Die Toilette ist bei GeoGraffitico ja immer wieder mal ein Thema. Aber dieses sich nur scheinbar durch Stille auszeichnende Örtchen hat’s an diesem heutigen (noch, in den USA, jedenfalls!) Dienstag auch auf die Titelseite der New York Times gebracht: Poor Sanitation in India May Afflict Well-Fed Children With Malnutrition. Mangelernährung durch mangelnde Sanitärhygiene? Das ist zwar bisher nur eine Hypothese, aber eine, die – laut diesem Artikel – von der Unicef ernst genommen wird. Die Story wird am Beispiel Indiens erzählt, und mit folgender Grafik illustriert, die zumindest die Korrelation zwischen körperlicher Unterentwicklung und dem Kacken im Freien (besser lässt sich wohl “defecate outdoors” nicht übersetzen) anschaulich demonstriert:
Hygiene copy
Sicher, Korrelation ist eben kein Nachweis der Ursache, aber zumindest als Arbeitshypothese wäre der Ansatz plausibel, denn mangelnde Hygiene führt zu erhöhten Infektionen, und solche Infektionen, vor allem im Magen und Darm, können sehr plausibel die Nahrungsaufnahme durch den heranwachsenden Körper behindern. Denn an der Verfügbarkeit von Nahrung liege es, wie die New York Times anhand von Beispielen veranschaulicht, jedenfalls nicht.

So schwer sollte es doch nicht sein, brauchbare Toiletten nach Indien zu bringen, oder? Immerhin hat sich doch sogar Bill Gates – genauer gesagt, seine Stiftung – des Themas angenommen und vor drei Jahren schon sogar einen Ingenieurswettbewerb ausgelobt. Das ist absolut löblich, und die Tatsache, dass sich jemand wie Gates mit dem Thema beschäftigt (hatte ich hier schon mal geschrieben) ist nicht zu unterschätzen. Doch auch nach mehreren Wettbewerbsphasen ist die Dritte Welt dem besseren, hygienischeren stillen Örtchen nicht eine Klorolle näher gekommen. Was, wie nicht nur ich fürchte, eher daran liegt, dass die Ideen, die durch den Wettbewerb gefördert werden, schlichtweg zu sehr auf Technologie setzen: Das Gates-Klo soll Abort und Kleinkraftwerk zugleich sein – und vermutlich (ganz nebenbei) auch die Marktbasis für Verbraucherelektronik, ohne die so ein Hightech-Donnerbalken ja nicht auskommen darf, deutlich vergrößern. Aber damit ist den Kindern, die sich hinter die Laterne kauern müssen, wenn sie “müssen”, halt nicht geholfen. Technologien ist, richtig eingesetzt, eine wunderbare Sache. Aber nicht jedes Problem der Welt wartet auf eine technologische Lösung; manchmal würde es schon genügen, wenn die Lösung im hygienischen Sinn sauber wäre.

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Kommentare (15)

  1. #1 Sepp
    16. Juli 2014

    Über das Thema habe ich mal eine Dokumentation gesehen, leider habe ich keine Ahnung mehr, wie diese hieß. Dort gab es ebenfalls das Problem, dass der Fluß einer Stadt als Abwassersystem genutzt wurde. Natürlich wurde in diesem auch Wäsche gewaschen, darin gebadet und von ihm Trinkwasser entnommen. Die Lösung des Problems war relativ einfach: Eine Hilfsorganisation hat an die Haushalte Tüten verteilt. Für die gefüllten Beutel gab es dann Container, welche regelmäßig geleert wurden.

  2. #2 MartinB
    16. Juli 2014

    Ich bin verwirrt: Wo sehe ich in der Grafik die Korrelation?

  3. #3 CM
    16. Juli 2014

    Ich bin verwirrt: Wo sehe ich in der Grafik die Korrelation?
    Die gibt es so sicher nicht. Und der verlinkte Artikel gibt auch keinen unmittelbaren Aufschluss darüber (der Link zur WHO-Studie ist selber wenig aufschlussreich, da müsste man mit mehr Zeit viele Quellen lesen).

    Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass eine (multiparamtrische, aber das versteht sich von selbst) Varianzanalyse in einer Studie der sanitären Situation rel. großen Einfluss auf den Ernährungszustand zuweisen würde. (Ich weiß nicht, ob es solche Studien gibt und habe keine Zeit zur systematischen Suche.)

    Der Grund für meine Vermutung: Schlechte sanitäre Verhältnisse bedingen nicht selten Infektionen des Gastrointestinaltraktes und das kann alle möglichen Folgen haben, vor allem indirekt auch Mangelernährung.

  4. #4 MartinB
    16. Juli 2014

    @CM
    ich kann mir das auch vorstellen – aber Jürgen schreibt ja, dass die Grafik den Zusammenhang anschaulich demonstriert, und das sehe ich nicht.

  5. #5 A_Steroid
    16. Juli 2014

    als Ergänzung zu dem leider so banalen Satz “So schwer sollte es doch nicht sein, brauchbare Toiletten nach Indien zu bringen, oder?” – Schwer ist das sicher nicht…aber man darfr leider auch die kulturellen Eigenarten nicht übersehen. Ich hatte Kontakt mit Menschen, die z.B. in Afghanistan waren und sinngemäss meinten: “dort gibt man sich lieber nicht die Hand zum Gruß”… auch östliche Nachbarn waren vor Jahren noch in der Phase “Plumps…”… usw. usw. daher würde es mich tatsächlich nicht wundern, wenn die Ursache zumindest AUCH in dem genannten Umfeld zu suchen ist.

  6. #6 CM
    16. Juli 2014

    @MartinB: D’accord. Das meinte ich auch mit meinem ersten Satz. War etwas unklar.

  7. #7 Jürgen Schönstein
    17. Juli 2014

    @MartinB
    Die Aussage über die Korrelation bezog sich, wie ich vermutlich deutlicher schreiben muss, auf Indien – wie der gesamte NYTimes-Artikel überhaupt sich ja auf Indien bezieht, das aber als eine der bevölkerungsreichsten Regionen der Welt sicher auch ein hygienisch-technischer Sonderfall sein könnte. Aber ich stelle ja nicht die Behauptung generell auf, dass dieser Zusammenhang existiert, sondern weise nur darauf hin, dass er in Indien jedenfalls deutlicher ausgeprägt ist. Und auch ansonsten scheint – die Betonung liegt auf “scheint – in dieser Punktwolke eine Tendenz zu bestehen, dass mit der Zahl der Freiluft-Abtritte auch die Wahrscheinlichkeit der Wachstumsstörung steigt.

  8. #8 Jürgen Schönstein
    17. Juli 2014

    @A.Steroid #5
    Da muss ich jetzt mal nachfragen: Soll Dein Kommentar bedeuten, dass es in Indien kulturell bevorzugt wird, auf die Straße zu … sprich, dass die Inderinnen und Inder lieber KEINE Toiletten haben wollen? Ich weiß nicht so recht, wie ich diesen Kommentar einschätzen soll…

  9. #9 Ania
    17. Juli 2014

    Das Problem liegt wohl eher nicht darin das die Inder keine Toiletten haben wollen, sondern darin, das eine Bevölkerungsgruppe, die bisher keine Toilette hatte auch keine Erfahrung (und Infrastruktur) mit der Reinigung und Entsorgung der Fäkalabfälle hat.
    Denn wenn ich eine Toilette aufstelle, wie simpel und leicht sie zu bedienen, reinigen und reparieren ist, ich brauche auch immer jemanden, der diese Arbeit verrichtet.
    Im kleinen privaten Bereich ist das vermutlich nicht so ein Problem. Im öffentlichen Raum schon.
    Dort muß der Arbeiter auch entlohnt werden, es ist also zusätzlich Geld aufzubringen. Vom Staat, denn der einzelne arme Bürger geht sonst lieber wieder in die Seitenstraße zum kacken, statt für die Toilettennutzung zu bezahlen.

    Und wenn ich dann bedenke, wie hier bei uns die öffentlichen Toiletten oft aussehen, obwohl eigentlich ein Bewußtsein für die Notwendigkeit der sanitären Hygiene herrscht, dann frage ich mich, wie es in Indien mit öffentlichen Toiletten aussieht.

