Vor gut einem Jahr hat eine merkwürdige Masterarbeit am Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften der Viadrina in Frankfurt/Oder, oder besser gesagt, die Art, wie der Institutsdirektor, Prof. Walach, die Arbeit verteidigt hat, für Aufregung in vielen Medien gesorgt. Auch hier auf Gesundheits-Check und in anderen Blogbeiträgen auf scienceblogs wurde das ausführlich diskutiert.

Zwischenzeitlich hatte die Hochschulstrukturkommission des Landes Brandenburg, vielleicht unter dem Eindruck der fatalen Medienreaktionen, die Abwicklung des Instituts empfohlen. Die Viadrina ist dieser Empfehlung nicht gefolgt, sie will das Institut in Kooperation mit einer medizinischen Fakultät erhalten.

Diese Kooperation wurde als qualitätssichernde Maßnahme dargestellt. Aber viel gelernt hat man am Frankfurter Institut, von der Skeptiker-Bewegung als „Hogwarts an der Oder“ verspottet, wohl nicht. In einem Interview in dem Magazin „Naturamed“, Ausgabe 4/2013, verteidigt Prof. Walach die Masterarbeit jetzt noch einmal. Mehr noch: nun gilt sie sogar als Überprüfung der Kozyrevschen Physik (ebda, S. 45):

“Es war eine Masterarbeit, für die sich der Student ein sehr umstrittenes Thema ausgewählt hat, nämlich eine experimentelle Überprüfung der Kozyrev-Spiegel-Theorie. Kozyrev war ein russischer Physiker (siehe Kasten, Seite 46), der eine Theorie entwickelte, nach der die Zeit eine physikalische Größe ist, die man manipulieren kann. Gleichzeitig war Kozyrev überzeugt, dass die Manipulation mithilfe bestimmter Materialien, zum Beispiel mit Aluminium oder Granit, und in den Regionen nördlich des 73. Breitengrades, also nahe dem Nordpol, besser durchführbar ist.“

Experimentelle Grundlagenphysik kann demnach so einfach sein. Ein Aluminiumkessel, ein Orthopäde als Versuchsleiter und die Mitteilungen subjektiver Erfahrungen von Probanden reichen. Vielleicht hätte man das Higgs-Teilchen so auch schneller finden können? Die Masterarbeit erklärt Herr Prof. Walach, eigentlich ein guter Methodenfachmann, für einwandfrei (ebda, S. 45):

“Es ist eine sehr schöne experimentelle Studie geworden, die 600 Experimentaldurchgänge einschließt und teilweise dreifach verblindet ist (https://intrag.info/archiv/Masterarbeit-Conrad-Kozyrev-Spiegel_Fazit_Harald-Walach.pdf). Von der methodischen Seite kann man also überhaupt nichts einwenden. Und auch experimentell ist sie sehr sauber durchgeführt worden.“

Die Kritik an der Masterarbeit wird als Problem der verwendeten Sekundärliteratur dargestellt und wie bereits in früheren Verteidigungen ein Ergebnis berichtet, das dem der ursprünglichen Masterarbeit diametral widerspricht (ebda, S. 45/46):

“Die Darstellung der Ergebnisse war dagegen zunächst problematisch, weil darin teilweise Literatur zitiert wurde, die nicht als wissenschaftsfähig gilt. Die Ursache lag vor allem darin, dass Originalberichte über mit dem Kozyrev-Spiegel stattgefundene Experimente nur in russischer Sprache erschienen sind. Deshalb musste sich der Student im Wesentlichen auf Sekundärliteratur problematischer Qualität stützen. Seine Ergebnisse sind aber im Sinne einer wissenschaftlichen Systematik aussagekräftig und kommen zu dem Fazit, dass kein signifikantes Ergebnis beobachtet werden konnte.“

In der Masterarbeit stand auf Seite 29 noch der eindeutige Satz: “Die Wirksamkeit der Spiegel halte ich für erwiesen (…).” Das wäre allerdings ein signifikantes Ergebnis gewesen, der Nobelpreis wäre dem Autor nachgeworfen worden. Zum Nobelpreis hat es aufgrund der Walachschen Unschärferelation, ob nun ein signifikantes Ergebnis vorliegt oder nicht, zwar nicht gereicht, aber Herr Prof. Walach kann eine andere Bürgschaft für die Qualität der Arbeit anführen: Eine Publikation in der Zeitschrift für Anomalistik (ebda. S. 46):

“Wir haben darauf bestanden, dass die Arbeit sauber publiziert wird, und das ist inzwischen auch geschehen. Sie wurde bei der Freiburger Zeitschrift für Anomalistik eingereicht, durchlief dort das Peer-Review-Verfahren und wurde angenommen. Inzwischen erschien sie in Bd 12 (S. 297–308; 2012), wer sich also für Details interessiert, der kann es dort nachlesen.“

Diese Publikation hat mit der ursprünglichen Masterarbeit allerdings nur noch wenig gemeinsam, der Autor der Masterarbeit ist nicht einmal Erstautor. Die in der Zeitschrift für Anomalistik ebenfalls abgedruckten Gutachten zur Arbeit sollte man in der Tat einmal nachlesen, sie sind ausgesprochen kritisch, teilweise vernichtend. Vor allem das Gutachten von Wolfgang Ambach lohnt sich. Dass Ambach am Freiburger PSI-Institut des seeligen Herrn Bender tätig ist, gibt dem Ganzen eine besondere Note.

