück macht er sehr schön mit.
Wenn ich meine Kinder gut versorgt weiß, dann habe ich im Labor den Kopf frei.
Im Labor kann ich mich dieses Mal viel schneller an die Arbeit machen. Den Kindern geht es gut. Ich weiß es und ich habe den Kopf frei. Ich muss nur ab und zu Muttermilch für den nächsten Tag vorbereiten.
Mit der Müdigkeit und dem Stress vom Alltag geht es erst nicht so gut. Ich soll 6 Monaten voll stillen, weil er wie seine Schwester allergiegefährdet ist. Ich bezweifle, dass es funktionieren wird und rufe deshalb meine Hebamme an. Vielleicht hat sie für mich einen guten Rat. Sicher! Ich soll kalorienreich essen, also Getreideprodukte, sahnige Produkte und Kinderbier trinken. Wenn ich vorhatte gegen überschüssige Kilos zu kämpfen, habe ich Pech gehabt! Es muss noch ein bisschen warten. Immerhin, die letzten 2 Monate Stillzeit werde ich trotz Arbeiten doch schaffen. Drei Muttermilchpausen am Tag, keine Mittagspause, oder nur ganz kurz um ein Brötchen zu holen, so viel Wert ist mir der „Kleine”.
Vom Forschungsvirus infiziert
Viele Leute verstehen nicht, dass es mir zu Hause langweilig ist. Ich möchte an meinem Projekt weiterforschen, weil es mir Spass macht.
Manche Leute würden sich fragen, wofür der ganze Stress? Warum bleibe ich nicht einfach zu Hause? Ich habe ja Anspruch auf 12 Monaten Elternzeit. Dieselben Leute würden wahrscheinlich nicht verstehen, dass es mir zu Hause langweilig ist. Dass mir meine Arbeit fehlt. Ich möchte an meinem Projekt weiterforschen, weil es mir Spass macht. Das ist von zu Hause aus nicht möglich. Ich habe Zeit für andere Sachen, klar, aber nicht für das, was mich wirklich begeistert.
Ich bin auch von meinen Kindern sehr begeistert, aber ich kann mit ihnen nicht meine ganze Zeit verbringen. Es ist egoistisch, aber ich brauche diese paar Stunden am Tag, an denen ich etwas für mich und für die Gesellschaft mache. Sobald ich sie abhole, haben sie meine volle Aufmerksamkeit. Wir spielen zusammen, gehen spazieren, malen oder basteln. Ich bin für sie da, bis sie ins Bett gehen und auch in der Nacht. Ich genieße jeden Abend und jedes Wochenende mit meiner Familie. Die Zeit ist viel reicher und intensiver, als wenn ich den ganzen Tag mit ihnen verbringen würde. Es wäre kein Spass für sie, eine frustrierte Mama bei sich zu haben.
Ausserdem, ich möchte jetzt nicht über alle Vorteile der KiTa sprechen, aber es tut den Kindern gut, so früh mit Anderen groß zu werden, Spielzeuge zu teilen und Regeln befolgen zu lernen. Ich bedanke mich bei den Betreuerinnen (es sind fast nur Frauen), die sich so schön um die Kinder kümmern.
Wenn der Arbeitstag zu schnell verfliegt
Tagsüber ist die Zeit im Labor sehr schnell um. Eigentlich reichen mir die knapp 9 Stunden, die ich habe, nicht. Oft bleibe ich länger. Papa kümmert sich dann um die Kinder. Ich versuche aber für das Gutenachtküsschen da zu sein.
Biologieforschung benötigt sehr viel Zeit. Damit in der kurzen Zeit trotzdem viel geschafft wird, ist kein Platz für Chaos. Jeder Tag ist überlegt, geplant und zeitoptimiert. Trotz aller Mühe, kommt immer wieder etwas dazwischen und ich freue mich, wenn ich mal nicht rennen muss, um die Kinder rechtzeitig abzuholen. Zu spät war ich noch nie!
]]>ScienceBlogs: Frau Schick, sie zählen als Hochschul-Präsidentin zu den erfolgreichsten Frauen in der Wissenschaft in Deutschland. Wie kamen Sie zur Wissenschaft, wurden Sie bereits in der Schulzeit positiv unterstützt?
Schick: Ich habe einen sehr freien Geist, würde mich als Querdenkerin bezeichnen. Viele gute Lehrer haben das gefördert und meinen ganz starken Willen zugelassen. Dazu zählt auch, bestimmte Dinge einfach nicht zu akzeptieren. So habe ich mich etwa engagiert, wenn Mitschüler von mir ungerecht behandelt wurden. Mein Motto war und ist noch immer: Akzeptiere nicht einfach alles, was um Dich herum ist, sondern geh Deinen Weg.
ScienceBlogs: Inwieweit hat Sie Ihr Elternhaus darin gestärkt?
Schick: Ich glaube tatsächlich, dass die Wurzeln meiner Karriere im Elternhaus liegen. So haben sich bei meinen zwei sehr unterschiedlichen Eltern Mutterwitz und geistige Freiheit gepaart. Dazu kam meine Sandwich-Situation, als das mittlere von fünf Kindern. Ich musste irgendwie auffallen, um mir meinen Platz in der Mitte zu erobern. Das habe ich von Anfang an getan. Ich war es also gewohnt zu kämpfen.
Seit meiner Kindheit bin ich es gewohnt, zu kämpfen.
ScienceBlogs: Hatten Sie besondere Mentoren, ein Netzwerk, aus dem heraus Sie Unterstützung für Ihre Karriere bekamen?
Schick: Als junge Frau hatte ich noch nicht erkannt, wie wichtig Netzwerke sind. Da habe ich mich eher als einsame Kämpferin gesehen: Du musst alles alleine und Du kannst alles alleine. Erst in den letzten Jahren habe ich gemerkt, wie wichtig Netzwerke sind. Heute habe ich ein tolles Netzwerk, das im Wesentlichen nicht dazu dient, weiter Karriere zu machen, sondern meinen Job möglichst gut zu machen.
ScienceBlogs: Was spricht gegen ein Karrierenetzwerk?
Schick: Das wären eher Seilschaften, die an althergebrachte Männerbündnisse erinnern. Dort wird jeder mit hochgezogen, egal wie gut oder schlecht er ist. Ich empfehle dagegen jungen Frauen, sich ein Netzwerk aufzubauen, über das sie Know-how austauschen, mit dessen Hilfe sie ihren Job besser machen können. Dann fällt es auch leichter, Karriere zu machen. In diesem Sinne haben Netzwerke für mich eine Kompetenzfunktion und nicht eine Karrierebeförderungsfunktion.
Ich nehme Barrieren kaum wahr. Und wenn ich eine sehe, dann fordert mich diese heraus.
ScienceBlogs: Hatten sie persönlich mit Barrieren der Männerwelt zu kämpfen?
Schick: Nein, nie. Das hängt sicher damit zusammen, dass ich Barrieren kaum wahrnehme. Oder wenn ich eine sehe, dann fordert mich diese heraus.
ScienceBlogs: Was würden Sie jungen Wissenschaftlerinnen heute raten?
Schick: Ich versuche Frauen vor allem in zwei Richtungen Mut zu machen.
Zum Einen: Träume Deinen Traum. Wenn Du Familie willst, dann hab Familie und Beruf gleichzeitig. ES GEHT!
Das Zweite ist: Trau Dich, übernimm Führungspositionen. Es kommt niemand und bietet Dir zuhause, wenn Du auf dem Sofa sitzt, einen Job an. Bewerbe Dich. Tu es.
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Das Interview führte Beatrice Lugger
Es folgen noch weitere Teile des Gesprächs:
Teil II – Wie vereint man Beruf und Familie?
Teil III – Wie können Hochschulen und Forschungseinrichtungen Frauen fördern?
Ohne an anderen Ecken Kritik ausüben zu wollen, aber in puncto Gleichberechtigung hinkt die Schweiz doch öfters Rest-Europa hinterher. Das Wahlrecht erhielten die Eidgenössinnen erst 1971, die gesetzliche Gleichberechtigung gibt es erst seit 1981 und der Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche ist erst seit sechs Jahren straffrei.
“Erst wenn die Masken zwischen den Geschlechtern einmal fallen, dürfen wir auf gesündere Zustände hoffen,” kommentierte eine Schweizerin, die wusste, wovon sie sprach: Emilie Kempin-Spyri war die erste Juristin ihres Landes. Und erhielt als Frau keine Arbeitserlaubnis.
Die Tochter eines Pfarrers wurde am 12. April 1853 in Altstetten bei Zürich geboren. In ihrer Familie erlebte Emilie Spyri zunächst keine Ermutigung, als Frau einen Beruf zu lernen. Zwar wurde ihre Tante Johanna Spyri als Autorin der Heidi-Romane berühmt – aber auch sie pflegte ein eher konservatives Rollenbild und unterstützte die Pläne ihrer Nichte einen “Männerberuf” zu ergreifen nicht. Auch Emilies Vater verachtete ihre Entscheidung zeitlebens.
Erst als Emilie Spyri ihren zukünftigen Mann Walter kennenlernte, fand sie Unterstützung für ihr Vorhaben. Walter Kempin war Theologe und maßgeblich an der Einrichtung des Schweizerischen Roten Kreuzes beteiligt. Er brachte Emilie Latein bei und ermutigte, sich weiterzubilden. Nachdem sie drei Kinder (Gertrud, Robert und Agnes) auf die Welt gebracht hatte, immatrikulierte sich Emilie Kempin-Spyri mit 31 Jahren an der Universität Zürich.
In den folgenden Jahren war Emilie extremer Doppelbelastung ausgesetzt: Neben ihrem Jurastudium versorgte sie ihre fünfköpfige Familie. Zudem waren die Finanzen knapp. Hilfe und Unterstützung für die Kempins gab es keine: Da viele Freunde und ihre Eltern sich von Emilie abwanden waren sie auf sich alleine gestellt.
1887 dann schloss sie ihr Studium mit “summa cum laude” ab. Ihren ersten Prozess jedoch führte sie nur in eigener Sache: Laut der Schweizer Bundesverfassung waren zwar nur “Schweizer” als Anwälte zugelassen, Emilie Kempin-Spyri verwies jedoch darauf, dass dies ein generisches Maskulinum sei und Schweizer demnach auch weiblich sein könnten. Ihre Klage wurde abgewiesen, ihre Begründung sei “ebenso neu als kühn” hieß es.
Kurzerhand wanderte die gesamte Familie nach Amerika aus. In New York gründete Emilie das “Women Law College”, eine Rechtsschule für Frauen. Die New York Times schrieb dazu 1889, dass Kempins Anliegen nicht etwa sei, männliche Anwälte zu verdrängen, sondern vielmehr Frauen, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen müssten, zu unterstützen.
Walter Kempin konnte sich indes nicht in New York einleben. Seine Versuche, als Journalist zu arbeiten, scheiterten und so kehrte er 1891 gemeinsam mit seinem Sohn nach Zürich zurück. Da ihr viel am familiären Zusammenhalt lag, folgte Emilie ihm mit den Töchtern wenige Monate später. Zurück in der Schweiz konnte sie jedoch nach wie vor nicht als Anwältin praktizieren, auch Walter fand keine Arbeit und schließlich trennte sich das Paar 1896. Während die Kinder bei einer befreundeten Familie unterkamen, verließ Emilie Kempin-Spyri die Schweiz und ging nach Berlin, in der Hoffnung, dort endlich eine eigene Anwaltskanzlei eröffnen zu können.
In Berlin hielt Emilie Vorlesungen über internationale Rechtsprobleme – zugleich war sie jedoch von allen Seiten Kritik ausgesetzt. Männer konnten sich mit der Juristin in den eigenen Reihen nicht anfreunden, eine Affäre mit dem Schriftsteller Mathieu Schwann endete in einer vernichtenden Streitschrift seinerseits über “Frauenemancipation”, aber auch Frauenrechtlerinnen hatten ihre Probleme mit Kempin: Zu unpolitisch war ihre Haltung, nicht radikal genug ihre Forderungen.
