Falls jemand an diesem Blogeintrag hängen blieb, weil der Begriff “LHC” in der Überschrift seinen Blick – und sein Interesse – gefangen hat, dann habe ich bereits mein erstes Ziel erreicht: zu zeigen, dass wir als Leser nahezu reflexhaft auf Reizwörter anspringen. Und darum soll es mir hier nun gehen. Denn “Wissenschaftsjournalismus in Massenpublikationen” (klingt wie der Titel eine Volkshochschul-Vortrags, obwohl ich mit den Anführungszeichen nur den oxymoronischen Charakter dieser Begriffskombination unterstreichen wollte) ist untrennbar mit solchen Reizworten verbunden. Das mögen manche bedauerlich, andere amüsant finden – in jedem Fall aber ist es so.

Denn selbst in den besten Qualitätszeitungen werden Berichte aus und über Wissenschaft an sechs von sieben Wochentagen – also an jenen Tagen, an denen der Wissenschaftsteil nicht erscheint – an die “bunten” Seiten des Vermischten oder des Feuilletons weiter gereicht (als ehemaliger stellvertretender Ressortleiter “Aus aller Welt” einer großen deutschen Tageszeitung weiß ich davon aus eigener Erfahrung zu berichten). Und was dort steht, wird eben nicht nur nach seinem “harten” Nachrichten- und Neuigkeitswert ausgesucht und ausgeführt, sondern es muss auch den “soften” Anforderungen von Leserappeal und Unterhaltungswert genügen.

Und da diese Seiten zumeist von und für wissenschaftliche (Halb-)Laien gemacht werden, kommt den Reiz- oder Schlüsselwörtern eine entscheidende Rolle zu: Sie fokussieren die Story auf einen Begriff, den der Leser schnell mit etwas für ihm Bekanntem identifizieren kann, sie helfen dem Redakteur, sperrige Fachwort-Ungetüme durch so griffige, plastische Formulierungen wie “Urknall” zu ersetzen. Und sie helfen dem Ressortleiter, das Thema in der Blattkonferenz zu “verkaufen”, wo Entscheidungen über die Platzvergabe oft schneller fallen als bei holländischen Blumenauktionen.

So weit, so bedauerlich. Eine Herausforderung für Journalisten, möchte man meinen. Wenn da nicht etwas ins Spiel käme, das ich ganz spröde und ganz reiz(wort)los als “vorauseilende Reizwort-Spielerei” bezeichnen möchte. Damit meine ich, dass sich Forscher von sich aus (oder auch durch Anregung ihrer Uni-Pressestellen, wie aus diesem Beitrag auf Ludmilas Blog zu folgern wäre) in den Wortschatz der Science-Fiction und der Fantasy-Literatur greifen.

Und dann beispielsweise gleich von “Tarnkappen“* reden, obwohl sie lediglich einen Weg gefunden haben, elektromagnetische Wellen unter ganz bestimmten, eng definierten Voraussetzungen zu “verbiegen”. Und dann noch nicht mal theoretisch plausibel erklären können, wie man dadurch ein komplexes, reales Objekt – einen Harry Potter, zum Beispiel, oder James Bonds Aston Martin Vanquish aus “Stirb an einem anderen Tag” – verschwinden lassen könnte. Ganz abgesehen davon, dass dies wohl kaum einen praktischen Nutzen haben könnte (wenn elektromagnetische Wellen nicht in das getarnte Objekt eindringen können, dann kann, wer immer darin sitzt, auch nichts sehen und keine Funksignale empfangen). Oder locker von Zeitreisen* plaudern, weil sie im Quantenbereich (scheinbare?) Umkehrungen von Kausalitäten beobachten/berechnen können. Oder den Superman-“Röntgenblick“* als Metapher strapazieren, obwohl es doch nur um wenig Aufregendes im Hinblick auf räumliche Wahrnehmung geht.

Oder sie dampfplaudern eben – und da sind wir nun beim Aufreger-Thema der Woche/des Monats – von den “schwarzen Löchern”, die der LHC produzieren könnte. Ein Physiker mag das ja korrekt einordnen können und dementsprechend beruhigt schlafen, aber alle anderen werden mit dem “Schwarzen Loch” wohl immer noch das assoziieren, was John A. Wheeler in den 60-er Jahren erstmals mit dieser Metapher umschreiben wollte: Ein durch Gravitation kollabierter Stern, dessen Anziehungskraft so stark ist, dass nicht einmal mehr das Licht entweichen kann, weil seine Fluchtgeschwindigkeit größer ist als die Lichtgeschwindigkeit. Uns Laien wurden diese “Schwarzen Löcher” stets als materiefressende Monster verkauft, die alles verschlingen, was in ihre Nähe kommt. Da kann man sich schon mal fürchten. Mag ja sein, dass die “Schwarzen Löcher” des CERN trotz ihrer Mikrokurzlebigkeit den gleichen physikalischen Prinzipien folgen wie die kollabierten Megasterne – aber das gleiche ließe sich auch über einen Tsunami und die Wasserwelle sagen, die mir aus dem Putzeimer schwappt, weil ich schusseliger Weise dagegen getreten bin. Käme ich auch nicht drauf zu behaupten, dass mein Putzexmeriment nun Tsunamis produziert hätte.

Reizworte sichern den Abdruck – und wenn’s hinterher zu Missverständnissen beim Leser kommt, kann man ja immer noch dem Journalisten die Schuld geben. Der hätte halt die Ironie/das Augenzwinkern nicht richtig kapiert und alles zu wörtlich genommen. Und überhaupt: Wofür gebe es schließlich Wissenschaftsjournalisten, wenn nicht, damit sie die Worte der Wissenschaftler richtig umsetzen und an die Leser-Masse weiter geben?

Der Haken ist nur, dass nicht jeder Journalist, der über Wissenschaft schreibt, ein Wissenschaftsjournalist ist. Und selbst wenn er es wäre, setzt dies nicht automatisch detaillierte Kenntnisse auf jedem Fachgebiet voraus. Und selbst wenn diese gegeben wären, müsste der Schreiber dann immer noch seiner nächst höheren Ebene – Redaktionen sind fast so hierarchisch wie das Militär! – erklären, warum nun am Ende nichts mehr von den Zeitreisen/Tarnkappen/Röntgenaugen/Schwarzen Löchern im Text zu lesen ist, auf die sie doch schon so gespannt waren. Schließlich hätten die Forscher doch selbst davon gesprochen!!!

Wer also glaubt, dass er mit solch populistischer Wortwahl bessere Presse bekommt, der darf sich nicht wundern, wenn es daneben geht (es sei denn, er gehört zu den Menschen, für die mehr immer gleich besser ist). Nichts ist schlimmer als ein irreführendes Sprachbild, und nicht jeder Wissenschaftler hat das Talent eines Neil DeGrasse Tyson, kosmische Phänomene für jedermann verständlich zu illustrieren. Dafür sind im besten Fall die Journalisten da. Und im schlimmsten Fall galoppieren sie mit diesen Trivial-Referenzen davon. In jedem Fall aber ist es besser, bei seinem akademischen Leisten zu bleiben und das SF-Vokabular für den Kegelabend im Kollegenkreis aufzuheben. Denn die Geister, die man damit rufen kann, machen sich mit ihrem Spuk nur all zu leicht selbständig.

* Damit es kein Missverständnis gibt: Diese Links unterstellen NICHT, dass unsere Blogautoren im SF-Jargon wildern gegangen sind

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