Ein fies aussehender Begriff, ich weiß, aber so klingt’s beinahe, wenn ich hier lese, dass Forscher am Institute for Clinical and Evaluative Sciences (ICES) in Toronto, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen des St. Michaels Hospital (ebenfalls in Toronto), ein Online-Instrument entwickelt haben, das “Ärzten helfen wird, die Sterbenswahrscheinlichkeit eines Patienten nach einem ischämischen Schlaganfall vorher zu sagen”. (Gemeint sind damit Schlaganfälle durch Hirninfarkt, also gestörte bzw. unterbrochene Blutzufuhr.) Und zwar innerhalb von 30 Tagen und für das Jahr nach dem Schlaganfall. Klingt ja noch ganz normal, aber wenn hier ich dann dieses Zitat von Dr. Gustavo Saposnik vom ICES lese:

as doctors we tend to overestimate the likelihood of a good outcome in stroke patients. Now, with our new tool, we can accurately determine what type of outcome our patients may have, which will help guide clinical decisions

dann werde ich doch etwas stutzig. Was soll das heißen? Wenn das Online-Tool sagt, der Patent stirbt eh’ in einem Monat oder einem Jahr, dann lässt man’s halt gleich bleiben? Das wäre mir denn doch zu viel Vertrauen in die Informationstechnik – schon gar, wenn es um das Leben eines Patienten geht. Aber so kommt’s tatsächlich rüber, denn Saposnik erklärt weiter, dass dieses Tool “Ärzten dabei hilft, die Wahrscheinlichkeit eines schlechten Ausgangs abzuschätzen, Familien hilft, besser informierte Entscheidungen zutreffen, und von den Entscheidungsträgern dazu eingesetzt werden kann, die Krankenhausversorgung bei der Schlaganfall-Nachsorge besser zu vergleichen”. Irgend wer fehlt dabei, wer war’s denn nur? Ach ja: Und was hat der Patient davon?

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Kommentare (14)

  1. #1 Ronny
    11. Februar 2011

    Einfahc: Wozu jemand behandeln der sowieso stirbt. Wenn man die Kosten in den Mittelpunkt setzt kommt genau sowas raus.

  2. #2 Jürgen Schönstein
    11. Februar 2011

    @Ronny

    Wozu jemand behandeln der sowieso stirbt.

    Eben. Und das “Gute” an dieser Prognose ist, dass sie bei entsprechender (Nicht-)Behandlung hundertprozentig eintreffen wird.

  3. #3 pogobi
    11. Februar 2011

    Man könnte es ja positiv formulieren und sagen, dass Ärzte eventuell ihre begrenzten Ressourcen optimieren müssen und mit dem Behandlungsaufwand des Einen eventuell drei Andere retten könnten.

    Aber ja, mir ist absolut klar, dass man das System selbst (Unterversorgung) wenn dann ändern müsste, alles andere ist Problemverdrängung.

  4. #4 pogobi
    11. Februar 2011

    Man könnte es ja positiv formulieren und sagen, dass Ärzte eventuell ihre begrenzten Ressourcen optimieren müssen und mit dem Behandlungsaufwand des Einen eventuell drei Andere retten könnten.

    Aber ja, mir ist absolut klar, dass man das System selbst (Unterversorgung) wenn dann ändern müsste, alles andere ist Problemverdrängung.

  5. #5 Jürgen Schönstein
    11. Februar 2011

    @pogobi
    Klar. Triage nennt man das. Und ich weiß natürlich sowieso nicht, wie Mediziner dieses Tool in der Praxis verwenden würden. Aber der Gedanke, dass man ein paar Parameter eintippt, das System dann eine Prognose ausspuckt, die dem Patienten nicht mehr als ein Jahr (!) zum Überleben gibt, und dann entsprechend die Versorgung zurück gefahren würde – weil sich’s ja scheinbar eh’ nicht rentiert – ist mir schon ein Graus.

