Fangen wir mal mit der persönlichen Anekdote an: Der Musiklehrer meines Sohnes war heute ziemlich sauer, weil sein Auto, das von einem traditionsreichen deutschen Hersteller produziert und mit Dieselkraftstoff betrieben wird, offenbar in die Werkstatt zurück muss: Die amerikanische Umweltbehörde EPA hat den Hersteller aufgefordert, rund eine halbe Million 4-Zylinder-Dieselfahrzeuge seit dem Baujahr 2009 in die Werkstatt zurückzurufen (ich werd’ den Teufel tun und ihn hier nennen – wer’s war, ist ja anhand des offiziellen Links leicht nachzulesen, wenn’s nicht sowieso schon in den deutschen Medien stand), weil in deren Abgassystemen ein Trick codiert war, der die vollen Emissionskontrollen nur dann einschaltete, wenn das Fahrzeug die jährliche Inspektion durchlief. Im normalen Fahrbetrieb hingegen waren diese Kontrollen abgeschaltet oder eingeschränkt, weil diese auch die Motorleistung beeinträchtigten; vor allem die Emissionen von Stickoxiden waren dann zwischen 10 und 40 mal höher als vom Hersteller versprochen.

Das kann nun achselzuckend oder gar mit “na und, das zeigt doch nur, wie clever deutsche Ingenieure sind” abtun, oder denken, das sei halt ein Kavaliersdelikt, und vermutlich würden’s alle anderen Hersteller ähnlich machen. Der weiter oben verlinkte Spiegel-Artikel erwähnt zwar auch, dass dafür eine Geldstrafe von insgesamt maximal 18 Milliarden Dollar fällig sein könnte, zweifelt aber schon an (oder räumt zumindest solche Zweifel ein), dass es überhaupt dazu kommen könnte. Ein Kavaliersdelikt, scheint man zu meinen, wenn’s überhaupt ein Delikt war – als ob so etwas aus Versehen passiert sein könnte, oder aus Zufall, oder irgend einem anderen “harmlosen” Grund.

Doch in der New York Times liest sich das schon anders: Offenbar hat der Hersteller die Manipulation zugegeben (“Agency officials issued the car company a notice of violation and said it had admitted to the use of a so-called defeat device”), und damit wäre schon mal die Unschuldsvermutung vom Tisch. Und hier kommt nun meine Eingangsanekdote wieder ins Spiel: Unser Musiklehrer beispielsweise hatte sich für das Modell speziell wegen seiner niedrigen Emissionswerte entschieden (er hatte es als Ersatz für seinen Prius gekauft), und ist nun begreiflicher Weise entsetzt, dass man ihn reingelegt hat. Betrogen, um genau zu sein: Seine Kaufentscheidung wäre mit Sicherheit anders ausgefallen, wenn er die wahren Abgaswerte gekannt hätte.

Und wenn man nur annimmt, das lediglich ein Prozent der KäuferInnen der betroffenen Modelle etwa so empfinden, dann käme man immer noch auf 5000-fachen Betrug. Ist das noch ein “Kavaliersdelikt”? Wenn man davon ausgeht, dass die Einstiegspreise für die betreffenden Modelle irgendwo um 25.000 Dollar liegen, dann wäre dies zurecht ein Millionenbetrug. Aber schlimmer noch ist der “Kollateralschaden” – der Verlust des Vertrauens in umweltfreundlichen Technologien. Und das geht weit über die Konsequenzen für einen spezifischen Hersteller hinaus.

Nachtrag 20.9.2015: Der Volkswagen-Chef Martin Winterkorn hat sich nun in einer offiziellen Stellungnahme entschuldigt. Aber eine Erklärung ist das bei weitem nicht, und zudem sowieso fraglich: Warum braucht’s eine “externe Untersuchung”, um ein ziemlich eindeutig intern beschlossenes Betrugsmanöver aufzuklären? Das war kein Versehen, da hat kein Mitarbeiter, keine Mitarbeiterin über die Stränge geschlagen oder unachtsam einen Fehler gemacht. Das ist alles doch nur wieder Managersprech, das sich so übersetzen lässt: Wir werden alles daran setzen herauszufinden, warum wir erwischt wurden, und beim nächsten Mal besser besch…

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Kommentare (24)

  1. #1 rolak
    20. September 2015

    Wäre nicht das ‘nur’ im Titel, würde ich das ‘oder’ schlicht als einschließend auffassen. Scheint auch sonst keine Marginalie zu sein, wie die EPA verlauten läßt:

    NOx emission levels are 10 – 40 times higher than emission standards.

