Dann messen wir den Durchmesser des Geldstücks mit dem Faden ab und schneiden vier gleichlange Stücke ab. „Papa, da steht aber eine Eins drauf.“ – „Ja klar, aber pass mal auf, was ich jetzt damit mache.“

Ich markiere das Geldstück an einer Stelle der Ablaufstrecke. Das zeichne ich mit dem Lineal eine längere Linie auf das Papier. Mit den vier gleichlangen, nebeneinander gelegten Fadenstücken markiere ich die Strecke an den jeweiligen Endpunkten.

Nun lege ich das Geldstück mit der Markierung an den Startpunkt und rolle es entlang des Lineals ab. Dort, wo die Markierung die Linie erneut berührt, mache ich ein Kreuz.

Mimi verfolgt jede meiner Bewegungen, als wäre es ein Zauberkunststück. „Und wo ist jetzt meine neue Zahl?“

„Wie lang ist der Strich vom Anfang bis zu diesem Kreuz? Zähle mal die Fäden.“ Mimi meldet etwas ratlos: „Na ja, vier Fäden sind es nicht ganz, aber mehr als drei Fäden schon. Irgendwo dazwischen.“

„Genau, irgendwo dazwischen. Die Strecke ist genau Pi Fäden lang. Zwischen drei und vier. Wenn man es genauer wissen will, dann muss man den vierten Faden in zehn Einzelteile schneiden und dann ist die Strecke etwas länger als drei und ein Zehntel Faden.“

Das hat Mimi verstanden, aber was hat das nun mit ihrer neuen Zahl zu tun?

„Pass auf, jetzt muss man diesen Zehntel Faden noch mal in zehn Teile schneiden, dann kann man vier davon dazulegen. Aber es reicht immer noch nicht. Jetzt muss man das winzige Fadenstück nochmal zehnteilen und nun genügt ein Teil, aber immer noch nicht genau. Die Zahl Pi ist das Ergebnis, wenn man unendlich oft mal dieses Abschneiden und Dranlegen durchführt.“

Pi und die Unendlichkeit

„Papaa, was ist unendlich oft?“ – Wie bringe ich meiner Tochter jetzt die Unendlichkeit bei.

„Jede Stunde, jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr, bis du groß bist, bist du selbst Kinder hast, bis du Oma geworden bist, und so weiter. Immer ein Stück abschneiden, dranlegen, vom Rest wieder ein Stück abschneiden, dranlegen, … Das hört nie auf. Es gibt keine Ende, verstehst du?“

„Und daraus kriege ich meine Zahl Pi?“ – „Ja, man kann die Zahl Pi auch aufschreiben. Aber nur die ersten Stellen, niemals alle Ziffern, denn sie hört ja nie auf. So sieht sie aus: 3,1415. Und immer mehr Zahlen.“

Mimis Augen leuchten auf. „Die Zahlen kenn ich ja: Drei, Eins, Vier, Eins, Fünf. Warum ist da so ein Haken dazwischen?“ – „Das ist ein Komma. Die 3 sagt, dass du frei ganze Fäden brauchst. Beim Komma mußt du den Restfaden in zehn Teile zerschneiden.

Die Eins sagt dir, nur ein Stück davon dranzulegen. Dann kommt eine Vier, die bedeutet, dass du von diesem kurzen Rest noch vier Zehntel Teile anlegen mußt. Und immer so weiter.“

Mimi schnappt sich die Schere und versucht, den Faden in kleinere Teile zu zerschneiden.

Ein Stück legt sie an und probiert nun den Rest der Fäden weiter klein zu kriegen. Mimi hat das Prinzip der Bruchrechnung also schnell kapiert.

Während sie derart beschäftigt ist, gehe ich schnell zum Computer und lade aus dem Internet die ersten 1000 und 10.000 Ziffern der Zahl Pi herunter. Ich drucke sie auf ein zwei Seiten aus. Ich finde sogar eine 200seitige Datei mit einer Million Stellen und lade sie herunter. Und noch besser: 10 Millionen auf 1.000 Seiten. Ich verzichte auf einen Ausdruck, speichere sie aber auf dem Rechner. Dann stosse ich bei meinen Recherchen auf eine Datenbank mit 200 Millionen Ziffern der Zahl Pi.

