Foto: Susumu Komatsu via Flickr.com (CC-BY-2.0)

Wen interessiert’s, ob die Bälle in einer Art Halbfinalspiel der US-Footballwelt vor eineinhalb Jahren ein bisschen zu platt waren oder nicht? In Deutschland vielleicht kaum jemanden Aber hier in den USA – vor allem im Großraum Boston, wo die vermeintlich luftablassenden New England Patriots zu Hause sind – ist diese Affäre um ein bisschen zu wenig Luft (und deren respektive Temperatur) auch heute noch vermutlich für zigtausende von erhöhten Blutdruckmesswerten verantwortlich. Ich selbst finde das Thema ja weniger aus sportlicher als aus wissenschaftlich-technischer Sicht interessant; außerdem hilft es mir, mich vom sonst eher deprimierenden Tagesgeschehen abzulenken. Dankenswerter Weise hat die New York Times mir dafür eine wunderbare Vorlage geliefert: The Deflategate Scientists Unlock Their Lab.

Der Artikel ist eine Reportage über die Gutachterfirma Exponent, die von der Football-Liga NFL mit der Begutachtung der Messungen beauftragt wurde, die von Schiedsrichtern der Halbzeitpause des fraglichen Spieltags der New England gegen die Indianapolis Colts durchgeführt wurden und in denen ein nicht ausreichender Druck in den Spielbällen der Patriots festgestellt wurde. Worum es damals ging, habe ich in einem (oben schon verlinkten) Posting mal versucht zu erklären; wer mehr darüber wissen will, was seither auf dem Spiel stand, ob de Patriots ohne solche Manipulationen das Spiel auch gewonnen hätten, und warum es überhaupt für eine Mannschaft von Vorteil sein kann, mit etwas platteren Bällen zu spielen, kann hier mit Gewinn weiterlesen. Kurzer Hinweis für alle, die mit Football nicht vertraut sind: Es gibt auf jeder Seite praktisch zwei Mannschaften, das Offense-Team und das Defense-Team – je nachdem, welche Seite gerade am Spielzug ist, werden die entsprechenden Unter-Mannschaften ins Feld geschickt. Und jedes Angriffsteam (Offense) darf dabei immer einen seiner Bälle zum Spielball erklären. Und bestimmte Angriffs-Spielzüge funktionieren besser mit einem etwas platteren Ball, da der sich leichter Fangen und halten lässt.

Ich bin in der ganzen Sache nicht mehr ganz unparteiisch – nicht etwa, weil ich in Cambridge bei Boston lebe (im Herzen bleibe ich immer ein New Yorker), und schon gar nicht, weil ich mich plötzlich für Football interessiere. Aber ich hatte das Vergnügen – und ja, ich habe es in der Tat sehr genossen – einen Vortrag zu diesem Thema im Rahmen einer Klasse zu hören, in der angehende MIT-Ingenieurinnen und -Ingenieure lernen, mit Messinstrumenten sinnvoll umzugehen; ich selbst bin einer der Kommunikationslehrer für diese Klasse und habe in dieser Rolle auch immer wieder mal mit Professor John Leonard zu tun, der diesen Vortrag ausgearbeitet hat und der dankenswerter Weise auch online zu sehen ist:

Ich will auch ergänzen, dass Leonard nicht von irgend einer Seite als Gutachter beauftragt war, sondern – soweit ich das verstanden habe – diesen Vortrag zu Lehrzwecken konzipiert hat. Es gab allerdings Gutachten, die zum gleichen Schluss wie Leonard kamen; nicht nur das Gutachten, das die Patriots selbst in Auftrag gegeben hatten (was nicht weiter überraschen dürfte), sondern auch eine Stellungnahme des American Enterprise Institute kam zu dem gleichen Schluss, dass es für den mangelnden Druck in den Patriots-Bällen phsyikalisch plausible Erklärungen gibt und eine Absicht oder gar ein Betrug damit nicht belegbar sei. Der Haken ist, dass dieses Paper von Wirtschaftsexperten geschrieben wurde – was sie nicht automatisch disqualifiziert, aber auch nicht so ganz die hier vorhandenen Erwartungen an ihre Fachkompetenz erfüllt…

