Vor vier Jahren hatte ich zur Bundestagswahl 2009 eine kleine Blogserie mit Inhaltsübersichten der Wahlprogramme zu den „ScienceBlogs-relevanten“ Themen veröffentlicht, die damals sehr viel Anklang gefunden hatte, weshalb ich im laufenden Wahljahr daran anknüpfen möchte. Die „Regeln“ behalte ich dabei bei: Es werden nur demokratische Parteien aufgenommen, die eine reale Chance auf den Einzug in den Bundestag haben und die über ein Vollprogramm verfügen, welches sich zum Zwecke der bequemen Lektüre im PDF-Format herunterladen lässt. Neben NPD und Pro Deutschland scheidet dadurch auch die AfD aus, die tatsächlich noch immer über kein Vollprogramm verfügt, sondern interessierten Wählerinnen und Wählern lediglich ein paar Stichpunkte anbietet. Es verbleiben CDU/CSU, FDP, SPD, Grüne, Linkspartei und Piratenpartei, deren programmatische Aussagen zu bestimmten Themen jeweils in Form einiger Stichpunkte und/oder eines Auszugs aus dem Vollprogramm zusammengefasst werden.

Beginnen möchte ich diese kleine Artikelserie mit einer Frage, die vielen meiner Kolleginnen und Kollegen (und natürlich auch vielen Wissenschaftsbloggern auf den ScienceBlogs sowie auf den Scilogs) schon seit Jahren am Herzen liegt: Sollten die Ergebnisse steuerfinanzierter Forschung entgegen dem gegenwärtigen Verbreitungsmodell über teils extrem teure Fachzeitschriften allen Interessenten kostenfrei zur Verfügung gestellt werden (Open Access) – und falls ja in welchem Umfang und in welcher Form?

CDU/CSU
(Link zum Vollprogramm – “Gemeinsam erfolgreich für Deutschland”)

“Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Kultur brauchen den Schutz geistigen Eigentums. Gleichzeitig wollen wir mit einem verlässlichen, modernen Urheberrecht den Einsatz digitaler Studienmaterialien an den Hochschulen vereinfachen. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die mit staatlicher Förderung entstehen, sollen nach einer angemessenen Zeit für alle Bürger frei zugänglich werden. Dazu werden wir zusammen mit der Wissenschaft eine sogenannte „Open-Access-Strategie“ entwickeln.”

– Seite 42

FDP
(Link zum Vollprogramm – “Damit Deutschland stark bleibt”)

Forscher und Wissenschaftler sollen weiterhin selbst entscheiden können, ob ihre Werke und  Beiträge frei zugänglich sind, oder ob sie unter einer Lizenz stehen. Dies gilt auch für öffentlich  geförderte Forschungsprojekte. Diese Freiheit der Entscheidung, wie die eigenen Werke genutzt werden, darf nicht durch gesetzliche Regelungen genommen werden. Nur mit dem Anreiz aller  Möglichkeiten der Entfaltung kann Forschung auch jenseits öffentlicher Förderung weiter betrieben werden. Wir setzen uns jedoch bei öffentlich geförderter Forschung für Förderungsrichtlinien ein, die die Publikation der Ergebnisse grundsätzlich zum Ziel hat, soweit keine zwingenden Belange entgegenstehen.

– Seite 59

SPD
(Link zum Vollprogramm – “Das WIR entscheidet”)

“Wir wollen ein bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht. Wissenschaftliche Autorinnen und Autoren müssen ihre Beiträge neben der Verlagspublikation z.B. auf den Seiten der Hochschule zugänglich machen können.

– Seite 64

Bündnis 90/Die Grünen
(Link zum Vollprogramm – “Zeit für den grünen Wandel”)

Wir wollen, dass Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung rasch breit verfügbar sind, und unterstützen deshalb Open Access und Open Data im Wissenschaftsbereich, damit der Austausch innerhalb der Wissenschaft, aber auch der Wissenstransfer in Wirtschaft und Gesellschaft verbessert wird. Durch öffentliche Mittel finanzierte wissenschaftliche Publikationen müssen auch frei zugänglich sein.

– Seite 114

LINKE
(Link zum Vollprogramm – “100% sozial”)

“Wissen, das mit Steuermitteln erarbeitet wurde, muss allen zur Verfügung stehen. Aus diesem Grunde setzen wir uns für verpflichtende Open-Access-Veröffentlichungen sowie die Zugänglichkeit von Forschungsdaten nach dem Prinzip von Open Data ein.”