Aber auch diese gewaltige Zahlenkette wurde mittlerweile fünfzig Mal übertroffen. Den Weltrekord halten zur Zeit japanische Mathematiker mit 10 Billionen Stellen, die mit einem Großcomputer nach 191 Tagen Rechenzeit ermittelt wurden. Ausgeschrieben würde dieser Pi-Ausdruck über 1000 Bücher von Bibelformat füllen.

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Kommentare (16)

  1. #1 volki
    20. März 2013

    Aber so ganz läßt mich der Gedanke nicht los. Die Zahlenfolge in Pi ist unendlich. Das bedeutet, irgendwann muss jedes Geburtsdatum, jede PIN-Nummer, jede Telefonnummer der Welt, ja jede beliebige Zahl in Pi vorkommen.

    Da möchte ich widersprechen. Dies ist nur dann wahr, falls pi eine normale Zahl sein sollte. Das wird zwar vermutet ist aber noch weit weg davon, dass man das beweisen könnte.

  2. #2 Thilo
    20. März 2013

    @volki: “Normal” wurde heißen, dass die Zahlenfolgen alle gleich oft vorkommen, das ist nochmal eine stärkere Behauptung.

  3. #3 volki
    20. März 2013

    @Thilo: Ja, du hast natürlich recht. Ich sollte schreiben:

    “Dies ist dann sicher gestellt, falls pi eine normale Zahl ist.”

    Trotzdem ist die Normalität die bedeutendere Eigenschaft und ich unterstelle Jürgen einmal er hatte diese Eigenschaft im Kopf, als er diese Zeilen schrieb (zumindest ich habe als erstes an Normalität gedacht).

  4. #4 volki
    20. März 2013

    Mir ist noch was eingefallen; aus der Behauptung von Jürgen würde folgen:

    Die Ziffer 0 (oder eine andere Ziffer) kommt unendlich oft in der Dezimalzahlentwicklung von pi vor.

    Selbst nur dies zu beweisen wäre eine kleine mathematische Sensation.

  5. #5 Ulrich Berger
    20. März 2013

    @ volki: Ich kann beweisen: “Die Ziffer 0 oder eine andere Ziffer kommt unendlich oft in der Dezimalzahlentwicklung von pi vor.” Ist das jetzt eine mathematische Sensation, oder bestehst du auf den unschönen Klammern in deiner Formulierung?

    Ich kann übrigens auch beweisen, dass “Jürgens Behauptung” in Wahrheit gar nicht Jürgens Behauptung ist!

  6. #6 volki
    20. März 2013

    @Ulrich: Ohje, habe ich das wirklich so misverständlich geschrieben? Dann las mich das korrigieren zu:

    Sei a ein Element aus {0,1,…,9} und pi=sum_i a_i 10^{-i}, wobei die Summe über alle nicht negativen ganzen Zahlen i läuft. Weiters sei I_a:={i \in Z : i>=0 und a_i=a}. Dann ist |I_a|=oo.

    Ich kann übrigens auch beweisen, dass “Jürgens Behauptung” in Wahrheit gar nicht Jürgens Behauptung ist!

    Das verstehe ich nicht. Willst du damit andeuten, dass Jürgen nicht der erste war (ja da gebe ich dir recht), oder habe ich was oben im Text überlesen, oder???

  7. #7 volki
    20. März 2013

    PS: Ja ich bestehe auf meine Klammern! Auch wenn das unschön formuliert ist.

  8. #8 volki
    20. März 2013

    Das verstehe ich nicht. Willst du damit andeuten, dass Jürgen nicht der erste war (ja da gebe ich dir recht), oder habe ich was oben im Text überlesen, oder???

    Ich habe es gerade selber gesehen, dass der Beitrag von Manfred Kindler ist.

