Ende Februar fand an der Hochschule Harz die – teilweise von mir mitorganisierte – Jahresfachtagung des Museumsverbands Sachsen-Anhalt statt, auf der in diesem Jahr die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für Museen, Galerien und Denkmäler im Vordergrund standen. Eigentlich wollte ich über die Ergebnisse dieser Tagung auch hier im “Frischen Wind” berichten – allerdings kamen mir ein ausführlicher Blog-Zweiteiler der Kunsthistorikerin Stefanie Karg (Teil 1, Teil 2) sowie die Möglichkeit eines gemeinsamen Gastbeitrags mit Museumsverbandschefin (und ScienceBlogs-Gastbloggerin) Susanne Kopp-Sievers im Blog der Museumsberaterin Tanja Praske zuvor. Wer sich also für die Ergebnisse unserer Tagung interessiert, auf der wir uns unter anderem mit Crowdfunding im musealen Bereich und der Nutzung von Augmented Reality-Applikationen in Galerien befassen durften, kann diese in den drei oben verlinkten Blogposts ausführlich nachlesen, weshalb ich an dieser Stelle nur noch einmal auf einen Aspekt eingehen möchte, der aus meiner Sicht für die Frage, ob gerade kleine und mittelgroße deutsche Museen langfristig überhaupt von den Chancen der Digitalisierung profitieren werden, von herausragender Bedeutung ist: Die Wertschätzung digitaler musealer Vermittlungsarbeit.

Volles Haus

Volles Haus bei der Jahresfachtagung des Museumsverbands Sachsen-Anhalt (Bildquelle: HS Harz).

Ein Museum hat – wenn man sich beispielsweise an dieser Definiton des ICOM orientiert – zwei wesentliche Aufgaben: Die Sammlung, Bewahrung und Erforschung von Objekten und Dokumenten von historischem Wert sowie die Vermittlung von Wissen über diese Objekte und Dokumente. Die zweite dieser Aufgaben – die der Wissensvermittlung – erfolgt in der Regel über Ausstellungen im eigenen Haus sowie über die Beteiligung an Ausstellungen in anderen Häusern. Der Erfolg musealer Vermittlungsarbeit ist daher zumindest indirekt (da Reichweite allein nicht den Vermittlungserfolg bestimmt) über die Zahl der Besucherinnen und Besucher in Dauerausstellungen, Sonderausstellungen und auf musealen Events messbar. Für Museen, die in der einen oder anderen Weise von öffentlichen Mitteln abhängig sind – was in Deutschland auf die Mehrzahl der Museen zutrifft – ist die Entwicklung der Besucherzahlen daher oft von existenzieller Bedeutung. Stagnieren die Besucherzahlen oder gehen sie sogar zurück, wird dies in den Entscheidungsgremien von Landkreisen und Kommunen nicht selten als Anzeichen dafür gewertet, dass ein Museum schlecht geführt wird oder schlicht nicht mehr zeitgemäß ist.

Grottenstein

Für das Projekt “museum-digital” digital erfasster Grottenstein aus der OGS Walkenried.

Diese Form der Betrachtung lässt außer Acht, dass die Aufgabe des Museums eben nicht darin besteht, so viele Personen wie möglich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Gebäude zu versammeln – sondern vielmehr in der Vermittlung von Wissen liegt. Wenn diese Aufgabe erfolgreich über Sonderausstellungen und Veranstaltungen erfüllt werden kann – umso besser. Dennoch sollte nicht einfach ignoriert werden, dass Museen auch über andere Kanäle – etwa über Fachpublikationen – Vermittlungsarbeit betreiben. Insbesondere das Internet ist in den vergangenen Jahren als Medium der Wissensvermittlung zunehmend in den Vordergrund gerückt. An meiner Hochschule studieren beispielsweise mittlerweile schon 10% der eingeschriebenen Studierenden in berufsbegleitenden Studiengängen, in denen die Wissensvermittlung über Lehrbriefe, Online-Seminare und Wochenendkurse stattfindet. Kein Mensch käme auf die Idee, diese 10% mit der Begründung aus der Statistik steichen zu wollen, dass nur ein “echter Student” sein könne, wer täglich auf dem Campus anzutreffen sei. Vielmehr wird selbstverständlich anerkannt, dass die Hochschule einem ihrer Kernaufträge – der wie bei den Museen ja ebenfalls in der Wissensvermittlung besteht – auch bei Fernstudierenden nachkommt.

