Dass es nach den Meldungen zum Tod von Dr. Sally Ride Diskussionen geben würde, hatte ich erwartet, sogar erhofft: Diskussionen darüber, warum Frauen trotz nachgewiesen gleicher Befähigung noch immer in mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Berufs- und Forschungsfeldern benachteiligt sind. Doch die Debatte, die sich nun zum Shitstorm auszuweiten scheint, geht nicht um die Leistungen von Sally Ride im Besonderen und Frauen im Allgemeinen – sondern eigentlich nur darum, dass die promovierte Physikerin/Astronautin/Unternehmerin seit 27 Jahren eine Lebensgefährtin hatte. Ich kann zwar die Häme verstehen, die nun über Politiker wie Mitt Romney oder John Boehner ausgegossen wird, die einerseits salbungsvoll eulogisieren, aber andererseits nicht zögern, Homosexuelle – und damit implizit auch Sally Ride – als Bürger zweiter Klasse zu behandeln. Aber auch die Medien kommen unter Beschuss, weil sie in ihren Nachrufen die Homosexualität von Sally Ride nicht prominent gewürdigt hätten.

Und da komme ich erst mal nicht mit: Ist es wirklich das maßgebliche Thema, welche sexuelle Orientierung Sally Ride – die übrigens von 1982 bis 1987 mit ihrem Astronautenkollegen Steve Hawley verheiratet war – hatte? Wichtiger als ihre Rolle als Astronautin, als Vorbild und Erzieherin? Frau Dr. Ride war eine sehr private Person – dass sie in einer lesbischen Beziehung lebte, wurde erst durch die Mitteilung bekannt, in der ihre Firma (vermutlich verfasst von ihrer Lebens- und Businesspartnerin Tam O’Shaughnessy) ihren Tod bekannt gab. In ihrem Nachruf verwendete die New York Times etwa die gleiche Ein-Satz-Formulierung:

In addition to Tam O’Shaughnessy, her partner of 27 years, Sally is survived by her mother, Joyce; her sister, Bear;…

schrieb die Firma, vermutlich dem Willen ihrer Gründerin folgend, und

Dr. Ride is survived by her partner of 27 years, Tam O’Shaughnessy; her mother, Joyce; and her sister, Ms. Scott, who is known as Bear

steht in der NY Times. Doch der Blogger Andrew Sullivan wittert hier eindeutige Homophobie:

The only thing preventing the NYT from writing an honest obit is homophobia. They may not realize it; they may not mean it; but it is absolutely clear from the obit that Ride’s sexual orientation was obviously central to her life. And her “partner” (ghastly word) and their relationship is recorded only perfunctorily. The NYT does not routinely only mention someone’s spouse in the survivors section. When you have lived with someone for 27 years, some account of that relationship is surely central to that person’s life. To excise it completely is an act of obliteration

wettert er hier. Aha. Wenn also jemand sagt “mein Privatleben ist meine Privatangelegenheit”, und ein Medium diesen Wunsch uneingeschränkt honoriert, dann ist homophob? Ich bin ja gerne bereit, die Unfähigkeit meiner Fachkollegen anzuprangern, aber wie, bitteschön, hätte der Nachruf sonst aussehen sollen? Sich breit darüber auslassen, dass die Astronautin ihre sexuelle Neigung bis zu ihrem Tod vertraulich gehalten hat? Dass sie sich nie offen dazu bekannt hat? (Auch Sullivan und all jene, die jetzt “Homophobie” schreiben, wussten das ja erst nach ihrem Tod.) Oder, besser noch, schon zu Lebzeiten die Nase in ihr Prvatleben stecken und sie “outen” sollen? Wollen wir das wirklich lesen?

Nein, andersherum wird ein Schuh draus: Die Leistungen von Sally Ride sprechen für sich. Sie war ein(e) Astronaut(in), Physiker(in) und Unternehmer(in). Dass sie eine Frau war, hatte garantiert mehr Bedeutung für andere, die dies thematisiert sehen wollen, als für sie selbst. Und dass sie als Frau eine Frau liebte – das war ihre private Angelegenheit. Wenn sie zu Lebzeiten nicht wollte, dass es an die große Glocke gehängt wird, dann sollte es auch aus Anlass ihres Todes mit dem gleichen Respekt behandelt werden. Eben so, wie sie es wollte.

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Kommentare (3)

  1. #1 weyoun
    26. Juli 2012

    Das private Leben von Sally Ride….

    geht niemanden etwas an.

  2. #2 Florian Aigner
    26. Juli 2012

    Vielen Dank! Sehr guter Kommentar!

    Ich denke, man muss hier unterscheiden: Wenn sich eine Person aktiv für Schwulen- und Lesbenrechte eingesetzt hat, dann ist es sicher angebracht, darüber in einem Nachruf zu berichten. Auch dass etwa die Homosexualität von Alan Turing in den Artikeln über seinen 100. Geburtstag fast immer erwähnt wurde, ist selbstverständlich – schließlich wurde Turing deswegen entsetzlich mies behandelt, was sich auf seine Biographie auf sehr maßgebliche und tragische Art auswirkte. Bei vielen anderen Leuten allerdings hat die sexuelle Orientierung nichts in einem Nachruf zu suchen. Wozu auch?

  3. #3 YeRainbow
    30. Juli 2012

    spricht doch für Sally, daß sie sich jemanden suchte, mit dem (der…) sie leben wollte und konnte.
    Was andere darüber denken… oder nicht denken… oder denken wollen… oder denken wollen müßten…
    je nun.