Hier hatte ich ja schon einmal das Thema Akupunktur und Wissenschaft aufgegriffen. In der aktuellen Online-Vorabausgabe von Nature Neuroscience ist nun in der Tat eine Studie veröffentlicht, die nicht nur eine Wirkung für die akuten Nadelsticheleien bezeugt, sondern auch einen Wirkmechanismus erklärt, der allerdings bisher nur an Mäusen nachvollziehbar ist (was aber den Vorteil hätte, das der Placebo-Effekt dabei vermutlich weniger eine Rolle spielen dürfte):

Acupuncture triggers adenosine and ATP metabolites release

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(a) Representative HPLC chromatograms before, during and after acupuncture. The samples were collected by a microdialysis probe implanted in close proximity to the Zusanli point. Standards of adenosine, AMP, ADP and ATP (0.3 μM each) are shown on top. (b) Time course of purine release in response to acupuncture. (c) Histogram summarizing the mean concentrations of adenosine, AMP, ADP and ATP during baseline nonstimulated conditions, as well as during and following acupuncture (*P < 0.05, **P < 0.01, paired t test compared to 0 min, n = 8). Error bars indicate s.e.m.

Ich zitiere hier mal aus der Erklärung, die im Diskussionsteil des Papers gegeben wird:

Although acupuncture has been practiced for over 4,000 years, it has been difficult to establish its biological basis. Our findings indicate that adenosine is central to the mechanistic actions of acupuncture. We found that insertion and manual rotation of acupuncture needles triggered a general increase in the extracellular concentration of purines, including the transmitter adenosine (…), which is consistent with the observation that tissue damage is associated with an increase in extracellular nucleotides and adenosine. Because the anti-nociceptive effects of peripheral, spinal and supraspinal adenosine A1 receptors are well established, we asked whether peripheral injection of an A1 receptor agonist suppressed hyperalgesia(…). We found that the A1 receptor agonist CCPA sharply reduced inflammatory and neurogenic pain and that suppression of pain mediated by acupuncture required adenosine A1 receptor expression (…). These findings suggest that A1 receptor activation is both necessary and sufficient for the clinical benefits of acupunctures. To the best of our knowledge, adenosine A1 receptors have not previously been implicated in the anti-nociceptive actions of acupuncture.

Um die Studie wissenschaftlich zu bewerten, fehlt mir das akademische Rüstzeug (was aber kein Grund ist, sie hier nicht zur Diskussion zu stellen). Aber so weit ich sie verstehe, sind folgende Aspekte bemerkenswert:

– Durch Nadeln, die den Versuchsmäusen 30 Minuten lang in die Beine gestochen und alle fünf Minuten vorsichtig gedreht wurden, stieg die Adenosin-Konzentration im Gewebe um etwa das 24-Fache; dies ging auch mit einer messbaren Reaktion im anterioren Cingulum (Anterior Cingulate Cortex) einher.

– Dieser Effekt wurde an Mäusen kontrolliert, denen genetisch bestimmte Adenosin-Rezeptoren fehlen.

Mit weiteren Details bin ich allerdings überfordert. Dennoch denke ich, dass eine Aussage wichtig ist, die ich so zwar nicht in dem Text finde, die man aber aus diesem Paper herauslesen kann: Es ist zwar ein Nachweis, dass es eine physiologische und schmerzrelevante Wirkung von Nadelstichen gibt – die Akupunktur als ein esoterisches System von Meridianen als Leitungssystemen der Lebensenergie ist dadurch aber keineswegs bestätigt. Will heißen: Selbst wenn es unbestreitbar wäre, dass Nadelstiche Schmerzen lindern können, wäre der Heilungsanspruch der Akupunktur (der ja weit über die Schmerzbekämpfung hinaus geht) nicht belegbar.

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Kommentare (16)

  1. #1 Ronny
    1. Juni 2010

    Ihr Conclusio ist absolut korrekt !

  2. #2 Christoph
    2. Juni 2010

    Ich finde die Studie hochinteressant. Die Studie zeigt (klar, nur für Mäuse), dass Akupunktur eine chemischen Reaktion bewirkt. Wenn dieser im Rahmen entsprechender Folgestudien auch am Menschen nachgewiesen werden kann, so kann damit die Wirkung von Akupuntur erklärt werden.

    Wobei ich hier ein wenig Probleme mit dem Wort Akupuntur habe aufgrund der Assoziation mit TCM und dem Meridianschwachsinn. Vielleicht sollte man es “Stechen mit Nadeln” nennen?

