Sandra Thal vom WISSENSlog ist über eine interessante Frage aus dem letzten PISA-Test gestolpert: Welche der folgenden Aussagen trifft am besten auf die Evolutionstheorie zu?

Die dort heftig diskutierte Frage habe ich heute morgen mal selbst recherchiert, und bin in auf der Webseite der OECD fündig geworden (Seite 17 im PDF):

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Laut Lösungsheft ist C die richtige Antwort:

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Eine wissenschaftliche Theorie, die sich gegenwärtig auf zahlreiche Beobachtungen stützt. Nun ist in den WISSENSlogs die große Debatte über die Frage ausgebrochen, ob die richtige Antwort nicht D lauten müsste: eine Theorie, die durch Forschung bewiesen worden ist.

Ich vermute, die Irritationen hängen in diesem Fall eher mit sprachlichen als mit inhaltlichen Mißverständnissen zusammen. Was die ScienceBlogs-Kollegen gerade hier und hier am schönen Beispiel des Begriffs “100%ige Sicherheit” diskutieren, dürfte vermutlich auch für den Begriff “bewiesen” gelten…

Was sagen die ScienceBlogs-Leser dazu?

Kommentare (24)

  1. #1 Marcus
    8. Dezember 2008

    Jetzt wollte ich die ganze Zeit … aber jetzt hast Du´s schon gemacht.

    Mit dem sprachlichen Aspekt, hast Du sicher Recht. Ich habe mich deshalb gefragt, ob die Antworten vielleicht ursprünglich mal im Englischen formuliert wurden, und dort von “evidence” gesprochen wurde.

    Aber da spielen auch diese ganzen wissenschaftstheoretischen Fragen eine Rolle: Kann man in Wissenschaft was beweisen? Oder nur falsifizieren usw.

    Zumal Evolution zum Großteil ja ein historisches Forschungsobjekt ist, was erschwerend hinzukommt.

    Es fehlt einfach eine Antwort:

    Evolution ist eine Theorie, für die es inzwischen so viele Belege gibt, dass wir sie als Tatsache betrachten.

    Das läge zwischen C und D.

    Sag ich jetzt mal so als Journalist 😉

  2. #2 Christian Reinboth
    8. Dezember 2008

    @Marcus: Sorry, wollte niemandem was wegschnappen 🙂 Hatte nur gerade mal ein paar Minuten Zeit für einen kurzen Eintrag (Warten auf Besprechungsbeginn) und fand die Diskussion in den WISSENSlogs zur PISA-Frage zu spannend, um sie zu ignorieren…

    Mit Antwort E könnte ich übrigens gut leben. Da kann man mal wieder sehen, wie sehr es auf die passende Formulierung ankommt. In Marktforschungs-Seminaren erzähle ich das immer wieder, wenn es um die Gestaltung von Fragebögen geht. Gerade bei Fragen und vorformulierten Antworten, sollte man über jedes Wort nachdenken…

  3. #3 sil
    8. Dezember 2008

    Also für 15-Jährige ist das eine üble Fangfrage. Wieso ist D für diese Altersklasse falsch?

    Mit Feinheiten, was “Theorie” auf wissenschaftlich bedeutet, kann man doch nicht Schülern in der 9.Klasse kommen.

    Das Wort “gegenwärtig” ist auch ziemlich hinterhältig eingefügt und führt aufs Glatteis.

  4. #4 Jane
    8. Dezember 2008

    Also ich würde sagen C als korrekte Antwort macht Sinn, da man in der Regel ja nicht davon spricht, dass man Theorien “beweist”, man versucht eher sie zu falsifizieren und wenn das nicht gelingt, dann ist sie vorläufig state of the art (zumindestens wenn man Popper folgt).

    Aber für Schüler ist es eine schwere Frage und viele haben bestimmt Antwort D gewählt, die man als “unsauberer” aus wissenschaftstheoretischer Sicht bewerten kann, aber nicht als total falsch, v.a. wenn man bedenkt, dass sich die Frage an Schüler richtete, nicht an Studenten.

  5. #5 Christian Reinboth
    8. Dezember 2008

    @sil: Über das Wort “gegenwärtig” habe ich mich auch ein wenig gewundert. In anderen Fragen im gleichen PISA-Bogen ist mir das Wort nicht mehr aufgefallen, obwohl es eigentlich überall (und nirgends) passen würde.