  10. #10 A_Steroid
    17. Juli 2014

    nein..um gottes Willen 🙂

    Was ich meinte: “du” gehst davon aus, das “westliche” Toiletten für Inder (als Beispiel) ein Gewinn wären – was sicher auch der Fall ist… aber es gibt in anderen Ländern eben andere Sitten – und in Polen (wo ich selber vor allerdings > 20 Jahren war, gab es löcher im Fussboden – wie man da seine diversen Verrichtungen tätigen sollte, hat sich mir bis heute nicht erschlossen…. Aber auf deine Interpretation meines Kommentares wäre ich nie gekommen… Zeigt aber, das das “Schreiben” und “Sprechen” völlig unterschiedliche Dinge sind…

  11. #11 CM
    17. Juli 2014

    @Jürgen Schönstein
    Ich glaube fast hier liegt wieder mal ein semantischer Stolperstein. Korrelation werden MartinB und ich wohl anders verstanden haben, als Du. Während wir den statistischen Begriff im Hinterkopf haben, wirst Du, wie Du in Kommentar #7 schriebst, an “Zusammenhang” (für Indien) gedacht haben. Den kann man durchaus sehen und für plausibel halten – wie ich schrieb. Alldieweil ist die mathematische Konnotation zum Begriff der Korrelation sehr stark, so dass diese Interpretation naheliegend war.

    Ggf. hilft hier ein statistischer Trendtest, bzw. ein Test auf Anteile – was schwierig ist ohne Zahlen. Doch auch nach Augenmaß kann man – mit der gebotenen Vorsicht ohne Rechnen zu könnne – von Trend bzw. Tendenz sprechen.

    Haarspalterei? Nicht unbedingt. Schließlich ist “policymaking” i.d.R. besser wenn Evidenzgestützt. Und mit Graphiken “lügen” bzw. dramatisieren ist leicht – wenngleich ich eine derartige Annahme im konkreten Fall nicht treffe. Aber in der Tat, ich schreibe langatmig zu einer Kleinigkeit. Advanced procrastination … 😉

  12. #12 MartinB
    17. Juli 2014

    @Jürgen
    “Und auch ansonsten scheint – die Betonung liegt auf “scheint – in dieser Punktwolke eine Tendenz zu bestehen, dass mit der Zahl der Freiluft-Abtritte auch die Wahrscheinlichkeit der Wachstumsstörung steigt.”
    Wirklich? Ich sehe das in der Wolke nicht – man sieht zwar, dass es bei Ländern mit hoher “Frei-Kack-Zahl” keine ganz niedrigen Werte gibt – aber die höchsten Werte erreicht man andereseits in Ländern ziemlich weit links auf der Skala.
    Ohne statistische Analyse würde ich mir da keine Aussage einer Korrelation zutrauen.

  13. #13 Jürgen Schönstein
    17. Juli 2014

    @A_Steroid #9
    Nein, ich meinte nicht, dass “westliche” Toiletten die Antwort sind. Sondern “Toiletten”, egal erst mal in welcher Form. Aber dass eben das Problem der “Reinventing-the-Toilet-Challenge” darin liegt, dass sie mit westlichen, technologischen Ideen an die Sache rangeht.

  14. #14 DeLuRo
    17. Juli 2014

    Es sind nicht Art und Form der Toilette alleine, die einen Einfluss haben, sondern auch die Qualität der Kanalisation “dahinter”, ob es effektive Klärananlagen gibt, oder ob quasi in das nächste Trinkwasserreservoir eingeleitet wird. Die Dichte der Personen über der Fläche mit dem Merkmal “defecate outdoors” ist mMn alleine noch kein ausreichender Parameter; es müsste die mögliche Kontamination von Wasser und Nahrung und das Risiko direkter Infektion stärker mit eingehen. Letzteres ist eine Frage des kulturbedingten individuellen Umgangs mit der Hygiene.

    Selbst wenn man modernere Toiletten samt Klärung installiert, es nützt erst etwas, wenn der Mensch sie auch massiv nutzt und sich nicht durch religiöse oder sonstige kulturelle Sitten davon abhalten lässt.

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