    Ich persönliche finde, dass die Menschen leider sehr oft an Magie glauben. Homöpathie, Rutengeher, Granderwasser, Reiki, whatever…

    Sobald man Akupunktur diese “Qualität” nimmt, wird sich das verändern. Das mystische, mysteriöse magische fällt weg. Und damit wird aus dem Stechen mit Nadeln “normale Heilkunde” und nicht mehr Wunderheilung. Und wird dort angewendet wo es sinnvoll ist.

  3. #3 Kuchlbacher Rudolf
    2. Juni 2010

    Also so überraschend finde ich es nicht, dass ein invasiver Eingriff eine tatsächliche Wirkung hervorruft – nur mit Akupunktur und dem ganzen Quatsch mit blockierten Medianen und fließendem Qi hat das gar nichts zu tun.
    Leider wird diese Studie aber genau dazu missbraucht werden…

  4. #4 float
    2. Juni 2010

    Eine wissenschaftlich solide Aufarbeitung der Studie findet sich bei respectful insolence:
    https://scienceblogs.com/insolence/2010/06/when_what_an_acupuncture_study_shows_is.php

  5. #5 Christoph
    2. Juni 2010

    Natürlich wird sie missbraucht werden! Aber ich habe die Hoffnung das zu Wissen wie es funktioniert der Tod der Quacksalberei ist.

    Gegen “Da fließt Energie und ihr könnt sie nur nicht messen” Bullsh*t kann man nicht um die Welt ankommen. Ich war schon in einigen Diskussionen zum Thema. Keine Chance. Solange man sagt, es funktioniert nicht bekommt man es mit Verschwörungstheorien und “Nur weil die Schulmedizin das ablehnt …” zu tun. Fakten haben keinen Wert.

    Aber wenn man sagen kann, Ja, es funktioniert und zwar so, man die Wirkung wissenschaftlich erklären kann, sehe ich eher eine Chance das man den Leuten den “Spaß” dran nimmt. Ist ja dann keine mystische magische Superheilwirkung mehr sondern stinknormale Medizin.

    Ist aber vielleicht ein wenig übers Ziel hinausgeschossen. Das war jetzt mal an Mäusen und ausserdem gibt es einige offene Fragen bzw. Kritikpunkte an der Studie: https://blogs.discovermagazine.com/notrocketscience/2010/05/30/a-biological-basis-for-acupuncture-or-more-evidence-for-a-placebo-effect/

  6. #6 Ronny
    2. Juni 2010

    @Christoph
    Wenn die Akupunktur nur eine Schmerzbekämpfung ist und keine Ursache bekämpft würde ich aber Tabletten bevorzugen bevor ich mir ganzheitliche und womöglich biologisch aktive Nadeln reinrammen lasse. Autsch.

    Was an Akupunktur sanft ist konnte ich bis heute sowieso nie so wirklich nachvollziehen.

  7. #7 wolfgang
    2. Juni 2010

    Irgendwie ist ja zu erwarten, dass der Körper auf Verletzungen reagiert. Werden Zellen verletzt wird der Inhalt im Körper verteilt. Dann ist auch klar, dass vornehmlich intrazelluläres ATP und seine Abbauprodukte im extrazellulären Kompartiment steigt.

  8. #8 Christoph
    2. Juni 2010

    @Ronny: Wer sagt denn, dass ich mich stechen lassen will 😉

    Aber ich denke schon, das Schmerzbekämpfung eine wichtige Sache ist. Wenn das ganze beim Menschen auch funktioniert, was ja schon mal nicht gesagt ist, hat kann man vielleicht eine weitere Methode zur Hand mit der man chronische Schmerzen lindern kann. Wie man das dann umsetzt, sei es durch Pillen, Salbe, Nadeln ist dann eher eine Frage von wie funktioniert es am besten.

    Das ist das eine. Das andere ist, den mystischen Humbug loszuwerden.

  9. #9 nörgler
    2. Juni 2010

    Mag ja sein, dass ich da was grundlegendes missverstehe, aber wieso unterscheiden sich die Werte von Balken 1 und 3 hochsignifikant und die von Balken 1 und 2 nur signifikant (Abb C.)

  10. #10 Alexander
    2. Juni 2010

    Abgesehen von den methodischen Problemen mit der Arbeit – keine Kontrollen, wo und ob überhaupt gepiekst wurde – haben die Autoren gleich noch eine Entkräftung mitgeliefert, warum ich mich überhaupt stechen lassen sollte. Die Rolle von Adenosin und seine Wirkung auf Rezeptoren im Schmerzempfinden ist schon recht gut erforscht. Es gibt beispielsweise Medikamente, die den Abbau von Adenosin verlangsamen und dadurch zu einer Abnahme im Schmerzempfinden führen. Die Medikamente funktionierten besser als die Stichelei unter gleichen Versuchsbedingungen bei den Autoren. Wieso also nicht gleich Pillen dafür nehmen?