    Fehlt noch der automobile Fachmensch, der rasch darlegt, wie sich das gesollte DauerAn der Kontrolle auf die FahrEigenschaften auswirkt…

  2. #2 lundi
    20. September 2015

    Überrascht mich das? Nicht wirklich. Meine persönliche Erfahrung zeigt, daß lügen, mauscheln, vertuschen und ignorieren gesetzlicher oder vertraglicher Regeln in der Wirtschaft keine Ausnahme ist. Geht es um Geld ist die Ethik zum Teufel. Eine kleine Realsatire. Im Ethikkodex meines Arbeitgebers verpflichtet sich dieser, die gestezlichen Regeln einzuhalten. Mehr nicht. Die Realität schaut dann gelegentlich anders aus.

  3. #3 Voigts, Christian
    Oldenburg
    20. September 2015

    Absolut mieser Laden mit Staatsbeteiligung. Schon vor über 10 Jahren wurde der 3 Liter Lupo absolut überteuert angeboten und fand natürlich keine Käufer. Satte Strafe mit Spende an Greenpeace wäre schön.

  4. #4 YeRainbow
    Yerainbow.wordpress.com
    20. September 2015

    Wir leben doch in einer Beschißkultur.
    Und wer am besten bescheißen kann, gehört zu den größten…
    Im Handel wie in der Politik.

  5. #5 Sorban
    20. September 2015

    Wenn es was zu verdienen gibt, dann wird das Kapital kühn. So weit – so gewöhnlich. Ist halt dumm gelaufen, wenn man erwischt wird. Bis zum nächsten Mal.

  6. #6 BreitSide
    Beim Deich
    20. September 2015

    Also ich bin schon überrascht von dieser Chuzpe. Wir kennen ja alle(?) die Tricks beim NEFZ-Zyklus:
    – “Freitags-Auto”, also das Beste aus einem oder mehreren Dutzend Getesteten,
    – Extra-Leichtlauföl, das sonst nie verwendet wird,
    – Abkleben der Karosseriespalten,
    – Noch mehr, was ich nicht weiß.

    Der amerikanische Zyklus ist offensichtlich wesentlich strenger.

    Auch beim Fahrgeräusch kennen wir alle(?) den Trick von Porsche, durch Klappen genau im Messzustand den Schall zu bremsen, darunter und darüber aber fröhlich und ungehemmt rumzuröhren.

    Aber das sind ja alles illegitime, aber legale Tricks. Dieser neue Trick ist schlichtweg Beschiss. Ich frage mich nur, wie die Wolfsbürger auch nur im Ansatz denken konnten, so ein Beschiss käme nicht raus?

    Und es sind ja nicht nur die gutwilligen Umweltfreunde, die veräppelt wurden, es wird ja ein Schaden gesetzt für die gesamte Bevölkerung. Und da dürfte zumindestens Kalifornien überhaupt keinen Spaß verstehen.

    Das ist nur ein weiterer Grund dafür, massiv auf eAutos zu setzen.

  7. #7 Henning
    20. September 2015

    Wen wundert das noch. Das Spiel beginnt doch bei der Ermittlung des Drittelmix. Die getestete “Höchstgeschwindigkeit” liegt dort bei 140 oder 145 km/h. Klar, dass die Fahrzeuge darauf optimiert werden, und bei realen 200 km/h seht es dann schon anders aus.
    Hmm, die Werte bei “Dauer-An”? Zu magere Abstimmung, zu hohe Abgastemperaturen, höherer Verschleiß, als erste Vermutung.

  8. #8 Karl Mistelberger
    20. September 2015

    What happened?

    In September 2015, EPA issued a Notice of Violation of the Clean Air Act to Volkswagen for producing and selling four-cylinder diesel cars that include a sophisticated software device that circumvents EPA emissions standards for certain air pollutants. EPA and the California Air Resources Board (CARB) have collaborated on testing these cars and have determined that vehicles on the road emit up to 40 times more pollution than emission standards allow.

    Angesichts der Fakten ist die Frage “Umweltskandal oder nur eine Mogelei?” unpassend. Es ist ein Skandal ohne wenn und aber.

    > #7 Henning 20. September 2015
    > Wen wundert das noch. Das Spiel beginnt doch bei der Ermittlung des Drittelmix. Die getestete “Höchstgeschwindigkeit” liegt dort bei 140 oder 145 km/h.

    Ich fahre regelmäßig auf deutschen Autobahnen. Für eine große Mehrzahl der Fahrzeuge trifft der Wert 145 km/h zu.

  9. #9 Basilios
    Amagi Brilliant Park
    20. September 2015

    Wie konnten die nur so strunzdumm sein, zu hoffen, daß sie bei diesem satten Beschiss nie erwischt werden?

  10. #10 Basilios
    Amagi Brilliant Park
    20. September 2015

    Im Übrigen finde ich, daß 200 km/h keinesfalls eine reale Geschwindigkeit für einen PKW auf öffentlicher Straße darstellen, sondern eine irrwitzige.

