Vor ein paar Wochen schon ging der DAK-Gesundheitsreport 2015 für Deutschland durch die Medien. Heute wurde in München der Regionalreport Bayern vorgestellt. Dass der Krankenstand in Bayern 2014 auch bei den DAK-Versicherten mit 3,4 % niedriger lag als im Bundesdurchschnitt mit 3,9 %, ist inzwischen fast schon ein Erwartungswert. Das ist bei den anderen Krankenkassen genauso und auch sonst steht Bayern bekanntlich gesundheitlich ganz gut da.

Ein Dauerthema der Krankenkassen-Reporte ist seit Jahren der Anstieg der Krankschreibungen infolge psychischer Störungen, wir hatten hier bereits darüber diskutiert. Dieser Trend ist auch bei den DAK-Versicherten in Bayern ungebrochen: Die Arbeitsunfähigkeitstage infolge psychischer Störungen haben sich in den letzten 15 Jahren fast verdoppelt und verursachen inzwischen 15,5 % aller Arbeitsunfähigkeitstage. Nur die Muskel-Skeletterkrankungen haben mit 22,5 % einen noch höheren Anteil. Dabei konzentrieren sich die Krankschreibungen infolge psychischer Störungen auf einen kleinen Teil der Beschäftigten, etwa 4 % der DAK-versicherten Arbeitnehmer waren 2014 betroffen. Aufgrund der weit überdurchschnittlichen Dauer der Krankschreibungen bei diesen Diagnosen summieren sich die Ausfallzeiten dann auf den hohen Anteil am Krankenstand auf.

Der interessanteste Teil des DAK-Gesundheitsreports 2015 sind Daten zum „pharmakologischen Neuroenhancement“, kurz Hirndoping. Das Berliner IGES-Institut, das für die fachliche Erstellung des Reports verantwortlich zeichnet, hat dazu u.a. eine (deutschlandweite) Befragung von 5.000 Erwerbstätigen im Alter von 20 bis 50 Jahren ausgewertet. Gefragt wurde nach der Einnahme bestimmter verschreibungspflichtiger Medikamente ohne therapeutische Indikation. Zugrunde lag ein weiter Begriff des Neuroenhancements, der neben dem Missbrauch von Stimulanzien auch die Einnahme von Antidementiva zur Verbesserung der Gedächtnisleistung, von Antidepressiva zur Stimmungsaufhellung und die Einnahme von Beta-Blockern zum Abbau von Stress und Lampenfieber einschloss – wie gesagt, jeweils ohne dass eine medizinische Indikation vorlag. Demnach haben in Deutschland 6,7 % der Befragten im Laufe ihres Lebens schon einmal Neuroenhancement versucht (sog. „Lebenszeitprävalenz“), 3,2 % haben es in den letzten 12 Monaten getan und 1,9 % tun es regelmäßig. Die IGES-Forscher haben dabei auch die Dunkelziffer abgeschätzt und gehen davon aus, dass insgesamt sogar 12 % schon einmal Neuroenhancement versucht haben. Hirndoping scheint in den letzten Jahren zugenommen zu haben: In einer früheren Befragung im Jahr 2008 lag die Lebenszeitprävalenz noch bei 4,7 %, also zwei Prozentpunkte niedriger als heute, wobei man für eine belastbare Trendaussage sicher mehr Zeitpunkte bräuchte.

In Bayern kam man bei der Lebenszeitprävalenz auf 7,2 % (mit Dunkelziffer 12,9 %), bei der 12-Monatsprävalenz auf 3,2 % und beim regelmäßigen Missbrauch auf 1,6 %. Aufgrund der vergleichsweise kleinen Fallzahlen unterscheidet sich das aber nicht statistisch signifikant von den Bundeswerten.

Hirndoping

Nach den Gründen gefragt, warum sie Psychopharmaka ohne medizinischen Grund eingenommen haben, gaben zwei Fünftel der „User“ an, auf diese Weise bestimmte Anlässe (Verhandlungen, Prüfungen etc.) besser durchzustehen, mehr als zwei Drittel sagten, ihnen ginge die Arbeit damit leichter von der Hand. Ein Viertel sagt, sie seien sonst gefühlsmäßig nicht in der Lage, ihre Arbeit zu machen und bei den Männern sagt fast ein Fünftel, sie könnten sonst beruflich nicht mithalten (Frauen: 6 %). Wie so oft, gibt es einen Unterschied nach Sozialstatus: je geringer das Qualifikationsniveau, desto häufiger der Missbrauch von Psychopharmaka. Nun gut, vielleicht reicht den Bessersituierten der Alkohol – dessen Missbrauch ist bekanntlich aber auch alles andere als gesund.

Hirndoping betrifft – zumindest was den regelmäßigen Psychopharmakakonsum angeht – nur einen sehr kleinen Anteil der Beschäftigten, möglicherweise etwas mehr als früher. Wenn man den genannten Zahlen trauen darf, würden aber immerhin ca. 120.000 Menschen in Bayern regelmäßig Hirndoping betreiben (bzw. sogar doppelt so viele, wenn auch hier die gleiche Dunkelziffer wie bei der Lebenszeitprävalenz gilt).

