Kuriose Notiz am Rande: In der aktuellen Ausgabe des Virology Journals findet sich ein wunderlich anmutendes Paper über die in den Evangelien beschriebene Heilung der Schwiegermutter des Petrus, das einen kurzen Blogpost auf jeden Fall verdient hat…

ResearchBlogging.orgDie im Paper diskutierte Wunderheilung der Schwiegermutter des Petrus wird von drei Evangelisten beschrieben und findet sich in Matthäus 8,14, Markus 1,29 – 31 und Lukas 4,38 – 39. Während von den Autoren aufgeworfene Frage, ob es sich bei der beschriebenen, fiebrigen Erkrankung um einen der ersten historisch dokumentierten Fälle von Influenza handeln könnte, prinzipiell nicht uninteressant ist (ich denke da an Untersuchungen zu vermeintlichen, in der Bibel beschriebenen “dämonischen Besessenheiten”, deren Symptomatik auf epileptische Erkrankungen schließen lässt), mutet die Vorgehensweise der Autoren – zumindest für ein medizinisches Paper – eher seltsam an.

Hon, K., Ng, P., & Leung, T. (2010). Influenza or not influenza: Analysis of a case of high fever that happened 2000 years ago in Biblical time Virology Journal, 7 (1) DOI: 10.1186/1743-422X-7-169

So stellen Hon et al unter anderem fest, dass in der eher detailarmen Beschreibung der Krankheitssymptome eine genaue Temperaturangabe insbesondere deshalb fehlt, da die Fahrenheit-Skala um 30 n.Chr. noch nicht existierte.

Luke did not quantify the fever as the Fahrenheit temperature scale was not invented until 1724.

Kurios auch die Bemerkung der Autoren, es könne sich bei der Erkrankung nicht um eine dämonische Besessenheit gehandelt haben, da eine solche von den Evangelisten auf jeden Fall vermerkt worden wäre:

One final consideration that one might have is whether the illness was inflicted by a demon or devil. The Bible always tells if an illness is caused by a demon or devil (Matthew 9:18-25, 12:22, 9:32-33; Mark 1:23-26, 5:1-15, 9:17-29; Luke 4:33-35, 8:27-35, 9:38-43, 11:14). The victims often had what sounded like a convulsion when the demon was cast out. In our index case, demonic influence is not stated, and the woman had no apparent convulsion or residual symptomatology.

Bemerkenswert ist auch das Quellenverzeichnis: Neben der King James-Version des Neuen Testaments zitieren Hon et al eine Webseite zur Fahrenheit-Skala sowie sieben(!) eigene Paper – und das war es dann auch. Es kann einen – und das sage ich mal als bekennender Nicht-Atheist – wirklich nur erstaunen, dass dieses (inzwischen übrigens zurückgezogene) Paper es tatsächlich durch den Peer-Review-Prozess eines medizinischen Fachjournals geschafft hat – und eines relativ angesehenen noch dazu – der Journal Impact Factor des Virology Journal liegt immerhin bei stolzen 2,44…

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Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus, dargestellt im Codex Egberti, der im 10. Jahrhundert im Kloster Reichenau angefertigt wurde.


PS: Das Paper habe ich dank dieses Artikels auf der neuen Scientopia-Plattform entdeckt.

Kommentare (6)

  1. #1 Matthias Nispel
    17. August 2010

    Das Ganze kommt mir doch sehr wie ein Scherz vor: die Fahrenheit-Skala war noch nicht “erfunden”, echt? Und Bibelanalyse anhand der KJV (von 1610), nicht etwa am griechischen überlieferten “Original”, im Ernst? Welche Temperaturskala wird eigentlich in Hongkong bevorzugt, wo die Autoren arbeiten? Hier werden subtil gewisse Fundamentalisten verspottet, für die es eine, öhm, Offenbarung wäre, zu erfahren, daß der Evangelist Lukas kein Fieberthermometer besaß und Jesus kein Englisch sprach 🙂

  2. #2 Christian Reinboth
    17. August 2010

    @Matthias Nispel: Ich hatte beim ersten Lesen auch spontan einen Scherz vermutet – da das Journal inzwischen aber das Paper zurückgezogen und eine Entschuldigung veröffentlicht hat, in der nun wirklich kein Anflug von Humor mitschwingt…

    As Editor-in-Chief of Virology Journal I wish to apologize for the publication of the article entitled ”Influenza or not influenza: Analysis of a case of high fever that happened 2000 years ago in Biblical time”, which clearly does not provide the type of robust supporting data required for a case report and does not meet the high standards expected of a peer-reviewed scientific journal. Virology Journal has always operated an exceptionally high standard of thorough peer review; this article has clearly not met these thresholds for balance and supporting data and as such, the article will be retracted.

    https://www.virologyj.com/content/7/1/169/comments

    Wobei ich nicht ausschließen würde, dass hier beispielsweise ein Journalist einmal testen wollte, ob er es mit einem Scherz-Paper durch das Peer Review schafft…

  3. #3 Blaubart
    17. August 2010

    @Christian
    Hoffentlich, sonst wäre das selbst für Wortgläubige ein schöner Unsinn.

  4. #4 kommentarabo
    17. August 2010

  5. #5 noch'n Flo
    18. August 2010

    LOOOOOL!!!

    Erinnert mich übrigens an einen 1996 im “New England Journal of Medicine” erschienenen Artikel, in denen die Überlebensraten nach Reanimation aus den TV-Serien “Emergency Room”, “Rescue 911” und “Chicago Hope” statistisch ausgewertet wurden:

    https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM199606133342406#articleTop

    Da wurde auch lange gemutmasst, ob das ein Scherz sein sollte…

  6. #6 Blaubart
    19. August 2010

    @Flo,

    ich habe jetzt nur mal schnell den Abstract überflogen, aber die Warnung das eine unrealistische Erwartungshaltung geweckt werden könnte finde ich schon nicht schlecht. Immerhin glauben leider ja viele Menschen immer noch, dass vieles im Fernsehen real ist.