Vorab noch einmal zur Entschuldigung: Diese Tage sind mit meiner Lehrtätigkeit, aber auch mit journalistischen Aufträgen so ausgefüllt, dass viel mehr als die gelegentlichen Lesetipps nicht drin sind. Heute geht es um die Plattentektonik, genauer gesagt, darum, dass vor ziemlich genau 50 Jahren, am 27. März 1964, ein schweres Erdbeben (Stärke 9.2) Alaska im wörtlichen Sinn erschüttert und insgesamt 131 Menschenleben gefordert hatte. Aber dieses Erdbeben war auch das erste empirische Ereignis, das von Geologen – namentlich George Plafker vom United States Geological Service mit der damals noch keineswegs akzeptieren Theorie der Plattentektonik in Zusammenhang gebracht wurde. Auch wenn dies wie ein plattes Wortspiel klingt, war es der Durchbruch für diese Theorie, die damit auch, mit Jahrzehnten Verspätung, letztlich Alfred Wegeners Theorie der Kontinentaldrift plausibel machte.

Wer mehr dazu lesen will, kann das beispielsweise hier in der New York Times online tun (ich bin Abonnent, weiß also nicht die aktuellen Bedingungen, aber so weit ich mich erinnere, kann man nach Anmeldung zehn Artikel im Monat gratis lesen): A ’64 Quake Still Reverberates.

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Kommentare (5)

  1. #1 Spritkopf
    9. April 2014

    Dazu habe ich mal ein paar Fragen, Jürgen. Kann man eigentlich aus den Geschwindigkeiten, mit denen in den Spreizungszonen neuer Ozeanboden entsteht, auch berechnen, welche Spannungen sich in den Subduktionszonen aufbauen müssten? Kann man diese Spannungen eventuell messen, zum Beispiel darüber, dass in Zonen starker Spannung die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Schallwellen höher sein müsste?

    Gerade in erdbebengefährdeten Gebieten wie zum Beispiel Kalifornien hat man doch ein flächendeckendes Netz von Seismographen aufgebaut und es gibt dort immer wieder kleinere Beben, deren Wellen man für Messungen der Wellenausbreitungsgeschwindigkeit nutzen könnte. Wenn man über die Jahre feststellt, dass in einem bestimmten Gebiet die Wellenausbreitungsgeschwindigkeit und/oder die Resonanzfrequenz des Bodens steigt, könnte man darüber auf eine zunehmende Spannung schließen, womit man Aussagen über die Erdbebengefährdung dieser Gebiete treffen könnte.

    Oder sind diese Gedanken abwegig bzw. in der Praxis nicht durchführbar?

    P.S.: Den NYT-Artikel konnte man auch ohne Registrierung lesen.

  2. #2 Christoph Moder
    10. April 2014

    @Spritkopf: Grundsätzlich sind diese Überlegungen nicht so schlecht. Allerdings:

    1. Mittelozeanische Rücken vs. Subduktionszonen: Ja, wenn auf der einen Seite neue Kruste entsteht, muss sie auf der anderen Seite auch wieder verschwinden. Allerdings sind die Kontinentalplatten nicht so starr, dass jeder Millimeter Änderung sich gleich auf die andere Seite durchschlägt, tausende km weit weg. Über zehntausende von Jahren gemittelt hast du Recht, aber innerhalb weniger Jahre kann man nichts aussagen.

    2. Wodurch ändert sich denn die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Schallwellen? Indem sich durch den Druck Klüfte schließen, in denen Wasser oder Luft ist, die eine deutlich geringere Wellengeschwindigkeit haben. Aber in der Kruste dominiert der lithostatische Druck, d.h. durch das Eigengewicht des Gesteins – Unterschiede in den tektonischen Spannungen sind viel kleiner. Zudem kann man nicht punktweise in der Tiefe messen, sondern jede Messung von der Oberfläche aus mittelt die Laufzeit zwischen Quelle und Empfänger.

    3. Schließlich weiß man z.B. durch GPS-Messungen und Bohrlochmessungen (Verformung von Bohrlöchern) recht genau den (horizontalen) Spannungszustand. Aber das ist nicht der Punkt. Es kommt nicht auf die Höhe der Spannung an, sondern erstens auf lokale Spannungsspitzen, die zu einem Bruch führen, und zweitens, wo das Gestein am schwächsten ist und zuerst nachgibt und bricht. Und dann gibt es z.B. bei der San-Andreas-Verwerfung unterschiedliche Abschnitte; in manchen gibt es permanent Mikro-Beben (irritierenderweise heißt es, dort würde die Verwerfung “kriechen”), in anderen Bereichen verteilt sich die Verformung nicht so sehr, und es baut sich Spannung an der Verwerfung auf. Und dann ist die Frage, wo die Verwerfung zuerst bricht (welcher Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt), und ob dieser Bruch lokal begrenzt ist (weil rundum das Gestein mehr Spannung aushält) oder ob in einer Kettenreaktion benachbarte Abschnitte der Verwerfung auch brechen … die Energie eines Erdbebens wird nämlich vor allem davon bestimmt, wie groß die Bruchfläche ist; und die größten Verschiebungen treten nicht unbedingt dort auf, wo der Bruch begonnen hat.

