Eigentlich hatte ich mir ja schon im vergangenen Jahr vorgenommen, im Blog auch immer mal wieder ein gutes Buch zu rezensieren – wobei es dann leider bei nur zwei Rezensionen geblieben ist. In diesem Jahr nehme ich nochmal einen neuen Anlauf und steige mit einem exzellenten kleinen Buch voll großer Worte ein, das mir neulich in die Hände gefallen ist.

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Ich gebe gerne zu, dass gut geschriebene und vorgetragene Reden – besonders politische – mich schon seit jeher begeistert haben. Als ich zum Jahresbeginn mit meiner Frau auf „Museumstour” in Berlin unterwegs war, und wir im Museum „The Kennedys” direkt am Brandenburger Tor (übrigens ein uneingeschränkt empfehlenswertes Museum für alle Geschichtsinteressierten) eine Großprojektion der berühmten Kennedy-Rede am Fuße der Mauer („Ich bin ein Berliner!”) genießen durften, standen mir schnell alle Nackenhaare zu Berge. Und auch die – fiktive – Rede Heinrichs V., mit der er im gleichnamigen Shakespeare-Stück den Kampfesmut seines Heeres vor der entscheidenden Schlacht gegen die Truppen des Dauphins befeuert („We few. We happy few. We band of brothers.”) reißt mich – vor allem in der großartigen Brannagh-Verfilmung aus dem Jahr 1989 – immer wieder aufs Neue aus dem Wohnzimmersessel.

Als mir vor einigen Wochen im Buchladen der Titel „Die großen Reden der Weltgeschichte” ins Auge fiel, griff ich daher gerne zur Geldbörse – und musste den Kauf nicht bereuen. Für den Band aus der Buchreihe „marixwissen” des Wiesbadener Marix-Verlags, konnte der promovierte Historiker und Germanist Martin Kaufhold gewonnen werden, der als Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Uni Augsburg forscht und lehrt. Einundzwanzig Reden aus nahezu allen historischen Epochen fanden Einzug in Kaufholds persönliche Auswahl der größten Reden der Menschheitsgeschichte, wobei jedem Redebeitrag eine mehrseitige Erläuterung des historischen Kontextes vorangeht. Eine solche Auswahl zu treffen ist nicht einfach, und so haben es gleich mehrere Reden, die ich in einem solchen Band erwartet hätte (etwa „Ich bin ein Berliner!” oder „Tear down this wall!”) nicht in das Buch geschafft, während mir bis dato unbekannte Reden (etwa die erste Rede von Marie Juchacz, der ersten frei gewählten weiblichen Abgeordneten in einem deutschen Parlament) Einzug in den Band gefunden haben. Da Kaufhold die Bedeutung der jeweiligen Reden gut begründet, und sie zudem auf leicht verständliche Art einordnet und erläutert, fällt es dennoch nicht schwer, sich auf seine ganz persönliche Auswahl der „Großen” einzulassen.

Wer sich – wie ich – für gute Reden begeistern kann, wird in diesem Buch zahlreiche hervorragende Texte finden – angefangen bei der Gefallenenrede des Perikles („Und nun erhebt den Klageruf, jeder um den er verlor.”) über die Verteidigung Luthers vor dem Reichstag zu Worms („Ich kann nicht anders. Hier stehe ich. Gott helfe mir. Amen.”) und die Rede Lincolns auf dem Schlachtfeld von Gettysburg („Eine Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk…”) bis hin zum tapferen Gegenrede des SPD-Abgeordneten Otto Wels zum Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten („Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.”) und den Worten Martin Luther Kings auf der Washington Mall („I have a dream.”). Viele dieser Reden habe ich in Kaufholds Buch das erste Mal in voller Länge gelesen und dabei manchen, für mich überraschenden Satz gefunden. So lernt ja etwa jeder Schüler im Geschichtsunterricht irgendwann mal das Herzstück der Rede Ernst Reuters im 1948 von den Russen von der Außenwelt abgeschnittenen Berlin kennen:

„Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt.”

Wer aber kennt die Passage, mit der Reuter in der gleichen Rede – im Rückblick mit einem beinahe schon prophetisch wirkenden Bild – das Ende der deutschen Teilung beschwört, das erst mehr als 40 Jahre später und lange nach seinem Tod eintreten sollte?

„Diesen Tag werden wir an dieser Stelle, vor unserem alten Reichstag mit seiner stolzen Inschrift „Dem Deutschen Volke”, erleben und wir werden ihn feiern mit dem stolzen Bewusstsein, dass wir ihn in Kümmernissen und Nöten, in Mühsal und Elend, aber mit standhafter Ausdauer herbeigeführt haben. Wenn dieser Tag zu uns kommen wird, der Tag der Freiheit, an dem die Welt erkennen wird, dass dieses deutsche Volk neu geworden und neu gewachsen, ein freies, mündiges, stolzes, seines Wertes und seiner Kraft bewusstes Volk geworden ist, das im Bunde gleicher und freier Völker das Recht hat, sein Wort mitzusprechen, dann werden unsere Züge wieder fahren nicht nur nach Helmstedt, sie werden fahren nach München, nach Frankfurt, Dresden, Leipzig, sie werden fahren nach Breslau und nach Stettin. Und sie werden auf unseren kümmerlichen, elenden, zertrümmerten, alten, ruinierten Bahnhöfen wieder die zweiten Gleise aufmontieren, die das Symbol unserer wiedergewonnenen Freiheit sein werden.”