    Dass die Antwort D für diese Alterklasse falsch ist, sagt vermutlich auch etwas über die Belastbarkeit der PISA-Ergebnisse an sich aus. Mal angenommen, 30% der Probanden hätte D angekreuzt – würde im Endbericht dann stehen, dass jeder dritte Schüler die Evolutionstheorie nicht kennt…?

  6. #6 sil
    8. Dezember 2008

    Also so, wie die Frage dasteht, könnte ich nicht mit Sicherheit C ankreuzen.
    Gerade in dem Kontext, das das für 15jährige ist, würde ich zu Antwort D tendieren.
    Die Frage ist einfach grottenschlecht gestellt oder übersetzt.

  7. #7 sil
    8. Dezember 2008

    Gerade das Wort “gegenwärtig” impliziert, dass die Theorie nur vorübergehend gilt, und dass eine Art Paradigmenwechsel demnächst möglich ist. Und danach sieht es gegenwärtig nun wirklich nicht aus.

  8. #8 Ludmila
    8. Dezember 2008

    Ich find die Frage auch ungeschickt formuliert, was meiner Meinung nach nur wieder verdeutlicht, dass bereits in der Schule das Rüstzeug nicht mitgegeben wird, um vernünftig über Wissenschaft diskutieren zu können. Nämlich, was Wissenschaft ist und was Wissenschaft kann.

    Wobei es mich wiederum mehr als irritiert, dass drüben auf den Scilogs die Autorin darauf pocht, dass es “bewiesen” heißen muss und das alles andere eine Frechheit sei. Das finde ich ehrlich gesagt viel schlimmer. Von einer ausgebildeten Astronomin erwarte ich irgendwie was anderes. Was aber wiederum zeigt, dass selbst unter Wissenschaflern Uneinigkeit herrscht, darüber ob und wie man das Wort “bewiesen” einsetzt. Früher war ich da auch deutlich naiver und hab erst in den letzten Jahren umgedacht.

  9. #9 Christian Reinboth
    8. Dezember 2008

    @Ludmilla: Das Wort “bewiesen” ist in der Tat das Problem. Wäre mal ein spannendes Thema für ein wirklich langes Blog-Posting: Wann gilt in der Wissenschaft etwas als “bewiesen”? Und bedeutet das dann auch, dass es “100%ig sicher” ist?

    Mal sehen, vielleicht finde ich irgendwann mal die Zeit dafür…

    Was Frau Thal angeht – ich dachte, das wäre eine Biologin? Es würde mich ehrlich gesagt auch wundern, wenn eine Astronomin so vehement die Evolutionslehre verteidigen würde…

    Man bekommt beim Lesen ihres Postings fast das Gefühl, dass sie befürchtet, die PISA-Macher würden die Frage und Antwortoptionen absichtlich so ungeschickt formulieren, um die Schüler kreationistisch zu indoktrinieren. Aber auch wenn das ein wenig nach PZ klingt, hat sie mit ihrer Kritik an der Fragestellung und den Antworten an sich schon Recht – irgendwie fehlt es oft ganz allgemein (nicht nur in den Schulen) sowohl an sprachlichem als auch an wissenschaftlichem Rüstzeug…

  10. #10 Ludmila
    8. Dezember 2008

    @Christian: Oh, ich hab Frau Thal mit “Uhura Uraniae” drüben verwechselt. War wohl eine freud’sche Fehlleistung von mir. Sorry.

  11. #11 Marcus
    8. Dezember 2008

    @Ludmilla und Christian
    die Reaktion der Autorin hatte mich auch überrascht. Sie hat Recht, das zum Thema zu machen, sie zeigt sich kämpferisch in punkto “Evolution erklärt die belebte Welt und nicht Kreationismus oder ID”, vergisst darüber aber ihren Popper usw.

    Wie gesagt: ich favorisiere Antwort E (s.o.)

  12. #12 June
    8. Dezember 2008

    C und D sind dieselben Antworten.
    C -> D und D -> C und ~C -> ~D und ~D -> ~C.

