Früher konnte ich meine mangelnde Fußballbegeisterung ja immer dadurch entschuldigen, dass ich in den USA lebe, wo die organisierte Balltreterei gemeinhin als ein Kinder- und Frauensport angesehen wird. Stimmt allerdings nicht mehr – selbst die Amerikaner scheinen in dieser WM-Saison vom Fußballfieber (auch wenn sie den Sport hartnäckig als “Soccer” – der Begriff ist abgeleitet von der englischen Football Assocciation – abtun, obwohl im American Football die berührung zwischen Fuß und Ball die seltene Ausnahme ist) erfasst zu sein. Und auch einige Forscher der Northwestern University in Evanston (US-Staat Illinois) konnten sich dem Fußball nicht mehr entziehen: In PLoS ONE haben sie ein Paper darüber veröffentlich, wie sich die Leistungen einzelner Spieler objektiv quantifizieren lassen.

Für Amerikaner gehören Statistiken einfach zum Spiel: Baseballer werden beispielsweise nach einer ganzen Latte von Messgrößen bewertet – wie oft sie den Ball mit dem Schläger getroffen haben (Batting Average), wie oft daraus ein “Run” – wenn ein Spieler von einer Base zur nächsten läuft – entstanden ist (RBI = Runs Batted In), die Zahl der Runs, Homeruns, Doubleplays, Stolen Bases, was auch immer … Auch im Basketball ist dank seiner kurzen Spielzüge eine Einzelleistung ganz gut quantifizierbar, ebenso wie im Football, und im Golf sowieso. Aber beim Fußball, da hapert’s; sicher man kann die Tore zählen, die ein Spieler schießt, aber da so wenig fallen, lässt sich daraus auch nur wenig statistischer Honig saugen. Vorlagen sind ja auch schön und gut, oder verwandelte Freistöße. Aber wie bewertet man die Rolle eines Verteidigers, der dem anstürmenden Gegner nicht nur erfolgreich den Ball abnehmen kann, sondern auch durch einen geschickten langen Pass einen erfolgreichen Gegenagriff einleitet? Mehr noch: Sind die hochbezahlten Stars wirklich so entscheidend in einer Mannschaft, dass sie ihre Spitzengehälter wert sind?

Fragen, Fragen, Fragen … doch ob die Antwort, die das Northwestern-Team durch eine statistische Auswertung der Europameisterschaft 2008 gefunden hat, sehr befriedigend ist, bleibt ebenfalls fraglich. Die Methode ist im Paper ja ausführlich beschrieben, und dazu kann ich mich gar nicht kritisch äußern, denn da befinde ich mich weit außerhalb meiner Schwimmtiefe. Im Prinzip geht es darum, dass aus den Ballkontakten der Spieler ein Netzwerk konstruiert wurde, in dem die Spieler die Knoten sind, die durch Zuspielen verbunden sind. Zwei weitere Knoten repräsentieren den (in diesem Sinn empfängerlosen) Torschuss und den “Befreiungsschlag”. Für jedes Team und jedes Spiel wurde so ein Netzwerkdiagramm erstellt. Daneben wurde auch noch die Schussgenauigkeit der jeweiligen Spieler erfasst, also die Zuverlässigkeit, mit der Pässe ihre angepeilten Mitspieler erreichten, und die Treffergenauigkeit beim Torschuss. Dadurch ließ sich ermitteln, wie viel der Spieler dazu beiträgt, das Spiel nach vorne zu bringen. Und daraus wiederum entstanden dann beispielsweise solche Schaubilder:

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Wie die Graphen für Ballack und die deutsche Mannschaft zeigen, verlaufen die Leistungskurven von Einzelspieler und Team nicht unabhängig voneinander. Da könnte man sowieso immer diskutieren, was dabei Ursache und Wirkung ist. Aber genug der Theorie:Wer waren denn nun die besten Spieler? Gab’s irgend welche Überraschungen, verkannte Talente, übersehene Ballkünstler? Das mögen die Experten am besten anhand dieser Tabelle beurteilen:

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Also, wie die Legende zur Tabelle auch verrät, ein klares “Jein” – der Spanier Xavi, der zum besten Spieler des Turniers gekürt worden war, führt auch in dieser Rangliste – gemeinsam mit Sergio Ramos. Andererseits hatten es sechs der zehn besten Spieler (darunter auch Ramos) nicht in die “All-Star”-Auswahl der UEFA geschafft, während beispielsweise Philipp Lahm, Michael Ballack und Lukas Podolski in die Ehrenliste kamen, obwohl sie es, nach den beschriebenen wissenschaftlichen Kriterien, noch nicht mal unter die Top 20 geschafft hatten.

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Kommentare (2)

  1. #1 Kleiner Onkel
    18. Juni 2010

    Mein Urteil: wertlos für die Vorhersage von Spielen. Aus den Kurven läßt sich das Ergebnis nicht ablesen (zb schlug GER – POR im 1/4F, die Kurve sieht GER aber ganz klar absteigend). Wo ist die Kurve der Türkei?

  2. #2 Jürgen Schönstein
    18. Juni 2010

    Mein Urteil: wertlos für die Vorhersage von Spielen.

    Stimmt. Aber darum geht’s ja auch gar nicht, sondern um die – nachträgliche – Bewertung von Spielerleistungen. Und man kann schlecht spielen und trotzdem gewinnen – wenn der Gegner noch schlechter ist oder einfach Pech hatte, zum Beispiel.