Doch die Liga vertraute einem anderen Gutachten, das von der Firma Exponent in Menlo Park (Kalifornien) erarbeitet wurde – und dies ist auch die Firma, die der New York Times ihre Türen für die oben erwähnte Reportage geöffnet hat. Der Report, der von der New Yorker Anwaltskanzlei Paul, Weiss, Rifkin, Wharton & Garrison in Aufrag gegeben wurde (die ihrerseits von der National Football League zur Wahrung ihrer Interessen angeheuert wurde) und seither als Wells-Report (nach dem federführenden Anwalt Theodore Wells) bekannt ist, kam zum Schluss, dass es keine Anzeichen dafür gäbe, dass für die Luftdruck-Differenzen allein durch natürliche Umstände zustande hätten kommen können, was betrügerische Manipulationen seitens der Patriots implizierte. Diese Gutachten war maßgeblich für die Millionen-Dollar-Geldstrafe und eine befristste Sperre für den Patriots-Quarterback Tom Brady, der nach vergeblichem Anrufen des Obersten US-Gerichtshofs nun für vier Spiele auf der Reservebank sitzen muss.

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Kommentare (17)

  1. #1 Bullet
    22. September 2016

    @Jürgen: dein Ende-of-Kursiv-Tag ganz am Ende deines Artikels [“… das im Auftrag einer interessierten Partei erstellt wurde. “] ist kaputt. Die ganze Seite unterhalb des Artikels ist jetzt kursiv. 🙂

  2. #2 Bullet
    22. September 2016

    ups. Schon korrigiert. 🙂

  3. #3 Bullet
    22. September 2016

    Argh. Nee, doch nicht. Die erste Seite geht, aber wenn man umblättert, sieht man’s.

  4. #4 Jürgen Schönstein
    22. September 2016

    Jetzt aber…

  5. #5 anderer Michael
    22. September 2016

    More probable than not, war die Wertung im Wells-Report. Das ist eine Terminus im US-amerikanischen Zivilrecht, und bedeutet preponderance of the évidence. Also kein unumstößlicher Sachbeweis, sondern es ist wahrscheinlicher ,dass eine Manipulation vorliegt, als dass keine vorliegt. Im deutschen Sozialrecht gibt es den Terminus “mit hinreichender Wahrscheinlichkeit”, dass z.B. ein körperlicher Schaden durch eine Berufserkrankung verursacht sei. Das ,vermutete ich mal, ist schon mehr als more probable than not.
    Die Firma Exponent wirkt seriös, sie hat z.B. für einen Versicherer ein Gutachten über den Zusammensturz der Twintowers gemacht.
    Die Frage für mich ist: Ist die NFL neutral? Wenn nein, welches Interesse sollte sie haben, ein “Urteil” zuungunsten der Patriots zu fällen?
    Im Prinzip hätte sie auch sagen können, kein eindeutiger Beweis vorhanden, keine weiteren Maßnahmen.

  6. #6 anderer Michael
    22. September 2016

    Jetzt habe ich mir denn Wells-Report angesehen. Das wirkt mehr wie eine staatsanwaltliche Untersuchung mit Veröffentlichung von Text-messages der ” Angeklagten/Beklagten”.
    Auf Seite 199 ( ab ungefähr Seite 136 beginnt der Exponentbericht) wird berichtet: Ausgehend von einem Druck zu Anfang von minimal 12.5 psi und einer Änderung der Temperatur von 67- 71 Fahrenheit auf 48, sollte ein Druck zwischen 11.32 und 11.52 vorliegen.Weiter oben sind sie Ergebnisse der Halbzeitmessung aufgeführt. Von 11 Bällen der Patriots waren drei unter 11.32 bei einem Schiedsrichter, beim anderen 8 Bälle. Die 4 Bälle der Colts waren unauffällig .
    Ist schon auffällig, vor allem die Differenz bei den Schiedsrichtern.
    Andererseits, wenn es ungewöhnlich wäre,dass Bälle Druck verlieren in diesem Ausmaße, verstehe ich das “Urteil” der NFl schon.

