Ich erzähle heute, also rund 40 Jahre später, noch gerne die Anekdote über einen meiner Deutschlehrer (der im ehemaligen Siebenbürgen, heute Rumänien, aufgewachsen war), der am ersten Schultag vor seine Oberstufenklasse (!) trat und verkündete: “Guten Morgen, meine Kinder! Ab heute wir wollen lernen gutes und modernes Deutsch!” War zwar ein Brüller für uns pubertätsbeschädigte Heranwachsende, aber im Rückblick hat es mir nicht nur nicht geschadet, ihn als Deutschlehrer erlebt zu haben – zu wissen, dass nicht jeder die gleichen Sprachgewohnheiten und -Manierismen hat, hat mein Leben zwischen zwei Sprachwelten enorm erleichtert. Wie ich gerade jetzt darauf komme? Weil ich in der New York Times einen Artikel darüber gelesen habe, wie in Arizona – ausgerechnet Arizona! – jahrelang die “Akzentpolizei” hinter Lehrerinnen und Lehrern her war, die das Englisch, das sie ihren zumeist hispanischen Schülern beibringen sollten, selbst mit einem hispanischen Akzent sprachen.

Auch wenn diese Praxis (dies war der “Aufhänger” des Artikels), nun eingestellt wurde, finde ich die Vorstellung, dass man nur wegen eines Akzents diskriminiert, ziemlich schaurig. Okay, da bin ich natürlich parteiisch, da ich ja derzeit – als jemand, der sein Englisch auch erst mal nur in der Schule gelernt hatte – an einer amerikanischen Hochschule den Studenten das Schreiben und Vortragen auf Englisch beibringen darf. Vor allem, wenn die Aussprachekriterien auch jeden Lehrer aus Brooklyn (Standardfloskel: “fuhggeddaboutit!”) oder, meinetwegen, auch aus dem nicht-rhotischen Boston – “Paak yua caa in Haavad Yaad” – disqualifizieren würden.

Wie ist das eigentlich heute in Deutschland? Muss jede Deutschlehrerin, jeder Deutschlehrer in Hochsprache parlieren können (au weia, schlechte Chancen für meine fränggischen Landsleud’)? Oder tolerieren wir, dass Deutsch auch von einem Nicht-Deutschen in hoher Qualität beherrschbar ist? An dieser Stelle fällt mir ein, was Les Perelman, der Leiter des Programms Writing Across the Curriculum (= mein Chef) kürzlich zum Thema “Standardsprache” meinte: “A standard language is a dialect with an army.”

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Kommentare (17)

  1. #1 michael
    26. September 2011

    > Oder tolerieren wir, dass Deutsch auch von einem Nicht-Deutschen in hoher Qualität beherrschbar ist?

    Warum nicht, ich hab Türken, Chinesen und Äthiopier gehört, die akzentfreies Hochdeutsch sprachen.

    > (au weia, schlechte Chancen für meine fränggischen Landsleud’)?

    Dann wird man in Bayern wohl eine Akzentpolizei einrichten müssen.

  2. #2 Bullet
    26. September 2011

    wow … “rhotisch”. Wieder was gelernt.
    Thanks ve’y much. 🙂

  3. #3 Andrea N.D.
    26. September 2011

    Am Gymnasium (und wenn ich recht überlege, auch an der Grundschule) sind mir keine dialektsprechenden Lehrerinnen bekannt.
    Vor ca. 20 Jahren war es schon noch so, dass dialektsprechende Schülerinnen vor dem mündlichen Abi gebeten wurden doch Hochdeutsch zu sprechen, da sich sonst die Note verschlechtern würde. Ich spreche hier für Oberbayern. Mit den “Fraange” kann ich mich aufgrund sprachlicher Probleme leider nicht verständigen :-).

  4. #4 schlappohr
    26. September 2011

    Mein LK-Englischlehrer war Amerikaner. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass er von uns mehr Deutsch als wir von ihm Englisch gelernt haben.
    So musste er akzeptieren, dass die Kürbiswelle in Wahrheit Kurbelwelle heißt und man die Spruhdöse eigentlich auch anders schreibt.

    Trotz seines starken US-Akzents gab es aber an seinem Unterricht nichts auszusetzen.