Zusammenfassend zieht Prof. Walach das folgende Fazit (ebda, S. 46):

“Ich halte also diese große Aufregung, die um diese Arbeit entstand, für unbegründet.“

Die Medienkritik, so Prof. Walach weiter, sehe er in einer „zeitliche(n) Korrelation zu bestimmten Nachrichten aus der konventionellen pharmazeutischen Industrie“, d.h. er insinuiert, hinter der Kritik an der Masterarbeit stünden die Interessen von Big Pharma. Das klingt in seinen Kreisen vermutlich sehr glaubwürdig. Dabei wäre es doch folgerichtiger gewesen, eine ungünstige Planetenkonstellation als Ursache anzunehmen.

Sieht so die Sicherstellung der wissenschaftlichen Qualität an der Viadrina aus? Ich denke, da sind die zuständigen Gremien, auch die zuständigen Ministerien, noch einmal gefragt. Niemand möchte die Untersuchung ungewöhnlicher Fragestellungen unterbinden, Wissenschaft ist frei, aber sie soll Wissenschaft bleiben, wenn sie diese Freiheit und nicht die Narrenfreiheit in Anspruch nehmen will.

Kommentare (22)

  1. #1 bewitchedmind
    9. September 2013

    Ich muß noch einmal heftig gegen den Begriff “Hogwarts an der Oder” protestieren. Der Vergleich einer auf jahrhundertelanger empirischer Forschung basierenden Bildungseinrichtung mit dem pseudowissenschaftlichen Treiben an der Viadrina stellt eine Beleidigung von Hogwarts dar. ^^

  2. #2 noch'n Flo
    Schoggiland
    9. September 2013

    Eben. Und die Viadrina hat ja noch nicht einmal eine Quidditch-Mannschaft.

  3. #3 Joseph Kuhn
    9. September 2013

    @ bewitchedmind:

    Ich weiß nicht, ob die Viadrina überhaupt mit der “jahrhundertelangen empirischen Forschung” in Hogwarts oder gar den Ansichten der Skeptiker konkurrieren will. Herr Walach verweist in seinem Interview schließlich auf ein fortgeschritteneres Wissenschaftsverständnis: Die GWUP folge “einem relativ engen Wissenschaftsbegriff, der viel zu szientistisch ist und die Naturwissenschaften fast religiös überhöht. (…) Wir dagegen vertreten die Meinung, dass auch die Wissenschaft ein soziales Unternehmen ist, in dem Interessen und sie vertretene Gruppierungen eine starke Rolle spielen.”

    Empirisch betrachtet, ist das (letztere) eine triviale Tatsache, aber normativ gewendet eröffnet es ganz neue Perspektiven: Wissenschaft ist, was uns interessiert.

    Recht innovativ ist auch Walachs Hinweis auf die Selbstwiderlegung jeder Kritik: “Die Tatsache, dass die Komplementärmedizin im Moment so viel Gegenwind bekommt, ist eigentlich ein indirektes Bekenntnis dessen, dass sie sehr erfolgreich ist. Denn wenn sie das nicht wäre, würde es diesen Widerstand nicht geben.”

    Sagen, dass etwas falsch ist, beweist, dass etwas richtig ist. Für soviel Dialektik hätte selbst Hegel die Phantasie gefehlt.

  4. #4 Thilo
    9. September 2013

    Was heisst denn “dreifach verblindet”?

  5. #5 Joseph Kuhn
    9. September 2013

    @ Thilo:

    Was heisst denn “dreifach verblindet”

    Normalerweise versteht man darunter, dass auch demjenigen, der statistisch auswertet, nur uninterpretierbare Merkmale vorliegen.

    Bei Walach ist etwas anderes gemeint, siehe in dem Link auf Seite 4: https://intrag.info/archiv/Masterarbeit-Conrad-Kozyrev-Spiegel_Fazit_Harald-Walach.pdf

  6. #6 noch'n Flo
    Schoggiland
    9. September 2013

    @ Thilo:

    Was heisst denn “dreifach verblindet”?

    Wenn bei einer Prüfungsarbeit weder Erst- noch Zweitkorrektor und am allerwenigstens der Prüfling auch nur den blassesten Schimmer von wissenschaftlicher Methodik haben. 😉

  7. #7 Joseph Kuhn
    9. September 2013

    @ noch’n Flo:

    Ohne die tiefere Wahrheit Deiner Erklärung infrage stellen zu wollen: Walach ist methodisch hochkompetent. Bei ihm hat man es wohl eher mit einer Variante von “belief perseverance” zu tun, dem Beibehalten einer falschen Meinung, obwohl die Fakten bekannt sind. Eine aktuelle Studie dazu ist gerade in der Süddeutschen vorgestellt worden.