Die Frage ist, wozu das Ganze? Bei der DAK-Pressekonferenz in München war auch Prof. Hans Förstl dabei, Leiter der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München. Er wies darauf hin, dass nach heutigem Kenntnisstand eine pharmakologische Verbesserung von Hirnleistungen auf Dauer nicht erfolgreich sei. Das Hirn sei in der Evolution in seinem Leistungsvermögen und dem Zusammenspiel seiner Funktionen schon optimiert. Mehr Leistung an der einen Stelle führt also irgendwann zu Leistungseinbußen an anderer Stelle. Eigentlich schade. Bei dem Unsinn, den manche Leute anrichten, möchte man fast schon etwas Hirndoping zwangsverordnen.

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Kommentare (45)

  1. #1 Dr. Webbaer
    28. April 2015

    Ganz am Rande notiert, vielleicht interessiert es jemanden: „Hirndoping“ funktioniert [1], vgl. mit der Überschrift.

    MFG
    Dr. W (der’s nicht nötig hat, ganz ernst gemeint, alle hier Mitlesenden sicherlich auch nicht, nicht ganz ernst gemeint)

    [1]
    Der Schreiber dieser Zeilen hat einschlägige Erfahrung (logischerweise: mit anderen).
    Beispielsweise der geschätzte Dr. Stephan Schleim ist übrigens auch der Meinung, dass „Neuroenhancement“ nicht funktioniert.

  2. #3 rolak
    28. April 2015

    Was mich zu diesem Thema am meisten wundert, ist die (offiziell) vehemente Abwehr solch sinistrer Aktionen von Menschen, die ohne Aussicht auf kannenweise Kaffee bzw eine Reihe Doppios (beides über den Tag verteilt) morgens gar nicht über die Bettkante kämen.

    • #4 Joseph Kuhn
      28. April 2015

      … ich fühle mich ertappt. 😉

  3. #5 Alisier
    28. April 2015

    Die Frage ist dann doch, welche Psychopharmaka genau die Menschen gewohnheitsmäßig einschmeißen, denn da gibt es dann doch relevante Unterschiede zwischen den Präparatgruppen.
    Bei den nicht ganz so harten ist eine echte Wirkung bei nicht permanenter Einnahme kaum zu erwarten, und da wäre es ganz ausnahmsweise wünschenswert, die Leute würden sich homöopathisch umorientieren, denn hier ginge es dann eher um Placebo.
    Und bei härteren, sofort wirkenden Präparaten kann ich mir jetzt auch nicht vorstellen, worin die große Hilfe für die Betroffenen besteht: da wären dann klassische Drogen wohl oft wirksamer, aber vielleicht fühlen sich die Abhängigen besser, wenn “Medikament” draufsteht.
    Gibt es irgendwo eine Aufschlüsselung bezüglich der genauen Stoffgruppen? Wohl nicht, oder?

    • #6 Joseph Kuhn
      28. April 2015

      “Gibt es irgendwo eine Aufschlüsselung bezüglich der genauen Stoffgruppen?”

      Methylphenidat, Modafinil, Antidementiva, Antidepressiva und Betablocker: siehe im DAK-Report S. 34 ff [Download-Link in der Pressemitteilung ganz unten, aus irgendwelchen Gründen funktioniert das direkte Einbinden des Links nicht].

  4. #7 Alisier
    28. April 2015

    Und zum Fazit: größtmögliche Zustimmung!

  5. #8 Trottelreiner
    29. April 2015

    Naja, ich halte die ganze Diskussion für etwas irreführend. Zunächst einmal: Der Begriff “Neuroenhancement” suggeriert, daß es sich hier um ein neuartiges Phänomen handelt, dabei ist die Anwendung irgendwelcher Substanzen um die Leistungsfähigkeit zu steigern wahrscheinlich älter als die Menschheit. Entsprechend sind solche Verhaltensweisen auch weit verbreitet, sogar sehr viel weiter als die Studie vermuten läßt, nur kümmert es keinen Arsch, wenn man den Kindern Omega-3 oder andere Nahrungsmittelergänzungsmittel und sich selbst etwas Johanniskraut oder Ginseng gegen den Stress, Gingko für das Gedächtnis oder Baldrian gegen das Lampenfieber verpasst. Im Gegensatz dazu ist die Anwendung der beschriebenen Medikamenten eigentlich nur sicherer, d.h. wir wissen besser über die Wirksamkeit und eventuelle Nebenwirkungen Bescheid.

    Zweitens ist gerade die Anwendung von Stimulantien kein neues Phänomen; man könnte sogar überlegen, inwiefern nicht sogar Teile der modernen Gesundheitspolitik diesen fördern; wer den letzten Kommentar wiedersprüchlich findet, mag sich vor Augen führen, das gerade in stressreichen Berufen viele Raucher unterwegs sind, was bei der stimulierenden Wirkung von Nikotin nicht allzu überraschend ist. Beim Zurückgehen des Zigarettenkonsums werden jetzt sicher einige Raucher entweder auf E-Zigaretten umsteigen oder aber andere Stimulantia verwenden, um z.B. beim LKW-Fahren wach zu bleiben.