  5. #5 gesamtszenario
    26. September 2011

    “A standard language is a dialect with an army” stammt so wohl von Max Weinreich (“A shprakh iz a dialekt mit an armey un flot”).

    https://en.wikipedia.org/wiki/A_language_is_a_dialect_with_an_army_and_navy

  6. #6 BreitSide
    26. September 2011

    …und ich dachte, die Amis sind eh rhotisch…

    Dafür ist der Frangge schbarsam mit seine Wörtli:

    “Deich” =
    1) Bollwerk gechn Meeresfludn,
    2) klaana Dümbel/Wässala
    3) Masse zum Baggn von Brod un Kuchn

    Bei Bolliddigern – sorry, Politikern – soll es umgedreht sein: wer ohne Akzent spricht, wird nicht als authentisch wahrgenommen. Das soll “so-nicht-und-jetzt-nicht”-Rainer Barzel passiert sein. Laut Insterburg ja ein Rainer Deutscher, der Bruder von Drafi.

    Sind glaubich beide inzwischen R.I.P.

    Unsere Englischlehrer lehrten zwar Oxford-English (glaubich jedenfalls), aber wer konsequent American English sprach, bekam dieselben Noten.

  7. #7 BreitSide
    26. September 2011

    @Redaktion: warum bekomme ich keine Mails mehr von Euch (MT-Notifier-Anfrage oder neue Kommentare, die ich abonniert habe)?

  8. #8 JPeelen
    26. September 2011

    Dialekt? In den sechziger Jahren herrschte akuter Lehrermangel. Wir hatten an der Realschule einen älteren Briten, Norman D. Sharp, der Französisch unterrichtete und kaum ein Wort Deutsch konnte.
    Lehrer mit Dialekt dürften selten sein, weil das Lehrerexamen meines Wissens nur im jeweiligen Bundesland gilt. Rheinischer Singsang in Franken fällt also schon deswegen flach, weil das NRW-Examen in Bayern nicht anerkannt wird.

  9. #9 Andreas Abendroth
    26. September 2011

    @BreitSide An diesen Beispielen sieht man mal wieder, dass Sachsen ausgewanderte Franken sind.

    Andreas

  10. #10 Sorter
    26. September 2011

    Super Anekdote!
    Ein Bild für die Götter :), denn eure Aufmerksamkeit hatte er so schon mal gewonnen.
    Ich durfte mein Englisch bei einer Amerikanerin erlernen, was mir sehr geholfen hat so manchen amerikanischen Dialekt besser zu verstehen.

  11. #11 BreitSide
    27. September 2011

    @Andreas: Allmächt, mei Gutster!

    Die Soxn sind sogar noch sparsamer:

    Dom =

    – das Gotteshaus,
    – der oppositionelle Finger,
    – die Ortsangabe “dort auf der Höhe”,
    – die Tätigkeit von Kindern, rumzutollen,
    – geflügelte Ratten, oft als Friedensboten missverstanden.

    Aber für die labialen Plosive(?), also “haddes un weiches” d oder b haben die Soxn einen guten Merksatz:

    “Disch is hatt, Budder is weich”

  12. #12 Rene
    27. September 2011

    @BreitSide

    Ähem, ähem *Klugscheiß-Modus on* labiodentale Plosive biddeschön *Klugscheiß-Modus off* 😉

  13. #13 Rene
    27. September 2011

    Mist, erwischt!

    labiodental frikativ = f und w
    labial plosiv = b und p
    alveolar plosiv = d und t

    Nur der Vollständigkeit halber. (Ja, ich geb´zu, manchmal kann ich den Klugscheißer nicht verheimlichen!)

  14. #14 Roland
    27. September 2011

    Immerhin benutzen die Sachsen korrekte Artikel zur Verdeutlichung des Gesagten.
    Der Lehm: Lockersediment aus Sand, Schluff und Ton.
    Die Lehm: Großkatzen, hierzulande nur in Zoos.
    Das Lehm: na, das lebt man halt.

  15. #15 BreitSide
    27. September 2011

    @Rene: labial-labiodental-Ikearegal… (frei nach 68er-Spontis)

    @Roland: wer schmeißt denn da mit Lehm? Da muss ich mich glatt scheem! (frei nach Claire Grube – nein, Waldoff) Hehe, das erzähl ich mal unseren Soxn (wenn die´s no ni wissn)

    Franggnkinder sind auch nicht schlecht: es hat etwas gedauert, bis wir herausfanden, dass die Haus-Katze “Deicher” nach einer asiatischen Großkatze benannt war…

  16. #16 BreitSide
    27. September 2011

    Na, da fehlt doch der dialektische Materialist schlechthin:

    Ein wahrliches Vorbild für die aufstrebende Jugend!

  17. #17 miesepeter3
    28. September 2011

    Ja, deutsche Sprache, schwere Sprache:

    Heißt es die regent ist es eine Musiker

    heißt es der regent ist es eine König

    heißt es es regent ist es naß