Der Schüler-Aktionsbund “Schulaction” hat an der Berliner Humboldt-Universität für die Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems und die Lektüre von Karl Marx geworben – und bei der Gelegenheit mal so richtig die Sau rausgelassen.

SPIEGEL-TV liefert einige Einblicke in die rüpelhafte, gewalttätige Aktion, die offenbar leider (mal wieder) ohne schwerwiegende juristische Folgen bleiben dürfte:

Ein Trauerspiel. Warum dieses Klientel für die Einführung der “Einheitsschule” und natürlich die Abschaffung des furchtbaren “Leistungs- und Notendrucks” eintritt, wird angesichts dieser Bilder schnell klar: Nur in einer Einheitsschule ohne jedwede Benotung haben solche Chaoten und Randalierer überhaupt die Chance auf einen anerkannten Abschluss. Der gut organisierte Krawall ist nur ein kleiner Baustein in einer Kampagne, mit der offensichtlich erreicht werden soll, dass Niveau und Leistungsziele an unseren Schulen systematisch nach unten gedrückt werden, um leistungs- und lernunwilligen Krawallmachern einen bequemen Abschluss zu ermöglichen.

Die Schülerinnen und Schüler von “Schulaction” sind genau der Grund dafür, warum viele Menschen (mich eingeschlossen) bei dem Gedanken an Gesamtschulen Bauchschmerzen bekommen. Die im SPIEGEL-Video erwähnte “universitäre Ausstellung”, die von den Mob angezündet wurde, ist übrigens Teil eines Projekts zum Thema “jüdisches Unternehmertum in Berlin”, womit nochmal deutlich unterstrichen wäre, wie viel Bildungseifer wirklich in diesen Randalierern steckt.

Wer universitäre Einrichtungen beschädigt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (sowie natürlich die Studenten) einer der besten Bildungseinrichtungen dieses Landes belästigt und körperlich bedroht, der kann dies nicht unter dem Vorwand tun, sich für “mehr Bildung” und “gerechtere Schulen” zu engagieren. Eine absolut widerwärtige und grenzenlos dämliche Aktion, für die mir jegliches Verständnis fehlt – obwohl vor allem den Wortführern “mehr Bildung” sicherlich nicht schaden würde…

Solche “Schüler” sind eine Schande für jedes Schulsystem – ob dreigliedrig oder nicht.


Danke an Philipp für den Hinweis auf dieses Trauerspiel.

Kommentare (31)

  1. #1 Thilo
    13. November 2008

    Bist Du sicher, daß das keine Gymnasiasten waren? Wäre ja immerhin möglich.

    Apart from that verstehe ich die Einordnung bei “Naturwissenschaften” nicht.

  2. #2 Chris
    13. November 2008

    Hm, also da haben Schüler demonstriert. Eine Gruppe der Schüler hat deutlich übertrieben, sich def. strafbar gemacht und natürlich direkt die Medien hinter sich gehabt.
    (Warum waren die Kameraleute vor der Polizei da?)
    Und weil man von dieser Gruppe natürlich auf alle zurückschliessen kann, sind alle Demonstranten aus Gesamtschulen und würden auf anderen Schulen keinen Abschluss kriegen??? Die Logik ist etwa so sinnvoll wie die Behauptung:
    Bei der CDU haben alle Schwarzgeldkonten für Spenden und stehen auf Saumagen.
    Reg Dich mal ab und lies noch mal in Ruhe, was Du da geschrieben hast….

  3. #3 Georg Hoffmann
    13. November 2008

    OK, ok. Erstmal hast du natuerlich Recht.
    Dann aber
    1) Waren wir ja alle mal jung und ich (so erinnertye mich kuerzlich ein Beitrag Thilos zur Ruhruni) war mal auf einer Protestveranstaltung gegen das Erscheinen von John McNamara an “meiner” Uni. Finde ich jetzt ehrlichgesagt auch nicht mehr sooo noetig, dagegen mal protestiert zu haben.
    2) Haben wir mal eine Schneeballschlacht in unserer Klasse an der Schule (Abi-Jahrgang) gemacht und damit unsere Deutschreferentin zum Weinen gebracht.
    ETC
    Kurz, ich wuerde jetzt nicht sofort den Stab ueber alle brechen, die da aufgetaucht sind. Canettis “Masse und Macht” lehrt uns, dass wir alle anthropologisch fuer solche Sachen anfaellig sind.

    Anyhow, nochmals du hast Recht. Insbesondere eine Ausstellung zu Progrom und Verfolgung von Juden in Deutschland bei so einer “Demo” niederzutrampeln ist schon ziemlich mies. Selbst wenn sie es wahrscheinlich gar nicht gemerkt haben…

  4. #4 Christian Reinboth
    13. November 2008

    @Thilo: Dass in der Gruppe von rund tausend (!) Randalierern viele Gymnasiasten waren, halte ich für eher unwahrscheinlich. Wenn ja, wäre die Bildungsmisere noch viel größer als ich es für möglich halten würde. Was die Kategorie betrifft – da gab es leider keine, die 100%ig gepasst hätte…

    @Chris: Alles nicht so schlimm? Wäre da eine Truppe Neonzis durch die Uni gestürmt und hätte die Ausstellung zu “jüdischem Unternehmertum in Berlin” niedergetrampelt und die Schaukästen angezündet, wäre das Verständnis dafür jetzt sicher nicht so groß – und dann würde auch niemand ein Problem damit sehen, vom Verhalten der Täter auf die Einstellung der restlichen “Aktivisten” zu schließen. Bloss weil die Randalierer satt Glatze einen Irokesenschitt tragen, werden Gewalt und Bedrohung dadurch nicht weniger schlimm.

    Mal ganz abgesehen davon hat die Humboldt-Uni mit dreigliedrigem Schulsystem und Notendruck nichts und wieder nichts zu tun – die Verantwortlichen hierfür sitzen woanders. Wäre der Randalierertrupp durch die Büroräume der Wiedemeier-Kommuniktion gezogen, würdest Du die Sache sicherlich auch anders beurteilen. Hier wurde einer wissenschaftlichen Einrichtung ohne Grund höchstwahrscheinlich ein Schaden von mehreren zehntausend Euro zugefügt – sowas kann und darf es nicht geben.

