Das Wetter in Cambridge ist heute traumhaft – trocken, sonnig, warm, wie man es sich im späten Frühling wünscht. Und ich hätte auf nichts mehr Lust, als eine kleine Radtour mit meinem Sohn (15) zu machen, wenn er nach Hause kommt. Denn erstens würde die Bewegung uns beiden guttun (Sport gibt’s für ihn in diesem Semester in der Schule nicht), und zweitens wird es – bei dem Tempo, mit dem die pubertären Hormone durch sein System pumpen und als beinahe greifbare Nebenwirkung eine Aversion gegen das Mit-seinen-Eltern-gesehen-Werden produzieren – nicht mehr so viele Gelegenheiten für gemeinsame Unternehmungen geben. Doch daraus wird nix, weil er zwar aus der Schule nach Hause kommt, aber die Schule dennoch nicht vorbei ist: Hausaufgaben! (seufz…)

Das Pensum variiert zwar, und an manchen Tagen ist er nach zwei oder drei Stunden mit den Sachen durch, die ihm von den LehrerInnen aufgetragen werden – an anderen kann es aber auch schon mal acht Uhr abends werden. Jetzt war ich selbst nie ein großer Freund von Hausaufgaben; ab etwa der 9. Klasse war mein Ziel, das Erledigen dieser Heimarbeit auf ein Minimum zu reduzieren und dafür Strategien zu entwickeln, wie ich mich durch eventuelle Hausaufgabenkontrollen durchbluffen könnte. Aber dies ist ja ein Blog in einem wissenschaftsorientierten Umfeld, also ersuche ich natürlich, meine subjektiven Einschätzungen (= Aversionen) beiseite zu schieben und mich in meiner Einschätzung, ob dieses Outsourcing des Schulunterrichts in Heimarbeit den Zeitaufwand wert ist, von wissenschaftlichen Fakten leiten zu lassen.

Der Haken ist nur: das macht mich auch nicht schlauer. Dieser US-Reviewartikel über den Wert von Hausaufgaben hat sich durch die einschlägige Fachliteratur und durch Metastudien durchgebissen – und kommt, letztlich, nur zum Schluss, dass man nicht so genau sagen kann, ob Hausaufgaben wirklich zu etwas nütze sind. Zu dieser Antwort kam auch schon 1989 der Psychologe und Sozialforscher Harris Cooper in seinem Aufsatz Synthesis of Research on Homework, für den er nach eigenen Angaben rund 120 einschlägige Studien zu diesem Thema analysiert hatte. Die Frage, warum es eigentlich keine schlüssige Antwort auf die Frage gibt, ob Hausaufgaben mehr nutzen als schaden, hatte auch die deutschen Erziehungswissenschaftler Ulrich Trautwein und Olaf Köller beschäftigt; ihr Versuch, eine Antwort zu finden, erschien 2003 als Beitrag in der Fachzeitschrift Educational Psychology Review: The Relationship Between Homework and Achievement—Still Much of a Mystery.

Dass Hausaufgaben umstritten sind, seit es Schulen gibt, ist natürlich leicht zu erklären: Die Zeit, die SchülerInnen mit der Erledigung dieser Aufgaben verbringen, geht in vollem Umfang von ihrer “Freizeit” ab (in einer agrarischen Gesellschaft, wie sie die USA selbst beispielsweise noch heute in weiten Teilen sind, lässt sich diese nur scheinbar freie, weil mit Farmarbeit beanspruchte Zeit nur in Anführungszeichen als “Freizeit” bezeichnen); außerdem kann ein Übermaß an Hausaufgaben eher zu Burnout und zur Ablehnung der Schule insgesamt führen. Ich selbst kenne jungen Leute, die täglich bis zu fünf Stunden – auch am Wochenende! – damit verbringen müssen; und das nicht etwa, weil sie schwer von Begriff sind, im Gegenteil: Vor allem die Eliteschulen sehen anscheinend einen Erziehungsauftrag in der Hausaufgabenmaximierung. Andererseits scheint es im internationalen Ländervergleich Belege dafür zu geben, dass die schulische Leistung mit zunehmender Hausaufgabenbelastung steigt – als Paradebeispiele werden dafür gerne Südkorea und Japan herangezogen. Dem steht wiederum entgegen, dass eines der häufigsten Argumente für Hausaufgaben gar nichts mit den schulischen Leistungen zu tun hat, sondern sich auf das damit verbundene Erlernen einer im späteren Leben notwendigen Arbeitsdisziplin beruft…