Nach nur drei Jahren alleine in Berlin erlitt Emilie Kempin-Spyri einen Nervenzusammenbruch, der sie ins gesellschaftliche Abseits beförderte. Von einer Berliner Nervenheilanstalt wurde sie nach Basel abgeschoben, jegliche Gesuche nach Zürich verlegt zu werden, wurden ignoriert. Es ist unklar, wie ihr Krankheitsbild zu diesem Zeitpunkt aussah und ob eine ständige Stationierung von Emilie wirklich nötig war. Am 12. April 1901 starb sie an Gebärmutterhalskrebs in Basel – allein und anonym.
In den folgenden Jahren war Agnes Kempin bemüht, jegliche Spuren ihrer Mutter zu verwischen und Briefe, Zeugnisse und Krankenakten zu vernichten. Erst in diesem Jahr ehrte die Universität Zürich ihre erste Juristin mit dieser überdimensionalen Chaiselongue, die von der Künstlerin Pippilotti Rist entworfen wurde.
Wie sollte man es auch sonst bezeichnen, was da vor vielen Jahren passiert ist? Die Frauen hatten gerade Ackerbau und Viehzucht erfunden und sich damit ziemlich radikal von der Abhängigkeit vom Jagdglück ihrer Männer emanzipiert. Überhaupt reduzierte sich die absolut notwendige Beteiligung der Männer an Fortpflanzung und Erhalt der eigenen Sippe auf eine zeitlich überschaubare kurze Spanne. Was tun, um der eigenen männlichen Bedeutung wieder auf die Sprünge zu helfen?
Ganz einfach und ziemlich clever. Mann gründet eigene Organisationen, in denen Frauen nicht zugelassen werden und die vor allem den Hauptzweck haben, sich gegenseitig die eigene Wichtigkeit – trotz allem – zu beweisen. Damit alles möglichst wichtig und geheimnisvoll gestaltet werden kann, entfernt man sich am besten weit vom heimischen Herd, zieht als „marodierende Jagdbanden” durch die Gegend, gibt sich eigene Regeln und Gesetze und kehrt erst abends zur Vieh züchtenden Frau nach Hause, bereit über die Unbill des Tages und die heldenhaft erledigten schwierigen Aufgaben zu berichten.
Sind marodierende männliche Jagdbanden der Ursprung unserer heutigen Institutionen?
Eine Reihe von Organisationspsychologen und anderen schlauen Menschen behaupten, dass diese marodierenden männlichen Jagdbanden exakt der Ursprung unserer heutigen Organisationen, Unternehmen und Behörden sind. Wichtigkeit kann zum Beispiel durch endlos lange unsinnige Sitzungen bewiesen werden, die einen mir-nichts, dir-nichts zum gestressten Manager machen.
Solche Sitzungen lassen sich beliebig dadurch verlängern, dass auch wirklich jeder Mann einen nicht zu kurzen Redebeitrag liefert. Sollte das zu Sagende bereits gesagt sein, verwendet Mann einfach eine elegante Einstiegsformulierung „Es wurde zwar bereits angesprochen, aber ich möchte doch noch einmal diesen Punkt ansprechen….”
Ist es nicht geradezu schrecklich, dass es einige Frauen gibt, die nicht vor dem Schlimmsten zurückschrecken und ein Spiel mitspielen wollen, das nur funktioniert, wenn Frauen eben nicht mitspielen! Ziemlich paradox, diese Situation, und für mich ein wunderbarer humorvoller Erklärungsansatz dafür, dass wir in Deutschland keine wirklich essentielle Mitwirkung von Frauen in Führungspositionen erreicht haben. Und auch nicht erreichen werden, solange unsere Organisationen und Unternehmen solch starre Gebilde mit normierten männlichen und weiblichen Rollen bleiben, wie sie es heute noch sind.
Männer und Frauen müssen ihre Rollen neu definieren und die jeweilige Bedeutung nicht daran festmachen, dass der andere aus dem eigenen Lebensbereich ausgeschlossen wird und Mann und Frau dadurch in die Lage versetzt werden, dem jeweils anderen das Blaue vom Himmel zu erzählen über die immense Bedeutung des eigenen Lebensbereiches. Denn das Ganze funktioniert natürlich auch andersherum: wenn Frauen systematisch Männer von ihrem Spiel ausschließen – dem Bereich des Kümmerns, der Familie, der Kindererziehung, des Bewahrens – dann werden diejenigen Männer zu Spielverderbern, die sich in diese Sphäre wagen und diese dadurch zwangsläufig entzaubern.
Sich selbst stabilisierende Rollenmuster: der heimkehrende Mann, der Trost und Anerkennung sucht. Die fürsorgliche, nachwuchsumsorgende Frau, die Lob und Anerkennung sucht…
Dem Mann, der abends von der Arbeit kommt und von den Kämpfen des Tages berichtet (und dabei die Anerkennung seiner Frau sucht) steht die Frau gegenüber, die abends von den pädagogischen Mühen mit den Kindern erzählt und dabei die Anerkennung ihres Mannes sucht. Beide arbeiten nach dem gleichen System: durch Ab- und Ausgrenzung den eigenen Wirkungsbereich und die eigene Rolle darin möglichst gewichtig darzustellen. So beweisen sich beide, dass sie jeweils in ihrem Bereich äußerst wichtig sind – und zementieren ihre Rollen.
Mehr Frauen in Führungspositionen erfordern also gleichzeitig mehr Männer, die in die häusliche Sphäre eingelassen werden. Es bedeutet Mut auf beiden Seiten der Geschlechtertrennlinie, die eigenen Stützkorsette der Wichtigkeit aufzugeben und sich auf ein wirkliches Miteinander mit dem anderen Geschlecht einzulassen. Als Lohn winkt Souveränität statt künstliche Autorität aufgrund aufgesetzter Symbole. Als Lohn winkt Authentizität statt Anpassung an fremde Lebensmuster. Als Lohn winkt Erweiterung der eigenen Handlungsoptionen statt Fahren auf vorgegebenen Gleisen. Als Lohn winkt ein spannendes und erfülltes Miteinander zwischen den Geschlechtern statt einem wichtigkeits-beweisenden Gegeneinander.
Das Geschlechterverhältnis unter Medizinstudenten ist heute annähernd ausgewogen. Der Anteil weiblicher Studentinnen überwiegt sogar ein wenig. Wie wir wissen, was das aber nicht immer so. In sämtlichen Naturwissenschaften waren Frauen über Jahrhunderte unterrepräsentiert, in der Medizin war dies nicht anders. Außer bei der Geburtshilfe und in der Krankenpflege hatten Frauen nichts zu suchen.
Und dann gab es da eine Frau, die im Spätmittelalter nicht nur eine der geschätztesten Medizinerinnen ihrer Zeit war – sie lehrte auch noch an der Universität Bologna.
Viel ist leider nicht bekannt über Dorotea Bucca, die Frau, die Männern beibrachte, wie man ein guter Arzt wird. Tatsache ist jedoch, dass Bologna zu dieser Zeit ein sehr fortschrittliches und so gar nicht mittelalterliches Verhältnis zur Wissenschaft hatte: Wer es sich leisten konnte, der lernte und forschte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich Wissenschaftler in reicheren Familien häuften.
So lehrte bereits Dorotea Buccas Vater Giovanni Bucca Medizin und ließ seine damals 30-jährige Tochter dort miteinsteigen. Seit 1088 waren Frauen in der Lehre an der Universität Bologna zugelassen. Als sie begann, in der Lehre zu arbeiten, hatte Dorotea bereits ein Philosophiestudium abgeschlossen und lernte und lehrte Medizin anschließend “learning-by-doing” von ihrem Vater.
Zwar lehrte Bucca also selbstständig – ohne den Einfluss ihres Vaters wäre sie nach Einschätzungen von Historikern jedoch nie an die Universität gelangt. Nach dem Tod Giovanni Buccas übernahm sie seinen Lehrstuhl. Bis zu ihrem Tod 1436 unterrichtete Dorotea Bucca in Bologna Studenten aus ganz Europa in Medizin und später auch Moralphilosophie.
Dem spitzfindigen Leser mag aufgefallen sein, dass das obige Bild nicht aus der Zeit Dorotea Buccas stammen kann. Das stimmt. Leider sind keine Überlieferungen ihrer Räumlichkeiten mehr erhalten – beim oben abgebildeten Raum handelt es sich jedoch immerhin um den Anatomiesaal der Universität Bologna aus dem 16. Jahrhundert.
“48. Waiting to be noticed” – Nummer 48 ist einer der 101 Fehler, die Lois P. Frankel in ihrem Buch “Nice girls don’t get the corner office. 101 Unconscious Mistakes Woman Make That Sabotage Their Careers” vorstellt. Sie benennt 101 Fehler, die Frauen im Berufsleben tendenziell und sozialisationsbedingt eher machen als Männer und die sich allesamt als Karrierebremsen erweisen.
Ich kam im Frühjahr 2004 mit diesem Buch im Gepäck aus Kanada, als mir Dr. Irmhild Saake, damals Frauenbeauftragte des Instituts für Soziologie, die Idee eines Netzwerks für Soziologinnen vorstellte:
Auch Vernetzung von Frauen erfordert Mut. Und man muß es einfach tun.
Frauen, die sich systematisch zu wenig zutrauen, sollten durch Information und Vernetzung ermutigt werden, Dinge einfach mal anzupacken, statt sich zögernd und zaudernd am Ende stets doch nicht zu trauen, z.B. eine Bewerbung um ein Stipendium abzuschicken.
“Ich habe ein Netzwerk für Soziologinnen gegründet, weil Frauen sich heute zwar nicht mehr als diskriminierte Opfer fühlen, sie aber nach wie vor mehr Gelegenheiten brauchen, um Ämter zu übernehmen. In diesem Netzwerk sollen Frauen erleben, was es heißt, Verantwortung zu tragen und Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Der Trick bei dieser Art der Frauenförderung bestand darin, eine Förderung zu schaffen, die nicht nach Förderung aussieht, weil Frauen heute alles meiden, was irgendwie nach 70er-Jahre-Feminismus und Frauenförderung aussieht.”
Anna Maria Mann, damals Studentin der Soziologie, hatte bereits mit der Zusammenstellung von Informationen auf einer Website begonnen und ich stieg begeistert ein: Netzwerken im besten Sinne: sich gegenseitig bereichern und unterstützen – darauf hatte ich Lust.
Der Aufbau eines Unterstützungs- und Informationsnetzwerks
Wir sammelten Wissenswertes und Kontakte zu Studierenden, die ihre Erfahrungen mit Förderprogrammen oder Auslandsaufenthalten etwa online teilen wollten. Wir erfanden für “Sociae” Angebote „in echt”, wie einen Workshop zur Karriereplanung.
Parallel dazu kam das Bedürfnis nach Reflexion auf – warum machen wir das? Sind wir tatsächlich „als Frauen” benachteiligt? Fühlen wir uns beschimpft, wenn die Frage „Bist du Feministin, weil Du diese Frauengeschichte da machst?” an uns gerichtet wird?
Die Angst als “Feministin” abgestempelt zu werden
Unsere Antwort war ein Workshop zum Thema Feminismus, mit dem wir uns und unseren TeilnehmerInnen die Gelegenheit schufen, das Thema wissenschaftlich und praktisch mit führenden Köpfen zu diskutieren – und den Aktiven bei “Sociae” Raum, sich als Organisatorinnen einer wissenschaftlichen Veranstaltung auszuprobieren. Am Ende des Workshops waren alle Beteiligten klüger bzw. gingen mit neuen Fragen zum alten und neuen Feminismus und zur eigenen Positionierung nach Hause.
Ein „unschuldiges” Frauennetzwerk, das nicht nach Frauensache und Feminismus klingt ist nicht machbar.
Und uns bei Sociae blieb die Einsicht – ein „unschuldiges” Frauennetzwerk, das nicht nach Frauensache und Feminismus klingt ist nicht machbar. Aber Frauennetzwerke zu stricken ist absolut notwendig – genau so notwendig wie das Netzwerken ohne Blick auf Geschlecht und Gender!
Das Netzwerk bringt so seinen Knotenpunkten also vieles an Erfahrungen, Erkenntnissen, Tipps, Hinweisen, Kompetenzen – und konfrontiert sie immer wieder mit der Frage: „Muss das sein, dass man sich für Frauen engagiert? – Ist das nicht zu anti? – Ist das überhaupt noch nötig?”