– Seite 37

Piratenpartei
(Link zum Vollprogramm – “Wir stellen das mal infrage”)

“Die Piratenpartei setzt sich für den allgemeinen und freien Zugang zu allen aus Steuermitteln finanzierten Forschnungsergebnissen ein (Open Access). Zur Förderung von Veröffentlichungen wissenschaftlicher Ergebnisse nach dem Open-Access-Modell soll als Infrastrukturmaßnahme einer allgemeinen, nicht themenbeschränkten Open-Access-Zeitschrift nach dem Vorbild von PLOS One eine Anschubfinanzierung aus Bundesmitteln gewährt werden. Weiterhin soll ein Open Access-Fonds aus Bundesmitteln gebildet werden, der die von Forschern zu entrichtenden Publikationskosten in Open Access-Zeitschriften bis zu einem bestimmten Betrag übernimmt. Ziel dieses Fonds ist, Open Access-Veröffentlichungen aus der Nutzenabwägung innerhalb des Budgets von Forschern herauszunehmen. Die Piratenpartei setzt sich für eine Stärkung der Eigenarchivierungsrechte von Autoren (z. B. auf Homepages der Autoren) ein. Diese stellen neben Zeitschriften für die Bevölkerung eine weitere kostenfreie Zugangsmöglichkeit zu Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung dar.”

– Seite 48/49

Kurzfazit

Im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 haben sich CDU/CSU, FDP und SPD bei der Aufnahme einer grundsätzlichen Forderung nach Open Access in der Wissenschaft  weiterbewegt – Grüne, Linkspartei und Piratenpartei hatten bereits in ihren damaligen Wahlprogrammen die Förderung von Open Access-Modellen gefordert. Ein verpflichtender Ansatz zur Open Access-Publikation ist nur bei CDU/CSU, Grünen und Linkspartei zu erkennen, während SPD und Piraten (und vielmehr noch die FDP) eher auf Freiwilligkeit zu setzen scheinen. Leicht widersprüchlich scheint mir die Position der FDP zu sein, die zum einen zwar das Wahlrecht für Autoren auch bei öffentlich geförderten Forschungsprojekten erhalten will, sich zum anderen aber für entsprechende Pflichten in den Förderrichtlinien einsetzt. Und während CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke es in ihren aktuellen Wahlprogrammen bei einer generellen Zusage zum Open Access-Prinzip belassen, treffen einzig die Piraten eine Festlegung auf ein konkretes Realisierungsmodell (bundesfinanzierte Open Access-Zeitschrift, Open Access-Fond für die Übernahme von Autorengebühren und Stärkung der Eigenarchivierungsrechte).

Und nun zu den Leser/innen: Welche Formulierung entspricht am ehesten euren Vorstellungen in Sachen Open Access – und warum? Welcher der Parteien traut ihr zu, eine Veränderung im Umgang mit steuerfinanzierten Forschungsergebnissen anzustoßen? Und ist die Position einer Partei zum Thema Open Access für eure Wahlentscheidung überhaupt von Bedeutung?

Und nicht vergessen: Wer nicht zur Wahl geht, darf hinterher auch nicht jammern!

Kommentare (16)

  1. #1 Florian Freistetter
    9. September 2013

    “Und nicht vergessen: Wer nicht zur Wahl geht, darf hinterher auch nicht jammern!”

    Ich schon! Ich darf nämlich nicht wählen, auch wenn ich wollte und muss mich trotzdem an all das halten, was die deutschen Politiker beschließen…

  2. #2 Christian Reinboth
    9. September 2013

    @Florian: Ja, den zugehörigen Blogpost bei “Astrodicticum Simplex” lese ich gerade und überlege schon, ob und wie sich die angeführten Argumente widerlegen lassen…

  3. #3 MartinB
    9. September 2013

    “Ein verpflichtender Ansatz zur Open Access-Publikation ist nur bei CDU/CSU, Grünen und Linkspartei zu erkennen, während SPD und Piraten (und vielmehr noch die FDP) eher auf Freiwilligkeit zu setzen scheinen. ”
    Wie du das aus dem Statement der CDU/CSU herausliest, ist mir schleierhaft. “Sollen” ist im juristischen Sinne ja genau keine Verpflichtung.

    Während die SPD umgekehrt die Möglichkeit schaffen will, dass niemand es Wissenschaftlerinnen verbieten kann (“müssen”), ihre Ergebnisse frei zu veröffentlichen.

  4. #4 Christian Reinboth
    9. September 2013

    @Martin B.: Ich lese das aus dem Unterschied zwischen “sollen” und dem ja ebenfalls möglichen (und schwächeren) “sollten” heraus. Diese Lesart mag natürlich auch meiner in diesem speziellen Fall besseren Kenntnis der “innerparteilichen Beschlusslage (“Es spricht viel dafür, in Deutschland Open Access zur Bedingung öffentlicher Förderung zu machen.”) geschuldet sein, die mir bei anderen Parteien leider fehlt.