    @Georg Hoffmann: Ich war ja auch mal jung und habe ganz sicher nichts gegen Demos und Protest. Ich würde aber eine friedliche Demo oder sogar eine Schneballschlacht nicht mit dem Zertrümmern einer Ausstellung über die Reichskristallnacht und schweren Sachbeschädigungen gleichsetzen. Das eine ist entschuldbar, das andere nicht.

    @Alle: Ich hatte ja auch erst vermutet, dass die Berichte übertrieben sind. Aber wenn ich lese, was der SPIEGEL heute dazu schreibt…

    In der Hauptstadt hatten sich nach einem Demonstrationszug in Mitte rund 5000 Schüler zu einer Kundgebung versammelt. Von dort drangen bis zu tausend jugendliche Demonstranten in die Universität ein. Bei den gewalttätigen Ausschreitungen seien “Teile des Hauptgebäudes stark in Mitleidenschaft gezogen worden”, teilte die Hochschule mit.

    Die Randalierer drangen auch in den Senatssitzungssaal im ersten Stock ein, in denen gerade Manager zum Thema Patentschutz an Hochschulen tagten. Manche Eindringlinge trugen Sonnenbrillen und Kapuzen, einige kletterten auf die Fenstersimse. Jemand rief: “Nehmt euch, was euch gehört.” Die Demonstranten rissen nach Angaben von Augenzeugen Papiere von den Tischen, zerschlugen Gläser, ein Laptop wurde gestohlen. “Meine Unterlagen sind alle weg”, sagt eine Teilnehmerin. “Als es immer voller wurde, hatte ich doch Angst und habe versucht, die Treppe runterzukommen. Aber es war einfach zu voll.”

    Über die Beschädigungen der Ausstellung zu den Berliner jüdischen Unternehmen in der NS-Zeit war Projektleiter Christoph Kreutzmüller vom Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Humboldt Universität betroffen: “Ich musste schon schlucken, als ich das gesehen habe”. Er habe nach den Krawallen eine Führung gemacht – man lasse sich nicht unterkriegen. Mit den Besuchern ist er vorbeigegangen an den großen Schwarzweißfotos aus den dreißiger Jahren, die zerstörte jüdischen Geschäfte zeigen. Ob die Randalierer wahrgenommen haben, dass es um die Verfolgung von Juden geht? “Ich hoffe nicht”, sagt Kreutzmüller. Er wolle das nicht vergleichen. Aber “gespenstisch” sei es schon, sagt eine Mitarbeiterin der Ausstellung.

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,590095,00.html

    Ich finde das einfach nur schlimm – hier wird eine tolle Bildungs- und Forschungseinrichtung vollkommen sinnlos zum Ziel einer gewalttätigen Ausschreitung – so etwas regt mich maßlos auf. In der Morgenpost war sogar zu lesen, die Mitarbeiter der Uni hätten sich in den Gängen schützend vor die Büsten und Bilder gestellt, um wenigstens die wertvollsten Stücke zu retten. Zum dank dafür wurden sie aus Feuerlöschern besprüht und übel beschimpft.

    Wem können solche Zustände wirklich gefallen? Durch was sind sie zu entschuldigen?

  5. #5 Sil
    13. November 2008

    Mann bin ich alt geworden.
    Ich habe keinerlei Verständnis für solche Gewaltausbrüche.

    Die Dreigliederung der Schule nach der vierten Klasse finde ich allerdings ungerecht und kastenbildend.

  6. #6 Thilo
    13. November 2008

    Nun, vielleicht hat es einen Grund, daß der Artikel in keine der scienceblogs-Kategorien paßt. (In die Politik-Kategorie paßt er auch nicht, da stimme ich zu.)

    Ehrlich gesagt finde ich die pathetischen Klagen überflüssig, weil sich in der Ablehnung der Aktion ja natürlich alle einig sind.

    Nur eben die Verknüpfung des Themas mit dem Gesamtschul-Thema ist einfach billige Propaganda. Man kann von Gesamtschulen halten was man will, dafür oder dagegen sein. Aber bei der Demonstration in Berlin ging es nicht vorrangig für oder gegen das dreigliedrige Schulsystem. (Genauer: diese Frage kam erst an 7. Stelle unter den 15 Forderungen.) Und die Behauptung, daß es sich bei den Randalierern um Gesamtschüler handelt, ist frei erfunden. In keinem der Presseberichte gab es eine Aufschlüsselung nach Schultypen. (In Berlin gibt es übrigens nur sehr wenige Gesamtschulen, in manchen Stadtbezirken gar keine.) Normalerweise würde man bei einer solchen Veranstaltung mit einer Mehrheit an Gymnasiasten rechnen, aber ich weiß natürlich nicht, ob das bei dieser konkreten Demo (und speziell den Vorfällen an der HU) auch so war.

  7. #7 Hans
    13. November 2008

    Wie Helmut Maucher schon vor über 10 Jahren sagte: „Wir haben einen gewissen Prozentsatz an Wohlstandsmüll in unserer Gesellschaft. Leute, die entweder keinen Antrieb haben, halb krank oder müde sind, die das System einfach ausnutzen.“

  8. #8 Sil
    13. November 2008

    Gesamtschulen könnten einiges zur Chancengleichheit beitragen.
    Allerdings schreibe ich das als jemand, der in einem eher ländlichen Raum wohnt.
    Wir könnten z.B. viel kürzere Schulwege haben, wenn wir Gesamtschulen hätten.

    Wie ich reden würde, wenn ich in einer Großstadt in einem Problemstadtteil wohnen würde, steht auf einem anderen Blatt.

  9. #9 Christian Reinboth
    14. November 2008

    @Thilo: Wo bitte habe ich denn geschrieben, dass es sich bei den Randalierern um Gesamtschüler handelt? Oder meinst Du etwa den Satz: “Die Schülerinnen und Schüler von “Schulaction” sind genau der Grund dafür, warum viele Menschen (mich eingeschlossen) bei dem Gedanken an Gesamtschulen Bauchschmerzen bekommen.”?

    Der bezog sich doch lediglich darauf, dass besagte Schüler für Gesamtschulen demonstriert haben, nicht dass sie von solchen kommen – und dass ebenjene Schüler tatsächlich genau der Grund dafür sind, dass ich das Gesamtschul-System für nicht tragfähig halte, weil man eben alle (inklusive diese) Schüler in einer gemeinsamen Umgebung pädagogisch betreuen müsste.