Sociae wird – immer noch und auch von SoziologInnen, denen man dank einer eigenen Bindestrichsoziologie fürs Geschlechterthema mehr Reflektiertheit und Offenheit unterstellen würde – oft als seltsamer Frauenverein wahrgenommen. Und gerade Sympathisantinnen der Idee schrecken davor zurück, sich als potentiell Benachteiligte und potentielle Unterstützungsempfängerinnen zu outen und in Sachen Frauennetzwerk aktiv zu werden.
Vor der Beteiligung an einem Frauen-Netzwerk steht die Erkenntnis, dass es Benachteiligung gibt. Manchmal muß es erst “weh tun”, bevor diese Einsicht wächst.
Das wunderte mich, weil doch Sociae angetreten ist, ohne Anti-Rhetorik und Opferrollen-Selbstbeschreibung. Wissenschaftlerinnen, die an ihren Studierenden den Umgang mit der Thematik schon länger beobachten, boten mir folgende Erklärung an: Für sich selbst „als Frau” aktiv zu werden, bedeutet einen Schritt vorher, sich als potentiell Benachteiligte wahrzunehmen – und das ist keine schöne Erkenntnis.
So lange Studentinnen noch nicht an gläserne Decken gestoßen sind – und es „echt weh” getan hat, scheint es also angenehmer, den Tatsachen nicht offen ins Auge zu schauen.
Es gibt noch viel zu tun!
In Anbetracht des Faktums, dass strukturelle Benachteiligung von Frauen eine statistische Gegebenheit ist, finde ich es schade, dass immer noch wenige Soziologinnen die Change ergreifen, sich selbst ein Trainingscamp zu verschreiben, sich zu unterstützen und Rückgrat und Mut aufzubauen. Und an dieser Stelle muss nun endlich geschrieben werden: ES MACHT AUSSERDEM SPASS! Der Austausch, das Ideenspinnen, das Projekteumsetzen und das Sichgegenseitigweiterbringen!
Netzwerken macht Spaß. Und bestärkt die Beteiligten im Wissen: “Ich kann das!“
Inzwischen bin ich nach Studium, Promotion und einem halben Abschied aus der Wissenschaft an den losen Rand des Netzwerks gewandert. Von der Notwendigkeit des Aufbaus und dem Gewinn aus funktionierenden Netzwerken – ob nun geknüpft um „die Herausforderung Frausein” oder um andere Themen – bin ich überzeugt.
Die Sociae zu Grunde liegende Erkenntnis „Ermutigung braucht’s!” scheint mir keinen Deut weniger aktuell oder akut als vor vier Jahren. Seit einer Weile verschenke ich darum beständig mit Freude und Nachdruck diese wunderbare ichkanndas-Karte, gemacht von Karin Bätz.
Auf den ersten Blick lassen die Eckdaten Marthe Vogts Biographie auf eine sehr nüchterne Wissenschaftsbiographie schließen: Die Eltern beide Wissenschaftler, die jüngere Schwester ebenfalls, nie verheiratet, keine Affären, dafür eine lange Liste an Publikationen und Ehrungen. Liebstes Hobby: Gartenarbeit.
Erst beim zweiten, genaueren Blick fallen die Details auf. Zum Beispiel, dass Marthe Louise Vogt haargenau hundert Jahre und einen Tag alt wurde. Und dass zwischen ihrer ersten und letzten Publikation genau fünfzig Jahre lagen – da war sie 85 Jahre alt. Und man merkt: Wer im Alter noch so ein reger Geist war, kann kein langweiliger Mensch gewesen sein.
Geboren wurde Marthe Vogt am 8. September 1903 in Berlin Zehlendorf. Ihre Eltern, beide frühe Hirnforscher, leiteten ein eigenes Institut für Neuroanatomie, das ein Jahr vor Marthes Geburt von der Berliner Universität (heute Humboldt-Universität) übernommen wurde. Aus einer sehr „europäischen” Familie stammend – der Vater war Deutscher dänischer Herkunft, die Mutter Französin – spielte politischer Patriotismus im Hause Vogt keine Rolle. Auch während des ersten Weltkriegs blieb die Familie, in die 1913 noch die jüngere Tochter Marguerite geboren wurde, unpolitisch.
1923 begann Marthe ihr Studium an der Berliner Universität – da ihr Stundenplan ihr noch Freiräume bot, besuchte sie neben den vorgesehenen Vorlesungen in Medizin und Chemie zusätzliche Kurse in Psychologie und Biologie. Nach ihrer Promotion (Medizin 1928, Chemie 1929) arbeitete sie zunächst als Assistentin am Pharmakologischen Institut, ab 1931 dann am Institut ihres Vaters.
Zu ihrer politischen Haltung ist nicht viel bekannt – zwar hatte Marthe Vogt wohl bereits vor 1933 „Mein Kampf” gelesen, jedoch bezweifelte sie sehr lange, dass dieser Autor besonders viel Macht erlangen könnte. 1935 dann wurde ihrem Vater gekündigt, nachdem er sich geweigert hatte, jüdische Mitarbeiter zu entlassen und auch Marthe fühlte sich unter den Nationalsozialisten zusehends unwohl.
Da sie keine Möglichkeit mehr sah, sich wissenschaftlich frei zu betätigen, verließ die junge Medizinerin mit dem Rockefeller Travelling Fellowship ausgestattet noch im selben Jahr Deutschland und forschte zunächst am Institute for Medical Research in Hampstead bei London. Dann wechselte sie an das Department of Pharmacology in Cambridge.
Dort holte sie ihre deutsche Vergangenheit wieder ein: Zu Beginn des zweiten Weltkriegs wurden sämtliche in Großbritannien lebende Deutsche auf ihre Loyalität geprüft. Im Laufe der Ermittlungen gegen Marthe Vogt entdeckte die Britische Staatsanwaltschaft jedoch, dass die Wissenschaftlerin Mitglied der Deutschen Arbeiterfront war. In diese wurde sie automatisch in ihrer Zeit am Berliner Institut aufgenommen – ihre Anträge, aus der Arbeiterfront auszutreten, wurden abgewiesen. Da sie „nur” über ein Stipendium nach England gelangt war, zählte sie nach wie vor als deutsche Wissenschaftlerin, die früher oder später auch in ihre Heimat zurückkehren würde, auch wenn dies nie ihre Absicht war.
Im Dezember 1939 wurde die Situation für Marthe Vogt noch dramatischer: Als feindliche Wissenschaftlerin eingestuft, sollte sie bis zum Ende des Krieges ins Gefängnis. Einzig ein nachsichtiger Richter gab ihr die Gelegenheit, zwischen Heiligabend und Neujahr Zeugen für ihre antinationalsozialistische Haltung zu finden. Am 2. Januar bereits erhielt derselbe Richter 28 Briefe von englischen Freunden und Bekannten Marthe Vogts, die ihre Ungefährlichkeit erklärten.
In den folgenden Jahren wurde das Leben der Wissenschaftlerin entspannter: Sie leitete die Pharmakologische Abteilung des Agricultural Research Council Institute of Animal Physiology in Babraham bei Cambridge, unterstützte junge ausländische Wissenschaftler bei ihren Forschungen und forschte selbst an der Wirkungsweise von Neurotransmittern.
1974 wurde Marthe Vogt für ihre Arbeit mit der Schmiedeberg-Plakette ausgezeichnet, die Universitäten in Edinburgh und Cambridge verliehen ihr Ehrendoktorate. In Cambridge war sie die erste Frau, der diese Ehre zuteil wurde. 1976 erhielt sie die Thudichum Medal der Neurochemical Group der British Biochemical Society und 1981 die Royal Society Gold Medal. 1982 veröffentlichte sie zum letzten Mal “offiziell”, damals über die Wirkung von Morphium. Die letzte tatsächliche Veröffentlichung erschien jedoch erst vier Jahre später – auch wenn Marthe Vogt diese bereits nicht mehr unter ihren Veröffentlichungen auflistete.
Im selben Jahr noch verließ sie Cambridge und zog zu ihrer Schwester nach La Jolla in Kalifornien, wo sie bis zu ihrem Tod am 9. September 2003 lebte. Marguerite Vogt starb am 6. Juli 2007.
Gestern illustrierte sie, wie Fragen nach Familie und Privatleben das Bewerbungsverfahren beeinflussen. Heute gibt sie abschließende Empfehlungen, wie das Rennen um die Professuren fairer und transparenter gestaltet werden kann.
Gezielte Ansprache von Bewerberinnen und Quoten bei HeadhuntingKünftig sollen nach Empfehlung des Wissenschaftsrats (2005) außerordentliche Berufungen ohne Ausschreibung erfolgen. Insbesondere in diesem Fall, aber auch insgesamt bei allen Arten von Berufungen – den öffentlich Ausgeschriebenen, den Hausberufungen und dem Tenure Track – wird in den Augen der Befragten deutlich, dass die Hochschulen Frauen nicht genug fördern und ansprechen.
Wissenschaftlerinnen werden, weil sie Frauen sind, von den Ausschreibenden meist gar nicht wahrgenommen.
Wissenschaftlerinnen werden, weil sie Frauen sind, von den Ausschreibenden meist gar nicht wahrgenommen. Das wird sowohl von vielen Bewerberinnen als auch von den Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten beschrieben. Die Ansprache läuft über informelle Netzwerke, die entlang akademischer Schulen, gemeinsamer Studien- und Arbeitserfahrungen und des Faktors Geschlecht strukturiert sind.
Bewerberinnen werden seltener als Männer aus der ausschreibenden Hochschule heraus zur Bewerbung aufgefordert. Frauen und Männer erfahren Ansprache verschieden: Bewerberinnen werten eine Ansprache aus der Hochschule so, dass sie an der Hochschule wahrgenommen werden und jemanden kennen, Bewerber verbinden mit der Ansprache das Signal, aus der Hochschule verbindlich Unterstützung zu erhalten.
Das National Research Council der USA (NRC 2006) kritisiert, dass Hochschulen nicht breit genug nach Bewerberinnen suchen: Sie werfen ihre Netze nicht weit genug aus. Frauen würden sich bei gleicher Qualifikation seltener bewerben als Männer. Dies wird durch die Erhebung in Deutschland bestätigt: Frauen beschreiben ihr Bewerbungsverhalten erheblich selektiver.
Der Frauenanteil unter den Bewerbungen wird bei den Auswählenden, so auch in Verfahrensregelungen, oft als Maßstab für die Repräsentanz von Frauen bei den Qualifizierten verwendet. Dies ist falsch: Er ist nur ein Indikator dafür, wie weit die Hochschulen mit ihrer Ausschreibung Frauen erreicht hat. Der Frauenanteil unter den Qualifizierten ist in der Regel erheblich höher.
Frauen sollten bei anstehenden Berufungsverfahren gezielt angesprochen werden.
Maßnahmen zur gezielten Ansprache von Frauen sind für alle Berufungsverfahren dringend erforderlich. Bislang haben nur wenige Hochschulen entsprechende Regelungen aufgenommen. Die befragten Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sowie die Berufungskommissionsvorsitzenden beschreiben es als aufwändig, Frauen in der Wissenschaft sichtbar zu machen und sie gezielt bei der Strukturplanung, im Vorfeld von Berufungen und bei der Ausschreibung zu berücksichtigen und anzusprechen, aber sie halten dies für einen sehr wichtigen Beitrag zur Gleichstellung.
Solche allgemeinen Maßnahmen reichen aber nach Ansicht der befragten Frauen für neue Berufungswege wie Headhunting, Hausberufung und Tenure Track nicht aus: Hier sehen die befragten Frauen, und zwar von der Dekanin über die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten bis zu den Bewerberinnen, sehr schwer wiegende Probleme: „Das wird eine Katastrophe für die Frauen” (Berufungskommissionsvorsitzende). Sie sehen den einzigen Ausweg in Ergebnisquoten.