    Drittens finde ich die zugrundeliegende Unterscheidung zwischen medizinisch gerechtfertigter und nicht gerechtfertigter Nutzung etwas problematisch; wer meint, das es keine Rechtfertigung für den Einsatz entsprechender Medikamente gäbe, ist herzlich eingeladen, mal ein paar Tage für einen schweren Fall vom Hans-guck-in-die-Luft-Syndrom (aka ADHS, primär unaufmerksamer Typ) zu sorgen. Allerdings existieren die entsprechenden Syndrome eben nicht als klar abgrenzbare Entitäten, sondern sind Teil eines Spektrums, das irgendwann in die “Normalität”(was auch immer das ist) übergeht. Was ein bestimmtes Übergangsfeld bedingt, bei dem nach der engen Definition kein Therapiebedarf besteht, nach einer weiteren Definition aber schon.

    Viertens finde ich die am Schluß angesprochene Argumentation, daß das Hirn eh schon evolutionär optimiert sei sehr problematisch; mit derselben Argumentation könnte man auch jede andere Langzeitmedikation verwerfen, z.B. auch bei Bluthochdruck. Genaugenommen wurde das auch lange so gemacht, man sah Hypertension als ein natürliche, nützliche Gegenreaktion zur Arterienverkalkung, das Bluthochdruck selbst Gefäßschäden hervorrufen könnte ist erst eine relativ neue Erkenntnis aus den letzten unter 100 Jahren. Das mag bei der “Natürlich ist gut”-Fraktion ganz gut ankommen, in der Realität ist es aber so, daß unser Gehirn darauf optimiert wurde, möglichst viele Kopien unseres Genoms zu hinterlassen, wobei z.B. die zur Verfügung stehende Energiemenge eine nette rückgekoppelte Variable ist, ein typisches HSS-Gehirn ist ein echter Energiefresser, was zu Lasten der Fortpflanzung geht, ermöglicht aber auch den Zugang zu weiteren Energiequellen, was die der Fortpflanzung zur Verfügung stehende Energie wiederum steigert. Außerdem gibt es keinen Grund anzunehmen das die Art von Problemen, für die unser Hirn optimiert wurde gleich der Art von Problemen ist, für die “Neuroenhancement” im Allgemeinen angewendet wird; den Satz des Pythagoras zu beweisen und dabei nicht mitbekommen, das die Dame gegenüber interessiert ist dürfte einen eher beschränkten adaptiven Vorteil bieten. Last but not least sollte man sich bei evolutionären Argumentation immer vor Augen halten, welche netten moralischen Dilemma man sich mit ihnen einhandelt; da wäre z.B. eine schlechte Impulskontrolle, die zu einer Vergewaltigung, äh, “forced copulation” mit anschließender Schwangerschaft führt durchaus natürlich, während die Anwendung von SSRI in einem solchen Fall unnatürlich wäre.

    Fünftens steigern die meisten der entsprechenden Substanzen ja nicht die Intelligenz, sie verbessern nur eventuell die Konzentrationsfähigkeit, das Gedächtnis etc. Das ist schon ein ordentlicher Unterschied.

    • #9 Joseph Kuhn
      29. April 2015

      @ Trottelreiner:

      Ich nehme an, dem meisten davon, was Du sagst, würden die Autoren des Reports nicht widersprechen. Völlig richtig: Weder ist das Phänomen neu, noch ist immer klar, was medizinisch gerechtfertig ist und was nicht, noch sind Krankheitsbilder dichotom vom gesunden Zustand abzugrenzen, natürlich wäre ein AD(H)S-Fall ein medizinisch indizierter Fall (durch die Indikation allerdings: Medikation nicht ohne Psychotherapie). In der Befragung der Erwerbstätigen geht es ganz pragmatisch darum, wer nach eigener Aussage verschreibungspflichtige Medikamente ohne die dafür vorgesehene medizinische Indikation eingenommen hat und dafür andere Gründe anführt. Es geht also nicht um diagnostische Grauzonen und die Frage nach medikamentöser Überversorgung.

      Was die dauerhafte pharmakologische Optimierbarkeit von Hirnleistungen angeht: Ich bin kein Hirnforscher und kann da nicht aus eigener Fachkompetenz mitreden. Das Argument, das Herr Förstl vorgebracht hat, habe ich allerdings schon mehrfach von Psychiatern/Hirnforschern gehört, es scheint also nicht aus der Luft gegriffen zu sein. Das Beispiel mit dem Bluthochdruck hinkt hier etwas, weil Bluthochdruck eine Abweichung von der Norm ist. Das würde eher zur Medikation bei ADHS passen. Beim pharmakologischen Neuroenhancement, wie es im DAK-Report thematisiert wird, geht es um a) dauerhafte Optimierung b) des gesunden Gehirns. Ob unser Gehirn evolutionär für die heutigen Anforderungen optimiert ist oder nicht, tut nichts zur Sache, im Gegenteil, Hirndoping könnte man als subjektive Wahrnehmung der Tatsache interpretieren, dass dem nicht so ist. Daraus folgt aber nicht, dass man das pharmakologisch dauerhaft ausgleichen kann. Wie gesagt, ich kann da fachlich nicht wirklich mitreden.