  7. #7 Jürgen Schönstein
    22. September 2016

    @anderer Michael

    Ist die NFL neutral?

    Gute Frage. Sollte sie, als Dachvervand, ja eigentlich sein, aber erstens ist Football ein Muktimilliarden-Dollar-Business, mit vielen konkurrierenden Interessen, die an diesem Kuchen teilhaben wollen, zweitens geht es hier um Profi-Sport, also eine an Persoenlichkeiten gebundene Aktivitaet, die nahezu unausweichlich Emotionen und Parteilichkeit mit sich bringt, und drittens haben die Patriots sowieso den Ruf, die Regeln gerne zu ihren Gunsten auszudehnen.

    MIr ist egal, dass die Patriots hier verknackt wurden – mir waere es auch egal, wenn sie komplett aus der Liga rausgeworfen wuerden (weil mich Football nicht die Bohne interessiert). Aber ich finde es zumindest nachdenkenswert, wenn ein bezahltes Gutachten als “wissenschaftlich” praesentiert wird – waehrend echte Wissenschaftler (wie beispielsweise John Lenoard) darauf hinweisen, dass allein scho die Qualitaet der Original-Messungen – von den verwendeten Messinstruenten bis hin zu den unzureichend kontrollierten Messbedingungen – eigentlich gar keine eindeutige Aussage mehr zulassen (obwohl er sich dann selbst zu genau so einer verleiten laesst, zugegeben).

    Exponent ist sicher eine serioese Firma, soweit es die Dinstleistungen betrifft, die sie anbietet. Aber sie ist halt eine Firma, d.h. dass sie ihre eigenen kommerziellen Interessen wahrnehmen muss. Und wenn ich mal den NYiImes-Artikel hier paraphrasieren darf, dann hat Exponent den Fall – der eigentlich nicht in ihre Kernkometenz faellt – vor allem deswegen angenommen, weil er ihr Publicity bringen wuerde. Und sie wusste, dass sich fuer das Ergebnis “nichts laesst sich beweisen” kein Aas interessieren wuerde – eine objektive Neutralitaet ist da sicher schwer zu erzielen.

  8. #8 anderer Michael
    22. September 2016

    Ich kann nachvollziehen, wenn Sie, im universitären Lehrbetrieb tätig, andere Kriterien für Wissenschaft und wissenschaftliches Vorgehen haben, speziell bei Unabhängigkeit, Auftraggebern oder Drittmitteln, als sie vielleicht bei Zeitungen mit Auflagenabhängigkeit oder Verbänden vorhanden sein können.
    Ich könnte mir vorstellen, die NFL, die Vereine , die Spieler,die Anwälte , die Medien, die Fans und die “Gutachter ” meinen es schon ernst. Aber wie Sie sagen, es ist ein Milliardenunterhaltungsgeschäft. Klappern und da und dort ein Skandälchen, damit man in den Medien vertreten ist. Das ist in Deutschland beim Fussball ähnlich.Nicht dass ich sagen möchte, dass wird absichtlich gemacht (Cave Verschwörungstheorie). Und es geht doch eigentlich um nicht zuviel, die Footballgemeinschaft kann sich aufregen und Emotionen zeigen ohne schlechtes Gewissen und sich wichtig machen(1), anders als vor ein paar Jahren ,als wegen der sehr harten Tacklings es eine grundlegende Diskussion zum Thema Sicherheit / Gesundheit gab ( meines Wissens war Donald Trump Hardliner dabei). Irgendwie gehört so was eben auch zur Show. Das ist nur eine Vermutung.Weil ansich ist American Football langweilig und ist in den Pausenshows am interessantesten.
    Die Strafen, gemessen am Vorwurf, sind eigentlich sehr gering.