Regelungen und Leitfäden verbessern
Die Dokumentenanalyse zeigt insgesamt eine unbefriedigende Situation bei den Verfahrensregelungen: Sie sind unübersichtlich, häufig veraltet und blenden Gleichstellungsregelungen aus. Es gibt jedoch auch gute Beispiele für gesetzliche und untergesetzliche Regelungen sowie für Leitfäden oder Merkblätter, die in der Studie nach Themen und Bundesländern differenziert aufbereitet wurden. Die Arbeit bildet so eine Grundlage für Hochschulen, die ihre eigenen Dokumente neu erarbeiten oder überarbeiten wollen.
Die bewusste Einbeziehung der Geschlechterfrage ist für gerechte Bewerbungsverfahren unbedingt notwendig!
Die Ergebnisse der Interviews unterstützen den Formalisierungsprozess. Sie zeigen, dass viele Reformen des Berufungswesens, vor allem die Einbeziehung der Geschlechterfrage in die Qualitätskriterien durch den Wissenschaftsrat, die Erhöhung der Transparenz, die kriterienbasierten Gutachten oder die Verbesserung des Bewerbungsmanagements, die Situation von Wissenschaftlerinnen in Berufungsverfahren verbessern.
Manche Reformen, z. B. die Berufung ohne Ausschreibung oder die zunehmende Befristung von Positionen, drohen die Perspektiven von Frauen entscheidend zu verschlechtern. Mit Frauen in der Wissenschaft gibt es keinen selbstverständlichen, diskriminierungsfreien Umgang. Die bisherige Formalisierung von Gleichstellung in Berufungsverfahren erscheint meist halbherzig und doppelbödig.
Gleichstellungsorientiertes Berufungsmanagement und Quotierung
Berufungsverfahren bleiben auch bei starker Formalisierung komplexe Kommunikations- und Entscheidungsprozesse, in denen viele Möglichkeiten liegen, Bewerberinnen positiv einzubeziehen oder negativ auszugrenzen. Die Richtung, in die der Kommunikationsprozess ausgerichtet ist, zeigt in der Praxis deutscher Hochschulen zu selten auf die Bewerberinnen und ist entlang von Männernetzwerken strukturiert. Viele Berufungskommissionen bemühen sich um Neutralität und sind sich nicht bewusst, wie Geschlechterrollen und Geschlechterbilder in ihre vermeintlich neutralen Beurteilungen eingehen.
Es reicht nicht aus, dass sich Berufungskommissionen um “Neutralität” bemühen. Denn oft ist ihnen nicht bewusst, wie Geschlechtsstereotype in die vermeintlich “neutralen” Urteile einfliessen.
Schlüsselpersonen, den Prozess beeinflussen können, sind die Kommissionsvorsitzenden, die neu einzurichtenden Berufungsbeauftragten, die Hochschulleitungen, die Dekaninnen und Dekane, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sowie landespolitische Akteurinnen und Akteure. Alle berufungsbezogenen Steuerungsinstrumente müssen aktiv auf die Berufung von Frauen ausgerichtet und der notwendige Kulturwandel durch Quoten für die Berufung von Frauen unterstützt werden.
Handlungsempfehlungen für Bund, Länder und Hochschulen
Bund, Länder und Hochschulen sollten durch Rechtsetzung, gezielte Gleichstellungsmaßnahmen und ein systematisches gleichstellungsorientiertes Qualitätsmanagement die Berufung von Frauen gezielt fördern.
Der Bund kann u. a.
Die Länder können sich solche Maßnahmen ebenfalls zu Eigen machen und darüber hinaus u. a.
Die Hochschulen können diese Maßnahmen ebenfalls ergreifen und darüber hinaus u. a.
Färber, Christine; Spangenberg, Ulrike (2007) Wie werden Professuren besetzt? Frankfurt/ New York: Campus.
National Research Council (2006) National Research Council of the National Academies (2006) To Recruit and Advance Women Students and Faculty in U.S. Science and Engineering. Washington.
Wissenschaftsrat (2005) Empfehlungen zur Ausgestaltung von Berufungsverfahren, Köln.
In der bundesdeutschen Wissenschaft herrscht aktuell – trotz einer Frauengeneration, die hoch qualifiziert und hoch motiviert ist – eine geschlechterspezifische Asymmetrie in den Bereichen der Macht- und Führungspositionen. Der Anteil der Frauen auf jeder Stufe der Karriereleiter sinkt kontinuierlich, obwohl rund 50 Prozent aller Studienanfänger/innen und Hochschulabsolventen/innen weiblich sind.
Die wissenschaftliche Elite in Deutschland ist fast ausschließlich männlich, auch wenn die Erziehungs- und Bildungsinstitutionen heute mehr denn je auf gleiche Chancen, Zugänge und die Förderung für Mädchen und Frauen achten.
Zwar hat sich in den letzten Jahren der Anteil von Wissenschaftlerinnen in den Führungspositionen der Hochschulen signifikant erhöht, trotzdem ist er immer noch geringer, als ihr prozentualer Anteil am Gesamtpersonal der Hochschulen. Dies zeigen jüngste Zahlen aus dem Jahr 2007:
„Der Frauenanteil an den Beschäftigten an Hochschulen betrug 51%, die Frauenquote beim wissenschaftlichen und künstlerischen Personal lag bei 32%. Der Frauenanteil unter den Professoren liegt bei 15%” (BMBF 2008).
Das Potential von exzellent ausgebildeten Frauen bleibt weitgehend ungenutzt.
In der persönlichen Biographie sowie auf dem wissenschaftlichen Karriereweg existiert eine Vielzahl von Gründen, die sich wechselseitig bedingen und dazu führen, dass das Potenzial von exzellent ausgebildeten Frauen weitgehend ungenutzt bleibt. Begabte Mädchen und junge Frauen werden bereits in Familie, Schule und Freundeskreis kaum dazu motiviert, vorhandene Fähigkeiten systematisch auszubauen und in eine berufliche Zukunft zu investieren. Dies zeigen Ergebnisse aus der Eliteforschung. Sie setzen sich nicht die Ziele, die sie aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit erreichen könnten, sondern üben freiwilligen Verzicht (vgl. Macha 2005).
Ist Erfolg für Frauen nicht opportun?
Diese Einflüsse aus Kindheit und Jugend werden im Erwachsenenalter zu individuellen Strategien der biographischen Lebensplanung ausgebaut und führen trotz zunehmender Infragestellung veralteter Sozialisations- und Rollenkonzepte vor allem bei Frauen zur Übernahme stereotyper Identitätsentwürfe und Berufswahlen. Es entsteht eine Parallelität zweier Dimensionen, vor allem durch die widersprüchlichen und inkonsistenten Anforderungen von Berufs- und Familien- bzw. Privatleben. Diese muss sowohl in der Identität, als auch in der Lebensführung der Frauen ausbalanciert werden: Work-Life-Balance wird zu einer schmerzlichen Aufgabe primär für Frauen, bei der allzu oft eine Wahl zwischen Karriere und Familie getroffen werden muss (vgl. Struthmann 2008).
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kaum realisierbar: Es droht eine Marginalisierung von Frauen im Wissenschaftssystem Deutschlands.
Durch die defizitäre Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf resultiert eine Marginalisierung von Frauen im Wissenschaftssystem in Deutschland. Es mangelt an familiengerechten Lern- und Arbeitsbedingungen, die den hochschulspezifischen Arbeitsstrukturen und -prozessen entgegen kommen bzw. entsprechen.
„Vor allem Wissenschaftlerinnen und Frauen in anderen hoch qualifizierten Berufen verlieren wertvolle Zeit für den Karriereaufbau, wenn sie Erziehungszeit in Anspruch nehmen, um ihrer Doppelrolle gerecht zu werden” (Macha/ Bauer/ Struthmann 2008).
Karrierebrüche sind vorprogrammiert
Die Folge sind Karrierebrüche. Frauen, die diese Hürden überwinden konnten, sehen sich folglich auf den höheren Stufen der akademischen Karriereleiter mit der spezifisch androzentrischen Organisationskultur der Hochschule konfrontiert.
„Vor allem wurden sie mit Regeln konfrontiert, die ohne sie zustande gekommen und die für sie erst anzupassen waren. Insbesondere die strukturellen Rahmenbedingungen des wissenschaftlichen Qualifizierungsweges, wie das Wissenschaftssystem als Ganzes […] wirken sich nachteilig für den Karriereverlauf und die Integration von Wissenschaftlerinnen aus” (Wissenschaftsrat 2007).
Das ambivalente Verhältnis zur Macht
Beim Erklimmen höherer Positionen im Wissenschaftsbetrieb gilt es außerdem zu bedenken, dass Frauen ein Problem mit der Gewinnung einer positive Einstellung zur Macht haben sowie damit, Macht anzunehmen. Studien belegen immer aufs Neue, dass Frauen Macht ablehnen. Dabei wäre der nach allen Erfahrungen demokratischere Umgang der Frauen mit der Macht ein Gewinn für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, denn Verantwortung für andere zu übernehmen sind Frauen gewohnt (vgl. Macha 2005).
Eine gleichstellungspolitische Strategie zur Beseitigung von entsprechenden Disparitäten zwischen den Geschlechtern ist das Gender Mainstreaming Konzept. Es stellt erstmalig ein offizielles europäisches Steuerungsinstrument zur Verfügung, das weit reichende Einflussmöglichkeiten auf die nationale und internationale Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung erlaubt. Gender Mainstreaming stellt ein effektives Instrument der Potenzialentwicklung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und der Organisationsentwicklung der Hochschulen dar.
Gender Mainstreaming als Königsweg?
Die Gender Mainstreaming Strategie besitzt einen multidimensionalen Wirkungsgrad, da sie an verschiedensten Stellschrauben ansetzt und dadurch Perspektiven für Frauen auf allen Ebenen der Hochschule eröffnet:
„Mit dem Prinzip der Identifikation, Rekrutierung und Förderung begabter Frauen auf allen Stufen der Karriere wird konsequente Nachwuchsförderung betrieben. Bereits im Studium werden begabte Frauen aller Disziplinen identifiziert und fachlich sowie materiell und durch Maßnahmen […] gezielt gefördert. […]”
Empowerment meint dabei die Potenzialentwicklung begabter Frauen auf allen Stufen der Karriere. Zu schaffen ist eine „Kultur der Ermutigung” (Macha 2005), in der Frauen vom Studium bis zur Professur das Ziel einer wissenschaftlichen Laufbahn erfolgreich verfolgen können” (Macha/ Handschuh-Heiß 2007).
Wir brauchen eine “Kultur der Ermutigung”. Die Potenziale von Frauen müssen erkannt und gefördert werden.
Zu den Maßnahmen innerhalb eines Programms von Gender Mainstreaming gehört zum Beispiel das Erkennen und Fördern der Potenziale von Frauen, indem die Motivation für eine wissenschaftliche Karriere geschaffen wird und unterstützende Netzwerke aufgebaut werden. Frauen sollen auch öffentlich in ihrer Leistungsfähigkeit an der Hochschule gewürdigt werden, zum Beispiel durch Auszeichnungen, strukturelle Barrieren sollen erkannt und an der Hochschule abgebaut werden.
Die Leistungen von Frauen in Projekten und auf Tagungen können als ökonomischer Anreiz finanziell gefördert werden und Karrierestrategien in Kursen vermittelt werden. Kinderbetreuung für die Kinder von Wissenschaftlern sind die Basis für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die durch Kinderkrippen nah zum Arbeitsplatz gewährleistet werden kann. Kindererziehungszeiten kurz zu halten, um Karrierebrüche zu vermeiden, ist ebenfalls sinnvoll (vgl. Macha 2005).
Die Herstellung von Chancengleichheit geht alle an
Um das bestehende Gleichstellungsdefizit zu beheben, liegt die Verantwortung in der Zukunft nicht mehr nur bei einem Geschlecht, nämlich den Frauen. Entscheidend ist es, die gleichstellungspolitische Einstellung und die daraus resultierende Handlungsweise jedes Individuums an Hochschulen in Hinsicht auf Geschlechtergerechtigkeit zu verändern (vgl. Bauer i.V. 2009).
Ohne Wandlungs- und Innovationsfähigkeit sind Zukunftssicherung und Wettbewerbsfähigkeit für Hochschulen und die darin agierenden Menschen nicht möglich. Das heißt, Organisations- und Potenzialentwicklung müssen geschlechtergerecht sein, um die Potenziale aller Beschäftigten nutzen und alle Ressourcen ausschöpfen zu können. Erst die Realisierung geschlechtergerechter Verhältnisse zwischen Frauen und Männern und der verstärkte Aufbau weiblicher Karrieren dienen der Entwicklung innovativer und effektiver Strukturen, Prozesse und Kulturen in einer Hochschule.
