Kann es sein, dass all dies weniger damit zu tun hat, wie schlecht wir uns Wahrscheinlichkeiten ausmalen können, sondern viel mehr damit, dass wir bestimmten Ereignissen eine Bedeutung zumessen, die andere nicht haben können? Sechs mal die Sechs in einer Folge scheint uns beim Würfeln etwas “sagen” zu wollen, was 3-1-3-6-4-2 vielleicht nie könnte. Wenn “meine” Zahlen im Lotto gezogen werden, dann deswegen, weil es “meine” Zahlen waren – alle 13.983.815 übrigen Kombinationen haben für mich keine Bedeutung. Täglich gibt es vermutlich Hunderttausende von Flugpassagieren, die eine Maschine verpassen oder ihren Flug umbuchen – sollte diese ursprünglich geplante Maschine abstürzen, dann sind sie “durch ein Wunder” gerettet worden.

Wunder sind also nicht durch die Ereignisse selbst zu begreifen, sondern nur durch die Tatsache, dass wir uns wundern, weil wir in dem Ereignis eine tiefere Bedeutung sehen als in all den anderen, zufälligen Begebenheiten, die sich rings um uns her ereignen. Wenn Sulley Sullenberger seine Maschine mit Triebwerkschaden dank seiner unverändert vorhandenen professionellen Fähigkeuten heil auf einem nahegelegen Flugplatz runtergebracht hätte, würde zwar jeder die Geschicklichkeit des Piloten zu recht loben – von einem “Wunder” spräche hingegen niemand. Was dann auch wieder kein Wunder wäre …

* Dies ist mir passiert: Ich musste in meinen bisher einzigen Klinikaufenthalt in New York das Zimmer mit einem damals 86-jährigen Violinisten der New Yorker Philharmonie teilen, der ebenso wie ich in Schweinfurt geboren war, wie sich im Laufe des Gesprächs heraus stellte

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Kommentare (5)

  1. #1 Sven Türpe
    20. Januar 2009

    Vielleicht spricht auch so niemand von einem Wunder — mit Ausnahme einer Handvoll Journalisten. Und die wundern sich nicht wirklich, sondern sie rufen einen tausendfach gebrauchten Textbaustein ab, ohne lange darüber nachzudenken.

  2. #2 Simchen
    20. Januar 2009

    Als ich einmal über das Gleiche Problem nachsann, kam ich auf die gleiche Lösung. Menschen halten manche Dinge einfach für bemerkenswerter und messen dem Geschehen dann einfach mehr Bedeutung bei als es verdient hätte.

    Wie wahrscheinlich ist es, dass wenn ich zum Bäcker gehe um mir eine Brezel zu holen, ich eine Minute an der Ampel stehe, während 10 Autos, mit der und der Farbe und diesem und jenem Kennzeichen vorbeifahren. Dann komm ich schließlich zum Bäcker und es gibt keine Brezeln. Jede hinreichend große Ansammlung von Ereignissen an jedem Tag unseres Lebens kann als vollkommen unwahrscheinlich gelten aber sie sind eben nicht bemerkenswert genug. Und eine Welt ohne bemerkenswerte Vorkommnisse? Na DAS wäre doch mal bemerkenswert.

    Dawkins hat übrigens in seinem Buch “Der entzauberte Regenbogen” ein ganzes Kapitel diesem Thema gewidmet. Das wäre mein Lesetipp.

    Als letztes bleibt mir nur noch den großen Philosophen Didactylos zu zitieren:

    “things just happen. what the hell”

  3. #3 florian
    20. Januar 2009

    Ein Punkt fehlt noch bei der Definition: als Wunder werden nur unwahrscheinliche Dinge bezeichnet, die irgendwie positiv sind. Ein Flugzeugabsturz (mit Toten und Verletzten) ist ja auch sehr unwahrscheinlich. Da müssen auch viele verschiedene Faktoren zusammenspielen, damit so ein Unglück geschehen kann. Aber da spricht dann natürlich niemand von nem Wunder (obwohls rein formal das selbe ist).

  4. #4 Jürgen Schönstein
    20. Januar 2009

    @Florian
    Klar doch. Hatte ich nur vergessen, ausdrücklich zu erwähnen. Ein als negativ bewertetes Ereignis wird natürlich nicht “Wunder” genannt, sondern je nach Einstellung “Schicksalsschlag” oder “Zorn der Götter” oder “Strafe Gottes” … Und wenn das Flugzeug, das abstürzt, voller Diktatoren und Kriegsverbecher wäre, würden wir den Tod aller als “Wunder” feiern, während ihr “wundersames” Überleben der “Schicksalsschlag” wäre. Entscheidend ist, dass wir solchen Ereignissen, die an sich nichts weiter sind als die Konsequenzen von rational beschreibbaren Faktoren einerseits und in sich wertneutral/unspezifischen Zufällen andererseits, eine Bedeutung, einen tieferen Sinn, zuschreiben. Aber diese Bedeutung ist eben keine Eigenschaft des Vorgangs an sich, sondern lediglich eine Form der Wahrnehmung, die wiederum von unseren Wertsystemen geprägt ist.
    Und das ist etwas, was selbst Wissenschaftlern nicht ganz fremd sein dürfte. Ich habe natürlich jetzt keine Belege zur Hand, aber ich denke, dass man auch als gewissenhafter Forscher leicht in die Falle tappt, jene Fakten im “Rauschen” der Datenfülle als bedeutsamer, relevanter zu empfinden, die die eigene Theorie bestätigen könnten. Die Gefahr, dass man “sieht”, was man hofft und erwartet zu sehen, ist immer vorhanden. Genau deswegen ist ja das Postulat der Falsifizierbarkeit für die Wissenschaft so wichtig – weil es zwingt, nicht nach dem zu suchen, was die eigene Theorie bestätigt (das “Signal”, wenn man so will), sondern zu zwingen, das “Rauschen” darauf abzuhorchen, ob es nicht ebenso sinnvoll Scheinendes verbergen könnte.

  5. #5 Jürgen Schönstein
    20. Januar 2009

    @Sven Türpe
    Naja, dass Journalisten sehr schnell mit dem Begriff “Wunder” zur Hand sind, habe ich ja selbst schon eingeräumt. Aber in diesem Fall waren es nicht nur die Schlagzeilendichter: Es war der New Yorker Gouverneuer David Paterson, der den Begriff vom “Wunder auf dem Hudson” – “MIracle on the Hudson” – in seiner Presseerklärung prägte.