Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) ist eine merkwürdige Institution. Einerseits wird die Politik und wird er selbst nicht müde, bei jeder Gelegenheit darauf hinzuweisen, wie wichtig er ist, andererseits verliert er seit Jahren kontinuierlich an Personal und realen Handlungsmöglichkeiten. Es ist ein wenig wie mit einem gebrechlichen alten Mann, der Besuch vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen bekommt und sich so fit zeigen will, wie er eigentlich gar nicht mehr ist – mit der Folge, dass ihm die notwendige Pflegestufe verweigert wird.

Der ÖGD ist längst auch pflegebedürftig. Im Prinzip – man höre Radio Eriwan – hat das auch die Politik erkannt. Aber wie der MDK will sie dafür kein Geld ausgeben. Symptomatisch dafür ist der Beschluss zur Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, den die 86. Gesundheitsministerkonferenz der Länder 2013 gefasst hat:

“Beschlüsse der 86. GMK (2013)
TOP: 5.1 Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist neben der ambulanten und stationären Versorgung die dritte tragende Säule des Gesundheitswesens. Er nimmt bevölkerungsmedizinische Aufgaben wahr und ist sozialkompensatorisch tätig. Die GMK stellt fest, dass die Gewinnung von Ärztinnen und Ärzten für den Öffentlichen Gesundheitsdienst eine zunehmende Herausforderung darstellt. Der Öffentliche Gesundheitsdienst muss für Ärztinnen und Ärzte attraktiver werden. Dafür ist es erforderlich, dass:
1. Eine angemessene Bezahlung in Anlehnung an den Tarifvertrag Ärzte sowohl für angestellte als auch für beamtete Ärztinnen und Ärzte realisiert werden kann.
2. Fachliche Inhalte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes frühzeitig und angemessen in die ärztliche Ausbildung integriert werden.
3. Alle Möglichkeiten genutzt werden, um die Stärken und Kompetenzen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes herauszustellen.“

Wenn gesundheitspolitische Formulierungen mit „tragenden Säulen“ anfangen, wird die Erkennungsmelodie der symbolischen Politik gespielt, das ist beim ÖGD nicht anders als bei der Prävention. Aber dieser Beschluss ist auch noch schlechte symbolische Politik. Er trägt zwar dem Problem Rechnung, dass die Bezahlung von Ärzten im ÖGD angesichts des guten Arbeitsmarkts für Ärzte derzeit nicht sonderlich konkurrenzfähig ist, aber geht es bei der Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes – so ist der Beschluss ja überschrieben – wirklich nur um die Ärztebezahlung? Keine Frage: Ärzte bilden das Rückgrat des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, man sollte in der Tat nicht riskieren, hier durch tarifpolitische Restriktionen eine Negativauslese anzusammeln. Und natürlich sollten fachliche Inhalte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes auch mehr als bisher in der ärztlichen Ausbildung vorkommen.

Aber gibt es nicht auch andere Berufsgruppen im ÖGD, die dringend Zuspruch und Unterstützung benötigen, weil ihre Aufgaben in den letzten Jahren zugenommen haben, Sozialarbeiter zum Beispiel? Weiter: Sollte nicht vor jeder tarifpolitischen Initiative eigentlich eine gesundheitspolitische Standortbestimmung stehen, die deutlich macht, was der ÖGD heute im Konzert mit seinen Partnern im Versorgungssystem leisten soll, wo sein spezifisches Profil ist und was das für seine Personalausstattung bedeutet? Und an wen richtet sich der Länderappell eigentlich? Zuständig für die genannten Fragen sind – die Länder.

Beschlüsse wie der zitierte spiegeln oft das politisch Machbare wider. In diesem Fall dokumentiert der Beschluss aber wohl eher, dass die „Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“, eine Aufgabe, die Konflikte mit den Finanzministern und den Staatsabbaupredigern bedeutet, wieder einmal in die Zukunft verschoben worden ist. Politik als Kunst des Möglichen kann eben auch bedeuten, Möglichkeiten als solche zu belassen.

Kommentare (7)

  1. #1 Dr. Webbaer
    30. Dezember 2013

    Weil es hier nicht gerade Kommentare hagelt, eine kleine Ergänzung:

    Beschlüsse wie der zitierte spiegeln oft das politisch Machbare wider. In diesem Fall dokumentiert der Beschluss aber wohl eher, dass die „Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes“, eine Aufgabe, die Konflikte mit den Finanzministern und den Staatsabbaupredigern bedeutet, wieder einmal in die Zukunft verschoben worden ist.

