Das Thema sexuelle Gewalt im Allgemeinen und an Hochschulen im Besonderen beschäftigt mich ja immer wieder in diesem Blog, und wer sich fragt warum, kann hier und hier ein paar ausführlichere Begründungen finden. Darum habe ich mit besonderem Interesse Beitrag für das New England Journal of Medicine gelesen, der unter diesem Link auch im Web frei verfügbar ist: Efficacy of a Sexual Assault Resistance Program for University Women.

Meine erste Reaktion, nachdem ich nur die Überschrift gelesen habe, war skeptisch bis ablehnend: Die Last und Verantwortung, Vergewaltigungen zu vermeiden, soll also – wieder mal – auf die (potenziellen) Opfer abgewälzt werden. Frauen sollen lernen, ihr Verhalten zu ändern, was impliziert, dass Männer zu einer Verhaltensänderung nicht fähig oder nicht willens sind. Doch offenbar gibt es in der Literatur, auf der NEJM-Artikel verweist, keinen Hinweis auf ein Programm, das zu einer erfolgreichen Verhaltensänderung bei Männern geführt hätte (obwohl ich ja immer noch fest daran glaube, dass solch ein Programm existiert – wir nennen es “Erziehung” und es greift am besten, wenn es frühzeitig praktiziert wird, so lange das sprichwörtliche “Hänschen” noch lernen kann). Wenn sich die Täter nicht ändern wollen, bleibt den Opfern dann natürlich keine andere Wahl…

Die Studie analysierte an vier kanadischen Hochschulen ein (für US-Colleges entwickeltes) mehrtägiges Programm für Studienanfängerinnen, in dem sie nicht nur darin geschult wurden, die Anzeichen für potenziell riskante Situationen besser zu erkennen, sondern auch Strategien lernten, um die Situationen zu entschärfen; außerdem erhielten sie auch praktische Anweisungen zur körperlichen Selbstverteidigung. Das Programm wurde in vier jeweils dreistündigen Sitzungen unterrichtet; als Vergleichsgruppe wurden Studentinnen ausgewählt, denen die bisher üblichen Aufklärungs- und Informationsbroschüren in einer einmaligen Veranstaltung präsentiert wurden. Beide Gruppen – 420 Frauen in der Kontrollgruppe, 430 in der Interventionsgruppe – wurden dann nach 12 Monaten befragt, wie es ihnen ergangen war. Und die gute Nachricht ist: In der geschulten Gruppe war das Risiko der Vergewaltigung um 46,3 Prozent gesunken, während es in der Kontrollgruppe auf dem im Vorfeld ermittelten statistischen Durchschnittswert blieb.

Doch die schlimme Nachricht ist, dass diese Werte immer noch erschreckend hoch liegen: Sicher, von den Studentinnen, die den Kurs mitgemacht hatten, wurden deutlich weniger zu Opfern sexueller Gewalt – aber es waren letzten Endes immer noch 5,2 Prozent, oder 23 junge Frauen, die dennoch vergewaltigt wurden. Nochmal: Etwa eine von 20 jungen Studentinnen wurde vergewaltigt; ohne diese Intervention wäre es fast jede zehnte! Und da ging es nicht um ein bisschen Fummeln oder eine etwas kecke Anmache: es ging um erzwungene Penetration.

Und wer nun denkt, das sei halt so ein amerikanisches Phänomen, geht uns in Europa nix an: Erstens wurde die Studie in Kanada durchgeführt, wo eben nicht die gleiche College-Kultur herrscht wie in den USA. Und zweitens kann es durchaus auch junge Deutsche betreffen, die als Austauschstudentinnen und -Studenten in den USA weilen. Und das gilt sowohl für potenzielle Opfer als auch für potenzielle Täter. Wenn sich durch umfassende Information dieses Risiko auf die Hälfte reduzieren lässt, ist das zwar ermutigend – aber wenn es danach immer noch auf einem unerträglich hohen Niveau bleibt, dann ist dass absolut nicht beruhigend. Im Gegenteil: Es ist erschütternd.

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Kommentare (8)

  1. #1 S. Pepper
    12. Juni 2015

    ich habe meinen beiden Töchtern beigebracht wie man sich sinnvoller Weise im Nahkampf verhält. Außerdem sind beide hervorragende Handwaffenschützinnen. Des weiteren beherrschen sie dem Umgang mit Kampfmessern.
    Aber nun hat ja leider nicht jede junge Frau oder Mann, einen ausgebildeten Einzelkämpfer als Vater.
    Also, Selbstverteidigungstraining kann auf keinen Fall schaden.
    Es gibt herausragende Schläge mit denen man auch bei unterlegener Körperkraft jeden Gegner zumindest kampfunfähig macht!

    S. Pepper

  2. #2 BMI23
    12. Juni 2015

    Das paßt ja wie die Faust aufs Auge:
    https://www.washingtonexaminer.com/man-receives-sex-act-while-blacked-out-gets-accused-of-sexual-assault/article/2565978

    Dazu noch die Matratzen-Tante und der Rolling-Stone-Skandal, um nur die bekannteren Fälle letzten Monate anzuführen. Besonders interessant in diesem Zusammenhang wäre zu erfahren, wieviele männliche Studenten fälschlicherweise der Vergewaltigung beschuldigt werden.