    1. Nicht missverstehen bitte. Sie sind damit nicht gemeint, sondern die Fußball -und Footballszene. Und außerdem ist dieses Thema interessant als Einblick in das dortige Denken.

    P.S. Mein Englisch ist nicht so besonders. Alles habe ich bei den vielen Links nicht verstanden.
    Aber im letzten Link stand” Facts,schmacts”, das finde ich originell .Die Vorsilbe ” schm” soll ein sarkastischer Hinweis sein, dass man selber oder andere das korrekte Wort inhaltlich nicht ernst nehmen.

  9. #9 Laie
    22. September 2016

    Vielleicht sollten die lieber mit runden Bällen spielen, damit haben nicht nur Europäer ihren Spaß sondern auch Hunde! 🙂

  10. […] Deutschland wird man vom Deflategate (ja, das ist schwer auszusprechen) nicht so viel mitbekommen haben, Es ging um Footballbälle, die […]

  11. #11 RPGNo1
    23. September 2016

    @Laie
    Der Frauenfussball ist in den USA eine der großen Sportarten, wobei die großen Erfolge der US-Mannschaft in den vergangenen Fußball-WMs sicherlich beigetragen haben.
    Bei den Männern ist der Fussball immer noch zweitrangig, obwohl sie unseren Klinsi als Trainer importiert haben. 😉

  12. #12 Bullet
    23. September 2016

    Äh, Jürgen, hast du #7 aufm Händi getippt? so viele Schreibfehler machst du sonst nicht. 😉

  13. #13 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2016/09/22/bnd-gesetz/
    23. September 2016

    @RPGNo1:

    Der Frauenfussball ist in den USA eine der großen Sportarten … Bei den Männern ist der Fussball immer noch zweitrangig …

    Frauenfussball ist in den USA eine der großen Frauensportarten. Meines Wissens gibt es sowohl mehr aktive Fussballer, als auch höhere Zuschauerzahlen bei den Männern. Nur sind die Sportarten Basketball und am. Football noch viel beliebter, in den Frauenvarianten aber nicht.

  14. #14 RPGNo1
    23. September 2016

    @user unknown
    Du hast es jetzt zum US-Frauenfussball etwas detaillierter ausgeführt. Der US-amerikanische Männerfussball ist jedoch immer noch bestenfalls zweitrangig (https://www.tagesspiegel.de/sport/fussball-in-den-usa-major-league-soccer-keine-chance-gegen-die-big-four/11465168.html). Zu den beliebten (Männer-)Sportarten American Football und Basketball kannst du dann noch Eishockey und Baseball hinzuzählen.

  15. #15 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2016/08/10/bodentierhaltungsturnen/
    24. September 2016

    @RPGNo1

    Du hast es jetzt zum US-Frauenfussball etwas detaillierter ausgeführt. Der US-amerikanische Männerfussball ist jedoch immer noch bestenfalls zweitrangig

    Ja, aber Du vergleichst Äpfel mit Obst.
    Männerfussball ist zweitrangig, hat aber mehr Teilnehmer u. Zuschauer als Frauenfussball. Das wird oft missverständlich dargestellt.

  16. #16 RPGNo1
    24. September 2016

    @user unknown
    Hast du Zahlen oder einen Link, dass der US-Männerfussball mehr Teilnehmer und Zuschauer als Frauenfussball hat? Oder auch, dass mehr US-Männer als Frauen Fußball spielen (siehe deinen Kommentar #13)?

  17. #17 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2016/09/25/43-berlinmarathon-5844/
    25. September 2016