    Und dann kennt man viele Verwerfungen gar nicht, wenn sie sich nicht bewegen und man deshalb an der Oberfläche nichts sieht (Erosion etc. verdecken die Spuren recht schnell). Beispielsweise sieht man die San-Andreas-Verwerfung in der Carrizo Plain sehr gut, weil es eine wüstenartige Gegend ist; bei San Francisco sieht sie schon deutlich unspektakulärer aus; und das Northridge-Erdbeben nördlich von Los Angeles passierte an einem Seitenast der Verwerfung unterhalb der Stadt, von dessen Existenz man gar nichts wusste, während man im Städtchen Hollister die Verformungen an den Randsteinen und Gehwegplatten sehr deutlich sieht.

  3. #3 Spritkopf
    10. April 2014

    @Christoph Moder
    Danke für diese ausführliche Erläuterung. Hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich noch etwas weiter frage. Bei Wikipedia lese ich, dass Erdbebenwellen genau die gleichen Effekte zeigen, die bei anderen physikalischen Wellen auch auftreten (Brechung, Reflektion, Streuung etc.) Kann man denn in Zonen mit vielen kleinen Beben die seismischen Wellen dazu nutzen, ein möglichst genaues 3D-Modell der Erdkruste zu erstellen oder sind sie aufgrund ihrer Variabilität und Undefiniertheit dafür nicht so geeignet und man verwendet besser künstlich erzeugte Wellen, z. B. durch Thumper?

    Vielleicht hast du oder Jürgen ja auch eine Buchempfehlung zu Tektonik.

  4. #4 Jürgen Schönstein
    10. April 2014

    @Spritkopf #3
    Die Frage ist sehr berechtigt, und in der Tat hat man aus unterrschiedlichen Laufzeiten von Erdbebenwellen, die sich an Zonen wie beispielsweise der so genannten Mohorovicic-Diskontinuität brechen oder reflektieren, eine ganze Menge über den inneren Aufbau unserer Erde gelernt. Erdbeben spielen auch heute noch vermutlch sogar DIE entscheidende Rolle bei der Erforschung des Innenenebens unserer Erde.

  5. #5 Christoph Moder
    13. April 2014

    @Spritkopf #3: Wie Jürgen schon richtig sagt, stammt das Meiste, was wir über das Erdinnere wissen, von Reflexionen seismischer Wellen. Eine nicht ganz unwichtige Rolle haben dabei auch Kernwaffentests gespielt, denn bei denen weiß man im Gegensatz zu Erdbeben ganz genau, wo das Hypozentrum ist und wann die Explosion war. Und dann wurde zur Überwachung des Atomwaffensperrvertrags ein weltweites seismisches Netz aufgebaut, das es so sonst nicht gegeben hätte.

    Heute sind die Methoden raffinierter geworden; insbesondere die seismische Tomographie, wenn es um den Aufbau des Erdmantels geht. Dort geht es um die Lösung des Rückwärtsproblems – es ist recht einfach, die Wellenausbreitung (d.h. die Laufzeiten) zu berechnen, wenn man das Ausbreitungsmedium kennt (also auch alle Heterogenitäten), aber es ist grundsätzlich unmöglich, aus gemessenen Laufzeiten auf die Struktur eindeutig zu bestimmen. Denn es gibt unendlich viele Strukturen, die zu den selben Laufzeiten führen. Gut, viele davon erfordern eine physikalisch unmögliche oder geologisch unwahrscheinliche Zusammensetzung des Gesteins. Früher hat man nur die Laufzeiten beachtet; jetzt macht man zunehmend “full waveform tomography”, die auch Effekte wie Dispersion und Fresnel-Zonen berücksichtigt. Bei der Tomographie beginnt man mit einer angenommenen durchschnittlichen Struktur (z.B. PREM-Modell) und modifiziert diese, so dass sie Daten möglichst gut erklärt. Das klappt besser beim Erdmantel, wo das Gestein gut durchmischt ist, als bei der Kruste, die viel heterogener ist – denn man hat als Information ja nur, welche Abweichungen es aufsummiert über die gesamte Strecke zwischen Erdbeben und Seismometer gibt.

    Die Kruste ist sehr dünn und hat viel kleinräumigere Strukturen, und die Erdbeben treten v.a. an Plattengrenzen auf, man hat also einfach keine ausreichend gute Abdeckung durch seismische Wellen. Zudem laufen diese Wellen ja nicht nur senkrecht durch die Kruste, sondern entweder sehr flach, oder zwischendrin größtenteils durch den Mantel. Das sind so ungefähr die Gründe, warum man bei der Kruste künstliche Quellen verwendet, also nahe am Ort der Messung Sprengungen oder Vibroseis macht und die Reflexionen an Grenzschichten misst – denn so durchleuchtet man nur sehr kleine Bereiche auf einmal. (Beim Mantel käme man mit künstlichen Quellen nicht weit, weil sie zu schwach sind; deshalb müssen es Erdbeben sein.)

    “Zonen mit vielen kleinen Beben”: Ja, dort wären die Bedingungen besser. Wird wohl in Zukunft zunehmend gemacht. Kürzlich hat man auch angefangen, das seismische Rauschen zwischen den Seismometern zu korrelieren. Was auch gemacht wurde: Bei kleinen Beben ist die Bruchfläche klein, man kann dem Beben also einen ziemlich eng begrenzten Ort zuordnen (wenn man es denn mit ausreichend vielen Seismometern detektieren konnte). So hat man in Kalifornien aus der Summe der Hypozentren die 3D-Geometrie der (seismisch aktiven) Verwerfungen konstruiert.

    Ach ja, Buch-Empfehlung: Vielleicht “The Solid Earth” von C.M.R Fowler.