Kritische Diskussionen zur Homöopathie haben gerade wieder Konjunktur, angestoßen einerseits durch immer abstrusere Entwicklungen wie z.B. dem Plan, eine Homöopathie-Hochschule in Traunstein zu gründen, andererseits durch Bücher wie „Die Homöopathielüge“ von Christian Weymayr und Nicole Heißmann und „In Sachen Homöopathie“ von Norbert Aust sowie dessen Blog „Beweisaufnahme in Sachen Homöopathie“, der sich wie sein Buch durch die akribische Dekonstruktion von Homöopathiestudien auszeichnet.
Die Homöpathiefreunde spüren den Gegenwind, so konstatiert z.B. Harald Walach in seinem Blogbeitrag “Geist ohne Grenzen“ eine „zunehmend aggressiver werdende und dogmatisch argumentierende Kritik an der Homöopathie“. Was die Aggressivität und Dogmatik von Argumentationsmustern angeht, haben die Vertreter der „sanften Medizin“ sicher keine Defizite, Walachs Blogbeitrag mit der abschließenden Unterstellung, Homöopathiekritiker seien unendlich dumm, führt das zur Genüge vor, aber das nur nebenbei.
In seinem Blogbeitrag versucht Walach, die Homöopathiekritik in die Ecke des Vulgärmaterialismus zu stellen, die nicht sehe, dass das Leib-Seele-Problem nicht gelöst sei und die den „Geist“ aus der Welt austreiben wolle. Demgegenüber trage die Homöopathie diesen offenen Fragen des Leib-Seele-Problems Rechnung. So etwas verkürzt der Inhalt seines Beitrags und dazu hier ein paar – hoffentlich nicht zu aggressive und dogmatische – Anmerkungen:
1. Die Homöopathie braucht den „Geist“, er ist ihr fundamentales Wirkprinzip. Hahnemann schreibt in der Vorrede zur 6. Auflage des Organons, „dass die Krankheiten der Menschen auf keinem Stoffe (…) d.i. auf keiner Krankheits-Materie beruhen, sondern dass sie einzig geistartige (dynamische) Verstimmungen der geistartigen, den Körper des Menschen belebenden Kraft (des Lebensprinzips, der Lebenskraft) sind.“ Die Formulierung kommt in verschiedenen Variationen im Organon immer wieder vor, sie wird von den Homöopathen bis heute in bibeltreuer Auslegung geglaubt.
2. Hahnemann lebte von 1755 bis 1843 und seine Ausführungen müssen in diesen historischen Kontext eingeordnet werden. Er fand eine Medizin vor, die Krankheiten nicht erklären und meist auch nicht erfolgreich behandeln konnte. Den damaligen medizinischen Verordnungen nicht zu folgen, war oft lebensrettend. In der Einleitung zum Organon mokiert sich Hahnemann über seine ärztlichen Kollegen und ihre Denkgebäude: „Jede dieser spitzfindigen Darstellungen setzte anfangs die Leser in ein betäubendes Erstaunen ob der unverständlichen Weisheit drin und zog dem System-Erbauer eine Menge, die naturwidrige Klügelei nachbetender Anhänger zu, deren keiner jedoch etwas davon zum bessern Heilen brauchen konnte, bis ein neues (…) sich wieder auf kurze Zeit Ruf verschaffte. Keines aber war mit Natur und Erfahrung im Einklange“. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen – aus damaliger Sicht. Aus heutiger Sicht muss man sagen, Hahnemanns Urteil hat sein eigenes System eingeholt.
3. Ein Beispiel: Ebenfalls in der Einleitung macht sich Hahnemann über die Übertragung der Pocken Gedanken: “Ein im Krankenzimmer geschriebener Brief aus weiter Entfernung teilte schon oft dem Lesenden dieselbe miasmatische Krankheit mit. Ist wohl hier an einen materiellen, in die Säfte eingedrungenen Krankheits-Stoff zu denken? (…) Die Verfechter so grobsinnlich angenommener Krankheits-Stoffe mögen sich schämen, die geistige Natur unseres Lebens und die geistig dynamische Kraft Krankheit erregender Ursachen so unüberlegt übersehen und verkannt (…) zu haben”. Heute wissen wir, dass Pocken von Viren übertragen werden, in der Tat sehr leicht, Pocken sind eine hochkontagiöse Infektionskrankheit. Hahnemanns Erklärung war damals nicht schlechter als die seiner Kollegen. Aber sie ist heute genauso falsch. Nur nebenbei: Über die Pockenimpfung äußert sich Hahnemann positiv, er sah darin eine Behandlung nach dem homöopathischen Ähnlichkeitsprinzip.
4. An die Stelle der phantastischen Erklärungen der damaligen Ärzte, was krank mache, setzte Hahnemann „geistartige Kräfte“. Warum nicht, eine Hypothese, die dem Stand der Wissenschaft vor 200 Jahren angemessen war. Allerdings haben mehr als 150 Jahre nach Hahnemanns Tod die Naturwissenschaften keinen Anhaltspunkt für die Existenz solcher „geistartigen Kräfte“ gefunden. Stattdessen haben sie z.B. Viren gefunden. Hahnemann selbst hätte das vermutlich gefreut, er war erfahrungsorientierter, als seine Anhänger heute.
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