Pressekonferenzen gehören für JournalistInnen zum Alltag, aber ich gestehe hier gleich mal, dass ich mit Pressekonferenzen bei wissenschaftlichen Themen nicht unbedingt die besten Erfahrungen gemacht habe: Siehe das “Missing Link” Ida, oder die überlichtschnellen Opera-Neutrinos, oder auch der Nachweis der kosmischen Inflation, oder – wenn man ganz tief in die Kiste der Presse-Pannen greifen will – die kalte Kernfusion. Irgendwie scheinen die beiden Prinzipien der Informationsverbreitung – journalistisch beziehungsweise wissenschaftlich – mit dem Format nicht klarzukommen.

Jüngstes Beispiel ist der Eklat, der sich um die Pressekonferenz entspann, die zur Veröffentlichung eines Papers über die wahre Todesursache des Berliner Zoo-Eisbären Knut ausgerichtet wurde (nur so viel an dieser Stelle: es war eine Enzephalitis): Zwei Journalisten der Berliner Lokalpresse hatten die Sperrfrist durchbrochen, die mit dem an die Presse ausgesandten Material verknüpft war und damit, nach Auffassung der PK-Ausrichterin, möglicherweise sogar die Publikation des Papers in nature – weil das ja dann keine “Erstveröffentlichung mehr gewesen wäre – gefährdet hätte. Eine als Pressemitteilung veröffentlichte Stellungnahme der beteiligten Forschungsinstitute zu diesem Problem, das unter anderem zu einer Beschwerde beim Presserat und mit der Sperrung des die Sperrfrist brechenden Berliner Verlags von allen nature-Presseveranstaltungen für sechs Monate geahndet wurde, gibt es hier; weitere Hintergründe hier bei Meedia.

Meine neugierige Frage nun an meine Leserinnen und Leser: Wie seht Ihr das? Hätten die ForscherInnen wissen müssen, dass eine Sperrfrist nicht bindend ist und daher mit ihrem Vorab-Material geiziger sein müssen? Sind Sperrfrist-Brecher wirklich unprofessionell, oder sind sie primär ihren Leserinnen und Lesern verpflichtet, also ethisch angehalten, Nachrichten eben nicht zurückzuhalten, auch wenn interessierte Seiten das wollen? Ist das alles eh’ nur ein aufgeblasener Sturm im Wasserglas, weil nature den Artikel zwei Tage vor Erscheinen gar nicht mehr hätte zurückziehen können, da kein Magazin in weniger als 48 Stunden sein (vermutlich bereits zum größten Teil durchgedrucktes) aktuelles Heft einfach wegschmeißen wird und daher die vermeintliche Störung des wissenschaftlichen Publikationsprozesses nicht mehr als ein beleidigtes Schmollen ist, weil andere nicht nach den von den VeranstalterInnen vorgegebenen Regeln spielen wollten? Oder sind, wie ich in meinem oben verlinkten Plädoyer schon geschrieben hatte, wissenschaftliche Pressekonferenzen sowieso eine contradictio in adjectu?

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Kommentare (8)

  1. #1 rolak
    3. September 2015

    Hätten die ForscherInnen wissen müssen, dass eine Sperrfrist nicht bindend ist?

    Ja. Übergabe ist reine Vertrauenssache.

    Sind Sperrfrist-Brecher wirklich unprofessionell?

    Nein. Nur eben nicht vertrauenswürdig – doch wer bitte erwartet das ausgerechnet von Boulevardzeitungen?

    Meine Oma hat sich vor Jahren mal mit einem billigen Trick (Trinkgeld / nicht passend / ‘geh ich wechseln’) einen Geldschein abluchsen lassen – und deutlich gelassener reagiert als oben zu lesen, sogar mit einem unübersehbaren über-sich-selbst-grinsen beim Erzählen. Es war derselbe Prozeß: HandlungsFehler aufgrund falscher Annahme (alle Beteiligten verhalten sich wie gewünscht korrekt), Fehler wird ausgenutzt. Nur markieren die hier beteiligten Forscher* die beleidigte Leberwurst – und das ist sicherlich unprofessionell.