      Dein letzter Satz: Dass die genannten Substanzen nicht nur stimulieren, sondern auch Gedächtnisleistungen verbessern oder die Stimmung aufhellen, kann man den Autoren nicht vorhalten, das ist ja das Konzept, ähnlich schon die Kolibri-Studie des Robert Koch-Instituts: Neuroenhancement sieht man auch dort gegeben, wo jemand z.B. seine Vortragsängste medikamentös durch Beta-Blocker kontrollieren will, oder seine Merkfähigkeiten verbessern will.

  6. #10 bruno
    29. April 2015

    …schöner Artikel.
    Aber warum darf denn der “Web-Bär” als “Internet-Nazi” immer und immer und immer wieder noch seinen Mist posten???

    Was für eine “Daseinsberechtigung” gibt es denn für “so einen” – weiterhin….???

    (…asche auf dein haupt, dass wir den gleichen namen teilen!!, problem-bär!!)

  7. #11 bruno
    29. April 2015

    …ich habe mal den “Betreiber” der “sci-blogs” befragt, was er zu einer solchen Einstellung – wie die des Herrn Webbär – beizutragen hat…. Herrn Schönstein.

    Ich lese: Ich nehme keine Drogen = alle anderen schon! Oder habe ich mich verlesen??

    Ich werde die Antwort des Hrn. Schönsteins gerne hier posten!

  8. #12 bruno
    29. April 2015

    konkret:
    Dr. W (der’s nicht nötig hat, ganz ernst gemeint, alle hier Mitlesenden sicherlich auch nicht, nicht ganz ernst gemeint)

    …nicht ganz ernst gemeint heisst: #ernst gemeint, dass alle alle, ausser Dr. Webbär, Drogen nehmen….
    Gehts noch??!?

  9. #13 bruno
    29. April 2015

    …ürbigens bin ich Dr. Dr. Fresenius Nottingham – falls ihr meine Reputation hinterfragen solltet!
    Und jetzt versucht mal “Dr.Dr. F. Nottingham” versus “Dr. Webbaer” zu googeln… (??!)

  10. #14 bruno
    29. April 2015

    bevor jmd. klagt: hier der satz des “dr. webaer”:
    Dr. W (der’s nicht nötig hat, ganz ernst gemeint, alle hier Mitlesenden sicherlich auch nicht, nicht ganz ernst gemeint)

    solch eine “Aussage” darf man nicht machen!! Weder im Spass (welcher bei dieser Aussage nicht zu erkennen ist) – noch im Ernst – auch der ist nicht als solcher zu erkennen!
    Dr. W´s Aussage muss folglich als (misanthropische) Einstellung gegenüber seiner (behinderten/ intelektuell benachteiligten Leserschaft) gelten – was offenbar seine eigentliche Einstellung widerspiegelt….

  11. #15 bruno
    29. April 2015

    …wir warten auf Herrn Schönsteins Analyse!
    Ist ja sein Mitarbeiter….

  12. #16 Trottelreiner
    29. April 2015

    @Bruno:
    Was auch immer du nimmst, nimm weniger. Oder mehr. Natürlich in beiden Fällen nur nach Absprache mit dem entsprechenden Arzt… 😉

  13. #17 MartinB
    29. April 2015

    Also wenn ich solche Sätze lese
    ” Das Hirn sei in der Evolution in seinem Leistungsvermögen und dem Zusammenspiel seiner Funktionen schon optimiert.”
    dann gruselt’s mich aber mächtig.
    Erstens ist das Gehirn unter bestimmten evolutionären Bedingungen “opitimiert” worden, die nicht unbedingt mit denen im heutigen Berufsleben identisch sind (die Evidenz dafür, dass Cro-Magnon-Menschen längerfristige Bürotätigkeiten ausführten oder regelmäßig in geschäftlichen Meetings Präsentationen gehalten haben ist eher spärlich).
    Zweitens “optimiert” die Evolution allenfalls auf ein lokales Maximum hin, und auch nur so lange, wie der Fortpflanzungserfolg beeinflusst wird.
    Und drittens könnte man mit demselben “Argument” belegen, dass auch Doping im Sport nicht funktioniert, denn unser Muskel-Skelett-Apparat ist ja auch von der Natur “optimiert”.

    • #18 Joseph Kuhn
      29. April 2015

      Zur Optimierungsthese: siehe Kommentar #9. Dass das Gehirn vielleicht auf andere Herausforderungen als den Büroalltag optimiert ist, mag richtig sein (ob es überhaupt auf derart konkrete Lebensbedingungen wie Savanne oder Büro hin optimiert ist, wäre allerdings auch belegbedürftig – spezifischer scheint mir für das menschliche Hirn eine enorme Plastizität bzw. Weltoffenheit zu sein), tut aber eben hier nichts zur Sache. Wie weit das Argument mit dem Doping im Sport trägt, weiß ich nicht, ich bin kein Biologe, es ist eine Analogie, die kann passen, passt aber vielleicht auch nicht. Logisch folgt aus dem Doping im Sport für Hirndoping erst einmal nichts. Soweit ich sehe, scheint aber auch Doping im Sport nicht dauerhaft ohne gesundheitliche Folgen an anderer Stelle möglich zu sein.

  14. #19 Dr. Webbaer
    29. April 2015

    Bruno scheint jedenfalls noch nicht zerebral optimiert,
    MFG
    Dr. W (der sich MartinB anschließt, fast ganz ähnlich angemerkt hätte)

  15. #20 Dr. Webbaer
    29. April 2015

    Logisch folgt aus dem Doping im Sport für Hirndoping erst einmal nichts.