  11. #11 Karl
    21. September 2015

    Da gab es schon kurz vorher im Spiegel einen Bericht zu den Testzyklen. Ich verlink einfach mal (https://www.spiegel.de/auto/aktuell/abgastest-wltp-die-dreckige-wahrheit-ueber-dieselautos-a-1051073.html), ansonsten nach “Neuer Abgastest: Die dreckige Wahrheit über Dieselautos” suchen.

  12. #12 Adent
    21. September 2015

    @Basilios
    Nein, nein, eher schon unmögliche oder gar lächerliche Geschwindigkeit Lord Helmchen 😉

  13. #13 Henning
    21. September 2015

    Ja, ‘tschuldigung. Irreale Geschwindigkeit. Daher im Test 120 km/h und Beschleunigung 0 auf 50 in 26 Sekunden. Wahnsinnig praxisnah. Die nächste Frage ist dann noch, wie das andere Hersteller handhaben. Gleicher Treibstoff, Hubraum und Leistung auch annähernd gleich. Ist dann nur ein Hersteller um den Faktor zehn bis 40 schlechter? Alle kriegen es hin, aber einer der größten nicht?

  14. #14 BreitSide
    Beim Deich
    21. September 2015

    Er kriegt es ja hin. Er will nur nicht.

    Als bräuchte es noch einen Grund, eAutos zu fahren, hier ist er!

  15. #15 Basilios
    Amagi Brilliant Park
    22. September 2015

    @BreitSide
    Wieso will er nicht?
    Ich habe da ehrlich gesagt nicht so die große Ahnung von. Kannst Du mir das bitte näher erklären?

  16. #16 BreitSide
    Beim Deich
    22. September 2015

    @Basilios: Was ich bisher erfahren habe, geht es wohl nur um geringe Leistungseinbußen, wenn die Schadstoffgrenzen dauerhaft eingehalten würden.

    Es gab aber auch den Verdacht, höhere Temperaturen würden die Motorlebensdauer verkürzen.

  17. #17 BreitSide
    Beim Deich
    22. September 2015

    Ach, Harnstoff! Der soll nur in einem 5-l-Behälter sein, der anscheinend zu schnell verbraucht ist bis zur nächsten Inspektion.

  18. #18 Basilios
    Amagi Brilliant Park
    22. September 2015

    Oooohkaaaay…
    ich glaube, ich warte wohl noch ein bisschen, bis sich das hier etwas gesetzt hat.

  19. #19 BreitSide
    Beim Deich
    22. September 2015

    Ja, Basilios, da kommen sicher noch jede Menge Details raus.

  20. […] EPA hatte zwar “amtlich” den Stein ins Rollen gebracht, aber entdeckt wurde der VW-Betrug mit Dieselmotoren nicht ganz zufällig, aber ohne “Anfangsverdacht”, wie es in der Justiz so schön […]

  21. #21 Karl Mistelberger
    23. September 2016

    Diese Geschichte ist immerhin (fast) Nobelpreis-würdig:

    CHEMISTRY PRIZE [GERMANY] — Volkswagen, for solving the problem of excessive automobile pollution emissions by automatically, electromechanically producing fewer emissions whenever the cars are being tested.

    REFERENCE: “EPA, California Notify Volkswagen of Clean Air Act Violations”, U.S. Environmental Protection Agency news release, September 18, 2015.

    https://www.improbable.com/ig/winners/

  22. #22 RPGNo1
    23. September 2016

    Der Ig-Nobelpreis für VW. Ich habe die Story heute gelesen und mich über die humorige Begründung zur Verleihung köstlich amüsiert. 🙂
    Nur schade, dass sich kein VW-Vertreter getraut hat, den Preis persönlich entgegenzunehmen.

  23. #23 Karl Mistelberger
    28. Juli 2017

    Die Mogelei kostete in den USA bisher 22 Milliarden Euro:

    https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/abgasbetrug-zulassungsverbot-fuer-bestimmten-porsche-cayenne-15124924.html

    In Deutschland wollte sich bisher keiner ins eigene Fleisch schneiden. Doch irgendwann wird es Handlungsbedarf geben:

    https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.diesel-urteil-in-stuttgart-gericht-fordert-fahrverbote-ab-2018.49a3a70d-79cd-468e-b636-a967678caa05.html

    Euro-6-Diesel wären vom Fahrverbot ausgenommen. Damit kann ein Mercedes 220C älterer Bauart weiter benutzt werden. Er erfüllt die Norm (80 mg NOx/km) allerdings nur auf dem Prüfstand. In der Praxis stößt er pro km ca. 500 mg Stickoxide aus, mehr als zwei Lastwagen mit je 19 Tonnen Gesamtgewicht, die in der Praxis die Grenze von 240mg NOx/km einhalten. So ist das nun einmal in diesem Lande.

  24. #24 Karl Mistelberger
    mistelberger.net
    25. Mai 2020

    Der BGH hat letztinstanzlich festgestellt, dass Volkswagen seine Kunden vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat und das Unternehmen seinem Kunden Schadenersatz in Höhe des Bruttokaufpreises schuldet.