Was die “New Economy” und der Shareholder Value für die der Wirtschaft angetan haben, das erleben wir auch im Bildungswesen: Anstatt dem klassischen Ideal zu folgen und Wissen, Bildung zu “produzieren”, produzieren Schulen – in den USA jedenfalls – Testergebnisse. Der Wert einer Schule richtet sich nicht mehr danach, wie wohl sich Schülerinnen und Schüler dort fühlen oder wie gut sie dort auf das Leben vorbereitet werden, sondern danach, wie gut die Schule insgesamt bei standardisierten Tests abschneidet. Das jedenfalls ist das Konzept von No Child Left Behind (sicher einer der grässlichsten Neusprech-Euphemismen, denen ich jemals begegnet bin, da zu keinem Zeitpunkt das individuelle Wohlergehen der Schülerinnen und Schüler betrachtet wurde), das sich seine Reizworte wie “accountability” – also dem Nachweis der Leistungsfähigkeit – in der Tat aus dem Vokabular der Wirtschaft ausgesucht hatte. Doch anstatt echte Leistung zu messen, wurde das Messbare zur Leistung erklärt – ebenso, wie der Kurswert einer Aktie zum Ersatz dafür wurde, wie erfolgreich eine Geschäftsidee wirklich ist.

Der Anreiz, diesen Wert mit allen Tricks hochzutreiben, ist – wie man sich leicht vorstellen kann – sehr groß. Aber das ist nicht das größte Problem – das größte Problem ist, dass dieses System zwar für viele ganz gut funktioniert, aber auch viele, meiner Ansicht nach zu viel, dabei auf der Strecke bleiben. Die Mechanismen in Wirtschaft und Bildung laufen da zwar nicht unbedingt parallel, aber wenn uns die Finanzkrise von 2007 etwas lehren kann, dann sollte dies die Einsicht sein, dass wenn etwas zu leicht mess- und bewertbar erscheint, das Risiko sehr groß ist, dass statt dessen viel Wert dabei zerstört wird.

tl;dr:

So wie Aktienmärkte einen Anreiz schufen, “Wert”papiere mit möglichst hohem Aktienpreis zu produzieren, die nicht unbedingt durch echte Werte gedeckt sind, schafft ein Bildungssystem, das zu sehr auf die Messbarkeit von Leistung abstellt, ein System, das nur an der Produktion von Testergebnissen interessiert ist. In beiden Fällen bleiben die eigentlichen Ziele, also die Schaffung von etwas, das einen Wert in sich hat, auf der Strecke.

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Kommentare (5)

  1. #1 mar o
    6. November 2015

    Schöner Artikel! Was mich immer ein bisschen ratlos zurücklässt, ist das was du im letzten Satz ansprichst, nämlich den Wert an sich.

    Für mich ist das ein sinnvolles Konzept, aber ich hatte schon ein paar Mal das Problem, dass ich das wirtschaftsliberalen Diskussionspartnern nicht so recht erklären konnte, weil für die “der Markt” den Willen der Leute ausdrückte.

    Und die Sichtweise, dass die Leute halt nicht das machen, was sie “wirklich” wollen, finde ich auch schwierig.

    Aber das ist jetzt vielleicht ein bisschen off topic.

  2. #2 Markus
    8. November 2015

    Oder anders gesagt: erst schrie die Industrie, dass sie mehr Fachkräfte brauchen. Als Reaktion wurde der Bachelor erfunden, der möglichst schnell viele Fachkräfte produziert. Wichtigstes Maß für die Universität wurde plötzlich die Abbrecherquote. Wer viele abbrecher im Studiengang hat, muss Fragen beantworten, ohne zusätzliche Mittel mehr Tutorien und Einzelsprechstunden anbieten. Und einen riesigen Strauß an didaktischen Lehrgängen über sich ergehen lassen. Dass das an der überforderung der Studierenden nichts ändert, ist egal. Maßnahmen wurden getroffen, diejenigen, die “hart” prüfen werden maximal genervt. Oft zu unrecht.

    Mittlerweile hat auch die Industrie gemerkt, dass sie nicht viele Fachkräfte brauchen, sondern *qualifizierte* Fachkräfte. An den Unis wird aber immer noch das unsägliche System der Abbrecherquote zelebriert. Weil sonst die Gelder nicht reichen. Und darum bleiben die Noten gut und 75% der Fachkräfte (Bachelor) unqualifiziert…

  3. #3 Earonn
    9. November 2015

    @mar o
    Vielleicht kann man es mit den Fremdsprachennoten in Deutschland vergleichen: zumindest zu meiner Zeit (anno Trias) war es noch problemlos möglich, eine solide Drei in Englisch zu bekommen, ohne in der Lage zu sein, freihändig ein Gespräch zu führen.
    Die Note ist, was die Schule produziert.
    Die Fähigkeit zum Gespräch in der Fremdsprache ist der Wert als solcher.

    @Jürgen
    Vielen Dank, ein interessanter Artikel sowohl zum Thema Noten als auch zum Thema Aktienmarkt.

  4. #4 Wizzy
    9. November 2015

    @mar o

    Ich würde da mal ein spontan ausgedachtes Szenario ins Feld führen: “Der Markt” produziert eine hohe Nachfrage und damit hohen Preis – sagen wir nach speziellen Kunstwerken, von denen es 2000 gibt -, wenn 1 Milliardär alle diese Kunstwerke für seine Sammlung kaufen will. In diesem Beispiel wird aber nur er selbst glücklich, und 777 Arme werden unglücklich weil die Kunstwerke vorher öffentlich ausgestellt waren und sie nun den Zugang verlieren.

    Es scheint der “Wert für die Gesellschaft” also doch vom “Marktwert” getrennt zu sein. Für 777 Menschen war der persönliche Wert der Kunstwerke schon vorher da, aber 1 Hinzukommender änderte den Marktwert stark, obwohl der gesellschaftliche Wert nur marginal stieg. Allein durch die starke Gewichtung der Wünsche der Reichen.

  5. #5 Gesetzt
    10. November 2015

    Das was du im Artikel über standardisierte Test schreibst ist übrigens sehr gut dargestellt in “The Wire”