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Nachlese zum “Missing-Link”-Hype von gestern: Zumindest die Zeitungen, die ich heute auf dem Tisch habe, haben zwar die vollmundigen Worte des pausbäckigen Osloer Paläontologen Jørn Hurum gehört (von wegen “heiliger Gral der Antrhopologie”, “so wichtig wie Mona Lisa und der Stein von Rosette” und so weiter) – aber geglaubt haben sie ihm das, wie es scheint, dann am Ende doch nicht. Am härtesten war wohl die Ablehnung in der New York Times: Die hat das Ereignis (dem sie gestern ja schon eine kritische Titelgeschichte, verfasst nicht von einem Wissenschafts-, sondern von einem Medienredakteur, gewidmet hatte) in ihrer Mittwochausgabe schlicht ignoriert. Das Wall Street Journal, hob “Ida” zwar auf ihre Titelseite, und schrieb sogar die Worte “The Missing Link” darüber – allerdings gefolgt von einem Fragezeichen. Der Artikel selbst, auf Seite 3 geparkt (und Online leider nur für Abonnenten verfügbar) räumt dann auch dem Hype erst einmal reichlich Platz ein – um ihn dann in der letzten Spalte abzuschießen:

“While many scientific discoveries tend to be disclosed in sober fashion, this one was heaviy promoted.”

Und weil dies in einer Wirtschaftszeitung nicht an sich schon als kritisch verstanden werden könnte (Promotion ist schließlich ein lukratives Business), zitiert das Blatt den Co-Autor und führenden Eozän-Experten Philip Gingerich als Kronzeugen dafür, dass die Vermarktung zum Schaden der wissenschaftlichen Qualität ging:

Asked in an interview last week whether the study ought to have been published in Science or Nature, the two most prestigious scientific journals, he replied: “There was a TV company involved and time pressure. We’ve been pushed to finish the study; it’s not how I like to do science.”


Selbst die eher unseren Boulevardblättern ähnelnden “Tabloids”, die ich für sichere Nachatmer der quasi-wissenschaftlichen Hyperventilation gehalten hätte, sind geradezu vorsichtig. Die Daily News verzichtet, wie schon die New York Times, auf jegliche Berichterstattung – offenbar wurde die Geschichte zwar eingeplant, dann aber gekippt – anders ist nicht zu erklären, wie überraschend ein verspäteter Beitrag zur Ausstellung “Extreme Mammals“, die schon seit fast einer Woche im American Museum of Natural History stattfindet, hier noch einen Platz fand.

Die New York Post, Rupert Murdochs Kampf- und Klatschblatt (und in ihrer Stellung in der US-Medienlandschaft noch am ehesten der BILD vergleichbar), legt das Fossil zwar auf einer Doppelseite hin, allerdings nur auf den Seiten 25/26 – tief drin im Blatt. Hier kriegt Hurum auch noch die beste Plattform, seinen “Missing-Link”-Hype zu rechtfertigen: “Wir sagen nicht, dass dies unser direkter Vorfahr ist, aber besser geht’s nicht mehr”, zitiert ihn die “Post”.

Andere Blätter, darunter Newsday und USA Today, verließen sich auf einen Artikel von Associated Press, der ebenfalls mit der These, es handele sich hier eventuell um einen menschlichen Vorfahren, kritisch umgeht:

“I actually don’t think it’s terribly close to the common ancestral line of monkeys, apes and people,” said K. Christopher Beard of the Carnegie Museum of Natural History in Pittsburgh. “I would say it’s about as far away as you can get from that line and still be a primate.”

Rather than a long-ago aunt, “I would say it’s more like a third cousin twice removed,” he said. So it probably resembles ancestral creatures “only in a very peripheral way,” he said.

Diese Medienschau ist natürlich nicht umfassend – und wie es in den deutschen Blättern und/oder TV-Nachrichten aussah, kann ich von hier sowieso nicht beurteilen. Aber sicher ist, dass meine schlimmsten Befürchtungen zumindest nicht eingetreten sind. Aber wer weiß: Vielleicht ist die Lektion, die am Ende daraus gelernt wird, nicht (ein wichtiges Wörtchen, das ich vergessen hatte) den Hype zu vermeiden, sondern nur, ihn besser zu kanalisieren?

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Kommentare (2)

  1. #1 Tobias
    20. Mai 2009

    Meine Gedanken zur “Link” Geschichte in chronologischer Reihenfolge

    1. Wow, so etwas großes publizieren die in PLoS-ONE? Normalerweise ist das Science. Tolle Werbung für das open-access Journal
    2. Warum publizieren die das nur in PLoS-ONE (nur technischer Review vor der Publikation) – ist da irgendwas fishy?
    3. Coole Marketingstrategie: Vollmundig publizieren und alle Medienkanäle aktivieren. Die Wichtigkeit des Papers kann man später immer noch relativieren.

  2. #2 Alexander
    21. Mai 2009

    @Tobias:

    2. Warum publizieren die das nur in PLoS-ONE (nur technischer Review vor der Publikation) – ist da irgendwas fishy?

    Ich glaube, das ist genau das, was Gingerich oben anspricht: Die Doku war fertig, das Buch geschrieben, jetzt musste das halt schnellstmöglich publiziert werden. Nature und Science hätten zu lange gedauert, und ein gutes Review bei PLoS One war praktisch sicher.