    In sogenannten Denksportarten ist Doping ein Thema, beispielsweise ist es klar, dass im Poker gedopt wird, im Online-Poker, wo es um viel Geld gehen kann, ist an Tests zudem kaum zu denken.
    In der Wirtschaft, insbesondere auch im IT-Bereich könnte Doping gang und gäbe sein, wobei <em<hier auch an so etwas wie Panzerschokolade gedacht wird oder das “Näschen” zwischendurch.
    Erkennen tut man die User idR schon (“chemischer” Geruch) oder vermutet dementsprechend zumindest (bspw. wenn nächtliche Anrufe erfolgen, wenn einer wieder nachts durcharbeitet und Verbesserungsvorschläge meldet).

    MFG
    Dr. W

  16. #21 Dr. Webbaer
    29. April 2015

    * wobei hier auch

  17. #22 Dr. Webbaer
    29. April 2015

    @ T-Reiner (vs. ‘Kristallreiner‘, netter bundesdeutscher Film btw)

    Fünftens steigern die meisten der entsprechenden Substanzen ja nicht die Intelligenz, sie verbessern nur eventuell die Konzentrationsfähigkeit, das Gedächtnis etc. (…)

    Also die “Intelligenz”. [1]

    Viele werden im einschlägigen Gebrauch, wie angemerkt, i.p.Konzentrationsfähigkeit und längere Sitzungen meinend, besser, andere entwickeln durch Dope erst besonderes Vorstellungsvermögen.

    MFG
    Dr. W

    [1]
    Die Intelligenz, vs. Klugheit, Weisheit, Verständigkeit und was es da sonst noch alles gibt, ist ein Konzept des letzten Jahrhunderts um kognitive Leistung definitorisch und zahlenmäßig messbar zu machen.
    Was die Intelligenz letztlich meint, ist unklar, vermutlich die Fähigkeit sogenannte Intelligenztests möglichst hochleistend zu bestehen.

  18. #23 Trottelreiner
    29. April 2015

    @Webbaer:
    Schwer zu sagen, das hängt eben auch von der Intelligenzdefinition ab.

    Den ADHS-Fall, den ich am besten kenne(eher Hansguck-In-Die-Luft als Zappelphillip, BTW), scheint bei Intellenztests ohne und mit Methylphenidatmedikation nicht signifikant unterschiedlich abzuschneiden. Irgendwo in den oberen 2% der Bevölkerung, AFAIR BTW. Durch das längere Durchhaltevermögen und die bessere Konzentrationsfähigkeit dürften sich schon gewisse Unterschiede bei der Leistungsfähigkeit ergeben, die bei anderen Probanden vielleicht stärker auf das Ergebnis einwirken, aber eben wohl nicht in diesem Fall, und eigentlich will man diesen Einfluß auch minimieren, da IQ-Tests z.B. einen mutmaßlichen Faktor g und nicht die Konzentrationsfähigkeit messen sollen.

    Wobei der Test ohne Medikation auch schlechter hätte ausfallen können, wenn der Prüfende ihm weiterhin die Fragen vorgelesen hätte (“Können sie die Frage bitte wiederholen?”) und ihm nicht die Fragen “auf Papier” vorgelegt hätte.

    Bei eher auf die Konzentrationsfähigkeit zielenden Tests wie
    z.B. dem d2 dürfte das anders aussehen, aber den habe, äh, hat er seit seinem TMS nicht mehr gemacht. Der d2 war BTW grottig, TMS insgesamt wieder überm Durchschnitt.

    Um mal die unsägliche Computermetapher zu verwenden, in die Leistungsfähigkeit eines solchen geht ja nicht nur der Arbeitsspeicher, sondern auch die Taktrate, die Anzahl der Prozessoren und die Grafikkarte mit ein, und je nach Aufgabe sind verschiedene dieser Komponenten wichtig. Und bei den IQ-Tests scheint es eher um die Taktrate (d.h. Geschwindigkeit, mit der richtige Zusammenhänge erkannt werden) und eventuell die Grafikkarte (räumliches Vorstellungsvermögen) zu gehen, da ist der Arbeitsspeicher nicht so wichtig. 😉

  19. #24 Trottelreiner
    29. April 2015

    Nachtrag(auf dem weg zur Arbeit):
    Wobei ich eh vermute, daß die gemessene Intelligenz, Aufmerksamkeit etc. eher die Klicki-Bunti-Benutzeroberfläche als die wirklichen Computerdienste sind, das Kleinhirn eines motorisch halbwegs kompetenten Minderbegabten führt bei jeder Bewegung Berechnungen durch, die unsere “bewußte” Intelligenz oder Computer ins Schwitzen bringen würden.