  11. #11 beka
    2. Juni 2010

    Wieso also nicht gleich Pillen dafür nehmen?

    Wegen ihrer stark toxischen Wirkung wie sie im Aerzteblatt beschrieben sind:

    Als sogenannter Booster für die Akupunktur ist Nipent®, so der Name des zugelassenen Medikaments, aufgrund seiner hohen Toxizität indes kaum geeignet. Die schlechte Verträglichkeit mag in der Krebstherapie akzeptabel sein, in der Behandlung von Schmerzen dürften die Nachteile überwiegen.

  12. #12 Mario
    2. Juni 2010

    “Leider wird diese Studie aber genau dazu missbraucht werden…” (Kuchlbacher Rudolf)
    Es geht schon los:
    Akupunktur setzt Moleküle frei
    https://www.n-tv.de/wissen/gesundheit/Akupunktur-setzt-Molekuele-frei-article900352.html

  13. #13 Jürgen Schönstein
    2. Juni 2010

    @Alexander

    Die Medikamente funktionierten besser als die Stichelei unter gleichen Versuchsbedingungen bei den Autoren. Wieso also nicht gleich Pillen dafür nehmen?

    Eine sicher berechtigte Frage, die aber a) nicht wirklich mit der Studie zu tun hat, da diese ja nicht bewertet, ob es sinnvoll ist, mit Nadeln zu stechen, sondern nur analysiert, was passiert, wenn man sticht, und b) sowieso nur von jedem Patienten selbst beantwortet werden kann. Warum Tabletten schlucken und nicht Saft? Oder warum schlucken statt injizieren? Selbst Schmerzmittel werden ja in verschiedenen (und oft verschieden wirksamen) Formen gegeben.

    @Kuchlbacher @Mario

    Leider wird diese Studie aber genau dazu missbraucht werden…

    Aber nur, wenn man sie missbrauchen lässt. Zum Beispiel dadurch, dass man sie pauschal als Quatsch abhakt oder zerredet. Wie ich oben ja schon geschrieben habe: Die Studie belegt ja eigentlich, dass an dem Qi-Konzept der Akupunktur absolut nichts dran ist (da kommt Adenosin nämlich nicht drin vor), und dass die Wirkung der Nadelstecherei eben nicht eine heilende ist, sondern bestenfalls eine betäubende. Warum sich gegen so ein gutes pro-wissenschaftliches Instrument im Anti-eso-Werkzeugkasten sträuben?

  14. #14 Kuchlbacher Rudolf
    2. Juni 2010

    Also missbräuchlich bedeutet für mich ja eigentlich schon, wenn die Ergebnisse dieser Studie in einem Atemzug mit Akupunktur genannt werden…
    Akupunktur “funktioniert” ja so, dass die Nadeln in ganz bestimmte Punkte gestochen werden und dann dort für einige Zeit halt stecken bleiben (zumindest habe ich bis jetzt noch nie davon gehört, dass die Nadeln dann noch irgendwie gedreht werden müssten…) um den “Energiefluß” im Körper wieder herzustellen.
    Das einzig übereinstimmende, in oben beschriebener Methodik und der Akupunktur ist das Verwenden von Nadeln…
    Ich will mich keineswegs gegen ein gutes pro-wissenschaftliches Argument sträuben – ich befürchte nur die missbräuchlichen Auswüchse – vielleicht werden ja auch Impfungen bald nur noch an Medianpunkten vorgenommen?

  15. #15 Horiomu
    7. Juli 2010

    @Mario
    https://www.n-tv.de/wissen/gesundheit/Akupunktur-setzt-Molekuele-frei-article900352.html

    “Eine zentrale Rolle spielt darin das philosophische Konzept der Lebensenergie, Qi‘ (auch, Chi‘). Das, Qi‘ soll den Körper in mehreren Kanälen, den sogenannten “Meridianen” durchfließen, Gesundheit sei gekennzeichnet durch einen harmonischen Fluss von, Qi‘”, heißt es bei der skeptisch eingestellten Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Andere Ärzte merken an, dass der Placebo-Effekt die entscheidende Rolle spielt – die Patienten glaubten schlicht sehr fest an die Hilfe.

    Bei dieser Formulierung könnte man ja fast denken, die Gwup vertrete die Qi-Meinung….

  16. #16 Kristin
    14. Januar 2019

    Mittlerweile gibt es wohl zu sehr vielen Themen Studien, die FÜR und GEGEN bestimmte Sachverhalte richten, nicht nur das Thema Neurotransmitter betreffen. Ich glaube, Studien verfügen über viel Macht und sollten deshalb immer auch mit Vorsicht zu geniessen sein. lg