    Von daher ist die Verknüpfung keineswegs “billige Propaganda” – die Demonstranten selbst haben diesen Zusammenhang mit ihren Forderungen doch erst hergestellt.

  10. #10 Chris
    14. November 2008

    @Christian
    Alles nicht so schlimm
    Wer hat das denn gesagt? Ich nicht! Niemand will diese Aktion in irgendeiner Weise rechtfertigen.
    Ich bekomme lediglich ein sehr ungutes Bauchgefühl, wenn von einer Randgruppe auf die gesamte Demo zurückgeschlossen wird. Und wie im Spiegel Beitrag auch gesagt wurde, haben (auch) Schüler selbst die Feuer wieder gelöscht.
    Nochmals: Niemand will die verteidigen. Aber der verlinkte Eintrag und auch Dein Artikel haben doch etwas sagen wir mal missverständliche Elemente.

  11. #11 Thilo
    14. November 2008

    @ Christian:

    Ich kann Deiner Logik schlicht nicht folgen. Jetzt sagst Du also nicht behauptet zu haben, daß es sich bei den Randalierern um Gesamtschüler handelt. Zwei Sätze später sagst Du dann aber, daß man auf einer Gesamtschule diese Schüler (gemeint sind ja wohl die Randalierer) gemeinsam mit den anderen betreuen müßte. Also willst Du offensichtlich doch den Eindruck erwecken, daß es sich bei denen nicht um Gymnasiasten handelt.

    Ich will Dir ja Dein Bild vom humanistisch gebildeten deutschen Abiturienten nicht kaputt machen. Aber die Erfahrung zeigt: wenn irgendwo unter politischen Vorwänden randaliert wird (ob das jetzt die RAF in den 70ern betrifft oder meinetwegen die Studentenproteste gegen jüdische Professoren in den 30ern), dann schützt Bildung jedenfalls nicht vor Brutalität. Insofern ist die Vermischung der Vorfälle hier mit der Debatte über das Schulsystem schlichter Unsinn. In politischen Diskussionen mögen solche Argumentationsmuster üblich sein, aber wissenschaftlich ist das jedenfalls nicht.

  12. #12 Christian Reinboth
    14. November 2008

    @Thilo: Ich begreife ehrlich gesagt den Vorwurf nicht: Ich habe in der Tat nicht behauptet, dass es sich um Gesamtschüler handelt (das wäre angesichts des Ziels der Demonstration – Einführung der Gesamtschule – auch eher unwahrscheinlich). Weiterhin nehme ich an, dass es sich auch nicht um Gymnasiasten handelt. Warum sich dies logisch ausschließen sollte, erschließt sich mir nicht. Wenn es (a) keine Gesamtschüler und (b) keine Gymnasiasten sind, bleiben immerhin noch drei Schulformen übrig. Dass es keine Gymnasiasten sind, halte ich für sehr wahrscheinlich, es bleibt aber natürlich eine Vermutung meinerseits, daher kann ich an dieser Stelle nur die Gegenfrage stellen, auf welche Schulform Du tippen würdest.

    Zum Vorwurf, dass eine Vermischung der Vorfälle mit der Debatte um das Schulsystem nicht zulässig ist, kann ich nur noch mal unterstreichen, dass es sich bei dem “Vorfall” um eine außer Kontrolle geratene Demonstration gehandelt hat, bei der es eben genau um diese Schulsystem-Debatte ging. Von daher wird diese Assoziation nicht von mir erfunden oder an den Haaren herbeigezogen, sie ergibt sich allein schon aus dem zugrundeliegenden Sachverhalt. Wenn es bei einer Demonstration um das Thema “X” zu Radale kommt, muss es hinterher doch wenigstens möglich sein, bei einer Betrachtung der Randale auch auf das Thema “X” Bezug zu nehmen. Die mangelnde Logik kann ich hierbei nicht erkennen.

    @Chris: Was den Vorwurf betrifft, ich wolle von einer Randgruppe auf alle Demonstranten schließen: Laut dem Bericht der BM haben sich an der Besetzung der Universität von knapp 5000 Demonstanten mehr als 1000 beteiligt. Von einer kleinen Minderheit würde ich also nicht sprechen wollen, auch der Veranstalter hat sich bis jetzt nicht für die Schäden entschuldigt oder die Ausschreitungen verurteilt.

  13. #13 Chris
    14. November 2008

    Ich zitiere mal aus diesem Artikel der Berliner Morgenpost.

    Niklas Wuchenauer, Sprecher der Berliner Initiative „Bildungsblockaden einreißen“, die zu der Demonstration aufgerufen hatte, distanziert sich von den Zerstörungen. Es sei bedauerlich, dass die Taten von etwa 20 Personen, die gesamte Initiative diskreditieren. Schließlich seien bundesweit 100.000 Schüler friedlich für ein besseres Bildungssystem auf die Straße gegangen. Wuchenauer geht nicht davon aus, dass die Zerstörung gezielt ausgeführt wurde. „Die jungen Leute waren aufgebracht und sind in ihrer Wut zu weit gegangen“, sagt der 16-Jährige. Die Initiative habe der Humboldt-Universität angeboten, sich am Wiederaufbau der Ausstellung zu beteiligen.

    Das klingt für mich sehr viel plausibler. Selbst wenn es 50 und nicht 20 links-radikale Schüler waren (die den Rest aufgepusht haben), stehen die zu den 5.000 in Berlin und 100.000 bundesweit!

  14. #14 Chris
    14. November 2008

    Und wo wir gerade mal dabei sind:
    Der Berliner Kurier schreibt hier

    Rund 7000 Berliner Schüler und Studenten haben gestern für bessere Bildung demonstriert. Der friedliche Protest drohte zu eskalieren, als Chaoten in der Humboldt- Universität randalierten. Kurz vor 13 Uhr stürmten einige hundert Jugendliche den Haupteingang der Uni.[…] Einige ältere Professoren waren sogar fröhlich: „Das erinnert uns an 1968! Da waren wir dabei.“ Weniger froh waren die friedlichen Demonstranten: „Solche Chaoten machen unseren Protest für eine bessere Bildung kaputt“, klagte Paul, der sein Abi auf dem zweiten Bildungsweg nachholt.