Gestern konnte man lesen, welche “Regeln” der Besetzungsverfahren zu Benachteiligungen von Frauen führen. Heute skizziert Christine Färber die diskriminierenden Aspekte der Faktoren Geschlecht, Familie und Privatleben.
Das Privatleben ist berufungsrelevant – und wissenschaftspolitisch
Persönliche Merkmale und Privatleben der Bewerberinnen und Bewerber spielen bei Berufungsentscheidungen trotz gesetzlicher, teilweise auch hochschulinterner Benachteiligungsverbote eine erhebliche Rolle.
Auswahlkriterium Geschlecht
Geschlecht ist ein Auswahlkriterium in Berufungsverfahren. Wissenschaftlerinnen machen im Ausland positivere Erfahrungen mit ihrer Akzeptanz als Frauen. Abhängig vom Fach berichten sie über deutsche Verfahren von direkten Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts, aber mehr von dem Eindruck, ihre Leistungen würden nicht adäquat gewürdigt bzw. unsachlich oder gar nicht behandelt, man begegne ihnen tendenziell als Frau und nicht als Wissenschaftlerin.
Es gibt teilweise einen Doppelstandard: Genialität wird eher männlichen Kollegen unterstellt. Oft tun Männer in Kommissionen sich schwer, für Bewerberinnen Begeisterung zu zeigen, weil eine Sexualisierung des Geschlechterverhältnisses unterstellt wird.
Dilemma: Männer tun sich in Berufungskommissionen schwer, ihre Begeisterung für eine Bewerberin zu zeigen
Insgesamt ist in den konkreten Verfahren mit ihrer Vielzahl von Einzelentscheidungen dieser Bias schwer festzumachen. Einigen Frauenbeauftragten gelingt dies nur im Rückblick auf Verfahren. So beschreibt eine Frauenbeauftragte, sie habe gemessen, wie viel Zeit in den Berufungskommissionen über Bewerberinnen und Bewerber gesprochen worden sei: Männern sei erheblich mehr Zeit und damit Aufmerksamkeit gewidmet worden.
Teilweise ist zu beobachten, dass für Frauen ein schmaler Berufungskorridor entstanden ist, in dem die Fachgebiete eine Frau berufen. Auch bei der Berufung von Frauen geben zunehmend informelle Netzwerke und angepasstes Verhalten den Ausschlag:
Akademische Lehrer bringen ihre Meisterschülerinnen auf Professuren unter, wie das bei Männern traditionell der Fall war, oder Professoren ihre Partnerinnen. Anpassung geht vor Leistung: „Die wollen ein angepassteres Frauenmodell, als ich es bin” (Bewerberin).
Schlecht vernetzte oder unabhängige Bewerbungen haben besonders schlechte Chancen. Auslandszeiten sind für die Vernetzung in en nationalen Netzwerken, die die Stellen vergeben, besonders prekär und werden in Deutschland abgewertet, beides scheint Frauen besonders zu treffen. Der Genderbias besteht strukturell, aber er ist schwer im Einzelfall zu fassen.
Geschlecht und Alter wirken zusammen
Ein strukturelles Element mit Genderbias ist die Tatsache, dass Alter in der Praxis ein entscheidendes Auswahlkriterium, und zwar wird es als Lebensalter in Jahren unter den messbaren Kriterien verwendet. Allgemeine Übersichten, die über die Bewerberinnen und Bewerber erstellt werden, führen deren Lebensalter auf. Dabei findet nur in Ausnahmefällen eine geschlechterbezogene Bewertung des Alters statt.
Wenn das Lebensalter als Kriterium herangezogen wird, sind Frauen im Nachteil, wenn die Kindererziehungszeiten ausgeblendet werden.
Berücksichtigt werden in diesen Ausnahmefällen Kindererziehungszeiten, die aber in der Wissenschaft, wo viele Frauen die Tätigkeit nicht sichtbar unterbrechen, schwer quantifizierbar sind. Eine Alternative bietet das Kriterium „wissenschaftlich produktive Zeit”, in der Erziehungs- und Betreuungszeiten oder andere nicht stromlinienförmige Entwicklungen anders bewertet werden können.
Die Bewerberinnen gelten oft wahlweise als zu jung oder zu alt. Alter und Geschlecht zeigt sich als problematischer Zusammenhang, nicht nur in Bezug auf Erziehungszeiten: Auch Frauen ohne Kinder haben oft durch ihre marginale Position andere Qualifikationsbiographien oder Inhalte. Gleichstellungsrechtlich ist dieser Zusammenhang lange hergestellt, in der Wissenschaft ist er immer noch viel zu wenig operationalisiert. Kommissionen laden beispielsweise keine Person über 40 ein, um den Kreis der Bewerbungen einzuschränken.
Alter darf keinesfalls als Ausschlusskriterium gegenüber Frauen verwendet werden, eine gleichstellungsrechtliche Regelung, die sich kaum in den hochschulinternen Regelungen, geschweige denn in der Praxis, findet.
Mehrfachdiskriminierungsfaktor Familie
Wissenschaftlerinnen sind unsicher darüber, ob sie ihre Kinder oder ihren Familienstand in den Bewerbungsunterlagen oder im Kommissionsgespräch angeben sollen. Große Verunsicherung besteht zum Thema Kinderwunsch bei allen befragten Frauen im gebärfähigen Alter. Sie beschreiben den Eindruck, ihnen würden von Berufungskommissionsmitgliedern potenzielle Ausfallzeiten unterstellt.
Wissenschaftlerinnen thematisieren ihre Belastung durch Zeiten, in denen sie Angehörige pflegen mussten, z.B. behinderte Kinder, gebrechliche Eltern oder kranke Partner, nicht gegenüber den Berufungskommissionen, denn in Berufungsverfahren haftet dem Privatleben von Bewerberinnen meistens etwas Problematisches an. Es wird entweder peinlich vermieden, oder es kommt zu diskriminierenden Äußerungen. Die Frage „Wie machen Sie das eigentlich mit den Kindern” steht ausgesprochen oder unausgesprochen im Raum.
Fragen zum Privatleben sind rechtlich nicht zulässig, die Frauen befinden sich aber in einem Zwiespalt: Antworten sie nicht, gelten sie als verschlossen, antworten sie, fällt ihre Biographie aus dem Rahmen und sie verlieren ihre Passfähigkeit sowie wertvolle Zeit für andere Fragen.
Fragen nach dem Privatleben, Kinderwunsch und -erziehung sind nicht zulässig – stehen aber fast immer unausgesprochen im Raum
Die befragten Männer beschreiben diese Verunsicherung nicht. Bewerberinnen berichten über bessere Erfahrungen bei Bewerbungen im Ausland und bei deutschen Berufungskommissionen, in denen Frauen den Vorsitz haben. Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten differenzieren hier breiter: Sie beobachten, dass Kinder und Kinderwunsch sowie familiäre Verpflichtungen in Kommissionen mit einem Genderbias verhandelt werden, der Frauen benachteiligt. Männern würden Erziehungsleistungen positiver zu Gute gehalten, und auch Frauen unter den Auswählenden seien mit Bewerberinnen an dieser Stelle teilweise sehr kritisch.
Die befragten Berufungskommissionsvorsitzenden legen großen Wert darauf, an dieser Stelle nicht zu diskriminieren. Ein Berufungskommissionsvorsitzender beschreibt voll Hochachtung die Wissenschaftlerinnen mit Kindern als besonders qualifiziert, und beobachtet aber, dass Netzwerke auf der Strecke bleiben. Die Wissenschaftlerinnen mit Kindern beschreiben sich selbst als besonders schlecht vernetzt. Wissenschaftlerinnen benötigen in Berufungsverfahren Rücksicht auf ihre familiären Leistungen, um fehlende Netzwerke und faktische Nachteile zu kompensieren.
Familie ist auch ein Grund, weshalb die Empfehlungen den Wissenschaftsrates, die Erstberufung befristet auszusprechen, für viele Frauen sehr unattraktiv ist: Die Befristung des ersten Rufes verlängert das Nachwuchs-Prekariat, schwächt die ökonomische Position von Wissenschaftlerinnen in Beziehungen und erschwert damit Dual Career sowie die Mobilität der Familie.
Mehrfachdiskriminierungsfaktoren Migration und Homosexualität
Die befragte Bewerberin mit Migrationshintergrund berichtet über ihren „Exotenstatus” und schreibt ihre Benachteiligung in Berufungsverfahren in Deutschland sowohl ihrem Geschlecht als auch ihrem ethnischen Hintergrund zu.
Sowohl die befragte lesbische Bewerberin als auch der befragte schwule Bewerber berichten über ein breites Spektrum an Reaktionen auf ihre Homosexualität in und im Umfeld von Berufungsverfahren: In Einzelfällen erfahren sie bewusste Akzeptanz, aber sie beschreiben auch, dass sie wegen ihrer sexuellen Orientierung nicht in die engere Wahl kamen.
Für Frauen ist es schwer zu differenzieren, ob die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder der Ethnizität erfolgt.
Diskriminierungsfaktor Dual Career
Die Karriere von Paaren erscheint den Befragten in Deutschland sehr schwer möglich, insbesondere wenn gemeinsam Kinder erzogen werden. Positive Erfahrungen mit Dual Career auf der Ebene von Professuren werden aus dem Ausland geschildert. Die meisten Befragten lösen ihr Dual Career-Problem durch Pendeln, wobei Frauen und Männer in den Partnerschaften der Befragten gleich häufig pendeln.
Die Karriere von Partnern findet in Deutschland kaum Berücksichtigung. Das Ausland ist hier weiter.
Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten stehen dem Thema Dual Career positiv gegenüber, konstatieren aber keine Bewegung an den Hochschulen. Die Berufungskommissionsvorsitzenden sehen für sich keine Handlungsspielräume. Die Fixierung auf die Strukturplanung – „Wir stellen uns das künftig so vor, dass wir die Strukturen planen und dann die Personen suchen und nicht umgekehrt” (Berufungskommissionsvorsitzender) – scheint in deutscher Gründlichkeit von vornherein jede Offenheit für das Nutzen von Gelegenheiten, die durch die mögliche Berufung eines Partners oder einer Partnerin entstehen, zu verbauen.
Dies wirkt für Frauen besonders negativ, da keine der interviewten Bewerberinnen, die in einer Partnerschaft leben, über einen nicht erwerbstätigen Partner verfügte, aber es behindert auch die Karrieren von Männern, die egalitäre Partnerschaften in der Wissenschaft leben und für Gleichstellung offen sind. Karrierepaare beschreiben negativ, dass in Deutschland die zweite Person im Dual Career-Modell nicht wie die erste Wahl behandelt wird, sondern entweder ignoriert oder als „irgendwie unterzubringende” Person gesehen wird, auch wenn Partnerin und Partner faktisch gleichwertig qualifiziert sind. Hochschulinterne Regelungen, die Dual-Career-Paare im Zusammenhang mit Berufungsverfahren thematisieren, sind selten.
Im Ausland wird öfter auf beide wissenschaftlichen Partner gleich werbend zugegangen. In Deutschland ist das auf Fakultäten zugeschnittene Berufungsverfahren strukturell ungeeignet: Hochschulleitungen sollten die Fachbereiche, die Bundesländer die Hochschulen und der Bund die Länder konkret und aktiv unterstützen, indem sie die notwendige Flexibilität und finanzielle Unterstützung für Dual Career-Paare bieten.
Das Private gehört als Thema zur Hochschulleitung
Der Stellenwert, den das Private bei der Entscheidung der Berufungskommissionen hat, ist ziemlich hoch. In einem dichten Leistungsfeld werden persönliche Merkmale zum Passfähigkeitskriterium. Frauen fallen durch ihr Geschlecht sowohl direkt als auch indirekt (Alter, Kinder, Dual Career etc.) aus diesem Raster heraus. Das Privatleben sollte insofern in den Berufungskommissionen eine Rolle spielen, als Offenheit für Frauen, mögliche besondere Belastungen und andere Biographien bestehen sollte, von allen anderen Fragen sollten Berufungskommissionen durch die Hochschulleitungen entlastet werden.