    Für Kryptofreudianer: Das ist das Vorbewußte, nicht das immer noch unbewiesene “Unbewußte”.

    https://en.wikipedia.org/wiki/Blindsight_(disambiguation)

  20. #25 Joseph Kuhn
    30. April 2015

    Noch ein Gedanke zum Optimierungsthema: Es gibt natürlich “Fehlanpassungen”, z.B. ist unser Bewegungsapparat an ein mobileres Dasein als das Sitzen im Büro angepasst, ebenso wie die komplexe, über viele Systeme gehende Neigung zum Anlegen von Fettreserven nicht für ein Leben im Nahrungsreichtum optimiert ist oder unsere Augen nicht für das Autofahren bei Regen in der Nacht. Konrad Lorenz meinte seinerzeit sogar, unser Aggressionsverhalten sei aus der Steinzeit, aber das ist vermutlich nur eine biologistische Hypostasierung sozialer Rahmenbedingungen. Wie auch immer: Auch solche evolutionären Relikte, dass wir zuviel sitzen (“zuviel” im Hinblick auf unsere evolutionäre Anpassung) oder Bauchspeck anlegen, lassen sich nicht einfach pharmakologisch nachjustieren, zumindest nicht mit heutigen Mitteln. Im Hinblick auf das Hirndoping sind das natürlich auch erst einmal nur Analogien, deren Relevanz für das Thema Hirndoping im Einzelfall genauer zu prüfen wäre. Aber dazu mögen sich kompetentere Geister äußern, das ist nicht mein Fach.

  21. #26 Krabbenhueter
    30. April 2015

    Da gibts grad ein ganzes Sonderheft von einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift zu diesem und ähnlichen Themen. Darf man das hier erwähnen?

  22. #27 Dr. Webbaer
    30. April 2015

    @ Krabbenhueter :
    Es soll sogar hier erwähnt werden.

    @ Dr. Kuhn :
    Konrad Lorenz war zumindest ein interessanter Denker, btw: auch das Glücksgefühl kann (neben dem Kognitiven und dem Körperlichen) “optimiert” werden.

    MFG
    Dr. W

  23. #28 Krabbenhueter
    30. April 2015

    Gut, also:

    “Bild der Wissenschaft , Themenheft Power fürs Hirn, Was Stimulanzien wirklich leisten”

    Zum Beispiel: Hoffnungen und Risiko, Wer dopt und warum, Wo die Hirndopingmittel wirken, Militärische Interessen, Gedächtnisspillen für Gesunde usw…

  24. #29 Joseph Kuhn
    30. April 2015

    @ Krabbenhueter:

    Danke für den Hinweis. Das Sonderheft findet man hier: https://www.wissenschaft.de/Sonderhefte
    (“Bild der Wissenschaft” und scienceblogs.de gehören übrigens zur gleichen Medienholding).

    Gibt es im Heft interessante Infos für die Debatte hier, z.B zur Optimierungsthese?

  25. #30 Krabbenhueter
    1. Mai 2015

    “Wir beginnen gerade erst diese komplexen Zusammenhänge zu verstehen – bei Mäusen wohlgemerkt”…
    das ist so die Tendenz. Und oft gibt es mehr Spekulationen als gesicherte Erkenntnisse, Studien sind mit zu kleinen Gruppen erstellt, so dass sich jede beteiligte Partei ihre passende aussuchen kann. Aber es steht eben auch die Frage, ob man alles machen sollte, wenn es möglich ist. Und es ist eben zum Teil auch ein Glück, dass bestimmte “Wundermittel” nicht wirksam sind, weil wir uns sonst ethisch entscheiden müssten, wie wir damit umgehen sollten. Wir sollten uns jetzt langsam mit dieser Frage beschäftigen, weil es irgendwann zufällig geschenen könnte, das jemand etwas erfindet, was doch wirkt. Und dann müssen auch die Nebenwirkung im entsprechenden Verhältniss zum “Nutzen” gesetzt werden.

  26. #31 Joseph Kuhn
    1. Mai 2015

    @ Krabbenhueter:

    Danke. Wenn wir die Zusammenhänge bei den Mäusen verstanden haben und die Mäuse durch Hirndoping so weit haben, dass sie Gedichte schreiben und Kernspintomographen bauen, müssen wir uns über die Folgen in der Tat ernsthaft Gedanken machen.

  27. #32 Dalek Sander
    6. Mai 2015

    @ Joseph Kuhn: “Methylphenidat, Modafinil, Antidementiva, Antidepressiva und Betablocker”

    -> Methylphenidat:
    Wirkt in therapeutischen Dosen nur bei Leuten mit ADH(S) und auch da erstens nicht bei allen, zweitens alles andere als leistungssteigernd, sondern eher ausgleichend. Das ist die bekannte paradoxe Wirkung. Bei “Neurotypischen” hingegen wirkt eine übliche Dosis (10 bis 40 mg) meistens gar nicht. Da müsste man _vermutlich_ kräftig überdosieren. Bei Preisen von circa 90 Euro (Apotheke / Privatrezept) pro 50er Packung nicht gerade wirtschaftlich.

    Als selbst ADHS-Betroffener maße ich mir an, in etwa zu wissen, wovon ich hier rede. Für mich und meine Leidensgenossen ist MPH ein Segen. Um so blöder die Hetzjagd, die seit einiger Zeit auf das “Ritalin” in den Medien (meist ohne Ahnung, aber mit großer Klappe) getrieben wird – aber das wird offtopic.