  6. #6 pogobi
    11. Februar 2011

    @Jürgen: Oh, wieder etwas gelernt, den Namen dafür kannte ich noch nicht. Den Doppelpost kann man übrigens gern entfernen, ich komme mir gerade wie ein Spammer vor 😉

    Meine Gegenfrage als Teufels Advokat: wie sähe ein besseres System aus? Die emotionale Komponente sollte in Extremsituationen ja möglichst ausgeschaltet werden. Können Menschen damit besser umgehen?

    Gerade das Wiki-Zitat ist vielsagend: “Insgesamt kann eine Triage eine Aufgabe zum Verzweifeln werden, weil Entscheidungen zu treffen sind, die mit großer Wahrscheinlichkeit den Tod einiger Betroffener bedeuten (um andere zu retten). Schuldgefühle oder PTS (post-traumatischer Stress) bei den Beteiligten, insbesondere bei den Entscheidern, sind im Extremfall möglich.”

  7. #7 schnablo
    11. Februar 2011

    Wenn das Online-Tool sagt, der Patent stirbt eh’ in einem Monat oder einem Jahr

    Bitte sorgfaeltiger lesen. Genau das sagt das Tool ja eben nicht. Es geht um Wahrscheinlichkeiten. Die Formulierung “we can accurately determine what type of outcome our patients may have” ist vielleicht etwas ungluecklich, aber auch da wird es deutlich. Eine doch durchaus sinnvolle Motivation ist auch gegeben:
    “… can be used by policymakers to accurately compare hospital performance in stroke care.”
    Ist schade, wie sofort unterstellt wird, dass nun hoffnungsaermere Faelle in der Behandlung vernachlaessigt werden. Als ob es Prognosen ueber Krankheitsverlaeufe noch nie gegeben haette.
    Zumal in den Staaten doch sowieso jede Massnahme vom Patienten bzw. der Versicherung bezahlt werden muss und es keine Pauschale je nach Krankheit gibt.

  8. #8 Jürgen Schönstein
    11. Februar 2011

    @schnablo
    Gegenfrage: Wie wird es wohl die Behandlungsentscheidungen beeinflussen, wenn die Ärzte durch ein solches Tool, sicher sind, sie könnten “akkurat bestimmen, welchen Ausgang dies für unsere Patienten haben wird” – und dieser “Ausgang” eine Sterbeprognose innherhalb eines Jahres ist? Das ist keine Fangfrage, auch nicht rhetorisch gemeint: Medizin ist fast immer ein Kampf gegen die Wahrscheinlichkeiten, aber Mediziner sind Menschen, und es ist menschlich, einen scheinbar aussichtslosen Kampf gar nicht erst eingehen zu wollen. Das ist kein Vorwurf. Aber wenn ich lese, welche Nutzen dem Tool zugeschrieben werden, finde ich den Patienten noch nicht einmal erwähnt. Und das darf mich, der ja die Medizin immer nur als Patient erfahren wird, doch mal stutzig machen. Dies erinnert mich stark an die lange und emotionale Debatte, die wir hier hatten. Die Frage, ab wann es nicht mehr wirtschaftlkich ist, ein Menschenleben retten zu wollen, ist halt keine einfache. Und schon gar keine, die man ein paar Zeilen Computercode überlassen sollte. Oder, mit anderen Worten: Die Vorstellung, dass wir in all unserem Luxus und unserem medizinischen Fortschritt in einer Triage-Situation ankommen, die eher für Kriegs- und Krisenzeiten entwickelt wurden, finde ich eigentlich noch beunruhigender.

  9. #9 Dr. Webbaer
    11. Februar 2011

    Wirtschaftlichkeitsüberlegungen [1] in der Medizin sind ethisch anspruchsvoll, einerseits müssen sie vorliegen -anders geht’s ja nicht- ander(er)seits erzeugen sie Kontroversen.

    Auf der Empirie basierende Statistikprogramme (Statistik basiert auf der Vergangenheit, “Wahrscheinlichkeit” oder was genau damit gemeint ist, bedeutet oft: Prognostik) müssen hier nicht schlecht sein.