Kriterienorientierung und Quoten für die Einladung von Frauen
Zusammenfassend versachlicht es den Auswahlprozess, wenn Kriterien vor der Ausschreibung festgelegt und nicht auf bereits eingegangene Bewerbungen im Nachhinein zugeschnitten oder zu Gunsten von Einzelpersonen im Entscheidungsprozess verschoben werden. Es unterstützt Bewerberinnen, wenn die ganze Breite der Kriterien durchgängig behandelt wird: „Die ganze Wissenschaftspersönlichkeit: Forschung, Lehre, Management und Krankenversorgung”, wie es eine Bewerberin aus der Medizin formuliert.
Alle Kriterien, die fachlichen wie die persönlichen, unterliegen einem Genderbias. Ein Verfahren, das Frauen gezielt einschließt, sollte mit diesen Kriterien dahingehend flexibel umgehen, dass eine mögliche Benachteiligung von Frauen ausgeglichen wird. Einige der Hochschulen, die in die Befragung einbezogen waren, arbeiten mit Quoten zur Einladung von Frauen. Die befragten (männlichen) Kommissionsvorsitzenden problematisierten diese Quote nicht, ganz im Gegenteil, sie berichteten positiv über ihre Bemühungen, Frauen einzuladen. Eine solche verfahrensbezogene Ergebnisquote kompensiert teilweise den unterschwelligen Genderbias, der im Verfahren ansonsten nicht fassbar ist.
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Im letzten Teil des Essays werden Handlungsempfehlungen für Berufungsverfahren vorgestellt.
Als Ruth Moufang 1925 ihr Studium an der Universität Frankfurt begann, so war das für diese Zeit keineswegs außergewöhnlich. Rund 20 Prozent aller Mathematikstudierenden waren weiblich. Doch im weiteren Verlauf ihrer Karriere musste Ruth Moufang erfahren, dass für Frauen in der Wissenschaft doch andere Regeln gelten.
Und obwohl sie später eine bemerkenswerte Karriere machte und schließlich 1951 zur ersten deutschen Mathematikprofessorin berufen wurde, fühlte sie sich als Mathematikerin doch niemals vollkommen akzeptiert.
Start mit Privilegien
Dass Ruth Moufang einmal eine Pionierin der Wissenschaft werden sollte, war zu Beginn ihres Lebens noch nicht abzusehen. Als sie am 10. Januar 1905 in Darmstadt geboren wurde, waren Frauen an den allermeisten Universitäten noch Exotinnen. In Preußen etwa wurde das allgemeine Frauenstudium erst 1908 eingeführt.
Dennoch war Ruth Moufang sicherlich privilegiert: sie wurde in eine bildungsbürgerliche Familie hineingeboren. Ihr Vater Dr. Eduard Moufang war Chemiker und sie erhielt – wie in solchen Familien nicht unüblich – Privatunterricht. Später besuchte sie erst das Lyzeum, dann das Realgymnasium in Bad Kreuznach, wo sie 1924 eine der allerersten Abiturientinnen war.
Ruth Moufangs mathematisches Talent wurde von ihrem Lehrer entdeckt.
Ihre folgende Entscheidung für das Studium der Mathematik und Physik für das Lehramt an höheren Schulen war naheliegend. Ihr Mathematiklehrer W. Schwan hatte ihre Begabung wohl entdeckt und sie hier bestärkt. Außerdem war der Lehrberuf inzwischen auch für Frauen allgemein akzeptiert.
Beginn einer hoffnungsvollen Karriere
So weit kam es aber nicht. Bei ihrem Staatsexamen im November 1929 beeindruckte sie ganz offfenbar Prof. Max Dehn, der Ordinarius an der Uni Frankfurt war. Dieser stellte ihr sofort im Anschluß ein Dissertationsthema – und gerade ein Jahr später promovierte Ruth Moufang mit einer Arbeit „Zur Struktur der projektiven Geometrie der Ebene”. Mit dem Prädikat „magna cum laude” war sie also nun promovierte Mathematikerin – und Prof Dehn lobte in einem Gutachten, dass sie wesentlich „zur Bereicherung unserer geometrischen Einsicht” beigetragen habe.
Hoffungsvoller Anfang: Forschungsstipendien und wohlwollende Kollegen
Von nun an sah alles so aus, als seien die Weichen in Richtung einer akademischen Laufbahn gestellt. Außergewöhnlich zwar, denn Lehraufträge an Universitäten waren dann doch etwas anderes, als die Tätigkeit einer Lehrerin an Oberschulen, aber ihre akademischen Bezugspersonen attestierten Ruth Moufang hervorragende Fähigkeiten.
Sie hatte also – das ist sicher hervorzuheben – Förderer. Sie erhielt Forschungsstipendien, die sie nach Rom und Königsberg führten und publizierte in den Jahren 1931 bis 1934 mehrere wichtige Arbeiten zu den Grundlagen der Geometrie. Hier machte sie sich mit ihren Publikationen zur „Theorie der projektiven Ebenen” einen Namen.
Politik und Ideologie
Doch was so hoffnungsvoll begonnen hatte, geriet nun leider ins Stocken. Die Nürnberger Rassegesetze von 1935 führten zunächst dazu, dass auch dutzende Frankfurter Professoren amtsenthoben wurden. Darunter die Professoren Max Dehn, Ernst Hellinger und Paul Epstein – befreundete Kollegen und Förderer von Ruth Moufang.
Trotz hervorragender Gutachten wird der Antrag auf Erteilung der Lehrerlaubnis abgelehnt.
Im Mai 1936 reichte sie ihre inzwischen fertiggestellte Habilitationsschrift ein. Die Gutachten waren allesamt positiv und bescheinigten ihr die „tiefen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Teilen der Mathematik durchschaut” zu haben. Doch die Lehrerlaubnis, die venia legendia, war zusätzlich an eine weitere „öffentliche Lehrprobe” und eine Erlaubnis des Ministeriums gebunden.
Am 30.9.1936 stellte der Frankfurter Uni-Rektor dann auch folgenden Antrag:
„Es ist das erste Mal, daß sich hier in Frankfurt/M. Eine Frau um eine Dozentur bewirbt. Infolgedessen handelt es sich um eine grundsätzliche Frage, die von dem Herrn Minister entschieden werden muß. Im allgemeinen bin ich der Meinung, daß die Dozentenlaufbahn Männern vorbehalten bleiben sollte. In diesem besonderen Falle muß aber berücksichtigt werden, daß Frl. Dr. Moufang […] eine sehr tüchtige Mathematikerin ist mit einer ausgesprochenen Lehrbegabung. […]”
Obwohl der Rektor noch einige weitere Argumente aufzählte, die – ausnahmsweise! – die Bewilligung der Dozentur für eine Frau rechtfertigen sollten, wurde der Antrag abgelehnt. Im November 1936 erhielt Ruth Moufang den abschlägigen Bescheid, der sie tief enttäuschte.
Ablehnung, Kränkung, Demütigung
Sie sah allerdings – nach Jahren der konsequenten Arbeit auf dieses Ziel hin – keine andere Alternative für sich und wandte sich mit einem Bittschreiben an das Ministerium, in dem sie ihre Situation schilderte. Aber auch damit hatte sie keinen Erfolg. Die Antwort vom März 1937:
„Da dem Dozenten im Dritten Reich außer seinen wissenschaftlichen Leistungen wesentlich erzieherische und Führereigenschaften voraussetzende Aufgaben zufallen und die Studentenschaft fast ausschließlich aus Männern besteht, fehlt dem weiblichen Dozenten künftig die Voraussetzung für eine ersprießliche Tätigkeit.”
Die Hoffnung, ihren Lebenstraum zu verwirklichen, war dahin. Enttäuscht, gekränkt und gedemütigt verließ Ruth Moufang Frankfurt. In Essen konnte sie glücklicherweise in der Forschung der Firma Krupp einsteigen – nicht die Arbeit, die sie angestrebt hatte, aber immerhin konnte sie sich dort mit theoretischer Physik befassen. Und 1942 wurde sie dort sogar zur Abteilungsleiterin befördert.
Wobei sie auch hier Diskriminierungen erlitt: die Abteilungsleiter trafen sich einmal monatlich zu einem Essen. Alle Abteilungsleiter der Fa. Krupp – bis auf sie. Die Abende wurden als „Herrenabende” deklariert.
Rückkehr in die Wissenschaft
1947 wird Ruth Moufang rehabilitiert. Genugtuung, aber nicht das Ende der Demütigungen…
Das Ende des Krieges war für Ruth Moufang eine Erlösung. 1946 zog sie wieder nach Frankfurt. Das dortige Seminar benötigte dringend Unterstützung und am 26.9.1946 erhielt Ruth Moufang nun endlich die venia legendi. Nochmal ein Jahr später – am 19.12.1947 – wurde sie sogar zum außerplanmäßigem Professor ernannt, allerdings ohne Änderung ihres Dienstverhältnisses und ihrer Bezüge.
Erst im Juni 1951 wurde sie dann auch verbeamtet und auf ein Extraordinariat berufen, womit sie die erste deutsche Mathematikprofessorin war.
Und nochmal 6 Jahre später, als sie nach einem aufwendigen Verfahren und unter Anerkennung ihres internationale Reputation wurde sie 1957 zum Ordinarius erhoben. Eine Bilderbuchkarriere – wären da nicht die zehnjährige Unterbrechung und die vielen demütigenden Erlebnisse.
Nobelpreisträgertreffen in Lindau: Abgeschoben ins “Damenprogramm”
Auch als angesehene Wissenschaftlerin mußte Ruth Moufang immer wieder hinnehmen, dass sie aufgrund ihres Geschlechts zurückgesetzt wurde. Sie war etwa in den 1960er Jahren als Direktorin der Mathematischen instituts der Uni Frankfurt und als offizielle Delegierte (!) des Frankfurter Rektors zum Nobelpreisträgertreffen nach Lindau gereist. Dort durfte sie allerdings nicht am wissenschaftlichen Programm teilnehmen – für sie war das „Damenprogramm” reserviert.
Ruth Moufang fühlte sich verständlicherweise durch solche Erlebnisse tief gekränkt. Sie gab später zur Auskunft, dass sie sich niemals richtig akzeptiert gefühlt habe – und zur Feier ihrer Emeritierung zitierte sie den ablehnenden Bescheid des Ministeriums von 1937 aus dem Gedächtnis.
Wie gut, dass ihre Leidenschaft für die Mathematik und ihre Beharrlichkeit sie schließlich doch noch zum Ziel geführt haben. Und doch blieb Ruth Moufang eine bisweilen gedemütigte Frau. Aber auch eine herausragende Mathematikerin.
Im 1. Teil konnte man lesen, wie die Intransparenz der Verfahren die meisten Frauen benachteiligt. Heute schreibt sie, welche Maßnahmen für mehr Chancengleichheit sorgen könnten.
Die Regelungen für Gleichstellung in Berufungsverfahren sind suboptimal
Berufungsverfahren sind langwierige und unübersichtliche Prozeduren, nicht nur für die Bewerberinnen und Bewerber, sondern auch für die Hochschulen. Nur ein Bruchteil aller Hochschulen hat übersichtliche und vollständige Verfahrensregelungen zum Ablauf von Berufungsverfahren erstellt. Dadurch entsteht Verhaltensunsicherheit bei allen Akteurinnen und Akteuren. In solch komplexen „Strukturen” bieten informelle Netzwerke und Traditionen Sicherheit, die aber an Männern als zentralen Akteuren ausgerichtet sind.
Eine übersichtliche Formalisierung des Verfahrens trägt zur Verfahrenssicherheit und Versachlichung bei und fördert damit die Gleichstellung von Frauen und Männern. Dies gilt aber nicht automatisch: Nur wenn Genderaspekte systematisch und durchgängig in die formalen Festlegungen integriert werden, wird Gleichstellung als etwas sachlich Gebotenes wahrgenommen.
Die meisten Berufungsverfahren an den Hochschulen sind blind für Gleichstellungsaspekte.
