Der Nachweis des Higgsfeldes durch die Entdeckung des damit verbundenen Bosons, das Auffinden von Exoplaneten, die lange gesuchte Lösung eines mathematischen Problems – das ist hohe Wissenschaft, Forschung vom Feinsten. Und die hat meinen tiefsten, uneingeschränkten Respekt. Aber manchmal liefert uns die Wissenschaft auch Antworten auf Fragen, die so alltäglich sind, dass wir sie gar nicht als wissenschaftliche Frage erkannt hätten. Ob es besser ist, durch den Regen zu rennen (um schneller ins Trockene zu kommen) oder zu gehen, um den Regentropfen weniger Angriffsfläche zu bieten, beispielsweise. Welche Folgen ein Fahrradsattel für die Potenz haben kann. Oder wie lange die Gelbphase einer Verkehrsampel sein müsste, damit Autofahrer nicht gezwungen werden, entweder eine gefährliche harte Bremsung zu riskieren oder noch über die Kreuzung zu fahren, um dann noch vom Rotlicht (und eventuell auch Strafzettel verteilenden Verkehrspolizisten) erwischt zu werden.

Letzteres ist tatsächlich ein weit verbreitetes Phänomen: Hesham Rakha, Professor für Verkehrsingenieurwesen und Direktor des Instituts für nachhaltige Mobilität an der Virginia Polytechnic Institute and State University (kurz Virginia Tech genannt), hat in langen Messungen und Auswertungen festgestellt, dass 43 Prozent der Autofahrer – bei einem Tempo von 45 Meilen pro Stunde (knapp 75 km/h) keine Chance haben, es noch vor der Rotlichtphase über die Kreuzung zu fahren, wenn die Ampel auf Gelb umschaltet, während sie die Haltlinie überfahren. Schlimmer noch: Die meisten schaffen es nicht mal, innerhalb der (zumindest in den USA üblichen) einen Sekunde, in der alle Ampel auf Rot stehen, die Kreuzung hinter sich zu lassen. Was heißt, dass sie sich innerhalb einer “Dilemma-Zone” befinden: Ob sie nun bremsen oder weiterfahren, sie werden sich noch in der Kreuzung aufhalten, wenn der Querverkehr fahrberechtigt wird. Das entsprechende Paper ist leider hinter einer Paywall, darum verlinke ich auch auf die entsprechende Uni-Pressemitteilung.

Ein praktischer Unterschied zwischen amerikanischen und deutschen Verkehsampeln ist, dass die Signal-Leuchten in den USA auf der gegenüber liegenden Seite der Kreuzung angebracht sind, was bedeutet, dass Autofahrer in solchen Fällen noch der roten Ampelphase gewahr werden; deutsche Ampeln stehen typischer Weise vor der Kreuzung, und das bewahrt die meisten FahrerInnen vor diesem erschreckenden Anblick. Sie sind sich daher dieses Dilemmas oft gar nicht bewusst – an der Gefährlichkeit der Situation ändert dies allerdings nicht wirklich etwas.

Abbildung: ŠJů (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

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Kommentare (2)

  1. #1 rolak
    12. September 2012

    ‘Wow, USA, Land der unbegrenzt riesigen Kreuzungen’ war mein erster Gedanke, 75km/h, bei Umschlage grün/gelb über die Haltelinie, min 1″ gelb + 1″ rot, also 42[!]m aufwärts. Dann der verlinkte Artikel, 4.2″ gelb oder über 100m^^ Doch es war zum Glück dort nur von ‘während der Gelbphase’ die Rede.

    Ist eigentlich auch schon mal erforscht worden, warum sich Autofahrer in ihrer Ei..ligkeit durchaus auch so verhalten, daß sie im Endeffekt langsamer ans Ziel kommen? Das betrifft jetzt nicht mir unbekannte, jedoch von vielen befolgte Verkehrsregeln wie “Grüne Ampel am Horizont hebt Tempolimit auf”, die die Fahrt durch einen Krankenhausaufenthalt in die Länge ziehen konnen, sondern Selbstbremsendes.

    Hierzulande ist die Gelbregelung ja ähnlich: Wer Gelb sieht hat anzuhalten, es sei denn, das Risiko eines Auffahrunfalles ist zu groß. Dazu kommt noch ein ‘Nicht auf die Kreuzung’, wenn das rechtzeitige Freimachen nicht gewährleistet ist. Bei deutlicher Überlastung der Straße (ist hier wg den peripheren Auswirkungen der Arbeiten an einem Autobahnkreuz aktuell allarbeitstäglich zu beobachten) schiebt sich jedoch ein Strom schon längst frustrierter Fahrer wie ein monolithischer Block beim Gelbwerden nach vorne, was dann nach Ampelumschlag den Querverkehr vor einer Blechsperre stehen läßt, jedoch tapfere Einzelkämpfer bis hin zum 30Tonner in keiner Weise davon abhält, durch Durchdrängeln das Muster auf der Kreuzung interessanter zu gestalten – letzteres insbesondere, wenn wie üblich auch noch Abbiegen möglich ist.

    Ein (zum Glück nur fast) perfektes selbststauendes Verhalten, welches in den letzten Wochen schon dazu führte, daß Kunden eines Supermarktes nicht aus ihrer Parklücke kamen, weil sich der Kreuzungs-Rückstau baumartig über den Kundenparkplatz ausbreitete 😉

    Zu befürchten steht allerdings, daß dergleichen Verhalten selbst nach intensivster Erforschung der Zusammenhänge nicht zu ändern ist.

  2. #2 Alderamin
    12. September 2012

    Bei uns sind die Gelbphasen, so viel ich weiß, geschwindigkeitsabhängig. An einer normalen Stadtampel in der 50er-Zone dauert sie 3 Sekunden. Aber auf einem Autobahnzubringer mit 70 oder 100 dauert sie länger, ich glaube sogar 6 Sekunden (jedenfalls die Phase vor Rot; die Phase vor grün hat wohl immer die gleiche Länge). Dann klappt’s auch mit dem Anhalten. Wenn man will.

    Dass in den USA die Ampel gegenüber steht, empfinde ich als große Erleichterung, man muss sich nur kruz umgewöhnen, dass man nicht bis zur Ampel vorfährt, wozu man als frisch eingetroffener Tourist anfangs neigt. Bei uns muss man oft den Hals verrenken; wo ich wohne, gibt es so eine kleine Ampel mit nur Gelb und Rot, die die Abbiege- und Geradeaus-Spur verschieden schaltet. Die hängt aber nur ganz oben am Mast und man kann sie gerade sitzend als erstes Auto gar nicht sehen. Und einmal im Jahr morgens im Berufsverkehr steht die Sonne genau in dieser Richtung und man sieht gar nichts mehr. Das würde einem in den USA nicht passieren.

    Auch schön ist die Abbiegen-bei-Rot-Regelung, was bei uns die Schilder mit dem grünen Pfeil erlauben. Wir regeln das eher baulich mit einer separaten Abbiegespur an der Ampel vorbei.

    Alles in allem empfinde ich das Fahren in den USA als deutlich angenehmer und einfacher als bei uns. Auch wenn unsere Gelbphasen länger sind.