  15. #15 Thilo
    14. November 2008

    @ Christian:

    Also nochmal: Deine (zwar nicht direkt, aber doch unterschwellig sehr deutlich und pathetisch) vorgebrachte Behauptung, daß solche Demonstrationen von Hauptschülern angezettelt werden, um über die Einführung von Gesamtschulen “leistungs- und lernunwilligen Krawallmachern einen bequemen Abschluss zu ermöglichen” entbehrt m.E. jeder Grundlage.

    Wir wissen alle, wie Hauptschulen resp. Gymnasien heute (ethnisch) zusammengesetzt sind. Ich habe gerade keine Zeit und Lust, mir genaue Zahlen rauszusuchen. Man kann aber davon ausgehen, daß (gerade in Berlin) der Anteil Deutschstämmiger an den Hauptschülern nicht sehr hoch ist. (In Süddeutschland mag das anders sein.)

    Und jetzt schau Dir noch mal das Video an: die Leute reden akzentfrei deutsch (und auch Grammatik und Wortwahl deuten nicht unbedingt auf einen Hauptschul-Hintergrund) und wirken dem äußeren Anschein nach durchaus deutschstämmig. Es ist also sehr unwahrscheinlich, daß das lauter Hauptschüler sind.

    Aller Plausibilität nach dürfte der Kommentar von Hans also der Wirklichkeit näher kommen . Nebenbei finde ich die Diskussion auch deswegen problematisch, weil es ja eben so ist, daß ein “den-Hauptschülern-die-Schuld-in-die-Schuhe-schieben” letztlich ja eben auf ein “den-Immigrantenkindern-die-Schuld-in-die-Schuhe-schieben” hinausläuft.

  16. #16 Christian Reinboth
    14. November 2008

    @Chris: In der WELT liest sich das vollkommen anders:

    Die gewaltsamen Ausschreitungen während des Schülerprotestes an der Humboldt-Universität haben Bestürzung ausgelöst. Vor allem die Zerstörung der Ausstellung über das Unrecht der Nationalsozialisten gegenüber jüdischen Unternehmern sei ein unerträglicher Angriff auf die freiheitliche Ordnung dieses Landes, sagte der Präsident der Humboldt-Universität, Christoph Markschies, gestern. Er geht davon aus, dass die Ausstellung nicht zufällig, sondern mutwillig zerstört worden sei.

    Während der Demonstration von mehreren Tausend Schülern am Mittwoch durch Berlin hatte sich eine Gruppe von 1000 Personen aus dem Protestzug gelöst und die Humboldt-Uni gestürmt.

    “Selbst ein Legastheniker müsste anhand der Bilder erkennen, worum es bei dieser Ausstellung geht”, sagte Peter-Michael Haeberer, Chef des Landeskriminalamtes. “Wer jetzt versucht, diesen Zwischenfall als allgemeinen Vandalismus zu deklarieren, bedient sich einer billigen Ausrede.” Der Veranstalter habe seinen Mob nicht im Griff gehabt und werde dieses Versäumnis bei künftigen Anmeldungen von Demonstrationen und Veranstaltungen gegen sich rechnen lassen müssen.

    Es habe eine Spur der Verwüstung von der Eingangstür zur Treppe gegeben. Auf dieser Strecke sei randaliert und zerstört worden. Dass in dieser Zerstörungswut wahllos alles kaputt gemacht worden sei, wollte Peter-Michael Haeberer gestern nicht unterschreiben. Wahrscheinlicher sei, dass die Personen gemerkt haben, was dort ausgestellt worden ist. Und das sei schlimm. “Es war eine Demonstration, bei der es um Bildung ging. Wenn die Täter eines bewiesen haben, dann die Tatsache, dass sie dringend Bildung brauchen.”

    https://www.welt.de/welt_print/article2721887/Ermittlungen-nach-Randale-an-Humboldt-Uni.html

    Dass hier “20 Schüler” ein wenig “über die Stänge geschlagen haben” halte ich für eine Schutzbehauptung der Veranstalter. Der WELT-Artikel sagt es klar und deutlich: Knapp 1000 Randalierer, die sich an der Besetzung der HU beteiligt haben, schwere Verwüstungen vor allem an der Ausstellung zum jüdischen Unternehmertum und laut LKA gezielte und gewollte Zerstörung.

    Aus der Berliner Morgenpost:

    Etwa 1000 Personen waren am Mittwoch nach einer Schüler-Demonstration in das Gebäude der Berliner Humboldt-Uni gestürmt und hatten dort eine Ausstellung über Nazi-Unrecht teilweise zerstört. Offenbar gab es antisemitische Motive für die Beschädigung der Schautafeln. Nach den gewaltsamen Schülerprotesten an der Humboldt-Universität ermittelt jetzt der polizeiliche Staatsschutz.

    https://www.morgenpost.de/berlin/article977598/Staatsschutz_ermittelt_nach_Randale_an_Humboldt_Uni.html

    Und vom RBB:

    Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind, hat empört auf die Zerstörung einer Ausstellung über Nazi-Unrecht an der Humboldt-Universität reagiert. Sie forderte am Donnerstag, dass sich die Schülervertretung für die “blinde Zerstörungswut” entschuldigt.

    https://www.rbb-online.de/_/nachrichten/politik/beitrag_jsp/key=news8216795.html

    Angesichts der Presseberichte (und da ließen sich noch etliche mehr zitieren, die alle mehr oder weniger identische Aussagen beinhalten) kann ich leider nicht davon ausgehen, dass ich mich hier gestern nach den ersten Meldungen zum Vorfall zu Unrecht aufgeregt habe.

    @Thilo: Aus meinem Ärger über diese Randale auf ein “den-Immigrantenkindern-etwas-in-die-Schuhe-schieben” zu kommen, finde ich zu weit hergeholt. Man sieht ja gerade an dem Video, dass es sich eben nicht um Immigrantenkinder gehandelt hat, sondern relativ eindeutig um deutschstämmige Jugendliche – von was für einer Schulform auch immer (ich wäre immer noch bereit zu wetten, dass es in der Mehrzahl keine Gymnasiasten waren). Insofern finde ich die Diskussion als solche keineswegs problematisch, da man einen “Migrations-Zusammenhang” hier wirklich nur mit allergrößter Mühe konstruieren kann.

