Die Prävention, so heißt es immer wieder, sei ganz wichtig. In einer alternden Gesellschaft – oder wie man neuerdings freundlicher formuliert: einer „Gesellschaft des langen Lebens“ – sei mehr Prävention unverzichtbar. Für die Lebensqualität im Alter einerseits, und damit die Kosten für die Gesundheitsversorgung nicht aus dem Ruder laufen, andererseits.

Ein guter Vorsatz, dem leider keine Daten folgen. Allen Diskussionen zum Sinn und Zweck eines Ausbaus der Prävention zum Trotz liegt der Anteil der Prävention an den Gesundheitsausgaben seit mehr als 20 Jahren wie festgeschraubt bei ca. 4 %. Da ist vom Rückenkurs über das Impfen bis zu den Früherkennungsprogrammen schon alles eingerechnet, was irgendwie nach Prävention riecht.

Mehr Prävention setzt zunächst tragfähige Strukturen voraus. Die müsste ein Präventionsgesetz schaffen. Die Prävention an sinnvollen Zielen und am gesundheitswissenschaftlichen Erkenntnisstand auszurichten, die Zusammenarbeit der Akteure zu koordinieren, vielleicht etwas mehr Geld in die Hand zu nehmen und den Erfolg der Dinge zu evaluieren, wären die wichtigsten Bausteine eines Präventionsgesetzes. Das klingt nicht schwer, scheint aber einfach nicht gelingen zu wollen. 2005, 2008 und 2013 sind Anläufe für ein solches Gesetz bereits gescheitert. Wir haben darüber zuletzt im September 2013 auf Gesundheits-Check diskutiert. Dem letzten Gesetzentwurf machten der Bundesrat und das Ende der Legislaturperiode den Garaus, wie übrigens schon 2005. 2008 konnten sich Union und SPD, auch damals in einer Großen Koalition vereint, nicht einigen, das Vorhaben schied still dahin.

Nun, in der neuen Großen Koalition, wollten Union und SPD das Gesetz endlich über die Ziellinie schieben und dem peinlichen Possenspiel ein Ende machen. In der Koalitionsvereinbarung vom November 2013 steht unter der schönen Überschrift „Prävention und Gesundheitsförderung in den Vordergrund stellen“ der hoffnungsvoll stimmende Passus:

„Wir werden noch 2014 ein Präventionsgesetz verabschieden, das insbesondere die Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten wie Kita, Schule, Betrieb und Pflegeheim und die betriebliche Gesundheitsförderung stärkt und alle Sozialversicherungsträger einbezieht. Die Kooperation und Koordination aller Sozialversicherungsträger sowie der Länder und Kommunen werden über verpflichtende Rahmenvereinbarungen analog der Regelungen zur Förderung der Zahngesundheit (§ 21 SGB V) und von Schutzimpfungen (§ 20d Abs. 3 SGB V) auf Landesebene verbessert. Dabei sind bundesweit einheitliche Gesundheitsziele und Vorgaben zur Qualität und Evaluation zu berücksichtigen. Länderpräventionsansätze werden einbezogen.“

Der Zeitplan war ambitioniert. Vor ein paar Monaten hieß es dann, man wird das Gesetz wohl 2014 nicht mehr verabschieden, aber noch einen Arbeitsentwurf vorlegen. Warum nicht. Jetzt allerdings berichtet die Ärztezeitung, Katja Leikert, für die CDU im Gesundheitsausschuss des Bundestages, habe gestern gesagt, man werde die Sache erst 2015 wieder anpacken, erst komme das Versorgungsstrukturgesetz II.

Bleibt zu hoffen, dass diese Reihenfolge nicht dazu führt, dass das Präventionsgesetz 2017 ins Abstimmungsprozedere kommt. Da ist wieder Bundestagswahl und am Ende stolpert das Gesetz einmal mehr über das Ende der Legislaturperiode, d.h. es „verfällt der Diskontinuität“, wie es im Parlamentsdeutsch heißt. Das immerhin hätte dann eine gewisse Kontinuität. Fortsetzung folgt.

Kommentare (14)

  1. #1 chris
    19. September 2014

    Tja, so funktioniert Demokratie. Zuckerbrot hinhalten, Stimmen abgreifen und dann auf die lange Bank legen – am liebsten bis in alle Ewigkeit. Bis es vergessen ist.

    Oder nicht?

    • #2 Joseph Kuhn
      19. September 2014

      Ich fürchte, soviel böse Absicht darf man in diesem Fall nicht unterstellen.

    • #3 rolak
      20. September 2014

      Ich fürchte

      Ha! Rhetorischer Euphemismus! Du bist ja bloß nicht Willens, an den Beteiligten bzgl Langfrist-Planungs-Fähigkeit auch nur ein einziges gutes Haar zu lassen.

      Dieser Schluß liegt allerdings zugegebenermaßen (nicht nur/erst) nach der Lektüre des Artikels erschreckend nahe, Joseph.