Bei Museen wird dies von vielen Entscheidungsträgern leider ganz anders gesehen. Während Online-Besteller natürlich “richtige Kunden” (sie geben ja Geld aus) und Fernstudierende “richtige Studierende” (sie qualifizieren sich ja weiter) sind, sind Menschen, die sich Online über museale Exponate informieren oft keine “richtigen Museumsbesucher” – und finden daher in den meisten Fällen keinen Eingang in die so wichtigen Besucherstatistiken, die wiederum in Stadträten, Kreistagen, Landtagen und Kulturdezernaten als zentraler Indikator für den Erfolg der musealen Vermittlungsarbeit betrachtet werden. Vielen – gerade kleineren – Museen fehlt damit jegliche extrinsische Motivation, sich mit den Möglichkeiten der digitalen Wissensvermittlung zu befassen. Die wenigen Ressourcen, die in solchen Häusern noch frei verfügbar sind, lassen sich rein ökonomisch betrachtet deutlich effektiver in eine zusätzliche Veranstaltung investieren – denn auch wenn man damit vielleicht nur 5% der Personen erreicht, die man mit einem verbesserten Online-Angebot erreichen könnte, ist der Effekt auf die eigene Erfolgsbilanz und damit auf die Absicherung des eigenen Budgets ungleich größer.

An der zunehmenden Bedeutung der digitalen Wissensvermittlung in einer Vielzahl von Bereichen, geht diese Betrachtung leider vorbei. Mehr als 7.000 Menschen nahmen Ende des vergangenen Jahres am Online-Programm der Sonderausstellung “Photography – A Victorian Sensation” des Schottischen Nationalmuseums teil – daunter auch Menschen wie ich, die schon aus zeitlichen und finanziellen Gründen keine Möglichkeit gehabt hätten, die großartig inszenierte Ausstellung in natura zu besuchen. Über 27.000 Objekte allein aus Sachsen-Anhalt wurden in den vergangenen Jahren im Projekt “museum-digital” erfasst – jedes mit einer eigenen Unterseite, die über Google auffindbar ist. Wird täglich nur jedes 100. Objekt über eine Suchmaschinen-Anfrage gefunden, erreichen die Museen unseres Bundeslandes mit ihren (teilweise nicht einmal öffentlich ausgestellten) Exponaten jährlich fast 100.000 zusätzliche Besucherinnen und Besucher – die dann aber leider in kaum einer Erfolgsbilanz auftauchen. Das Städel-Museum demonstriert mit “Kunstgeschichte Online” gerade, wie die virtuelle Heranführung an Kunst launig und frisch funktionieren kann.

Social Media und Museen

Die Internetpräsenz der Museen in Sachsen-Anhalt – Auszug aus dem Vortrag von Prof. Dr. Uwe Manschwetus bei der Jahresfachtagung des Museumsverbands.

Bei vielen politischen Entscheidungsträgern auf kommunaler Ebene sind diese Tatsachen leider noch lange nicht angekommen. 41% der Museen in Sachsen-Anhalt verfügen – oft aus bürokratischen Gründen – nicht einmal über einen eigenständigen Internetauftritt und sind für virtuelle Museumsinteressentinnen und -interessenten damit de facto unsichtbar. Wenn ich aus der Vorbereitung der Museumstagung und anderen Veranstaltungen eine Erkenntnis mitgenommen habe, dann ist es die, dass sich dies – zeitnah – ändern muss.

Wie der Online-Kunde als Kunde, der Fernstudent als Student oder der E-Mail-Schreiber an die Stadtverwaltung als Bürger, muss auch der virtuelle Museumsbesucher endlich als ein “richtiger” Besucher anerkannt werden. Über gewisse Abstufungen und Gewichtungen kann und sollte man dabei sicherlich diskutieren. Dass jedoch die digitale Vermittlungsarbeit von Museen bei der erfolgsabhängigen Mittelvergabe eine absolut untergeordnete bis hin zu (in einigen Fällen) überhaupt gar keiner Rolle spielt, ist schlicht eine Fehlentwicklung, die eine der zentralen Aufgaben musealer Einrichtungen unzeitgemäß und unnötig auf bestimmte Orten, Zeiten und Personenkreise einengt.

(Titelbild: Digital verändertes Ölgemälde des Wernigeröder Rathauses von Herrmann Schnee (1840 – 1926), Original im Harzmuseum)

Kommentare (1)

  1. #1 fherb
    9. April 2016

    Zwar etwas weit her geholt, letztlich aber doch real: Jeder Online-Besucher eines Museums trägt positiv zur CO2-Bilanz des Landes bei: Bis auf etwas Strom für den PC und Anteilig für Netz und Server muss er nicht vielleicht einige hundert Kilometer mit dem Auto (oder der Bahn) zum Museum fahren. Und während der eingesparten Reisezeit kann er sich entweder länger mit den Museumsinhalten beschäftigen oder alternativ: etwas anderes konsumieren (beides ist doch vom Staat gewollt). 😉