    *schäm mich*

  9. #9 Ulrich Berger
    20. März 2013

    Moment mal, jetzt forderst du den Beweis, dass ALLE Ziffern von 0 bis 9 unendlich oft vorkommen? Man muss bescheiden sein, also für’s erste biete ich immer noch den Beweis an, dass mindestens eine solche Ziffer unendlich oft vorkommt 😉

  10. #10 volki
    20. März 2013

    Tut mir leid! Ich habe halt meine Meinung geändert 😉

  11. #11 Made
    20. März 2013

    Zu normaler Zahl oder nicht, mal eine Frage.

    Die Zahl 0,1010010001000010000010000001000000001…. müsste doch irrational sein, oder nicht? Da gibt es keine sich periodisch wiederkehrende Ziffernfolge. Ab Stelle n gibt es eine Folge von x Nullen, die vorher nicht einmal aufgetaucht ist.

    Für ein m>n(+x) gibt es eine Folge von mindestens (x+1) Nullen, die es an keiner Stelle weiter vorn gegeben hat. Also ist die Zahl nicht periodisch. Also auch nicht rational.

    Und dennoch kommen unendlich viele (endliche) Ziffernfolgen nie vor in dieser Zahl (alle Einserfolgen mit mehr als einer Eins nämlich) Also ist die Normalität schon eine Voraussetzung um sicher sein zu können, dass jede Ziffernfolge vorkommt.

    Oder wo liegt mein Fehler?

  12. #12 Thilo
    21. März 2013

    @Made: alles richtig, nicht jede irrationale Zahl ist normal. Sonst wüßte man ja auch schon, dass Pi normal ist.

  13. #13 Made
    21. März 2013

    @Thilo:

    Und heißt das nicht, dass wir noch nicht wissen, ob in Pi wirklich jede Zahl enthalten ist? Oben klang es so als wäre das schon klar.

    Oder gibts da noch ein anderes Kriterium, das schwächer ist als “normal” aber stärker als “unendlich lang”?

  14. #14 Thilo
    21. März 2013

    Ob π normal ist, kann man bisher nicht bewiesen.
    Schon in den 80ern hatte Kanada die ersten10 Millionen Ziffern von π untersucht und festgestellt, daß die Häufigkeiten zwischen 999.333 (die 2) und 1001093 (die 5) variieren. Das entspricht der Varianz, die man bei Gleichverteilung erwarten würde: Zufallszahlen nähern sich mit Geschwindigkeit 1/Wurzel(n) der Gleichverteilung an.

    Bellard hat die Gleichverteilung vor einigen Jahren für die ersten 2,699,999,990,000 Stellen überprüft: die Häufigkeiten variieren dort zwischen 269999112082 (die 0) und 270001112056 (die 8).

    scienceblogs.de/mathlog/2010/03/14/pitag

    Ob Pi alle möglichen Zahlenfolgen enthält, ist ebenfalls nicht bewiesen. Das würde aber wohl folgen, wenn Pi normal ist. (was per Definition heißt, dass die Ziffern nicht nur zur Basis 10, sondern zu jeder Basis gleichverteilt sind)

    math.stackexchange.com/questions/216343/does-pi-contain-all-possible-number-combinations

  15. #15 Olaf aus HH
    Hamburg, D, Europa, Erde...
    21. März 2013

    Was immer Ihre Tochter sich jetzt denken mag – diese Geschichte ist einfach wunderbar.
    Eltern haben es nicht immer einfach – aber wenn es klappt, ist es ein Geschenk.
    Für alle.
    Danke für diese schöne Geschichte.

  16. #16 Manfred Kindler
    Werne
    30. März 2013

    @Olaf,
    sehr beruhigend, dass die kleine Geschichte auch mal aus anderen Augen gesehen wird. Ich habe das Problem der Normalität als Nicht-Mathematiker zwar einigermaßen verstanden, aber möchte doch ungern meiner nunmehr neunjährigen Tochter die Illusion einer Zauberzahl rauben. Zumal ich schon an einem Folgeartikel über die Eulersche Zahl sitze, deren Normalität ebenfalls noch unbewiesen ist.
    Danke jedenfalls für die angeregte Diskussion.