    Ich jedenfalls sehe da keinen Zusammenhang und denke nicht, dass man sich Kommentare über randalierende deutsche Jugendliche verkneifen muss, bloss weil diese möglicherweise (oder eben vielleicht auch nicht) dieselbe Schule besuchen wie ausländische Jugendliche, die offenbar nicht randaliert haben (zumindest ist das auf Fotos und Videos nicht zu erkennen). Mit “Immigrantenkindern” hat die ganze Diskussion daher meines Erachtens nach wenig bis gar nichts zu tun (außer natürlich, dass einem diejenigen Immigrantenkinder leid tun müssen, die vielleicht wirklich mit den gefilmten Krawallmachern auf eine Schule gehen).

    Und was den Vorwurf der “pathetischen Klage” angeht: Der Präsident der HU hat den Vorfall (wie oben verlinkt) heute als “unerträglichen Angriff auf die freiheitliche Ordnung dieses Landes” bezeichnet, der ermittelnde LKA-Beamte spricht von einem “Mob”, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde von “blinder Zerstörungswut”. Angesichts dessen brauche ich mich mit meinem Text sicher nicht zu verstecken.

  17. #17 florian
    14. November 2008

    Ich hab die Diskussion über die Gesamtschule in Deutschland nicht verfolgt; kenne aber die entsprechende Diskussion aus Österreich. Ich denke auch, dass es hier eher nicht ganz passend ist, aus dieser Aktion Argumente für oder gegen die Gesamtschule abzuleiten.

    Darüber, dass so ein Vandalismus abzulehnen ist, sind sich hier ja alle einig. Aber nun daraus zu schließen, dass eine Gesamtschule dazu führen würde, dass die “braven” Schüler mit den “Chaoten” in eine Schule gesteckt werden und das insgesamt zu schlechteren Schulen führt, halte ich nicht für richtig. Genauso könnte man sagen, dass, wenn die “Chaoten” in einer gemeinsamen Schule mit den “braven” Schülern sind, sich (besseres, ausgeglicheneres Klima in den Schulen, ) das insgesamt positiv auswirken würde. An diesem Vorfall sollte man jedenfalls keine Diskussion über die Gesamtschule aufhängen…

  18. #18 Chris
    14. November 2008

    @Christian
    Nein, das liest sich nicht vollkommen anders. Große Passagen sind sogar identisch.
    “Über die Stränge geschlagen” steht nirgendwo.
    Fakt ist: Ein Gruppe der Demonstranten, seien es jetzt 20, einige Hundert oder 1000 (das sind die Zahlen, die in den verschiedenen Medien auftauchen) habe Scheisse gebaut. Punkt. Daran rüttelt keiner.
    DU versuchst aber standhaft, aus dieser Gruppe auf die gesamten Demonstranten zu verallgemeinern. Und das ist eines der ältesten Stilmittel der Propaganda. Und das habe ich kritisiert.

  19. #19 Christian Reinboth
    14. November 2008

    @Chris: Meines Erachtens nach macht es einen gewaltigen Unterschied aus, ob nur 20 Schüler sich an den Randalen beteiligt haben (~ 0,4% der Teilnehmer), oder ob es mehr als 1000 Schüler waren (> 20% der Teilnehmer). Im ersten Fall wäre es falsch, von einer Handvoll Chaoten auf die ganze Demo zu schließen, im zweiten Fall halte ich es dagegen für statthaft, da bei einer so großen Zahl an Randalierern zumindest auf eine Planung im Vorfeld bzw. auf ein offenes oder stillschweigendes Einverständnis der Veranstalter geschlussfolgert werden kann. In diesem Fall sind Rückschlüsse auf die Demo insgesamt bzw. auf die Veranstalter meines Erachtens nach absolut zulässig.

    Ich darf in diesem Zusammenhang mal auf einen Augenzeugenbericht bei indymedia verweisen, in dem eine Mitwirkung der Leitung und eine Beteiligung einer großen Menge an Demonstranten klar geschildert wird:

    Die Organisatoren haben das nicht gemacht, die Demo hätte angesichts der ungeheuren Vorfälle aufgelöst werden müssen – sie ging weiter, nicht einmal eine Distanzierung gab es wohl. Einige Freunde von mir waren erst mitdemonstriert, sie sind schockiert gegangen. Einer hatte mit einer ihm unbekannten Frau auf die Besatzung des Lautsprecherwagens eingeredet, sie sollten weiterfahren und die Demo weitergehen lassen, die Situation drohe zu eskalieren. Nicht nur er hatte die zahlreichen angetrunkenen, teils aggressiv-partymäßig angeheiterten Demonstranten, mit und ohne Buttons und Fahnen, teils eher autonom gekleidet, teils punkig, bemerkt und leicht die zu erwartende Gruppendynamik als gefährlich eingeschätzt. Die Lauti-Besatzung wiegelte die beiden ab und stachelte mit “lustigen” Kommentaren die Menge noch an, “auch mal reinzugehen”.

    Doch bevor ich die Verwüstung heute nachmittag nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, wollte ich es nicht glauben. Es sah aus wie nach einem anti-intellektuellen Pogrom. Und traurig hörte ich stundenlang die Meldungen auf Inforadio Berlin, “tausend Demonstranten einer Demonstration gegen die Bildungsmisere randalierten heute in der Humboldt-Universität und zerstörten dabei eine Ausstellung zum Gedenken an vertriebene und ermordete jüdische Unternehmer”. Ich wiederhole mich, es soll reichen und allen Anlaß zum Nachdenken über den Begriff “Mob” geben. ICh weiß nicht, was ich noch sagen soll.

    https://de.indymedia.org/2008/11/232468.shtml

  20. #20 Chris
    14. November 2008

    @Christian
    Du beziehst Dich mit Deinen >20% auf die 5000 Demonstranten in Berlin. Der Aktionsbund, den Du da aber sehr drastisch angreifst, hat bundesweit 100.000 Demonstranten zu vermelden. Und dann sind wir nicht bei 20, sondern bei 1 Prozent. Aber beenden wir das hier, Du hast Deine Meinung, und andere haben ihre Meinung dazu.