In den gesetzlichen Regelungen der Bundesländer ist die Gleichstellung in Berufungen unterschiedlich stark verankert. Die Verankerung von Gleichstellungsaspekten in den Hochschulen und die Repräsentanz von Frauen bei Berufungen variiert entsprechend nach Bundesländern erheblich.
In Berufungsordnungen und Berufungsleitfäden der Hochschulen sind Gleichstellungsaspekte sehr uneinheitlich und meist suboptimal verankert. Insbesondere die Anforderungen der Gleichstellungsgesetze der Länder werden nicht aufgenommen. Die Frauenförderrichtlinien der Hochschulen nehmen die gleichstellungsrechtlichen Anforderungen zwar auf, werden aber in zusammenfassenden Leitfäden zu Berufungsverfahren vernachlässigt. In der Regel ist es von der kommunikativen Kompetenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und dem Gender-Commitment der Kommissionsmitglieder abhängig, ob und wie Geschlechteraspekte in Berufungskommissionen behandelt werden.
Eine Formalisierung sollte gute und gleichstellungsorientierte Praxis fördern, indem sie übersichtlich und vollständig alle Rechtsgrundlagen einschließlich des Gleichstellungsrechts aktuell zusammenfasst und Standards für gute Praxis formuliert. Vorgeschlagen werden Leitfäden für die Praxis in Berufungsverfahren, die Geschlechteraspekte durchgängig und prioritär integrieren.
Wenn in den Kommissionen nur Männer sitzen, werden Frauen teilweise abgeschreckt.
Zusammensetzung der Berufungskommissionen verändern
Die Präsenz von Frauen, insbesondere von Professorinnen in Berufungskommissionen und vor allem als Vorsitzende von Berufungskommissionen, ist für die Bewerberinnen sehr wichtig. Sie werden abgeschreckt, wenn sie, was die Regel ist, nur Männern gegenübersitzen. Entsprechende Mindestanforderungen an die Besetzung von Berufungskommissionen finden sich inzwischen in den meisten Hochschulgesetzen und werden auf Hochschulebene konkretisiert, oft aber unzureichend als nicht verbindliche Bestimmung, und in der Praxis nicht umgesetzt.
Die Frauenbeauftragten unterstützen nicht automatisch die Bewerberinnen…
Der Erfahrung der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten nach, unterstützen Frauen in den Berufungskommissionen nicht automatisch Bewerberinnen. Wichtig ist daher, dass über den Frauenanteil hinaus alle Kommissionsmitglieder offen sind für Bewerberinnen und für Gleichstellungsfragen. Eine Genderfortbildung für Berufungskommissionen und Berufungsbeauftragte trägt nur teilweise zur Problemlösung bei. Vielmehr sollten Geschlecht und Gleichstellungsorientierung wichtige Kriterien bei der Zusammensetzung der Berufungskommissionen und bei der Auswahl der Berufungskommissionsvorsitzenden, der Berufungsbeauftragten und der Berichterstatterinnen und Berichterstatter sein.
Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte stärken
Bewerberinnen wünschen sich Präsenz von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten. Trotz der weitreichenden gesetzlichen und hochschulinternen Verankerung der Beteiligung von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sind bei Kommissionsgesprächen viel zu selten Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte zugegen. Diese werden von den Bewerberinnen als Unterstützung und als Ansprechpartnerin für sie als Bewerberinnen verstanden, von beidem wünschen sie sich in der Praxis mehr.
Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten selbst machen unterschiedliche Erfahrungen in Berufungskommissionen, vor allem ist dieser Teil ihrer Arbeit mühsam und anstrengend, zeitaufwendig und konflikthaft – und enttäuschend in Bezug auf die Ergebnisse. Die Wirksamkeit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten hängt auch ab von ihrem Vorwissen über Hochschule als Organisation, über Wissenschaft und über Geschlechterfragen, ihrer Akzeptanz im Fachbereich, ihrer Ausstattung für das Amt, ihren Rechten, ihrer Professionalität und der Möglichkeit der Arbeitsteilung in Teams (z.B. zentrale und dezentrale Frauenbeauftragte, Gleichstellungskommission).
Beteiligung von Externen an Gleichstellung binden
Externe sind in Berufungsverfahren in Deutschland als auswärtige Gutachtende beteiligt, zunehmend werden Externe auch als Kommissionsmitglieder einbezogen. Ihnen kommt eine wichtige Funktion zu: Sie sind Kontrollinstanz, prägen das Verfahren und legitimieren oder korrigieren die Entscheidungen der Kommissionen.
Wenn externe Gutachten vergeben werden, sind häufig männerdominierte Seilschaften im Spiel.
Ihre Funktion nehmen sie als Hochschulexterne wahr, fachlich sind sie umso interner: In kleinen Fächern oder Spezialgebieten ist der deutschsprachige Raum so klein, dass es keine Unabhängigkeit von Karrierenetzwerken gibt, auch in großen Fächern strukturieren solche Netzwerke die nationalen wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Sowohl die Vergabe von Gutachten als auch von Positionen für externe Kommissionsmitglieder sind entlang dieser informellen Seilschaften strukturiert und von Männern dominiert. Der Stellenwert Externer ist daher aktuell teilweise überhöht.
Zentral für die Gleichstellung ist, dass bei Externen auf einen hohen Frauenanteil geachtet wird. Nur wenige Hochschulen sehen Regelungen zur Einbeziehung weiblicher Gutachterinnen vor. Einige Hochschulen regeln, dass externe Wissenschaftlerinnen zur Erfüllung des Frauenanteils bei der Besetzung von Berufungskommissionen herangezogen werden sollen. Bisher legen erste Kodizes für Gutachten und externe Kommissionsmitglieder Standards über deren Unabhängigkeit von den Kandidaten und Kandidatinnen fest. Hier bedarf es auch ethischer Standards zur Nicht-Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und geeigneter Sanktionsinstrumente.
Geschlechteraspekte in Gutachten offen legen
Sowohl Externe als auch die Berufungskommissionen verfassen in Berufungsverfahren vergleichende Gutachten über die Bewerberinnen und Bewerber. Selten sind Anforderungen an die Erstellung von Gutachten hochschulintern geregelt. Die Gutachten sollen in Zukunft stärker als in der Vergangenheit an den Auswahlkriterien für die Stelle orientiert werden, was den Prozess transparenter machen, versachlichen und damit Diskriminierungen reduzieren soll.
Auch die Rolle von Gutachten muss hinterfagt werden. Hier gilt: mehr Transparenz.
Vergleichende Gutachten sind für diejenigen, die die Gutachten schreiben, ein schwieriges Austarieren zwischen expliziten Kriterien, die offen gelegt werden können, und impliziten Kriterien und Begründungszusammenhängen, die z. B. einer gerichtlichen Prüfung im Rahmen einer Konkurrentenklage oder der „stillen Post” in der wissenschaftlichen Fachgemeinschaft nicht standhalten würden.
Gutachten sind demnach auf die Außenwahrnehmung hin zugeschnittene Abbildungen eines komplexen Abwägungsprozesses. Für die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte bieten Gutachten wenige Ansatzpunkte für eine Analyse von unterschwelligen Diskriminierungen. Externe Gutachten sind entweder offen angelegt, dann schlagen sie beispielsweise ganz verschiedene Reihungen vor, oder sie sehen sehr homogen aus, als seien sie informell bestellt. Gutachten können so vergeben werden, dass das Ergebnis beeinflussbar ist. Vereinzelt haben Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte das Recht weitere Gutachten zu verlangen, um benachteiligenden Auswahlentscheidungen entgegenzuwirken.
Die Empfehlung des Wissenschaftsrates, Gutachten zur Feststellung der Berufbarkeit und nicht zur Bestätigung einer Listenplatzierung zu verwenden (Wissenschaftsrat 2005), würde das Gutachtenwesen öffnen. Offene Gutachten, so die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, erleichtern ihre Arbeit in den Kommissionen. Gutachten sollten insgesamt in Berufungsverfahren einen wichtigen, aber keinen zu hohen Stellenwert erhalten. Gutachten sollten den Bewerberinnen und Bewerbern zur Einsicht zur Verfügung gestellt werden, wie in Skandinavien, dies bietet mehr Transparenz gegenüber den Bewerberinnen und Bewerbern und reduziert die informelle Macht von Karrierenetzwerken.
Auswahlkriterien verändern
Der Zeitpunkt der Festlegung, die Verbindlichkeit und der Gehalt von Auswahlkriterien entscheidet wesentlich über die Chancen von Frauen in Berufungsverfahren. Häufig fehlen entsprechende Regelungen in den hochschulinternen Verfahrensregelungen.
Auswahlkriterien früher festlegen und stringent berücksichtigen
Der Zeitpunkt der Festlegung der Auswahlkriterien ist ein besonders kritischer Aspekt: In der Praxis werden die Auswahlkriterien in den Berufungskommissionen oft festgelegt, wenn die Bewerbungen vorliegen. Dieses Vorgehen benachteiligt Frauen, weil sie seltener als Männer in den Kommissionen über professorale unterstützende Fürsprecher verfügen, die ihnen die Kriterien entsprechend anpassen.
Die (Vor-)Entscheidung für bestimmte Bewerber fällt manchmal schon bei der Festlegung der Auswahlkritierien für die Professur…
In der ersten Runde der Auswahl wird oft anhand zählbarer, messbarer Kriterien entschieden, wie Habilitation (ja/nein), Lebensalter, Zahl der Publikationen bzw. Impact-Faktor, Volumen der Drittmittel, Reputation der Drittmittelgeber, Lehrerfahrung (ja/nein). Erst später werden die Kriterien differenziert betrachtet und dabei teilweise wesentlich modifiziert. Viele Frauen fallen in der ersten Runde heraus und hätten später doch ganz gut gepasst. Bewerberinnen werden teilweise gerade dann nicht eingeladen, wenn sie genau passen, um Favoriten nicht zu gefährden.
Eine Kommissionsvorsitzende beschreibt die flexible Kriterienfestlegung so, als würde eine Uhr im Laufe des Verfahrens so lange justiert, bis der Zeiger auf den Wunschkandidaten steht.
Die Kriterien sollten daher mit dem Verfahren zur Freigabe der Stelle und der Ausschreibung im Wesentlichen festliegen. Als Gleichstellungsmaßnahme werden u. a. eine Sondierung des potenziellen Bewerberinnenfeldes vor der Stellenfreigabe und eine Berücksichtigung der Ergebnisse beim Stellenzuschnitt vorgeschlagen, die in der Praxis kaum stattfindet.
Die Habilitation gilt nach wie vor als festes Kriterium
Die Habilitation gilt trotz anderer rechtlicher Regelungen nach wie vor als ein Hauptkriterium bei der Berufung, dies ergaben alle Interviews mit Berufungskommissionsvorsitzenden – mit Ausnahme der Ingenieurwissenschaften – an Universitäten und Fachhochschulen! Gleichwertige Leistungen werden meistens in den Interviews nicht einmal genannt. Das Kriterium Habilitation benachteiligt Frauen, das wird von den Berufungskommissionsvorsitzenden kaum problematisiert.
Genderbias von Publikationen und Drittmittelvergabe berücksichtigen
Sowohl Publikationen als auch Drittmittel unterliegen einem Genderbias. Beide Kriterien werden in der Praxis der Berufungskommissionsarbeit dennoch häufig als quantitatives Kriterium eingesetzt. Die Verwendung bibliometrischer Daten z. B. im Impact-Faktor wird von Berufungskommissionen nur vereinzelt als Frauen benachteiligend problematisiert.
Die Länge der Publikationsliste und die Summe der eingeworbenen Drittmittel sind keine “neutralen” Maßstäbe.
Auch das Volumen der Drittmittel und die Geldgeber sind entscheidende Faktoren bei Berufungen, ohne dass der erschwerte Zugang von Frauen zu Drittmitteln den Kommissionen bewusst ist. Selten benennen hochschulinterne Verfahrensregelungen aus dieser Quantifizierung folgende Benachteiligungen von Bewerberinnen.
Eine weitere Benachteiligung entsteht durch die Gewichtung von quantitativen Kriterien: Einige Frauen mit umfangreichen Publikationsrecords beschreiben, dass bei ihnen die Quantität gar nicht gewertet wird, weil ihr Thema oder ihre Publikationsorgane marginalisiert werden.
