Wie ich in meinem letzten Post zum Thema Kreationismus schon erwäht hatte, ist eines der juristischen Hauptargumente in den USA gegen diese Schöpfungslehre und ihr pseudowissenschaftliche Inkarnation, das “intelligente Design” – abgesehen von ihrer mangelnden wissenschaftlichen Validität – dass sie eine Frage des Glaubens sind und daher ihre Aufnahme in den Schulunterricht gegen die von der Verfassung vorgeschriebene Trennung von Kirche und Staat verstößt. Doch warum ist sie dann in Amerika immer noch so populär? Kaum mehr als ein Drittel (nach manchen Umfragen sogar deutlich weniger) aller Amerikaner hält die Evolutionslehre für wissenschaftlich solide. In der neuen Ausgabe des US-Magazins Natural History macht sich der Yale-Psychologieprofessor Paul Bloom ein paar Gedanken darüber (leider ist sein Aufsatz “In Science We Trust” nicht online verfügbar) – und kommt dabei nicht darum herum festzustellen, dass auch Evolutionslehre im Kern eine Frage der Glaubensbereitschaft ist:

“We suggest that the psychology of those who reject evolutionary theory is not so different from that of people who endorse it.”


Tatsache ist, dass Kreationisten wie “Evolutionisten” meist nur etwas nachplappern – dass sowohl die Anhänger der Evolutionslehre als auch die der Schöpfungslehre in der Mehrzahl ihre Positionen auf Informationen begründen, die sie nicht selbst entdeckt und/oder verifiziert haben, sondern die ihnen von jemandem mit “Autorität” (was immer das sein mag) vermittelt wurden. Dem sie also “glauben”.

Aber man muss halt unterscheiden zwischen Glauben im Sinn von “nicht Zweifeln dürfen”, den uns vor allem die abrahamitischen Religionen abverlangen, und Glauben im Sinn von “Vertrauen”. Oder, in anderen Worten, zwischen “glauben müssen” als einzig akzeptiertem Weg zur “Erkenntnis”, und “glauben können”, weil man zumindest theoretisch jeden Schritt der Erkenntnisgewinnung nachvollziehen kann. Und das beschränkt sich nicht auf die Evolutionslehre, sondern gilt für die Wissenschaft insgesamt. Kreationismus ist nur die Umschreibung eines Dogmas – Evolutionslehre ist das Resultat eines dynamischen, sich selbst permanent hinterfragenden Apparats, den wir Wissenschaft nennen.

In einem ersten Entwurf für dieses Blogposting war ich an dieser Stelle in allerlei Betrachtungen zur Legitimität von Autorität, zu den Unterschieden zwischen Dogmen und wissenschaftlicher Forschung und so weiter abgeschweift, hatte mir Gedanken gemacht, warum es in der Wissenschaft notwendig ist, sich – um Newton zu paraphrasieren – auf die Schultern von Riesen zu stellen … hab’ ich alles wieder gelöscht, weil mit dem Gegensatz von Glauben als Basis der Religion und Vertrauen als Basis der Wissenschaft eigentlich alles gesagt ist. Und weil ich sicher bin, dass Scienceblog-LeserInnen in der Lage sind, die Folgerungen aus dem oben Geschrieben selbst durchzudenken.

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Kommentare (3)

  1. #1 Patrick
    5. Mai 2009

    Was aber passiert wenn “Vertrauen” in “blindes Vertrauen” (z. B. in ein altes Lehrstück, in eine veraltete Studie oder Theorie) und dessen fanatischem Vertreten umschlägt?
    Ist es dann nicht auch einfach nur ein vereinfachter “Glaube” an ein Vorlageprinzip, an einen “Bestimmer”?
    Ich glaube das ist es, was Paul Bloom versucht hatte auszudrücken.

  2. #2 Jürgen Schönstein
    5. Mai 2009

    @Patrick
    Nein, mit dem Zitat oben ist (noch) nicht das blinde Vertrauen gemeint, sondern erst mal nur die Bereitschaft, auf einen (oder mehrere) Lehrer zu hören. Aber natürlich liegt darin die Wurzel eines tiefer gehenden Problems: Wenn Lehrer – das können Schullehrer ebenso sein wie akademische Lehrer – sich aus Bequemlichkeit darauf zurückziehen, ihren Stoff quasi dogmatisch zu vermitteln (“Das müssen Sie mir jetzt einfach glauben”), dann spielt es eigentlich gar keine Rolle, wenn das, was sie lehren, selbst dem neuesten und sorgfältigsten Stand der Wissenschaft entspricht. Ein Wissenschaftler, der seine Schüler zum Glauben zwänge, der unterschiede sich nicht ein Iota von einem Religionslehrer. Das ist es, worauf Bloom rauswollte: Was vermittelt wird, ist zwar wichtig – aber der wahre Maßstab für wissenschaftliche Lehre liegt darin, wie es vermittelt wird.

  3. #3 Tanja
    6. Mai 2009

    > Und weil ich sicher bin, dass Scienceblog-LeserInnen in der Lage sind, die Folgerungen aus dem oben Geschrieben selbst durchzudenken.

    Aber wir lesen Ihre Gedanken trotzdem sehr gerne – ich zumindest. 🙂