  21. #21 Christian Reinboth
    14. November 2008

    @Chris: Kleiner Nachtrag – inzwischen gibt es einen Bericht von Deutschlandradio (eher eine unverdächtige Nachrichtenquelle) über den Vorfall, den man sich hier herunterladen kann:

    https://podster.de/episode/785247

    Darin wird unter anderem erwähnt, dass die Uni-Leitung mit bis zur 50.000 EUR (!) an Sachschaden rechnet und dass mehr als 1000 Demo-Teilnehmer sich an der “Erstürmung” der Uni beteiligt haben (und nicht 20). Der Uni-Präsident spricht selbst von mindestens 1000 Menschen, “von denen ein großer Teil gewaltbereit war”. Er sagt ebenfalls aus, dass es zur direkten körperlichen Bedrohung von Menschen in der Uni gekommen sei. Er selbst fühlte sich durch die Ausschreitungen “an dunkelste Zeiten in der deutschen Geschichte erinnert”. Dies von einem Mann, der seine Worte (zumal gegenüber der Presse) sicherlich mit Bedacht wählt.

  22. #22 Chris
    14. November 2008

    @Christian: Das ändert aber immer noch nichts an der eigentlichen Diskussion hier!! NIEMAND bestreitet den Vorfall und den Schaden. 20 Rädelsführer haben den Mob aufgehetzt (Deiner Meinung nach 1.000), haben Scheisse gebaut. JA DOCH!
    Aber deswegen sind der Aktionsbund und die dort teilnehmenden Schüler doch nicht alle Links-Radikale!

  23. #23 Christian Reinboth
    14. November 2008

    @Chris: Irgendwie reden wir glaube ich vollkommen aneinander vorbei. Zunächst mal sind es nicht “meiner Meinung” nach 1.000 Randalierer gewesen, es waren 1.000 Randalierer, es sei denn die Polizei, die Uni-Leitung (bis hoch zum Präsidenten) und diverse Medienvertreter gehen alle absichtlich mit einer um den Faktor 50 zu großen Zahl hausieren, was ich bezweifle. Zweitens kritisierst Du meine (zugegebenermaßen recht deutliche) Kritik am Veranstalter, dem Aktionsbund “Schulaction”.

    Diesbezüglich stellt sich mir doch die Frage, wer denn bitte für die Randale und die Schäden verantwortlich sein soll, wenn nicht der Veranstalter. Das wäre in etwa so als ob ein Unternehmen sich gegenüber seinem Kunden mit der Begründung aus der Haftung ziehen wollte, die Fehler hätten ja die Mitarbeiter begangen. Natürlich ist der Veranstalter verantwortlich für das, was auf der Veranstaltung passiert, zumal ja etliche Berichte darauf hindeuten, dass der Aktionsbund den Sorgfaltspflichten in keinster Weise nachgekommen ist (so interpretiere ich das zumindest wenn ich höre, den Veranstaltern sei von der Randale berichtet worden, woraufhin per Lautsprecher noch mehr Schüler ins Gebäude geschickt worden).

    Von “Links-Radikalen” habe ich schon mal gar nichts geschrieben, auch wenn der Verdacht natürlich naheliegt, dass bei der Randale etliche beteiligt gewesen sein dürften. Dass nicht alle 100.000 Teilnehmer deutschlandweit in diese Kategorie eingeordnet werden können, das ist ja wohl sonnenklar. Wenn aber von 5.000 Demonstranten in Berlin über 1.000 mitmachen, dann wirft das zumindest auf diesen Demonstrationszug ein sehr, sehr schlechtes Licht.

    Was den Veranstalter betrifft, der hat sich inzwischen via Pressemitteilung auf der Webseite “entschuldigt” – und zwar in der Form, dass NUR die Schäden an der jüdischen Ausstellung bedauert werden und dass man dem Trägerverein anbietet, bei der Beseitigung DIESER Schäden mitzuwirken. Nicht entschuldigt und mit keiner Silbe hingewiesen wird auf die 50.000 EUR “Kollateralschaden” für die Universität und den erforderlichen teuren Polizeieinsatz etc. pp. Kein einziges Wort der Entschuldigung auch an die Menschen, die im Zuge der Randale bedroht oder beleidigt worden sind. Allein schon für diese “Nicht-Entschuldigung” verdient der Aktionsbund jedes Wort der Kritik, welches hier gefallen ist.

    Wenn das aber immer noch nicht reichen sollte, verweise ich auf ein Interview mit dem Organisator der Demo vom Aktionsbündnis “Schulaction”, der ausdrücklich Verständnis für die Randale äußert. Seiner Meinung nach setzt die Gewalt “ein Zeichen, welches zeigt, dass wir alle so unzufrieden sind, dass etwas passieren muss.” Nochmal: Das sagt der Organisator des Demonstrationszuges wörtlich in eine laufende Kamera – und entschuldigt sich mit keiner Silbe, weder für die Beschädigungen, noch für die Bedrohungen. Der TV-Beitrag zeigt außerdem Mitglieder des “Konfliktteams” des Veranstalters, die für Ruhe und Gewaltvermeidung zuständig sein sollen, wie sie sich betrinken und “A****loch” skandieren, als sie gefilmt werden:

    https://de.youtube.com/watch?v=OSEplepIelA

    Sind dem Aktionsbund hier schwere Vorwürfe zu machen. Ich meine: Auf jeden Fall.

  24. #24 ali
    15. November 2008

    Ich kann mir nur vage vorstellen was diese ‘Gesamtschul’-Diskussion soll. Daher kann ich zu dieser wenig beitragen. Ich möchte aber eine Beobachtung zur Diskussion in diesem Thread loswerden.

    @ Christian

    Vielleicht wäre es nützlich zu unterscheiden zwischen Schuld und Verantwortung. Man kann für etwas verantwortlich sein mit sehr unterschiedlichem Grad an Schuld. Liest man deinen Post hat man nicht den Eindruck, dass es dir um ‘Verantwortung’ in einem juristischen Sinne geht und darum ist das Beispiel mit der Haftung wohl auch nicht wirklich passend. Es entsteht eher der Eindruck es ginge um eine Schuldfrage (du sprichst ja auch vom Fehlen einer Entschuldigung).

    Darüber kann man sich nun streiten, aber ich glaube das Hauptproblem liegt woanders. Äusserst unglücklich finde ich die Vermischung eben dieser Schuldzuweisung (wahr oder nicht) mit dem Sachthema.

    Die Schülerinnen und Schüler von “Schulaction” sind genau der Grund dafür, warum viele Menschen (mich eingeschlossen) bei dem Gedanken an Gesamtschulen Bauchschmerzen bekommen.

    Ich vermute daran stossen sich hier die meisten. Die mutmassliche Verantwortlichkeit dieser Gruppierung hat thematisch soweit ich das beurteilen kann keine Relevanz.