  13. #13 Chris
    8. Dezember 2008

    Antwort D ist schlichtweg falsch, denn wissenschaftliche Theorien lassen sich nicht beweisen, lediglich falsifizieren. Letztendlich kann man trotz aller Indizien, die die Evolutionstheorie stuetzen, nicht endgueltig ausschliessen, dass etwas Widerspruechliches dazu existiert. Das trifft aber genauso auf die Quantenmechanik, auf Mechanik oder jede andere wissenschaftliche Theorie zu.
    An sich muesste auch K Popper sich damit beschaeftigt haben.

    Man haette sicherlich gerne, dass sich Unsinn wie Kreationismus nicht durchsetzt und man bei dem bleibt, was man nicht falsifizieren kann, allerdings zu behaupten, es sei bewiesen, ist unwissenschaftliche Progaganda!

  14. #14 Christian Reinboth
    8. Dezember 2008

    @Chris: Dem stimme ich zu – aber von 15jährigen Schülern zu erwarten, dass sie solche inhaltlichen Feinkenntnisse über die Beurteilung von wissenschaftlichen Theorien besitzen, halte ich dann doch auch für überzogen. Eine andere Formulierung hätte es auch getan…

    Die Argumente von Frau Thal kann ich nachvollziehen, ihre kernige Aussage, dass die Evolutionstheorie “so unzweifelhaft wie die Planck-Konstante so unzweifelhaft wie das Periodensystem der Elemente, so unzweifelhaft wie die Zahl Pi” sein soll, scheint mir dann aber auch nicht zielführend zu sein.

    Was Popper angeht, der sollte ohnehin in keinem Bücheregal fehlen. Eventuell gehört ein Fach wie “Wissenschaftstheorie” auch in den Stundenplan – wobei das natürlich eine Idealvorstellung wäre. Manchmal würde ich mir aber zumindest ein Schulfach “Gesunder Menschenverstand” wünschen, wo man all das in den Plan reinpacken kann, was anderswo zu kurz kommt: Logisches Denken, Wissenschaftstheorie, bedingte Wahrscheinlichkeiten, Zins- und Zinseszinsrechnung…

  15. #15 Marcus
    8. Dezember 2008

    Weiß jemand, an wen man bezüglich “Frage und Antwort-Entwicklung” bei PISA befragen kann?

  16. #16 Marcus
    8. Dezember 2008

    es liegt vielleicht auch ein wenig an dem Begriff “zahlreich” (in Verbindung mit “gegenwärtig”). Das hört sich ein bisschen dünn an. Und ich nehme mal an, daran hat sich auch die Kollegin bei Scilogs gestoßen.

  17. #17 Christian Reinboth
    8. Dezember 2008

    @Marcus:

    Kontakt für PISA 2006:

    Manfred Prenzel
    Universität Kiel
    Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften
    Olshausenstr. 62
    D-24098 Kiel
    Germany
    Tel: (49) 431 880 3120
    Fax: (49) 431 880 5524
    Email: pisa2006@ipn.uni-kiel.de ; prenzel@ipn.uni-kiel.de

    Kontakt für PISA 2009:

    Eckhard Klieme
    Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF)
    Schlossstrasse. 29
    60486 Frankfurt am Main
    Germany
    Tel: +49 (69) 2470 8107
    Fax: +49 (69) 24708 118
    Email: klieme@dipf.de

    Gefunden hier: (unter “National Project Managers”)

    https://www.pisa.oecd.org/pages/0,3417,en_32252351_32236359_1_1_1_1_1,00.html

    Dies scheint mir allerdings die oberste Leitungsebene zu sein, die Fragen werden sicherlich an anderer Stelle erdacht. Eventuell kann man ja aber einen zuständigen Kontakt benennen.

    Steht etwa bald eine Frage- & Antwort-E-Mail-Runde al la BAUA ins Haus?

  18. #18 Marcus
    8. Dezember 2008

    naja, fragen ist ja mein Job. Erklären sollen ja die Wissenschaftler 😉

    1. Frage: Für die Evolutionsfrage wende ich mich wohl an PISA 2006? Oder ist das schon PISA 2009. Mir ist nicht klar wie die die Jahreszahlen einsetzen.