Und so gibt es in jeder Rede – und sei sie noch so altbekannt – ein klein wenig Neues zu entdecken, sei es im nun Redetext selbst oder aber im historischen Kontext. Und wem diese einundzwanzig Reden noch nicht genug sind, der findet auf youTube – wie ich bei der Suche nach passenden Videos für diesen Beitrag hocherfreut feststellen durfte – eine Vielzahl weiterer historischer sowie fiktiver Reden, darunter auch die eingangs erwähnte Crispianustag-Rede aus Shakespeares Bühnenstück…

Kaufhold, Martin: Die großen Reden der Weltgeschichte, Marix Verlag GmbH, Wiesbaden, 2007, 224 Seiten, ISBN 978-3-86539-912-0.

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Kommentare (9)

  1. #1 Dr. Webbaer
    30. Januar 2012

    ‘Tear down this wall!’ und MLK dabei, Churchill fehlt, dafür Otto Wels…
    Die 10-Punkte-Rede von Helmut Kohl soll nicht so schlecht gewesen sein, weil ihrer Zeit voraus scheinend, das nur im CDU-Kontext…

    MFG
    Dr. Webbaer

  2. #2 Christian Reinboth
    30. Januar 2012

    @Webbär: Churchill fehlt nur in meiner Rezension – “This was their finest hour” ist natürlich im Buch vertreten… Auf Kohl hat Kaufhold bewusst verzichtet, weil er der Ansicht ist, dass man die Größe einer Rede eigentlich erst Jahrzehnte später wirklich bewerten kann. Zumindest aus Sicht des Historikers. Fand ich sehr nachvollziehbar.

  3. #3 Dr. Webbaer
    30. Januar 2012

    Der Webbaer verweist aber dennoch gerne auf den originalen Redetext – https://webarchiv.bundestag.de/archive/2009/0109/geschichte/parlhist/dokumente/dok09.html – und auf die seinerzeitige reaktionäre Stimmung unter westdeutschen Linken, die bspw. hier offenbar wird: https://www.youtube.com/watch?v=hkwcU32Oo3U

    Willy Brandt, der sich seinerzeit sehr für die Wiedervereinigung eingesetzt hat, wurde in der Folge in seiner Partei isoliert und allgemein war das Abschmelzen radikal linker westdeutscher Meinungen bei der Jahreswende 1989/90 köstlich zu beobachten.

    Das aber nur ganz nebenbei und wg. den seinerzeitigen nicht unguten Kohlschen Bemühungen…

    MFG
    Dr. Webbaer

  4. #4 Georg Hoffmann
    30. Januar 2012

    Ich kann mich ganz genau an den Brennagh Film erinnern. Spaetvorstellung in Hamburg Kino an der Fruchtallee. Aahhh. Fantastisch. Gebt mir ein Schwert!

  5. #5 KommentarAbo
    31. Januar 2012

  6. #6 Jürgen Schönstein
    31. Januar 2012

    Als ehemaliger Kurzzeit-Schöneberger (2 Jahre, 4 Monate) muss ich nur eine kleine Korinthe kacken: Kennedy hielt seine Rede (“…ich bin ein Berliner”) auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses, nicht an der Mauer.

  7. #7 Jürgen Schönstein
    31. Januar 2012

    Hab’ den Satz oben in Deinem Eintrag noch einmal gelesen und bin selbst auf die Zweideutigkeit gestoßen: Das Attribut “am Fuße der Mauer”, das ich auf die Kennedy-Rede bezogen hatte, sollte sich wohl auf das “genießen” beziehen – also nicht den Ort der Rede beschreiben, sondern den Ort, wo Du selbige “konsumiert” hast. Sorry für das vorangegangene Missverständnis.

  8. #8 Christian Reinboth
    31. Januar 2012

    @Georg: “Once more unto the breach, dear friends, once more.” Großartiger Film. Gibt es mittlerweile recht günstig auf DVD.

    @Jürgen: Der historischen Korrektheit wegen, war der Hinweis trotzdem wichtig. Wenn man den Text selbst verfasst hat, weiß man ja ohnehin, was man eigentlich sagen möchte – da entgeht einem gelegentlich die eine oder andere alternative Interpretation. Die historisch bedeutsame Rede, die tatsächlich (so gut wie direkt) an der Mauer gehalten wurde, ist natürlich die “Tear down this wall”-Ansprache Reagans.

  9. #9 BreitSide
    31. Januar 2012

    xxx