    -> Antidepressiva:
    Selbiges in Grün. Nix mit Stimmungsaufhellung. Keine Glückspillen. Wer keine Depression hat, bekommt von den Antidepressiva die geballte Ladung an Nebenwirkungen – sonst nix. Ähnlich wie Methylphenidat versuchen diese Medikamente nur das in Ordnung zu bringen, was biochemisch in den Nervenleitungen schief läuft. Quasi Schlaglöcher auffüllen. Gibt es aber keine Schlaglöcher und wird dennoch Füllmaterial drauf gekippt, entstehen Dellen. Das kann unangenehm (Impotenz, Anorgasmie, Gewichtszuname, Mundtrockenheit, Tachykardie) bis lebensgefährlich werden.

    -> Mondafinil & Co.:
    Gab’s auch schon immer, Captagon, Kattovit und wie die alle hießen. Mal wirken sie, mal nicht, meistens bringen sie aber dann auch nix, wenn sie wirken – außer aufgekratztem Gefühl wie nach einem Becher (!) Espresso auf leeren Magen.

    -> Antidementiva / Nootropika:
    Die schaden ja wenigstens nicht.

    Viele Grüße
    Dalek

  28. #33 Dalek Sander
    6. Mai 2015

    P.S. Im Übrigen kann ich (einzelerfahrung, ich weiß) dem Beitrag #24 von Trottelteiner beipflichten: Bei mir fielen Intelligenztests während der Diagnostik (als Erwachsener) und während der MPH-Medikation praktisch identisch aus, mit normaler Streuung der Abweichungen, und ja, nach wie vor vergleichsweise hoch. (Letzteres ist ja nicht mein Verdienst…)

  29. #34 Trottelreiner
    6. Mai 2015

    @Dalek Sander:
    Naja, Methylphenidat und andere Psychostimulantien wirken nicht nur bei Leuten mit ADHS, fast hätte ich leider geschrieben. Wobei man wohl zwischen der der konzentrationssteigernden Wirkung (eher bei geringeren Dosierungen) und der wachmachenden Wirkungen (recht variabel, aber tendenziell eher bei höheren Dosierungen, geringe Dosierungen helfen bei einigen Hypies sogar beim Einschlafen) unterscheiden müßte. Letztere sind wohl mehr oder weniger universell.

    Bei der konzentrationssteigernden Wirkung gibt es wohl gewisse Unterschiede, allgemein soll gelten, Personen mit schlechten Fähigkeiten erfahren eine starke Verbesserung, solche mit etwas besseren Fähigkeiten eine etwas geringere, und bei Personen, die sich sehr gut konzentrieren können kann es sogar zu einer Verschlechterung kommen. Was eventuell auch mit dem Yerkes-Dodson-Gesetz zusammenhängen könnte, nach es eine optimale Erregung für bestimmte Tätigkeiten gibt. Evolutionär könnte man das BTW damit erklären, daß es eine Leistungsreserve für Notfälle gibt oder Personen anregende Situationen suchen.

    BTW sind die 90 Euro wohl eine der retardierten Formen, bei unretardierten waren es eher um die 35 Euronen für eine 100er-Packung 10mg-Tabletten, oder?

    Zu Antidepressiva, die scheinen auch bei Gesunden eine gewisse Wirkung zu haben, AFAIR (bin gerade wieder auf dem Weg zu Arbeit[1], Literaturangabe später) wäre das ein vermindertes Empfinden “negativer” Emotionen. Ansonsten wird die orgasmusverzögernde Wirkung hin und wieder bei vorzeitigem Erguss verwendet.

    Modafinil ist schon etwas Neueres, wenn der Wirkstoff auch schon ein paar Jahrzehntchen auf dem Buckel hat. Problematisch finde ich, daß wir immer noch keine genauen Infos über den Wirkungsmechanismus haben, das Zeug bindet an etliche biomolekulare Ziele im unteren millimolaren Bereich oder knapp darunter, aber welches genaus jetzt die Wirkung bedingt, keine Ahnung. Eine “nichtamphetamin-(oder kokain/MPh[2]-)ähnliche” Psychostimulanz.

    Bei Antidementiva wäre ich BTW durchaus vorsichtig. Wobei meine Meinung dazu auch ein bißchen davon geprägt ist, daß DER Durchbruch bei Alzheimer immer noch auf sich warten läßt und die Wirkung eher bescheiden ist. Äh, bei Demenzpatienten, zu “Gesunden” habe ich keine Daten.

    Als Wirkstoffe fallen mir die Racetame, Memantin und Tacrin, Donezipil & Co ein.

    Bei den Racetamen gäbe es z.B. Piracetam, auf das einige befreundete Ärzte an unserem Urlaubsort schwören, andererseits Levotiracetam, mit dem ein bekannter nach einer Epilepsiediagnose Bekannschaft machen “durfte”. Studienlage ist etwas druchwachsen, bei eingen scheint es zu helfen, bei anderen scheint es eher zu einer Verschlechterung zu führen, und ein diskutierter Mechanismus ist eine verstärkte Wirkung von EAAs, wobei das eben die Frage der Excitotoxizität aufwirft. Wobei BTW Lernleistung und Risiko bei Verletzungen im Nervensystem wieder zwei konträr wirkende Selektionsfaktoren sein könnten, soviel zur “evolutionären Optimierung”.