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Im dritten Teil schildert Christine Färber, wie die Faktoren Geschlecht, Familie und Privatleben in subtiler Weise diskriminierend wirken.
Frauenförderung und Gleichstellung sind gesetzliche Aufgaben der Hochschulen, doch bei den Professuren hat der Frauenanteil erst vor kurzem die 10%-Marke überwunden. Deutschland ist hier im Vergleich zum europäischen Ausland und Nordamerika besonders rückständig.
Ein Grund für die Unterrepräsentanz liegt in der verfahrensmäßigen Gestaltung von Berufungen, wie die hier zusammenfassend vorgestellte Studie zur Berufungspraxis an deutschen Hochschulen zeigt.
Berufungsverfahren an deutschen Hochschulen – eine komplexe Angelegenheit
Berufungsverfahren an deutschen Hochschulen sind komplizierte Auswahlprozesse für wissenschaftliche Führungskräfte. Durch Hochschulgesetze sowie Satzungen bzw. Ordnungen der Hochschulen wird für Berufungsverfahren ein rechtlich verbindlicher Rahmen gesetzt.
Das Projekt analysierte im Jahr 2006 den Stand der Verankerung von Gleichstellungsaspekten auf der gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungsebene. Grundlage war eine Vollerhebung der Berufungsordnungen und Leitfäden sowie der gleichstellungsbezogenen Regelungen der Hochschulen in Deutschland, der Hochschul- und Gleichstellungsgesetze sowie der Umsetzungsverordnungen und -empfehlungen der Länder. Überprüft wurden Vollständigkeit, Tiefe und Breite der Verankerung von Vorgaben zur Gleichstellung in den Steuerungsinstrumenten der Länder und der Hochschulen.
Für die Studie wurden Interviews mit Mitgliedern von Berufungskommissionen, Gleichstellungsbeauftragten und Bewerberinnen um Professuren geführt.
Die auswählenden Akteure in Berufungsverfahren, vor allem die Berufungskommission und die Hochschulorgane, haben sehr weit reichende Handlungsspielräume. Zur Praxis in Berufungsverfahren wurden daher 42 Frauen und Männer in einer qualitativen Interviewstudie befragt.
Für die Erschließung der Gleichstellungsperspektive der Auswählenden wurden 9 Berufungskommissionsvorsitzende sowie 13 Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragte von Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland interviewt. Interviews mit 15 Bewerberinnen und 5 Bewerbern, darunter 3 Wissenschafts-Karrierepaaren, auf Professuren erfassen geschlechterdifferenziert die Perspektive derjenigen, die in Berufungsverfahren auf ihre Eignung überprüft werden.
Im Ergebnis zeigte sich, dass Berufungsverfahren in Deutschland sowohl in Bezug auf die Verfahrensregelungen als auch durch das Verfahrensmanagement, also die konkrete Ausgestaltung der Verfahren, verbessert und gleichstellungsorientiert gestaltet werden müssen.
Umgang mit Bewerberinnen und Bewerbern wirkt geschlechterdifferenziert.
In Berufungsverfahren wird Ungleichbehandlung spürbar.
Viele Wissenschaftlerinnen fühlen sich in Berufungsverfahren unangemessen behandelt, für Wissenschaftler gilt dies zwar auch, aber nicht in der gleichen Schärfe. Oft treten Berufungskommissionen in Deutschland qualifizierten Wissenschaftlerinnen abwertend und desinteressiert entgegen. Vor allem der Ablauf und die Kommunikation im Verfahren erscheint Frauen teilweise „extrem verletzend” oder „empörend”, Männer greifen eher zu strukturellen oder sportlichen Erklärungen wie „ich war jung”, „da haben sie den Bogen ein bisschen überspannt”.
Teilweise treten Berufungskommissionen den Bewerberinnen mit Desinteresse entgegen.
Frauen trifft die schlechte Behandlung durch Berufungskommissionen anders und härter, auch weil sie diese stärker wahrnehmen. Sie beschreiben sich selbst als abhängiger von der Stimmung in der Kommission, wobei sie nicht „mit dem Wellnessfaktor der Bewerberinnen” (Bewerberin) argumentieren. Abwertender Umgang, aber auch unpersönliches Verhalten verunsichern die befragten Wissenschaftlerinnen stärker. Sie suchen das Problem anders als die befragten Bewerber auch bei sich selbst. Der Umgang mit Bewerberinnen und Bewerbern in Berufungsverfahren bewirkt damit, ohne direkt diskriminierend zu sein, Marginalität und Exklusion insbesondere von Frauen.
Bewerberinnen erhalten im Ausland größere Chancen
Die interviewten Bewerberinnen erhielten im Ausland früher in ihrer Karriere und insgesamt mehr Angebote für Professuren als in Deutschland. Im Ausland begegnen Berufungskommissionen ihnen als Frauen mit einer größeren Selbstverständlichkeit, ihnen werden für eine Karriere mit dem Partner bessere Bedingungen geboten. Wenn sie dennoch in Deutschland bleiben, sind die Familie, der Beruf des Partners sowie das lebenswertere soziale und kulturelle Umfeld die Gründe, nicht das Wissenschaftssystem.
Je intransparenter die Verfahren, desto stärker profitieren Männer. Und: Frauen sind zu wenig vernetzt.
Intransparenz fördert informelle Netzwerke – und damit Männer
Für Bewerberinnen und Bewerber sind Berufungsverfahren in Deutschland intransparent, gute Beispiele gibt es im Ausland und nur in Ausnahmefällen aus Deutschland. Intransparenz wirkt geschlechterdifferenziert: Die meisten Bewerberinnen beschreiben sich selbst als nicht ausreichend vernetzt, um wichtige informelle Informationen über den Stand von Verfahren zu erhalten.
Doch nicht nur die Selbstwahrnehmung der Vernetzung ist anders: Frauen verfügen über weniger informelle Informationen als Männer, sie sind faktisch schlechter informiert. Frauen gegenüber werden informelle Informationen als Macht- und Ausgrenzungsinstrument genutzt. Intransparenz und ein Mangel an offener Information in Berufungsverfahren benachteiligen damit Frauen erheblich.
Die Kommissionsvorsitzenden müssen das Bewerbungsmanagement leisten. Mit dieser Aufgabe sind sie teilweise überlastet. Gute Information setzt eine professionelle Unterstützung der Vorsitzenden voraus.
An den Hochschulen ist ein Kulturwandel notwendig.
Vor allem aber ist ein Kulturwandel an den Hochschulen notwendig: Denn einige Berufungskommissionsvorsitzende und auch Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte werden oft in der Hochschule informell oder sogar offiziell aufgefordert, keine Informationen herauszugeben, teilweise mit der Begründung das Wichtigste sei, keine Konkurrentenklage hervorzurufen. Bewerberinnen und Bewerber werden so von den Hochschulen intentional und entgegen bestehender Informationsrechte nicht informiert.
Es ist notwendig, dass den Bewerberinnen und Bewerbern gegenüber Struktur und Ausstattung der Stelle, Auswahlkriterien, Zeitpläne, Auswählende, Mitbewerberinnen und Mitbewerber, Gutachten und Auswahlentscheidungen, über ihre Informationsrechte und Informationsmöglichkeiten in Berufungsverfahren, transparent gemacht werden.
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Im nächsten Teil des Essays wird dargestellt, welche strukturellen Aspekte des Berufungsverfahrens die Chancenungleichheit zementieren. Und es werden verschiedene Verbesserungsvorschläge skizziert.
“Je mehr Frauenzimmer höhere Schulen besuchen, um so mehr steht die Männlichkeit der Studenten in Gefahr, insoferne als sie vor lauter Rücksichten gegen das weibliche Geschlecht zu duldenden Eunuchen werden. Derjenige Staat, in dem die Weiber professions- oder sportmäßig in die politischen und wissenschaftlichen Berufe hineinpfuschen, ist dem Untergange geweiht, dafür liefert die Geschichte Beispiele.
Die Männer haben ohnehin unter sich genug oder schon zu viel Konkurrenz, also können sie die weibliche Konkurrenz nicht mehr brauchen … Die Ausbreitung des Frauenstudiums ist ein gemeingefährlicher Unfug, die Frau hat vermöge ihrer natürlichen Veranlagung und Bestimmung nicht den Beruf des Mannes, … Die Frauen gehören nicht in die Hörsäle der Hochschulen und ins Gymnasium.”
So war am 18. Januar 1900 in der “Neuen Bayerischen Landeszeitung” zu lesen. Heute, über 100 Jahre später, nehmen wir solche Einlassungen irritiert oder schmunzelnd zur Kenntnis. Wenn heute über Hochschulen geredet wird, dann geht es um Internationalisierung, Exzellenzinitiativen und die Sicherstellung der Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der Universitäten.
Dabei gerät häufig in Vergessenheit, dass Frauen innerhalb des Wissenschaftssystems noch immer deutlich benachteiligt sind.
Gleiche Chancen in Wissenschaft und Forschung?
Denn obwohl die Bildungsexpansion der 60er und 70er Jahre und die Bemühungen um Chancengleichheit in Erziehung und Bildung dazu geführt haben, dass Mädchen längst die besseren Schulabschlüsse mit nach Hause bringen.
Die Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen in der Wissenschaft ist eine Zukunftsfrage.
Und obwohl auch die Studentinnen längst genauso erfolgreich die Seminare und Abschlußprüfungen der Universitäten bewältigen, wie ihre männlichen Kommilitonen, sind Wissenschaftlerinnen in Forschung und Lehre nach wie vor unterrepräsentiert.
Das weibliche Potenzial für die Wissenschaft nutzen
Insider reklamieren seit langem: das weibliche Potenzial in der Wissenschaft wird bei weitem nicht ausgeschöpft. Und zwar in sträflicher Weise. Denn schließlich wird die Zukunftsfähigkeit des Wissenschaftssystems ganz grundsätzlich auch davon abhängen, ob es uns gelingt junge, begeisterte Wissenschaftlerinnen für einen Karriereweg innerhalb der Wissenschaft zu begeistern.
Allzu oft stoßen Forscherinnen an “gläserne Decken” – auf dem Karriereweg bis zu den Spitzenpositionen gibt es unnötig viele Hindernisse.
Und – das ist das Entscheidende – die Zukunft der Wissenschaft hängt davon ab, ob es uns gelingt, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass diese Karrierewege auch zum Ziel (etwa zur Professur) führen, ohne dass die Forscherinnen zuvor an “gläserne Decken” stoßen und resigniert aufgeben.
Die Herstellung einer wirklichen wissenschaftlichen Chancengleichheit ist folglich eine unserer größten Herausforderungen.
Start des Weblogs “For Women in Science”
Im Weblog “For Women in Science” werden wir in den nächsten Wochen versuchen, die Situation von Frauen in der Wissenschaft aus möglichst vielen Blickwinkeln zu beleuchten. In Gastbeiträgen analysieren renommierte Expertinnen und Experten verschiedene Aspekte der Thematik. In Interviews kommen herausragende Wissenschaftlerinnen selbst zu Wort und berichten über ihre Erfahrungen.
Analysen, Essays, Interviews & Porträts – viele Facetten zur Situation von Frauen in der Wissenschaft
Außerdem werden in kurzen Porträts bemerkenswerte Wissenschaftlerinnen vorgestellt. Und schließlich geben auch die deutschen Preisträgerinnen des Förderprogramms “For Women in Science” einen Einblick in ihren Forscherinnenalltag. Und am 29. September wird die diesjährige Preisverleihung des Förderprogramms im Mittelpunkt stehen, mit dem die UNESCO gemeinsam mit L’Oréal und der Christiane Nüsslein-Volhard-Stiftung seit 2006 die Arbeit von herausragenden Wissenschaftlerinnen unterstützt.
Bis dahin erhoffen wir uns viele anregende Diskussionen rund um die Situation von Frauen in der Wissenschaft. Und vielleicht ergeben sich ja auch in und über diesen Weblog auch Antworten, wie die Weichen gestellt werden müssen, um die Zukunftsfähigkeit der Wissenschaft unter der Bedingung der Geschlechtergerechtigkeit sicherzustellen.
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