Im Nachgang zu meinen Auslassungen über den Copenhagen Consensus sind mir übers Wochenende gleich zwei Artikel in großen US-Medien – namentlich der New York Times und dem Magazin Time – aufgefallen, die alle im Kern die gleiche Frage aufwerfen: Kann man dem Markt vertrauen, wenn es um Umweltfragen ging? Der Copenhagen Consensus hinsichtlich des Klimaschutzes beispielsweise bestand darin, dem Kampf gegen die globale Erwärmung nur eine niedrige Priorität zuzugestehen, da der Nutzen in keinem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen stehe. In der New York Times vom Sonntag war ein großer Beitrag darüber zu lesen, wie die marktwirtschaftliche Lösung der Wasserversorgung in der chilenischen Atacama-Wüste der trockensten Region der Welt) dazu geführt hat, dass Gemeinden wie Quillagua im wörtlichen Sinn das Wasser abgegraben wurde. Und das US-Time-Magazin zählt in seiner aktuellen Titelstory über die “Zehn Ideen, die die Welt gerade verändern” (10 Ideas Changing the World Right Now) auch das “Rent-a-Country“-Konzept zu diesen Ideen – das Konzept, dass reiche(re) Länder mit knappen oder nicht vorhandenenn agrarischen Potenzialen (Saudiarabien wäre hier natürlich an erster Stelle zu nennen) große Flächen in vegetationsfreundlicheren, aber dafür ärmeren Teilen der Welt pachten, um dort für sich Reis oder Palmöl anbauen zu lassen.

Die Kernfrage dabei ist natürlich, ob die Prinzipien des Marktes auf so etwas wie unsere Umwelt anwendbar sind. Denn dabei handelt es sich ja nicht einfach nur um “Waren oder Dienstleistungen”, deren Preis durch Angebot und Nachfrage sinnvoll ermittelt werden kann und die sich, bei entsprechenden Preisverschiebungen, durch andere Güter oder Dienstleistungen substitutieren lassen (Beispiel: wenn Öl zu teuer wird, macht es alternative Energiequellen, die bisher zu teuer erschienen, wettbewerbsfähig). Unsere Umwelt ist, im wörtlichen Sinn, unsere Lebens-Grundlage, und als solche nur in einem sehr engen Rahmen durch eine andere ersetzbar, wenn man von Weltraumkolonisierungs-Träumen mal absieht, die aber heute immer noch so utopisch klingen wie in Ray Bradburys mehr als ein halbes Jahrhundert alten “Mars-Chroniken”.

Dass man mit Zweifeln am “allwissenden Markt” sehr schnell in eine Ecke mit Kommunisten und Ewiggestrig-Linken gestellt wird, ist mir klar. Doch wenn ich mich an meine VWL-Vorlesungen und -Seminare korrekt erinnere, dann gelten sowohl die Marktwirtschaft als auch die Planwirtschaft (also jenes System, in dem nichts dem Markt überlassen bleibt), als zwei einander entgegen gesetzte Grundprinzipien oder Ideologien, die jedoch in realen Wirtschaftsordungen zumeist in Mischformen vorliegen. Und selbst in den USA, die dem Ideal des freien noch am nähesten kommen wollen, ist nicht alles frei handelbar. Auch dort ist Sklaverei – die für die längste Zeit des kulturellen Lebens der Menschheit und für eine nicht unbedeutende Zeit der jüngeren amerikanischen Geschichte durchaus eine akzeptable kommerzielle Aktivität war – nicht akzeptabel, und wer einen Auftragskiller anheuert, kauft zwar im Sinn von Angebot und Nachfrage eine Dienstleistung an, macht sich aber selbstverständlich strafbar.

Falls jemand den Vergleich mit Sklavenhändlern und Mördern für geschmacklos und übertrieben hält, dann bitte ich zwar um Entschuldigung. Aber manchmal muss man zu überzogenen Darstellungen greifen, um ein Prinzip klar zu machen: Das Recht auf Leben ist ein Menschenrecht – und das muss, zwangsläufig, das Recht auf Umwelt = Lebensraum mit einschließen. Unsere Umwelt ist von unserer Existenz nicht zu trennen. Wenn Bergbaugesellschaften mit ihrer Kaufkraft sich die Wassernutzungsrechte im Norden Chiles sichern und den lokalen Bauern – die sich die Preise nicht leisten konnten – das Wasser entziehen, dann ist dies ein Eingriff in deren existenzielle Rechte. Wenn landwirtschaftliche Flächen, die ansonsten zur Ernährung der lokalen Bevölkerung zur Verfügung stünden, meistbietend an Agrokonzerne verpachtet werden und damit die Preise für Nahrungsmittel explodieren

Doch das Beispiel von Sklaverei und Auftragskiller zeigt auch, dass man im Prinzip doch eine Art marktwirtschaftliche Lösung selbst für solche Probleme finden konnte: Menschenhandel und Mord (auch die Anstiftung zum Mord) werden mit harten Strafen belegt. In anderen Worten: Die “Kosten” für dieses Verhalten werden von der Gemeinschaft drastisch erhöht, über den Mechanismus von Angebot und Nachfrage hinaus. Und die Begründung dafür liegt in den sozialen Kosten, die solches Verhalten in einer Gemeinschaft verursacht. Das ist zwar kein “reiner” Markt mehr, da die “Kosten” in der Form von Strafen einseitig festgelegt werden, aber es kommt dem Problem doch ein wenig näher.

Dass dem Markt manchmal sogar mit streng betriebswirtschaftlichen Überlegungen auf die Sprünge geholfen werden kann, hat sich in der Vergangenheit schon gezeigt: Unter der Carter-Regierung wurden – wenn mich meine Erinnerung an das, was mir 1982 von einem Mitarbeiter der US-Umweltbehörde erklärt wurde, nicht trügt – die Betreiber von Atomkraftwerken gezwungen, in ihrer betriebswirtschaftlichen Rechnung für neue Kraftwerksprojekte auch die Abriss- und Entsorgungskosten nach Ablauf der Genehmigungsdauer zu erfassen – mit dem Resultat, dass sich neue Kraftwerke nicht mehr wirklich lohnten. Und nichts anderes ist es ja auch, was das Cap-and-Trade-Konzept für Emissionen bewirken soll – die Kosten der “Entsorgung”, die sonst der Allgemeinheit angelastet würden, in die Betriebskostenrechnung einzubringen.

Die Frage ist also nicht, ob der Markt prinzipiell in der Lage wäre, unsere Umweltprobleme zu bewältigen. Doch das setzt in der Praxis voraus, dass die Umwelt nicht mehr, wie bisher nur all zu oft, als ein freies Gut angesehen wird, dessen man sich beliebig bedienen kann, ohne daür einen Preis zahlen zu müssen.

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