    Sehr überrascht mich ein Standpunkt zur Verallgemeinerung, diese ‘mehr als 20%’ Debatte. Wir hatten hier in diesem Blog schon Diskussionen wo du dich gegen vermeintliche Verallgemeinerungen gewehrt hast. Könntest du eine solche Begründung akzeptieren:

    Über 30% der Deutschen Christen sind Katholiken. Katholiken halten die unbefleckte Empfängnis für ein Faktum, sind überzeugt in einem Ritual Wein in menschliches Blut respektive eine Hostie in menschliches Fleisch zu verwandeln und konsumieren diese dann und ihr Oberhaupt gilt in Glaubensfragen als unfehlbar. Daraus schliesse ich, dass es deutschen Christen bedenklich an Realitätssinn mangelt.

    Würdest du eine solche Aussage von mir stehen lassen? Ich vermute hier gilt die >20% Regel nicht mehr. Ich wüsste also gerne a) warum diese hier nicht gilt, b) wo denn in obigen Fall die Grenze liegt um ‘verallgemeinern’ zu dürfen, c) wann solche Verallgemeinerungen angewendet werden dürfen und d) wie diese Grenze festgelegt wird (ich finde übrigens das Argument hanebüchen, aber ich sehe auch keinen Unterschied zu deinigem betreffend Verallgemeinerungen).

    Ich bin gespannt.

  25. #25 Christian Reinboth
    18. November 2008

    @ali: Ein im Ärger geschriebener Artikel über die sinnlose Verwüstung einer guten Bildungseinrichtung ist keine wissenschaftlich-soziologische Analyse und soll auch keine sein. Mir ist schon bewusst, dass es im Grund nur die indirekte Kritik am Gesamtschul-Konzept ist, was die meisten Kommentatoren hier ärgert, weniger die Kritik an den Berliner Chaoten. Fakt bleibt aber: Hier haben Demonstranten, die für die Einfürhung der Gesamtschule auf die Straße gegangen sind, in vollkommen unverhältnismäßiger Art und Weise “protestiert” und dabei großen Schaden angerichtet (50.000 EUR hat auch eine größere Universität nicht einfach so auf der hohen Kante). Wenn ich nun darüber berichte und als Spitze einfließen lasse, dass gewalttätige Chaoten auch in einer Gesamtschule gewalttätige Chaoten bleiben und dass es schon sehr merkwürdig ist, wenn offensichtliche Proleten (man verzeihe mir den Ausdruck) sich über “zu hohen Leistungsdruck” und “zu wenig Bildung” beklagen, wird mir vorgeworfen, ich würde das Thema der Demonstration und das Verhalten der Teilnehmer auf unsachliche Art und Weise verquicken.

    Ich finde es nach wie vor legitim, das Verhalten der Demonstranten und das Ziel der Demonstration in einen inhaltlichen Bezug zu stellen. Bei jeder anderen Gruppe würden wir ebenso verfahren. Stell Dir bitte einfach nur mal vor, 1000 Evangelikale wären während einer Demo gegen die Evolutionslehre im Biologieunterricht randalierend und Menschen bedrohend durch eine Schule gezogen. Nicht mal ich würde angesichts eines solchen Vorfalls die Behauptung aufstellen, der inhaltliche Schluss vom Grund der Demonstration auf das Verhalten der Demonstranten sei eine fragwürdige Verallgemeinerung…

    Tatsache ist doch, dass hier junge Menschen für tiefgreifende Änderungen im Bildungswesen demonstriert haben (Abschaffung der Dreigliedrigkeit, Abschaffung des Notensystems, Einführung von Marx im Schulunterricht…). Die Organisatoren der Demo sowie die von einigen Medien interviewten Teilnehmer lassen deutlich erkennen, dass die Probleme des Bildungssystems (die zweifellos existieren) ihrer Ansicht nach auf den Umstand zurückzuführen sind, dass die von ihnen geforderten Reformen noch nicht umgesetzt wurden. In der Tat ist es (unabhängig vom Pro und Contra der Forderungen) aber so, dass ein Hauptgrund dafür, warum das Bildungssystem nicht so gut funktioniert, wie wir uns das alle wünschen würden, genau jene jungen Leute sind, die in der Uni randaliert haben. Laut, ungebildet, respektlos und gewalttätig – mit solchen “Schülern” kann kein Bildungssystem gut funktionieren – egal ob ein- oder dreigliedrig.

    Das partielle Versagen des Bildungssystems hat sehr viel mehr mit der Einstellung und den Werten der hier demonstrierenden Schüler zu tun, als mit allen anderen Problemen, die im Bildungsbereich sicherlich existieren. Wer sich tatsächlich für “mehr Bildung” einsetzen möchte, und mit dem unzufrieden ist, was die Schule ihm bietet, hat in dieser Gesellschaft dank einer Vielzahl öffentlicher Bibliotheken, Bildungsstiftungen und hunderter Gruppierungen, die genau solchen Schülern helfen sollen, auch noch ganz andere Optionen, als randalierend durch eine Uni zu ziehen und Menschen bedrohen zu müssen. Wem dies nicht genug ist, dem stehen Schülervertretung, Schülerrat und etliche andere politische und schulische Gremien weit offen. Genau hier liegt der Grund für meine von den meisten hier als unbotmäßig empfundene “Vermischung des Sachthemas mit dem Vorfall”. Der “Vorfall” zeigt, dass die zu Recht angeprangerten Probleme sich durch die geforderten Reformen niemals auch nur im Ansatz lösen ließen, sondern dass vielmehr die Frage im Vordergrund stehen sollte, was in unserer Gesellschaft falsch läuft, dass sie so junge Menschen mit so wenig Respekt vor ihren Mitmenschen und so offenkundigen charakterlichen Mängeln produziert.