  19. #19 Marcel A.
    8. Dezember 2008

    Ich bin schon mal sehr froh das hier keiner behauptet das Antwort B richtig wäre :-), der rest ist linguistischer feinschliff.

  20. #20 Christian Reinboth
    8. Dezember 2008

    @Marcus: Ich nehme an, PISA 2006 müsste passen, da PISA 2009 tatsächlich erst 2009 durchgeführt wird, d.h. das Projekt läuft zwar schon seit 2007, die Datenerhebung findet aber erst 2009 statt. Da ich bezweifle, dass die Fragen vorher im Netz verfügbar sind, gehe ich davon aus, dass es sich um eine Frage aus der PISA 2006-Befragung handelt.

  21. #21 Chris
    8. Dezember 2008

    @Christian Reinboth

    Jep, damit sollte aber die Antwort fuer alle Science-Blog-Leser klar sein 🙂

    Das man etwas wissenschaftstheoretische Grundlagen in der Schule machen sollte, ist eigentlich klar. Wobei eigentlich ein Lehrer die Evolution schon als Theorie und nicht die absolute Wahrheit darstellen sollte, immerhin ists kein Religionsunterricht.

  22. #22 Thilo
    8. Dezember 2008

    Man sollte solche Aufgaben immer im Gesamt-Kontext sehen, hier also im Vergleich zu den anderen Test-Aufgaben.
    Ein paar ausgewählte Beispiele aus dem Biologie-Test von 2006 (aus dem auch die oben zitierte Frage stammte).

    Karies, Frage 1: Welche Rolle spielen Bakterien bei Karies?
    Richtige Antwort: Bakterien produzieren Säure.
    (Nicht etwa: die Theorie, daß Bakterien Säure produzieren, stützt sich gegenwärtig auf viele Beobachtungen.)

    Ultraschall, Frage 4: Warum sollte eine Frau während der Schwangerschaft vermeiden, ihren Unterleib röntgen zu lassen?
    Richtige Antwort: Röntgenstrahlen sind für die Zellen des Fötus schädlich.
    (Nicht etwa: die Theorie, daß Röntgenstrahlen für den Fötus schädlich ist stützt sich gegenwärtig auf viele Beobachtungen.)

    Evolution, Frage 3: Welche der folgenden Aussagen trifft am besten auf die Evolutionstheorie zu?
    Richtige Antwort: Die Evolution ist eine wissenschaftliche Theorie, die sich gegenwärtig auf zahlreiche Beobachtungen stützt.

    Der Vollständigkeit halber muß man sagen, daß die anderen Fragen zur Evolution durchaus deren Beweisbarkeit zum Thema haben. Zum Beispiel wird gefragt, ob sich durch Vergleich der DNS von Vorfahren der Pferde, die man in
    Gletschern eingefroren fand, mit der von heutigen Pferden herausfinden läßt, wie sich die Pferde im Lauf der Zeit entwickelt haben. Die richtige Antwort ist “Ja”.

    Man fragt sich, ob die Test-Fragen irgendwie “ausgehandelt” wurden: “Ihr habt zwei Fragen, in denen es darum geht, wie man die Evolutionstheorie beweist. Dann könnt ihr uns wenigstens eine Frage über grundsätzliche Unbeweisbarkeit von Theorien lassen.” Darüber kann man natürlich nur spekulieren, erfahren werden wir das wohl nie. (Bin schon gespannt auf die offizielle Sprachregelung der Verantwortlichen.)

  23. #23 Rabe
    9. Dezember 2008

    Ja, ja, die Sache mit der Implikation ist schon kompliziert. C->D ist einfach falsch, wohingegen “Wenn die Erde nur 6000 Jahre alt ist, dann besteht der Mond aus grünem Käse.” wahr ist. So lassen sich aus Unsinn beliebige wahre Aussagen konstruieren, die keinen Sinn machen. Versuchen wir es mal damit: “Wenn es einen wissenschaftlichen Konsens gibt, steuern wir unaufhaltsam einer Klimakatastrophe entgegen.” Wie wahr.

  24. #24 Berti Nah
    Hamburg
    23. September 2014

    Meines bescheidenen Wissens zu Folge stützt sich eine Theorie immer auf Beweise, ansonsten handelte es sich um eine Hypthese. Das spräche für D als richtige Antwort.