    Eine fortlaufende gesellschaftliche Debatte ist wünschenswert, auch Negativentscheidungen sind zu bearbeiten, zur gestellten Frage [2]: Was hat der Patient davon: a) annehmbare Versicherungskosten b) Planungssicherheit c) das Wissen um angemessenes Bemühen beim med. Personal.

    In der Praxis, auch weil diese Thematik oft tabuisiert wird, kommt es dann aber leider in der Tat zu den geschilderten Minusleistungen, also das Hinnehmen schwerer Krankheit im negativen Sinne und aber auch -Genauso schlimm!- abartige lebensverlängernde Maßnahmen aus wirtschaftlichen Gründen, d.h. der Behandlungsträger will es so. [3]
    🙁

    Ein weites Feld, man muss sich darüber weiterhin gesellschaftlich austauschen…

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] Wirtschaft und Ökonomie sind schreckliche Unwörter, sie referenzieren eine der ersten bekannten Dienstleistungen, nämlich den Ausschank von Bier oder Wein oder anderen Getränken, “Wirtschaft” impliziert also ein “Wirt-Kunde”-Verhältnis. Richtig und wesentlich besser wäre es aber allgemein auf humane Kooperationsverhältnisse zu verweisen, die n-lateral sind und eben nicht einem Wirtsverhältnis entsprechen. – Zum Glück hat man das allgemeine Kooperationswesen nicht an dem “ältesten Gewerbe” festgemacht.
    [2] Billig kann man es sich hier nicht machen und Maximalforderungen stellen.
    [3] Dr. W hier einige Beobachtungen gemacht haben, die unerfreulich waren.

  10. #10 YeRainbow
    11. Februar 2011

    Es ist bei jedem Instrument und jedem Werkzeug die Frage, wie man es einsetzt.

    (ist ein kulturelles problem…)

  11. #11 schnablo
    11. Februar 2011

    Mediziner sind Menschen, und es ist menschlich, einen scheinbar aussichtslosen Kampf gar nicht erst eingehen zu wollen.

    Das ist mir viel zu pauschal. Schon das Wort “Kampf” halte ich nicht fuer angebracht. Patienten moegen eine Krankheit als einen solchen erfahren, aber Aerzte (imho) doch eher nicht. Den Zusammenhang zur Wirtschaftlichkeit sehe ich immer noch nicht. Zumindest die Autoren stellen ihn nicht her.

    Die Frage, ab wann es nicht mehr wirtschaftlkich ist, ein Menschenleben retten zu wollen, ist (…) keine, die man ein paar Zeilen Computercode überlassen sollte.

    Wer haette jemals das etwas anderes behauptet?
    Im Ernst die Autoren wollen ihr eigenes neues online Tool promoten. Nur weil sie nicht schreiben, dass man nicht aufgrund des Ouputs ihres Codes Patienten die Behandlung verweigern soll, heisst es doch nicht, dass das Gegenteil ihre Empfehlung waere.

  12. #12 miesepeter3
    11. Februar 2011

    Da liegen die Amis doch voll im Trend. Es ist noch gar nicht so lange her, da forderte ein Jungpolitiker in Deutschland, dass 80 jährigen z.B. keine Hüftprotesen oder Herzschrittmacher mehr eingepflanzt werden dürften, weil der medizinische Nutzen auf Grund der noch kurzen Lebensdauer in keinem Verhältnis zum wirtschaftlichen Aufwand mehr stehe. Tja, und das war noch einer von denen mit dem großen C im Parteinamen.