    Kommentar: Anscheinend will man den Status Quo aufrech erhalten, nicht explizit Geld in die Hand nehmen und den Gesundheitsdienst ausbauen.
    Was schon teuer genug werden könnte, wenn die sich ändernde demographische Lage und die nicht immer ganz billigen neuen medizinischen Methoden berücksichtigt werden.
    MFG + ein gutes Neues!
    Dr. W

  2. #2 Ludger
    31. Dezember 2013

    Wer studiert schon Medizin, um hinterher in die Verwaltung zu gehen? Die Verwaltung, das sind die anderen, die einen beim arbeiten stören. Auf den Punkt gebracht wird das durch einen Spruch, den ich als wehrpflichtiger Stabsarzt bei der Bundeswehr gelernt habe: “In Friedenszeiten ersetzt der Stab [die Verwaltung] den Feind.”

  3. #3 Joseph Kuhn
    31. Dezember 2013

    @ Ludger:

    “Die Verwaltung, das sind die anderen, die einen beim arbeiten stören.”

    Und das ist eben manchmal dringend nötig, z.B. wenn auf onkologischen Stationen ungeimpftes Personal arbeitet, wenn in Krankenhäusern “aus Effizienzgründen” Hygienemaßnahmen unterbleiben, wenn EHEC-Erreger gefunden und aus der Lebensmittelkette eliminiert werden müssen, auch wenn das die Arbeit von Herstellern stört, wenn in Heimen der gewohnte Ablauf der Dinge “gestört” werden muss, damit weniger Fälle von Dehydrierung oder Dekubitus auftreten usw. – ich denke, auch niedergelassene Mediziner sollten vorsichtig mit dem elitären Naserümpfen über “die Verwaltung” sein.

  4. #4 Ludger
    31. Dezember 2013

    Joseph Kuhn #3: “Und das ist eben manchmal dringend nötig…”

    Kein Zweifel, das ist so!

    Joseph Kuhn #3: “elitären Naserümpfen über “die Verwaltung”…”

    Das ist nicht der Grund. Der Arztberuf bereitet einen Lustgewinn. Nach der Behandlung geht der Verletzte mit einem schönen weißen Verband nach Hause und ist dankbar. Der Beruf ist spannend. Es macht Spaß, eine seltene Krankheit herauszukriegen und die richtigen Schritte zur Behandlung einzuleiten. Solche Attraktivitäten konnte ich als Medizinstudent damals im Öffentlichen Gesundheitswesen nicht erkennen. Es ist primär keine Frage des Geldes. Was macht den Beruf attraktiv? Arbeitszeiten? Arbeitsbedingungen? Fortbildung? familienfreundliche Bedingungen? Nebenerwerbsmöglichkeiten?

  5. #5 Joseph Kuhn
    31. Dezember 2013

    @ Ludger: Sorry, da hatte ich Sie falsch verstanden. Ja, die Attraktivität des Öffentlichen Gesundheitsdienstes lässt insgesamt zu wünschen übrig. Die Arbeitszeiten sind sicher ein Pluspunkt, gerade für Frauen. Aber personelle Unterbesetzung (damit verbunden ein oft zu großes inhaltliches Aufgabenspektrum), veraltete Ausstattung, konzeptionelle Verkümmerung (mangels akademischer Begleitung), geringes Ansehen usw. – das alles trägt neben der Gehaltsfrage dazu bei, dass viele lieber nicht in den ÖGD gehen, wenn sie die Wahl haben.

    Manches sind aber auch Vorurteile, z.B. dass es keine spannenden Aufgaben im ÖGD gäbe, vergleichbar dem, was Sie für den kurativen Bereich sagen – das gibt es im ÖGD natürlich auch und das sollte in der Tat mehr als bisher in der ärztlichen Ausbildung vermittelt werden.

  6. […] verläuft die Entwicklung z.B. auch im Öffentlichen Gesundheitsdienst – hier knirscht es ebenfalls schon lange in der Personalausstattung, ohne dass sich eine […]

  7. […] Papier an verschiedenen Stellen angesprochen und in seiner Bedeutung – oder besser gesagt: potentiellen Bedeutung – hervorgehoben wird. Ebenso, dass die bei der Entwicklung des Papiers ursprünglich zu enge […]