Man muss sich nur noch einmal den oben bereits erwähnten Lorenz-Attraktoren genauer anschauen, um eine Ahnung zu bekommen, wo der Schmetterling herstammen könnte:

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Aha, also hier ist der Schmetterlings geschlüpft? Es ist zwar nicht ganz auszuschließen, dass ein ähnlicher Graph – bewusst oder unbewusst – irgendwelche Assoziationen mit der Ordnung Lepidoptera geweckt haben mag, und auch die oft geäußerte Möglichkeit, dass die 1952 erschienene Science-Fiction-Kurzgeschichte Ferner Donner von Ray Bradbury eine Rolle spielte, in der ein Zeitreisender versehentlich einen kreidezeitlichen Schmetterling zertritt und damit Chaos in seiner Gegenwart (2055) verursacht, ist nicht ganz abwegig.

Selbst Lorenz war sich nie ganz sicher, wo nun eigentlich der Schmetterling herkam, verrät aber im ersten Kapitel seines 1993 erschienenen Buches The Essence of Chaos, dass diese Metapher definitv nicht seine Idee war:

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Der flatternde Falter wurde zum Symbol der Chaostheorie, die in der Folge des Washingtoner AAAS-Vortrages auch von anderen Wissenschaftsdisziplinen aufgegriffen wurde. Ob und wie der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien das Wetter verändern kann, ist übrigens anhand der Chaostheorie ebenso wenig beweisbar wie widerlegbar (ein Aspekt, der bei den Stammtischdebatten gerne übersehen wird): “If the flap of a butterfly’s wings can be instrumental in generating a tornado, it can equally well be instrumental in preventing a tornado”, hatte Lorenz bereits in seinem Vortrag 1972 betont. Und selbst kurz vor seinem Tod im Jahr 2008 wich er der Nachfrage lieber aus: “Selbst heute noch bin ich mir unsicher, was die korrekte Antwort wäre”, sagte er in einem Vortrag.

Aber in jedem Fall hatte die kleine Ursache, der symbolische Flügelschlag in Lorenz’ MIT-Labor vor einem halben Jahrhundert, definitv eine große Wirkung auf die Wissenschaft. Aber nicht unbedingt auf Lorenz’ eigene akademische Karriere übrigens: Trotz meherer Jahrzehnte am MIT, trotz seiner Arbeit und deren Einfluss, wurde er nie in den Professorenstand erhoben. Und darum bemühen sich jetzt seine Kollegen – darunter der MIT-Meterologe Kerry Emanuel, der ein langjähriger Freund und Zimmernachbar von Lorenz war – ihm hier wenigstens ein würdiges Denkmal zu setzen: Derzeit läuft eine Kampagne, um Gelder für ein neues MIT-Klimaforschungszentrum aufzutreiben, das Lorenz Institute heißen soll. Denn obwohl Lorenz “nur” Meteorologe war und letztlich die Unvorhersagbarkeit des Wetters begründet hat (aus diesen Positionen erwachsen, wie sich bereits deutlich gezeigt hat, oft die schärfsten Kritiker der Klimaforscher), hielt er das Klima hingegen durchaus für berechen- und vorhersagbar, wie Emanuel bestätigt: “Er dachte nicht, dass Klimawandel im Ganzen unvorhersagbar sei, und er hätte sich über jene amüsiert, die behaupten, nur weil wir das Wetter nicht weiter als ein paar Tage vorhersagen können, gäbe es auch keine Möglichkeit, das Klima vorherzusagen.”

flattr this!

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Kommentare (4)

  1. #1 Dr. Webbaer
    3. März 2011

    irgendwie kamen mir all die Worte, die Crichton ihn sagen ließ, eher wie wichtigtuerisches Partygeschwätz vor

    Crichton war 2004 mit seinem Roman World of Fear übrigens auch politisch-ökologistisch inkorrekt; er hielt zudem auch eine Prognostizierbarkeit eines Klimawandels für unwissenschaftiich, zumindest die aktuelle.

    Denn obwohl Lorenz “nur” Meteorologe war und letztlich die Unvorhersagbarkeit des Wetters begründet hat

    Sagen wir mal: Die Unvorhersehbarkeit des Wetters ab einem bestimmten Zeitpunkt (9 Tage wird hier oft genannt), das Wetter gilt an sich schon als vorhersehbar, nicht aber das Klima in einigen Wochen oder Monaten (in Jahren gemessen angeblich schon – man spricht hier auch von einer Prognoselücke). – Ob Lorenz das Weltklima tatsächlich als vorhersehbar verstanden hat, wird Dr. W bei der Lektüre von “Nondeterministic theories of climate change” beizeiten prüfen, danke für den Hinweis, und sich vermutlich dazu später noch melden.

    Dass chaotische (“chaotische”) Systeme trotz grundsätzlich als gegeben zu betrachtender deterministischer Funktionsweise zu Ereignissen wie dem beschriebenen Schmetterlingseffekt [1] tendieren (alles was in der Welt passiert, ist soz. unglaublicher Zufall und in dieser Form soz. sehr sehr unwahrscheinlich), war aber schon vor Erfindung des Schmetterlingseffekts (Lorenz schrieb ursprünglich “Möwe”, korrekt) bekannt. So hat sich die Weltliteratur schon ihre Gedanken gemacht über den Zufall, dass bspw. ein Herrscher eine schwere Kinderkrankheit knapp überlebte, um dann brutalstmöglich und erfolgreich zu herrschen beispielsweise.
    Auch bei Leuten wie Lenin oder Hitler, also den beiden Stellvertretern der großen Sozialismem fragt sich der eine oder andere, ob diese ersetzbar waren oder ob man genau diese Charaktere brauchte…

    Wie so oft: ein guter interessanter Artikel
    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] Der Schmetterlingseffekt ist halt so wunderbar griffig.

  2. #2 Ulrich Berger
    3. März 2011

    Schöner Artikel! Einen Einwand hab ich aber:

    Heute gilt die Chaostheorie, neben der Relativitätstheorie und der Quantentheorie, als einer der größten wissenschaftlichen Durchbrüche des 20. Jahrhunderts.

    Das würde ich niemals unterschreiben. Chaostheorie ist ein Teilgebiet der angewandten Mathematik, das in den 80ern unheimlich populär wurde, weil man damit wunderschöne Bilder produzieren kann. Sie hat einige elegante und mathematisch interessante Resultate hervorgebracht und sich dann in diverse Teildisziplinen aufgespalten. Der Begriff “Chaostheorie” selbst wird in Fachkreisen schon lange nicht mehr benutzt, er lebt aber in der Öffentlichkeit weiter.

  3. #3 KommentarAbo
    3. März 2011

  4. #4 Florian Freistetter
    3. März 2011

    @Ulrich: Richtig. “Die Chaostheorie” im Sinne von “Relativitätstheorie” oder “Quantentheorie” gibt es nicht wirklich. Das ist kein eigenständiges Theoriegebäude…