    Dein Einspruch gegen die >20%-Argumentation ist natürlich clever, geht aber meines Erachtens nach an der Realität vorbei. Ich würde nicht behaupten wollen (und habe dies auch nicht getan), dass die bundesweit 100.000 Schüler, die sich an der Demo beteiligt haben, alle gewalttätige Randalierer sind, oder aber das jedes Mitglied von Schulaction im Hinblick auf die Vorfälle in Berlin Schuld auf sich geladen hat. Keineswegs. Den knapp 5.000 Demonstranten in Berlin, von denen sich mehr als 1.000 an den Ausfällen beteiligt haben, sowie den dortigen Organisatoren, mache ich allerdings schwere Vorwürfe – und das kollektiv. Diejenigen Demonstranten, die sich an der Erstürmung und den Zerstörungen beteiligt haben, trifft selbstverständlich die Hauptschuld. Herausreden können sich aber auch diejenigen nicht, die im Angesicht der Exzesse nicht die Stimme zum Protest erhoben oder spontan den Weg nach Hause angetreten haben. Wer sich an einem Demonstrationszug beteiligt, der in derartigen Gewaltexzessen mündet, kann hinterher nicht so tun, als ob er das Verhalten durch seine fortgesetzte Teilnahme an der Veranstaltung nicht indirekt unterstützt hätte. Auch den Organisatoren sind schwere Vorwürfe zu machen: Vieles hätte auf organisatorischer Seite unternommen werden können, als sich das Chaos in der Uni abzeichnete, aber nichts ist passiert – statt dessen wurden nach Berichten von Augenzeugen ja noch weitere Demonstranten “angefeuert”, sich an der Randale zu beteiligen.

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass Du dies tatsächlich anders siehst. Wenn von 5.000 Demonstranten 1.000 gewalttätig randalieren und 4.000 dies schweigend unterstützend, während die Organisatoren der Demo absolut gar nichts unternehmen, und sich hinterher nicht einmal für den enstandenen Schaden entschuldigen, dann ist es doch wahrlich kein gewaltiger Sprung zu der Feststellung, die gesamte Demo sei eine gewalttätige Veranstaltung und ein riesiger Schlag ins Wasser gewesen. Eine solche “Verallgemeinerung” finde ich in keinster Weise fragwürdig. Die von Dir vorgeschlagene Anwendung der 20%-Regel auf Glaubensgemeinschaften ist dagegen ein ziemlich gewagter Syllogismus der Sorte “was vier Beine hat, ist auch eine Katze”. Wenn 20% meiner Studenten eine Brille tragen, kann ich daraus kaum folgern, dass alle meine Studenten kurzsichtig sind. Wenn aber 20% meiner Studenten den Hörsaal verwüsten und die anderen 80% dabei zusehen oder die Randalierer anfeuern, kann ich sehr wohl die Behauptung aufstellen, dass alle sich an einer absolut dämlichen Aktion beteiligt haben. Und wenn mir hinterher auch noch erklärt werden würde, die Randale hätte dem Ziel gedient, für “mehr Bildung” zu sorgen, dann finde ich, dass angesichts dieser Idiotie auch verbale Spitzen gestattet sein müssen.

  26. #26 ali
    19. November 2008

    @Christian

    Vielen Dank für die Antwort (ich dachte inzwischen eigentlich du wolltest den Thread einschlafen lassen). Ich habe sie erst jetzt gesehen. Habe gerade keine Zeit, verspreche aber mich noch damit zu beschäftigen.

  27. #27 Christian Reinboth
    19. November 2008

    @ali: Eigentlich antworte ich sogar (fast) immer auf Kommentare – nur momentan ist bei mir leider die Zeit fürs Bloggen und Kommentare schreiben ein wenig begrenzt, daher die lange Verzögerung…

  28. #29 Christian Reinboth
    28. November 2008

    @Thilo: Jetzt hat es die Frankfurter Goethe-Universität erwischt:

    Schock nach Krawall im „House of Finance“

    „Die haben mir auf den Arm geschlagen und mich mit schwarzer Farbe besprüht.“ Denis Vugrinec steht noch immer unter Schock. Der Mitarbeiter des Studentenwerks hatte am Mittwoch in der Cafeteria des „House of Finance“ Dienst, als er von vermummten Demonstranten attackiert worden war. Sie wollten Waren stehlen, wie Vugrinec sagt. Als er die Randalierer aus der Cafeteria werfen wollte, griffen sie ihn an.

    Vugrinec ist nicht der Einzige, der sich am Tag nach dem Krawall am Campus Westend an der Aggressivität der Vorfälle stört. Gestern wurde eine Petition ins Internet gestellt, dort sprechen sich Teile der Studentenschaft gegen Gewalt aus – und kritisieren insbesondere die AStA-Vorsitzende Nadia Sergan, die das Vorgehen in einer öffentlichen Mitteilung als „super Aktion“ bezeichnet hatte.

    Die Ausschreitungen folgten offenbar einem Muster. Ein Teil der Demonstranten habe sich aus der Menge gelöst und das „House of Finance“ gestürmt, berichtet Jens, ein BWL-Student, der an der Demonstration teilgenommen hat. „Die Linken fühlen sich immer berufen, gegen Missstände an der Uni zu demonstrieren, dabei interessiert es sie gar nicht wirklich“, sagt er. Dieses Phänomen hat die Polizei auch schon bei anderen Demonstrationen beobachtet, bei denen Mitglieder linksextremer Organisationen durch ihre Aggressivität aufgefallen waren.

    Auch Brenda Wastier, die am Empfang des Hauses arbeitet, hat die Angreifer beobachtet. Rund 20 bis 30 Maskierte seien aggressiv gegen Mitarbeiter des „House of Finance“ vorgegangen. „Die haben sich total asozial verhalten.“ Sofort hätten sie begonnen, die Wände mit Graffiti zu besprühen und das Personal zu beleidigen. Einer der Professoren sei bespuckt, ein anderer mit einer Leiter an die Wand gedrückt worden. Zudem hätten die Eindringlinge Kameras zerstört, die in dem Gebäude installiert seien. Nach der Attacke hätten sich manche in den Ecken herumgedrückt, geraucht und getrunken. „Die waren wie Hooligans.

    https://www.faz.net/s/RubFAE83B7DDEFD4F2882ED5B3C15AC43E2/Doc~E66B591D959CC434194B78A64C3108013~ATpl~Ecommon~Scontent.html

  29. #30 Thilo
    28. November 2008

    Jedenfalls waren diesmal eindeutig Leute mit Abitur beteiligt … 🙂

  30. #31 Christian Reinboth
    29. November 2008

    @Thilo: Eindeutig 😉 Schlimm. Was sollen bloss diese Uni-Randalierereien? Fällt denen keine bessere Form des Protests ein, als eine Bildungseinrichtung zu demolieren?