    In der SPD-Position kann ich tatsächlich keine Verpflichtung erkennen (was ja aber überhaupt nicht verkehrt sein muss), da hier doch im Grunde nur gefordert wird, die Autorinnen und Autoren in ihrer Wahlfreiheit nicht zu beschränken. Eine Kopplung z.B. an Förderbedingungen, wie sie beispielsweise die Linke vorschlägt, ist im Programm dagegen nicht vorgesehen.

  5. #5 CM
    9. September 2013

    Sehr schöner Blogbeitrag!

    Vielleicht noch zur Erklärung: Bei den Grünen – und ich unterstelle den anderen Parteien ein ähnliches ernsthaftes Ringen um Formulierungen im Wahlprogramm – weiß ich, dass in den Arbeitsgemeinschaften darüber diskutiert wurde, wie genau die Formulierung lauten sollte, denn tatsächlich möchten viele (ich auch) die Pflicht zu Open Access bei öffentlich finanzierter Forschung verankert sehen. Es blieb aber die Frage, wie genau (juristisch) und in welchem Zeitrahmen eine Änderung möglich ist. Prinzipiell kann eine Bundesregierung in einer Legeslaturperiode viel – aber nicht alles (die Länder vergeben eigene Mittel; EU Rahmenprogramme haben lange Laufzeiten; etc.).

    Nun ja, hoffentlich kommt Bewegung in die Sache – aber das “sollen” lese ich in diesem Sinne durchaus als eine Selbstverpflichtung, an die man CDU/CSU (und letztlich alle Parteien mit ähnlichen Forderungen) durchaus auch erinnern darf.

    Gruß,
    Christian

  6. #6 Christian Reinboth
    9. September 2013

    @CM: Wobei ich das Statement der Grünen durchaus als verpflichtend werten würde (“müssen(!) frei zugänglich sein”). Positiv zu bemerken ist auf jeden Fall, dass alle Parteien sich – wenn auch teils zögerlich wie im Falle der FDP – in den letzten vier Jahren in Richtung Open Access bewegt bzw. ihre befürwortende Haltung beibehalten haben. Das lässt hoffen, dass sich in der nächsten Legislatur vielleicht mehr bewegt als in der zurückliegenden…

  7. #7 MartinB
    9. September 2013

    @Christian
    “Sollen” heißt aber doch gerade, dass es nicht so sein muss.

    Das Zitat der “Beschlusslage” ist an Schwammigkeit kaum zu übertreffen: Klar spricht viel dafür. Aber spricht vielleicht genausoviel oder noch mehr dagegen?

    Bei der SPD steht, dass Wissenschaftlerinnen die Möglichkeit haben müssen, ihre Ergebnisse zugänglich zu machen. Das finde ich deutlich stärker als “sollen nach angemessener Zeit…”

    “da hier doch im Grunde nur gefordert wird, die Autorinnen und Autoren in ihrer Wahlfreiheit nicht zu beschränken.”
    Hmm, gute Frage. Ist nun gemeint, ich *muss* die Möglichkeit auch dann haben, wenn ich bei einem beliebigen Verlag veröffentliche (was dann im gegensazu zur bisherigen Copyright-Praxis stünde) – so habe ich es gelesen – oder ist nur gemeint: Niemand darf mir verwehren, es auf dem Institutsserver hochzuladen, aber ich kann es dann ggf. nicht mehr bei zeitschriften veröffentlichen, die ein Copyright verlangen, das ist halt meine Entscheidung (so scheinst du es zu lesen). Gegen diese zweite Lesart spricht aber, dass das ja schon jetzt so ist.

  8. #8 CM
    9. September 2013

    @Christian Reinboth, #9: Bin völlig d’accord. Habe nur nicht klar genug formuliert – mein Fehler.

