War’n langer Tag heute. Und vielleicht ist es mein müdes Hirn, dessen Gedanken nicht mehr jede Kurve kriegen, vielleicht bin ich generell zu empfindlich bei Verniedlichungen in der Wissenschaft – oder vielleicht (und diese Möglichkeit sehe ich genau so reell wie alle vorher genannten) habe ich nur was nicht mitgekriegt. Aber wenn ich an einem Tag gleich nacheinander die Überschriften lese “Dogs may be pessimistic too” (der dazu gehörende Artikel erscheint an diesem Dienstag im Journal Current Biology) und “The monarch butterfly’s medicine kit” (der dazu gehörende Fachartikel “Evidence for trans-generational medication in nature” erschien in den aktuellen Ecology Letters) – tja, dann scheint es mir, als ob irgendwo ein Damm gebrochen (oder wenigstens ein spürbares Leck aufgetreten) ist, und Anthropomorphismen sind plötzlich in der Wissenschaft akzeptabel geworden.

Und nein, offenbar waren diese Überschriften nicht mit einem ironischen Augenzwinkern verfasst worden:

each dog was subjected to a cognitive bias (CB) test of affective state, based on theoretical and empirical findings that an individual’s background affective state, or mood, biases its decision-making and, specifically, that individuals in negative states make more negative (‘pessimistic’) judgements about ambiguous stimuli than happier individuals [6,7,8].

ist in dem Hunde-Artikel zu lesen. Jawohl, da steht “cognitive bias” (zu Deutsch: kognitive Verzerrung). Hätte ein unvoreingenommener Leser hier wirklich Verhaltensforschung bei Hunden vermutet?

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Aber wie gesagt: Wahrscheinlich ist es nur meine heute besonders verzerrte Sensibilität, und dieser vermeintliche Anthropomorphismus ist sowieso längst ein alter Hut in der Forschung. Und nur damit’s keine Missverständnise gibt: Ich bin ein Hundennarr und Katzenfreund, und selbstverständlich rede ich mit den Hunden meiner Freunde oder auch wildfremden Wauwaus auf der Straße, und führe längere Gespräche mit meinem Kater Cookie (Foto). Und klar, dass der jedes Wort versteht. Meine Überzeugung, dass Tiere keine dummen Automaten sind, sondern mit Emotionen und Entscheidungen begabt sind, wird sicher für keine signifikanten Blutdruckerhöhungen bei Verhaltensforschern verantwortlich sein. Aber es sind tierische Emotionen, tierische Entscheidungen und vielleicht sogar tierische Gedanken.

Und wenn ich mich hier umsonst über nichts echauffiert haben sollte, dann bitte ich um Nachsicht – ich bin einfach tierisch müde …

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Kommentare (5)

  1. #1 miesepeter3
    12. Oktober 2010

    Ist schon komisch, meist so unterschiedliche Meinungen zu irgend etwas und dann haben beide die absolut gleich aussehenden Kater. Meiner heißt Joschi und ich rede auch mit ihm.

  2. #2 Sascha
    12. Oktober 2010

    Nanu, gestehen Sie Tieren – hier insbesondere Hunden – etwa keine Denkfähigkeiten und Stimmungen zu?
    Das hat doch nichts mit Anthropozentrismus zu tun, sondern einfach mit der Tatsache, dass auch Tiere, insbesondere Säugetiere denken können. Und da deren Gehirn prinzipiell dem menschlichen Gehirn entsprechen – was die Bestandteile angeht – dürften auch Hunde stimmungsabhängig so oder so entscheiden.

  3. #3 MisterX
    12. Oktober 2010

    Schönes Tier !!

  4. #4 Jürgen Schönstein
    13. Oktober 2010

    @Sascha
    Dass ich Tieren die Fähigkeit zum Denken zuspreche, habe ich ja in meinem Beitrag schon geschrieben. Ich würde ihnen nur nicht anhängen wollen, dass sie “wie Menschen” denken (müssen). Und irgendwo lauert diese Gefahr bei jeder Vermenschlichung der Tiere. Kein Zweifel, dass ihre Hirne Informationen verarbeiten, Gefühle entwickeln und Entscheidungen treffen. Wenn ich meinen Kater beobachte, bin ich mir sogar sicher, dass er auch “Pläne” machen kann. Und ich denke schon gar nicht, dass unser menschliches Denken und Empfinden jener “göttliche Funke” ist, der nur uns – homo sapiens sapiens – eingegeben wurde und uns daher mit göttlicher Legitimation zum “Herrscher” über alle “niederen” Lebewesen macht (das scheint ja das allerletzte Refugium der Kreationisten zu sein). Aber ich werde immer ein wenig unruhig, wenn tierische und menschliche, ja sogar tierische und tierische Intelligenz miteinander verglichen werden. Ich erinnere mich vage an einen Dokumentarfilm über die Treibnetzfischerei, in der geschildert wurde, dass Delfine – deren Intelligenz ja oft und gerne mit der des Menschen verglichen wird – nicht auf die Idee kämen, über die Oberkante des sich nahenden Netzes zu springen, was ja physisch kein Problem für sie wäre. Und irgendwie klang da, trotz aller Empathie, ein bisschen die Haltung durch, “naja, wenn die so blöd sind, dann kann ihnen auch keiner helfen”. Wir haben eine menschliche Intelligenz, die sich für unser menschliches Leben und Überleben entwickelt hat; die Intelligenz anderer Lebewesen dürfte also ebenso artspezifisch sein. Und das muss man immer im Auge behalten. Ein Schimpanse ist nicht “gescheit”, weil wir einen Weg gefunden haben, seinen IQ zu dem eines Kleinkindes in Relation zu setzen. Und eine Ameise ist nicht “dumm”, nur weil sie als Individuum keine große Hirnmasse vorzuweisen hat. Die Ameisen-Intelligenz ist, wenn ich mal ganz laienhaft spekulieren darf, für die Ameisen-Existenz genau passend.

  5. #5 miesepeter3
    13. Oktober 2010

    Was ist Intelligenz? Offensichtlich eine definitionsabhängige Eigenschaft, die auch zum Überleben beiträgt. Bei einer Katze, einer hochspezialisierten Tötungsmaschine für Mäuse, wird eine andere Lebens- und Überlebensstrategie notwendig sein, als beim absolut unspezialisierten Menschen. Also scheint Intelligenz eine anwenderabhängige Eigenschaft zu sein. Vergleiche zwischen Intelligenz A und Intelligenz B scheinen nur sinnvoll zu sein, wenn man die Unterschiede feststellt. Eine Wertung mag dann die eigene Eitelkeit befriedigen, sinnvoll ist sie nicht.
    Und mal ehrlich, nicht alles, was wir Menschen so machen, scheint sonderlich intelligent zu sein.