  3. #3 BMI23
    18. Juni 2015

    Und das Justizministerium hat die passende Statistik dazu:

    Rate of rape and sexual assault victimization was
    1.2 times higher for nonstudents than students
    For the period 1995–2013, females ages 18 to 24 not enrolled in a post-secondary school were 1.2 times more likely to experience rape and sexual assault victimization (7.6 per 1,000), compared to students in the same age range (6.1 per 1,000) (table 1). Nonstudents (65,700) also accounted for more than double the number of rape and sexual assault victimizations as students (31,300).
    https://www.bjs.gov/content/pub/pdf/rsavcaf9513.pdf

    Jede Vergewaltigung ist eine zuviel, aber die nackten Zahlen aus mMn zuverlässiger Quelle sprechen plötzlich eine andere Sprache. Man sollte sich fragen, woher der Mythos der “rape culture” kommt und wer von ihm profitiert.

  4. #4 Basilius
    Hayate no gotoku II
    19. Juni 2015

    @BMI23

    Besonders interessant in diesem Zusammenhang wäre zu erfahren, wieviele männliche Studenten fälschlicherweise der Vergewaltigung beschuldigt werden.

    Interessant sicherlich, aber besonders?
    Nee, das bestimmt nicht. Es klingt ein wenig so, als ob das Ihre wichtigste Sorge wäre. Falls das stimmen würde, dann fände ich das sehr schade.

  5. #5 BMI23
    19. Juni 2015

    @Basilius

    Meine wichtigste Sorge ist das nicht, wie Sie implizieren, wichtig sind die harten Fakten:

    Any woman who is raped, on campus or off, deserves a fair and thorough investigation of her claim, and those found guilty should be punished. But the new rules—rules often put in place hastily and in response to the idea of a rape epidemic on campus—have left some young men saying they are the ones who have been victimized. They are starting to push back. In the past three years, men found responsible for sexual assault on campus have filed more than three dozen cases against schools. They argue that their due process rights have been violated and say they have been victims of gender discrimination under Title IX. Their complaints are starting to cost universities. The higher education insurance group United Educators did a study of the 262 insurance claims it paid to students between 2006 and 2010 because of campus sexual assault, at a cost to the group of $36 million. The vast majority of the payouts, 72 percent, went to the accused—young men who protested their treatment by universities.

    Auf gut Deutsch: Die Versicherungen der Universitäten machen sich Sorgen.

    hier: https://www.slate.com/articles/double_x/doublex/2014/12/college_rape_campus_sexual_assault_is_a_serious_problem_but_the_efforts.html

    Und dann noch ein Blick in die Statistik: https://www.bjs.gov/content/pub/pdf/rsavcaf9513.pdf

    Und schon ist die Luft raus aus dem Mythos der rape culture: 20% vs. 0,61%!

  6. #6 Basilius
    Hayate no gotoku!!
    20. Juni 2015

    @BMI23

    Meine wichtigste Sorge ist das nicht, wie Sie implizieren

    Wie kommen Sie auf die Idee ich würde das implizieren?
    Ich schrieb doch ausdrücklich, daß es “ein wenig so klingt“. Und danach schrieb ich im Konjunktiv weiter, lasse Ihnen also bewusst Platz, diese, meine stumme Frage zu beantworten. Unter dem Begriff “Implizieren” verstehe ich etwas ziemlich anderes.
    Aber dennoch würde mich interessieren, was Sie nun wirklich mit ihren harten Fakten eigentlich genau sagen wollen. Sie schreiben hier von einem “Mythos der rape culture“, obwohl doch der Artikel ein etwas anderes Thema hat. So ganz habe ich da den direkten Zusammenhang noch nicht begriffen. Würden Sie das bitte etwas ausführlicher erklären?
    Vielen Dank.

  7. #7 BMI23
    29. Juni 2015

    @Basilius

    Lassen Sie sich halt vorlesen, was da drinsteht:
    https://www.bjs.gov/content/pub/pdf/rsavcaf9513.pdf

    0,61% !

    20% – 25% ist ein von interessierten Kreisen in die Welt gesetzter Mythos!

  8. #8 Basilius
    Hayate no gotoku!!
    30. Juni 2015

    @BMI23
    Schade.
    Kein Eingehen auf meine Frage.
    Stattdessen eine Wiederholung von bereits geschriebenem.
    Und dazu noch ein unfreundlicher Hinweis, der an meinem Anliegen vorbei geht.
    Ich habe einen neuen Eindruck gewonnen. Und zwar ist mir, als ob Ihnen an einem Dialog nicht gelegen ist, sondern Sie hier nur ihre Mythengeschichten anbringen wollen. Wenn dem so ist, dann können wir uns weitere Mühe natürlich ersparen.