  2. #4 chris
    19. September 2014

    Alle scheinen dann zufrieden, wenn das Volk sein Kurzzeitgedächtnis bewiesen hat.

  3. #5 Beate Blättner
    20. September 2014

    Mal angenommen, zwei Parteien seien grundsätzlich unterschiedlicher Annahme, wie Prävention funktioniert. Die einen denken an Eigenverantwortung für richtiges Essen und Bewegen und sehen Prävention allenfalls als Aufgabe der Ärzte, den Menschen mehr ins Gewissen zu reden. Die anderen sehen eine gesellschaftliche Verantwortung für gesundheitsfördernde Lebensbedingungen. Soll sich das ändern, nur weil es eine GroKo gibt? Wird man sich wegen einer solchen Kleinigkeit denn streiten wollen?
    Frage ist, was können wir tun?

    • #6 Joseph Kuhn
      20. September 2014

      was können wir tun?

      Gute Frage. Ich denke, erst mal mehr Information einholen, wie der Hinweis von Frau Leikert einzuordnen ist, was dahinter steht. Ein Problem scheint nach wie vor die Einbeziehung der anderen Sozialversicherungsträger zu sein (und in diesem Zusammenhang möglicherweise auch die Abstimmung des CDU-führten BMG mit dem SPD-geführten BMAS). Dass die “Eigenverantwortung” der Stolperstein ist, kann ich mir fast nicht vorstellen, deren Konjunkturritter sind derzeit ja aus dem Verkehr gezogen (Fast Drei Prozent).

  4. #7 miesepeter3
    22. September 2014

    @Joseph Kuhn

    “Präventionsgesetz”

    Hatten wir doch schon alles:

    Verbot von Berufsausübung bei bestimmten Krankheiten, Zwangssterilisation bei Geisteskrankheiten (oder was man dafür hielt) und Gehirnteilabtötungen bei unerwünschten sozialem Verhalten. Und wie wird das in Zukunft? Menschen-TÜV? Zwangsuntersuchungen auch gegen den Willen von (vermeintlich) Kranken? Müssen Frauen sich die Brüste mit zwanzig abnehmen lassen, weil sie eventuell mit achtzig an Brustkrebs erkranken? Wird Männern die Prostata operiert, weil sie nachts öfter pinkeln müssen als der Nachbar? Müssen 10jährige zwangsbeerdigt werden, weil sie vielleicht mit 20 an einer unheilbaren und damit teuren Krankheit erkranken könnten? Schöne neue Welt!

    • #8 Joseph Kuhn
      22. September 2014

      Das taugt nicht als Warnung vor einen “schönen neuen Welt”. Zu schrill, zu sehr zusammengerührt, was nicht zusammengehört.

  5. #9 miesepeter3
    25. September 2014

    @Joseph Kuhn
    “Das taugt nicht als Warnung vor einen “schönen neuen Welt”. Zu schrill, zu sehr zusammengerührt, was nicht zusammengehört.”

    Natürlich, guck mal auf meinen nickname. Ohne Übertreibung wird man ja nicht mehr ernst genommen heutzutage. Aber ab wann wird z.B. die Krankenkasse ihre Kostenübernahme einstellen, wenn man nicht vorher 25 Pflichtvorsorgeuntersuchungen hinter sich gebracht hat?
    Diese Art Fürsorge duftet doch schon ein wenig nach Bevormundung, Zwang und letzten Endes nach Entmündigung der Menschen. Wehret den Anfängen!
    Habe die Ehre.

  6. #10 chris
    30. September 2014

    Ich bin ja der Meinung, das Dummheit keine Krankheit ist. Vielleicht ist dies in diesem Falle ja das Problem? Denn sonst könnte man ja präventiv dagegen steuern – so aus dem System heraus.
    Wann ist Prokastination

  7. #11 chris
    30. September 2014

    ups…

    Wann ist prokastination diagnostizierbare Störung nach ICD10?

    Die böse Absicht alternativ dahingestellt – trotzdem funktioniert Demokratie so. Dann ist es eben “demokratisch” legitimiert untern Tisch gefallen.

  8. #12 Joseph Kuhn
    10. Oktober 2014

    Update 10.10.2014: Jetzt wieder zwei Schritte vor. Angeblich liegt inzwischen doch schon ein Gesetzentwurf in der Schublade. Bleibt die Frage nach dem parlamentarischen Fahrplan. Es geht doch nichts über eine transparente Sachlage.

  9. #13 Joseph Kuhn
    17. Oktober 2014

    Update 17.10.2014: Das Ärzteblatt meldet, dass die parlamentarische Staatssekretärin im BMG, Frau Fischbach, den Gesetzentwurf für Dezember 2014 angekündigt hat.

  10. #14 Joseph Kuhn
    31. Oktober 2014

    Update 31.10.2014: Der Referentenentwurf ist da.