Der Haken ist nur, dass all dies sowieso kaum über den Wert von Anekdoten hinausgeht, weil die Studien – und das ist der Tenor sowohl von Coopers Analyse als auch von Trautwein und Köller – methodisch offenbar gar nicht geeignet sind, den Effekt von Hausaufgaben auf den Lernerfolg zu messen. Was auch nicht wirklich verwunderlich ist, weil Hausaufgaben nun mal ein Aufregerthema sind (wer’s nicht IMG_1682glaubt: mal im Kreis schulpflichtiger Eltern das Thema anschneiden und beobachten, wie die Diskussion verläuft) und weil, wie immer bei solchen Themen, gar keine absolute “Wahrheit” erwünscht ist, sondern immer nur das, was die jeweils eigene Position stützt. Aus eigener, subjektiver Sicht könnte ich sagen, dass es wahrscheinlich egal ist, wenn selbst so ein notorischer Hausaufgabenverweigerer wie ich in der Lage war, ein Abitur mit einer Durchschnittsnote deutlich < 2 hinzukriegen. Und was meine Arbeitsdisziplin angeht: Die Tatsache, dass ich hier sitze und diesen Text poste, anstatt diesen verlockend sonnigen Nachmittag (siehe Abb.: Ausblick von meinem Balkon) im Freien zu genießen, sagt hoffentlich genug über meine Arbeitsethik aus…

Aber selbst wenn ich alles stehen und liegen lassen wollte, um die frische Luft zu genießen, müsste ich das alleine machen. Mein Sohn zieht es vor, statt mit mir seine Zeit mit Hausaufgaben zu verbringen. Seufz!

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Kommentare (9)

  1. #1 Lutz Donnerhacke
    Jena
    27. Mai 2015

    Der Verzicht auf Hausaufgaben ist in einer Schule meiner Kinder erklärtes Ziel des Schulkonzept. Die Begründung lautet allerdings, die Eltern zu entlasten. Da aber diese Schule konzeptionell auch keinen schulinternen Druck auf die Kinder ausüben will, sondern vom Prinzip der Eigenmotivation ausgeht, kann man sich die Folgen für die schulische Leistungen eines normalen Jungens ausmalen.

    Deswegen sitzen wir täglich mit dem Kind da und machen Aufgaben – keine Hausaufgaben – sondern den Schulstoff, der in der vormittäglichen Zeit nicht vermittelt wurde.

    *seufz* Reformpädagogik

  2. #2 MartinB
    28. Mai 2015

    Ein Hauptproblem sehe ich in der sozialen Komponente: Abhängig von Bildungsstand, Finanzlage und Berufstätigkeit der Eltern ist eine Hausaufgabe z.B. der Art “Recherchiere X (z.B. im Internet) und schreibe was darüber” eben nicht für alle SchülerInnen dieselbe.
    Ähnlich ist es, wenn ein Kind beim hausaufgabenmachen merkt, dass es etwas nicht verstanden hat – die Kinder, deren Eltern Zeit und Kenntnisstand haben, das dann zu besprechen und zu erklären, sind eben deutlich im Vorteil; die anderen sitzen vor einer Aufgabe, die sie nicht verstehen und haben wenig Chancen, ihre Probleme im Alleingang zu lösen (ganz besonders dann, wenn der Unterricht sich nicht eng ans Schulbuch hält).
    Wobei ich mich des Verdachts nicht ganz erwehren kann, dass das nicht ganz unabsichtlich so ist…

  3. #3 rolak
    28. Mai 2015

    des Verdachts nicht ganz erwehren

    Das klappte schon vor 40 Jahren, zu meiner Schulzeit nicht, MartinB – sah teilweise so aus, als würden die Aufgaben rein zufällig so gestellt, das aussortiert werden solle, wer unziemlicherweise das hehre Gymnasium besuchte.
    Dem Empfinden/Erleben nach war das bei den (gemischtgeschlechtlichen, neusprachlichen, nicht so urtraditionellen) Gymnasien des Städtchens anders.

  4. #4 Alderamin
    28. Mai 2015

    Wenn es im Unterricht Übungen gibt, wo jeder das Gelernte anwenden muss, braucht es vielleicht keine Hausaufgaben. Wenn aber hauptsächlich Frontalunterricht gehalten wird, dann denke ich, geht es nicht ohne das Üben zu Hause. Ich erinnere mich an ein Semester E-Technik im Nebenfach, wo ich aus Faulheit die Übungen gelassen habe und dann den Schein nicht schaffte. Im folgenden Semester machte ich nur die Übungen und hatte dann beim Schein eine der besten Punktzahlen aller Teilnehmer (ein paar hundert).

    Mann muss das Gelernte selbst praktisch anwenden, sonst kann wird man es getrost vergessen.

    Übrigens haben mir meine Eltern mit ihrer einfachen Volksschulbildung nach der Grundschule nicht mehr bei den Hausaufgaben helfen können, die habe ich alleine gemacht, insofern war da niemand zu entlasten.