  8. […] Beteiligten damit ist, demonstriert Prof. Walach in einem aktuellen Interview, das der Science-Blog Gesundheits-Check heute ausführlich […]

  9. #9 Dr. Webbaer
    10. September 2013

    Was Ihrer Inhalteinheit, Herr Kuhn, einmal gut tun würde, wäre, wenn Sie sich erlauben auch einmal dorthin zu gehen, wo von der (bundesdeutschen) Gesellschaft weitgehend akzeptiert Esoterik stattfindet.
    Ihr Kommentatorenfreund würde dann auch zu jener Nachrichtenlage, natürlich nur bei Bedarf und erbeten, auf Sie zukommen und ausbauen helfen.
    So isses nur Mainstream.

    MFG
    Dr. W

  10. #10 Dr. Webbaer
    10. September 2013

    Noch kurz zum
    ‘dreifachblind’:
    -> https://de.wikipedia.org/wiki/Blindstudie

  11. #11 noch'n Flo
    Schoggiland
    10. September 2013

    Alter Ärztewitz:

    Was sind 2 Chirurgen und ein EKG? – Eine Doppelblindstudie.

  12. #12 michael
    10. September 2013

    Noch’n alter Ärztewitz:

    Patient zum Arzt: “Haben Sie so eine OP schon mal gemacht?”
    Arzt: “So eine Operation hab ich schon hunderte mal durchgeführt”.
    Patient: “Dann bin ich beruhigt”.
    Arzt: “Einmal muss es ja schliesslich gelingen.”

  13. #13 Andreas
    12. September 2013

    “Wir dagegen vertreten die Meinung, dass auch die Wissenschaft ein soziales Unternehmen ist, in dem Interessen und sie vertretene Gruppierungen eine starke Rolle spielen”
    Vielleicht sollte sich Herr Walach mit Feminist_*_Innen zusammentun, die sehen Wissenschaft genau so 🙂

  14. #14 Andreas
    12. September 2013

    uups,
    bitte zwischen “Walach mit” und “Feminist_*_Innen” noch ein “gewissen” einfügen.

  15. […] ein paar präkognitive Erkenntnisse aus dem Kozyrev-Spiegel, zu dem Prof. Walach eine gewisse Affinität […]

  16. […] in Frankfurt/Oder verspottet, weil dort am Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften seltsame Dinge geschehen. Die Frankfurter Vorgänge reihen sich ein in eine Entwicklung, die sich im Kellergeschoss der […]

  17. #17 hucky
    Augsburg
    28. Mai 2014

    Was bilden Sie sich eigentlich ein mit ihrer von der Pharma Mafia finanzierten Seite hier so gegen die Masterarbeit bezüglich dem Kozyrev-Spiegel von Herrn Dipl.-Med. Peter Conrad zu wettern.

    Welche Medienkritik meinen Sie eigentlich, die der 5 großen Familien der die ganze Medienlandschaft gehört ? Mir ist doch ihre satanische Mainstream und mainstream Wissenschaft völlig egal und die der paar hundert Meinungen von den 5 Eigner Familien so wieso.

  18. #18 rolak
    28. Mai 2014

    satanische mainstream Wissenschaft

    Nicht schlecht, hucky, gar nicht schlecht – auch die elegante Vermeidung jedweges konkreten Vorwurfs, diese zurückhaltende Beschränkung auf das reine Pöbeln.

    Ausbaufähig, ein paar mehr Fehler und lokale Satzzeichen-Häufungen zum Beispiel würden sicherlich das Niveau noch signifikant weiter senken.

  19. […] diesem Blog wurde in den letzten zwei Jahren mehrfach das exotische Treiben am Institut für Transkulturelle Gesundheitswissenschaften (INTRAG) an der […]

  20. #20 DasKleineTeilchen
    23. August 2014

    @joseph:

    “Recht innovativ ist auch Walachs Hinweis auf die Selbstwiderlegung jeder Kritik”

    innovativ? eigentlich nicht…eigentlich ist daß *das* standardtotschlagargument der vertreter der diversen “alternativen” modelle.

  21. #21 Dr. M. H.
    M
    27. Dezember 2015

    Da waren die von Kozyrev hinterlassenen Fußspuren wohl geschätzte 10 Schuhnummern zu groß.

    [Edit 28.12.2015, 12.35 Uhr: Absender wurde anonymisiert, siehe Kommentar #22, JK]

    • #22 Joseph Kuhn
      27. Dezember 2015

      Was soll dieser Kommentar? Wenn nichts Konkretes hinterherkommt, muss ich davon ausgehen, dass es nur eine verkappte Werbung für Ihr Nahrungsergänzungsmittel war. Ich anonymisiere ihn dann.