  2. #2 Joseph Kuhn
    3. September 2015

    Ein Vorgang mit ein paar aufschlussreichen Punkten:
    1. Die Sicht der Institute, durch ein Zurückweisen des Artikels durch Nature wäre die “jahrelange Forschung unserer international renommierten Arbeitsgruppen (…) entwertet worden”, belegt noch einmal, was in der Forschung heute zählt: die Publikation im High Impact Journal ist (fast) alles, das Ergebnis ist Nebensache.
    2. Gleichzeitig wird der Publikationszirkus immer toller. Die Publikation in Nature muss auch richtig vermarktet werden, man will als Pop Science in die Massenmedien. Die spielen halt nach eigenen Regeln. Wer mit dem Teufel Suppe essen will, braucht einen langen Löffel.
    3. Dass Nature einen zwei Tage früheren Abdruck in der Lokalpresse (wie sah der überhaupt aus? Das war doch sicher nicht der wiss. Artikel mit Fußnoten etc.?) als “Erstveröffentlichung” wertet, ist auch bemerkenswert. Auf welcher Bühne spielt die Nature-Veröffentlichung eigentlich?

  3. #3 ulfi
    3. September 2015

    @Joseph Kuhn

    1. Das ist halt das Anreizsystem der Wissenschaftlichen Arbeit. Ueberleg dir mal, wie du sonst einen Anreiz bieten wolltest, dass Wissenschaftler gute Arbeit machen. In der Industrie kannst du Gehaltserhoehungen und Belohnungen aussetzen, aber sowas funktioniert mit Projektgeldern irgendwie nicht. Ueberleg dir mal, wie du einen Antrag schreiben wuerdest der beinhaltet, dass bei Projekterfolg ein Sondergehalt ausgezahlt wird?

    Preise und Preisgelder machen vielleicht auch ein wenig Sinn, aber wie will man in einem komplexen wissenschaftlichen Feld die Preise fair verteilen? Gewinnt den Nobelpreis der, der den letzten Schritt tut, oder die, die 1000 vorherigen Schritte getan haben? Und sind PReisgelder nicht auch eine “spaerlichere” Ressource als publikationsplaetze in high-impact journals?

    Wie wuerdest du deine Doktoranten motivieren, wenn es keine high-impact journals gibt?

    2. Ich verstehe den Aspekt auch nicht. Ich glaube, dass das hauptsaechlich eine politische Entscheidung ist, seitdem die Unis untereinander um Geldtoepfe streiten muessen. Es ist aber gut, dass wissenschaftliche Ergebnisse nun oeffentlich gemacht werden.

    3. Ja, finde ich auch schraeg.

  4. #4 BreitSide
    Beim Deich
    3. September 2015

    Solange die Versprechen nicht justiziabel sind, kann man offensichtlich nichts machen. Hätte man wirklich drauf kommen können, wie rolak anmerkte, dass die Yellow Press sich nicht an Abmachungen hält.

  5. #5 Joseph Kuhn
    3. September 2015

    @ Ulfi:

    “Das ist halt das Anreizsystem der Wissenschaftlichen Arbeit.”

    Publish or perish, leider. Was dazu führen kann, dass in Uni-Karrieren unter Umständen wissenschaftliche Sekundärtugenden selektiert werden. Die falschen Anreize werden ja seit langem kritisiert.

  6. #6 Omnivor
    Am Nordpol von NRW
    4. September 2015

    Da würde ich sagen : Was an der Todesursache von Knut ist so relevant für die Öffentlichkeit, dass das sofort veröffentlich werden muß?
    Gier frist Verstand.

  7. #7 Omnivor
    Am Nordpol von NRW
    4. September 2015

    Da würde ich sagen: Selber schuld! Was….

  8. #8 MartinB
    4. September 2015

    Eigentlich soll ja die Idee mit der Vorabinfo der JournalistInnen und der Sperrfrist genau das Problem lösen helfen, das wir hier oft beklagen: Dass vom Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Nachricht bis zur Veröffentlichung keine Zeit mehr bleibt, um Hintergründe zu recherchieren. JournalistInnen, die das System torpedieren, schaden damit auf jeden Fall also ihrer eigenen Zunft. (Wobei das ja anscheinend trotzdem nicht unbedingt klappt…)

    Besonders kritisch sind solche Sperrfristen/Vorabveröffentlichungen bei der Benennung neuer Arten: Da würde nämlich tatsächlich eine Veröffentlichung im Hintertupfinger tageblatt als erste Veröffentlichung des Namens gelten, und entsprechend wäre der Name der Reporterin dann auch der Name, der an den entsprechenden Artnamen angehängt wird. Ich denke, dass die sehr rigorosen Regeln bei Nature zum Teil genau daher stammen.