  5. #5 Jürgen Schönstein
    28. Mai 2015

    @MartinB #2

    Wobei ich mich des Verdachts nicht ganz erwehren kann, dass das nicht ganz unabsichtlich so ist…

    Für das deutsche Schulsystem, wie ich es in Erinnerung habe, würde ich das in jedem Fall unterschreiben. Das gesamte Notensystem schien primär darauf ausgerichtet zu sein, als Filter für “Ungeeignete” zu dienen, die dann entweder durch Wiederholung von Klassen oder Relegation in “nachrangige” Schulformen (Realschule, Hauptschule, Sonderschule etc.) aussortiert wurden. Ich kenne einen Lehrer, der durchaus mit Stolz darüber berichtet, wie er Schüler aus der Gymnasialstufe “ausgesiebt” hatte…

    In dem US-Schulsystem, das ich nun als Vater kennengelernt habe (und auch dem Hochschulsystem, in dem ich selbst lehrend arbeite) liegt die Verantwortung für den Erfolg des Schülers oder der Schülerin hingegen primär bei den Lehrenden. Schulen werden ebenso wie LehrerInnen nach ihrem Lehrerfolg – der nicht etwa durch die Quote derer die scheitern definiert ist, sondern eher durch die erfolgreiche Abschlussquote beziehungsweise durch die Verbesserung der durchschnittlichen schulischen Leistungen – bewertet und gegebenenfalls auch “ausgesiebt”.

    Dieses System hat natürlich auch seine Tücken – ich werde als Dozent am MIT auch danach beurteilt (und weiterbeschäftigt), wie zufrieden sich meine StudenInnen in den allsemesterlichen Abschlussbewertungen zu meinen Lehrqualitäten äußern. Und Zufriedenheit wird garantiert nicht durch scharfe Benotung erzielt 🙁 Aber es führt auch dazu, dass sich die LehrerInnen – und da ist es egal ob Grundschule, Oberstufe oder College – auch außerhhalb der Dienstzeiten per Email für Rückfragen und Erklärungen der Aufgabenstellung bereit halten.

  6. #6 MartinB
    29. Mai 2015

    @Alderamin
    “Wenn aber hauptsächlich Frontalunterricht gehalten wird, dann denke ich, geht es nicht ohne das Üben zu Hause.”
    Die Zeiten sind vorbei – schau dir mal die moderne Refendariatsausbildung an. Da wird jede Form von Unterrichtsgespräch/Lehrervortrag erst mal als schlecht angesehen (während es völlig in Ordnung ist, wenn eine Schülerin den anderen was erklärt und nen Vortrag hält); Gruppenarbeit ist Trumpf. (Wobei das einfache üben und rechnen von Aufgaben zumindest bei einigen Pädagoginnen auch nicht gern gesehen ist…)

    @Jürgen
    Danke für die Erklärungen, das amerikanische Schulsystem kenne ich nur aus dem Fernsehen…

  7. #7 Sonja
    29. Mai 2015

    Ich kann als Schülerin eines allgemeinbildenden Gymnasiums dazu sagen, dass es z.T. wirklich sehr von der Aufgabe und vom Fach abhängig ist. Wenn wir in Erdkunde bestimmte Begriffe nachschlagen müssen, hilft mir das insgesamt auch nicht viel für das Verständis.
    Aufsätze wie in Deutsch hingegen helfen mir ein Gefühl fürs Schreiben zu bekommen und wenn ich dann in der Arbeit sitze, weiß ich im Idealfall auch was dann zu tun ist.
    Ein gutes Beispiel ist auch Mathematik.
    In der Mittelstufe habe ich dort nie Hausaufgaben gemacht und dementsprechend auch meine eher schlechteren Noten dafür “geerntet”. Seit der Oberstufe mache ich jetzt die Aufgaben und komme besser mit.
    Gerade in solchen Fächern wie Mathe und Physik finde ich Hausaufgaben sinnvoll (und das muss von mir als Schülerin was heißen), da man so einfach besser klarkommt und dann auch weiß, wo noch Lücken im eigenen Verständnis sind.

    Und was die Recherche im Internet betrifft, so handelt es sich zumindest in meiner Schule um ein eher geringfügiges Problem,da es bei uns mehrere Computerräume gibt, die eben für solche Schüler gedacht sind, die zu Hause mit so etwas Schwierigkeiten haben.

  8. #8 Alderamin
    29. Mai 2015

    @MartinB

    Jo, meine Schulzeit endete 1983, und Kinder hab’ ich auch keine, bin also nicht mehr ganz auf dem Laufenden.

    Bei Gruppenarbeit besteht andererseits möglicherweise die Gefahr (auch aus eigener Erfahrung mit Teamwork), dass sich immer dieselben aktiveren Schüler vordrängeln und die anderen nur zuschauen oder nur bestimmte Rollen ausfüllen und somit bestimmte Dinge nie selbst durchführen. Hausaufgaben fordern jeden einzelnen. Geht natürlich auch als Übungsstunde, wie gesagt bin ich da nicht auf dem Laufenden, wie das heute gehandhabt wird.

  9. #9 Uli
    29. Mai 2015

    Gar keine Hausaufgaben sind nicht so gut, dann sehen weder Schüler noch Eltern, ob es da Lücken gibt, wenn eine Aufgabe mal selbstständig gelöst werden soll.

    Zu viele Aufgaben führen zum Burnout und mehr als acht Stunden am Tag arbeiten (sechs Stunden Schule + zwei Stunden Hausaufgaben) sind eh eine Zumutung.

    Ursache für zu viele Hausaufgaben sind Lehrer, die ihr eigenes Fach für viel zu wichtig halten. Als ob die Schüler nicht auch noch Aufgaben für andere Fächer zu machen hätten…