  13. #13 MoritzT
    15. Februar 2011

    Das wirklich problematische an jeder Form der Prognoseabschätzung ist ja, dass man anhand von statistischen Daten, die unter (im Idealfall) kontrollierten Bedingungen an einer mehr oder weniger homogenen Gruppe a posteriori erhoben wurden, den Verlauf der Erkrankung an einem beliebigen Patienten a priori zu bestimmen trachtet. Das funktioniert noch nicht einmal dann, wenn man da gar keine therapeutische Konsequenz daran knüpft. Den Medizinstudis wird ja schon seit längerem beigebracht, konkrete Prognosen (“noch drei Monate”) tunlichst zu vermeiden, weil sie von allen grundsätzlich missverstanden werden, und weil man sich praktisch immer irrt.

    Man muss sich halt vor Augen halten, dass man es eben nicht vorher weiß, ob der arme Mensch mit dem Stroke jetzt zu den 80% gehört, die nach einem gleichartigen Ereignis verstorben sind, oder zu den 20%, die auch nicht weniger betroffen waren und ihn aus unerfindlichen Gründen überlebt haben.

    Ich finde solche Algorithmen trotzdem sinnvoll, aber dazu muss man die Diskussion umdrehen: es geht nicht darum, schwer erkrankten die notwendige Hilfe zu verweigern, weil die Erfolgsaussichten zu gering sind. Es geht darum, auch weniger erfahrenen KollegInnen eine schnelle Entscheidung zu ermöglichen, wer wirklich schnell wirklich intensive Hilfe braucht. Aus meiner Sicht wird damit eine selektive Maximaltherapie – und nicht ein selektiver Therapieabbruch – erleichtert.

    Abbrechen geht immer nur, wenn die Patientin oder der Patient das wünscht. Bei Stroke-Patienten läuft das oft auf einen Konsens mit den Angehörigen oder den Sorgeberechtigten hinaus. Ich halte es für unethisch und ärztlich nicht vertretbar, diese Entscheidung allein aufgrund statistischer Daten zu treffen. Kann sein, dass manche Diskutanten das anders sehen, aber ich bin da fest überzeugt.

    Ich halte auch das Kostenargument in diesem Kontext für eher ungeeignet: wahrscheinlich ist es eher so, dass einen frühzeitige gute Therapie die Gesamtkosten verringert, weil PatientInnen ja eher selten am Stroke sterben, sondern Pflegefälle werden. Der Grad der Behinderung wird aber von der Qualität der Erstversorgung dramatisch beeinflusst. Daher: lieber am Anfang viel Geld raushauen, so viel Therapie wie möglich, um den Schaden gering zu halten und Rezidive zu verhindern, als danach langfristig hohe staatliche und private Folgekosten durch Pflege (und pflegeassoziierte Erkrankungen) zu haben.

  14. #14 alexandra
    27. Februar 2011

    Die Kostenfrage bei der Behandlung eines Schlaganfalls ist natürlich sehr wesentlich. Bei meinem Schlaganfall vor 2 Jahren beliefen sich die Gesamtkosten bis heute auf 1,35 €. Natürlich ohne Arztkosten und ohne Rehamaßnahmen. Beides fiel nicht an, weil ich mich nicht “behandeln” ließ. Seit dieser Zeit habe ich die richtige Medizin immer griffbereit in der Hosentasche. Könnte ja sein, daß jemand dies zufällig benötigt. Damit könnte ich sogar 3 Schlaganfallfälle gleichzeitig heilend Erstversorgen. Könnte ja sein, daß auch einmal Drei gleichzeitig umfallen.

    Auch ohne Untersuchung wird dies in 99% der Fälle funktionieren und außerdem hilft es auch bei Herzinfarkt augenblicklich. Noch ehe überhaupt ein Arzt angerufen werden könnte. Da dies das Gesundheitsgeschäft schädigen würde, verrate ich natürlich auch nicht, worin man die ersten 30 Ct unbedingt investieren sollte. Macht eure eigenen Erfahrungen, wenn eure Eltern oder Großeltern ihren Schlaganfall oder Herzinfarkt bekommen.

    Dann dürft ihr auch in die Tischkante beißen oder Telephonbücher zerreißen. Ich werde jedenfalls keinen “komischen” Link mehr setzen, der euch das Geschäft versauen würde.