  9. #9 Till
    9. September 2013

    Mir kam das grüne Programm oben so knapp vor – bis mir eingefallen ist, dass wir Open Access dieses Jahr gleich zweimal im 330-Seiten-Programm haben. Einmal die oben zitierte Formulierung aus dem Bildungsteil. Und dann geht im Netzpolitikteil noch einmal sehr konkret zur Sache:

    Wissenschaft und Forschung können immens von den digitalen Möglichkeiten profitieren, denn Wissen wächst, wenn man es teilt. Wir wollen auch im Wissenschaftsbereich urheberrechtliche Hindernisse für den Zugang abbauen und setzen uns für frei verfügbare wissenschaftliche Publikationen (Open Access), ein gesetzliches Recht auf entsprechende Veröffentlichungen für mit öffentlichen Mitteln geschaffene Werke und für freie Forschungsdaten (Open Data) ein. Im Rahmen der öffentlichen Forschungsförderung soll Open Access zur verpflichtenden Bedingung gemacht werden. Zudem wollen wir ein unabdingbares Zweitverwertungsrecht schaffen. Wir wollen eine umfassende Wissenschaftsschranke einführen. Die Nutzung publizierter Werke jedweder medialer Art sollte für den nicht gewerblichen, wissenschaftlichen Gebrauch grundsätzlich genehmigungsfrei und ohne Einschränkungen erlaubt sein.

  10. #10 Till
    9. September 2013

    (Und noch eine Nickeligkeit: unser Programm heißt “Zeit für den grünen Wandel”)

  11. #11 Christian Reinboth
    9. September 2013

    @Till:

    (Und noch eine Nickeligkeit: unser Programm heißt “Zeit für den grünen Wandel”)

    Das Problem ist schnell behoben. Abgesehen davon hat das Programm mit 330 Seiten natürlich auch Überlänge…

  12. #12 Tantal
    10. September 2013

    Wie stellen die Piraten sich denn eine allgemeine, nicht themenbeschränkte Open-Access-Zeitschrift vor? Sollen da alle Fachbereiche vertreten sein? Und welchen Umfang soll das ganze haben, um einen messbaren Effekt zu erzielen? Dürfen da nur deutsche Wissenschaftler publizieren?

  13. #13 Frank Wappler
    https://what's.open.access.to.the.library--without.open.access.to.the.printing.press
    10. September 2013

    Christian Reinboth schrieb (September 9, 2013):
    > […] CDU/CSU, FDP, SPD, Grüne, Linkspartei und Piratenpartei, deren programmatische Aussagen zu bestimmten Themen jeweils in Form einiger Stichpunkte und/oder eines Auszugs aus dem Vollprogramm zusammengefasst werden.
    > Welche Formulierung entspricht am ehesten euren Vorstellungen in Sachen Open Access – und warum?

    An der zitierten programmatischen Aussage der FDP gefällt mir hinsichtlich “Open Access” der (implizite) Respekt für die mögliche Entscheidung von Forschern und Wissenschaftlern, dass ihre Werke und Beiträge frei zugänglich sein sollen, unabhängig davon, ob ihre entsprechenden Projekte öffentlich gefördert worden wären, oder im Rahmen von Hochschulen organisiert worden wären.

    Ist erkennbar, ob und wie Autoren (Forscher, Wissenschaftler), die sich so entscheiden, darüber hinaus bei der Umsetzung dieser Entscheidung unterstützt werden sollen, d.h. beim Vorhaben, ihre Werke und Beiträge frei zugänglich zu veröffentlichen?

    An der zitierten programmatischen Aussage der Piratenpartei gefällt mir hinsichtlich “Open Access” die Anerkennung (und sogar das ausdrückliche Vorhaben einer Stärkung) von “Eigenarchivierungsrechte von Autoren“; offenbar ohne besondere Bedingungen an akademische Affiliation von Autoren, oder öffentliche Förderung ihrer Arbeiten.

    Verbindet sich damit auch die Voraussetzung und Anerkennung eines allgemeinen Rechtes auf individuelle Autorenschaft und Veröffentlichung von selbstgeschaffenen Werken und Beiträgen?

    Ist eine Stärkung von dafür geeigneten Medien vorgesehen (z.B. eine Förderung der allgemeinen Verfügbarkeit von “Homepages“)?

  14. #14 Wolf
    10. September 2013

    @Tantal #12:

    https://news.piratenpartei.de/

    Frag nach…

  15. #15 Bernhard Mittermaier
    12. September 2013

    Danke für die Zusammenstellung!

    Bei der FDP erkenne ich keine Widersprüchlichkeit, sondern eine eindeutige Position: keine Stärkung von Open Access:
    – “sollen weiterhin selbst entscheiden können” bedeutet Beibehaltung des Status Quo
    – “Wir setzen uns jedoch bei öffentlich geförderter Forschung für Förderungsrichtlinien ein, die die Publikation der Ergebnisse grundsätzlich zum Ziel hat, soweit keine zwingenden Belange entgegenstehen.“ hat nichts mit Open Access zu tun. Es soll (irgendwie) publiziert werden, und auch das nur, wenn keine zwingendne Belange dagegen stehen. Dies sehen die existierenden Förderrichtlinien so in etwa auch jetzt schon vor.

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