    Memantin wird bei Alzheimer etc. eingesetzt und soll eigentlich genau anders herum wirken, d.h. es blokiert einen bestimmten Rezeptor für EAAs, nämlich den NMDA-Rezeptor. Soll die Exzitotoxizitär, also das Absterben von Nervenzellen durch zuviel Glutamat verhindern. Nur sterben die auch nach zuwenig Glutamat ab. Und dann ist der Wirkungsmechanismus eher von einer bestimmten Gruppe von Halluzinogenen bekannt.

    Tacrin, Donezipil & Co. schließlich hemmen reversibel den Abbau von Acetylcholin. Bessert das Gedächtnis. Wenn man eine Atropin-, Skopolamin- oder BZ-Vergiftung hat. In anderen Fällen, naja, bei Alzheimer war die Wirkung AFAIR eher durchwachsen. Zu negativen Wirkungen, naja, irreversible Hemmung des Abbaus von Acetylcholin wäre die Wirkung von Sarin, VX et al. Und ein z.B. in der Chirurgie eingesetzter Vertreter der Gruppe, Physostigmin, ist bekannt dafür, daß er bei bestimmten Personen (z.B. Borderlinern) zu einer akuten “Depression” führen kann; die Ausrufezeichen, weil es da wohl gewisse Unterschiede zu anderen Formen der Depression gibt.

    BTW habe ich Gingko et al. vergessen, aber die sind AFAIR nicht verschreibungspflichtig.

    Gerade im letzten Fall wird übrigens auch klar, daß es nicht unbedingt auf tatsächliche Wirksamkeit ankommt. Die Konsumenten denken, die Substanz wirkt, also wird sie genommen. Zur tatsächlichen Wirksamkeit, wie schon angemerkt halte ich das Argument, unser Hirn sei schon optimiert für nicht unbedingt stichhaltig. Auch wenn ich es selbst mal in einer dieser “Wir nutzen nur 10%”-Diskussionen verwendet habe, mea occulpa. Bei der Evolution desselben spielte eben nicht nur die intellektuelle Leistungsfähigkeit, sondern auch der Energiebedarf, das Risiko bei Verletzungen und ganz allgemein das Verhalten eine Rolle. Große Verbesserungen erwarte ich trotzdem nicht, eher leichtes “tuning”.

    Ach ja, warum ich meinen Nick aus diesem Buch gewählt habe sollte jetzt auch etwas klarer sein. 😉

    BTW DAMALS(tm) zusammen mit “Opium. Eine Kulturgeschichte” von diesem Herren als Urlaubslektüre besorgt. Evolutionär gesehen, hm, beim Lesen ist das Anspechen potentieller Sexualpartner eher schwierig, andererseits scheint ein gewisses Wissen schon sexy zu sein, ob jetzt unbedingt das hier Angesprochene und in welchen Fällen…

    [1] Hell Desk in der Telekommunikation, “Sie strahlen so eine engelsgleiche Ruhe aus.”, wenn die wüßten…

    [2] Also die Wiederaufnahme von Dopamin/Noradrenalin hemmend, der Wirkungsmechanismus von Kokain oder Methylphenidat. Im Gegensatz zu diese auch aktiv freisetzenden Amphetaminen.

  30. #35 Freddy
    München
    7. Mai 2015

    @ Dalek Sander:

    So einfach wie mit den Schlaglöchern funktioniert in der Psychopharmakologie gar nichts. Die meisten Mittel haben ein breites und individuell sehr unterschiedliches Wirkungsspektrum. Stimme aber zu, dass sich viele Hirndoper wohl über die Effekte der Mittel nicht im Klaren sind.

  31. #36 Dr. Webbaer
    7. Mai 2015

    Bei mir fielen Intelligenztests während der Diagnostik (als Erwachsener) und während der MPH-Medikation praktisch identisch aus, mit normaler Streuung der Abweichungen, und ja, nach wie vor vergleichsweise hoch.

    Auf jeden Fall: Glückwunsch!

    Neben dem gut platzierten kleinen Brag ist vielleicht noch anzumerken, dass dort, wo “Gehirndoping” ein Thema ist, zwei Sachen herausgestellt werden: 1.) die Konzentrationsfähigkeit kann wesentlich länger auf hohem Niveau gehalten werden als üblich, so nach 4-6 Stunden konzentrierter Arbeit lässt wohl bei jedem die Leistung nach 2.) die Phantasie wird angeregt, nicht unwichtig, vielen mangelt es hier.

    MFG
    Dr. W (der natürlich nicht im beschriebenen Sinne “nutzt”, aber mit welchen zu tun hatte – btw: Herr Dr. Kuhn hat neben den nachteiligen Folgen auch gleich in der Überschrift angemerkt, dass “auf Dauer” die Wirkung wohl nicht zu halten ist)

  32. #37 Trottelreiner
    8. Mai 2015

    @Freddy:
    Nicht nur in der Psychopharmakologie; insgesamt gibt es ja in der Pharmakologie das Motto “Keine Wirkung ohne Nebenwirkung”.

    Wobei diese bei niedrig dosierten Psychostimulantien eher gering sind, zur Langzeitwirkung würde ich diverse Indiostämme in Südamerika untersuchen, Kokain ist allerdings eine etwas toxischere Angelegenheit als Methylphenidat (Affinität zu den Transportproteinen ist geringer, dafür gibt es eine ordentliche das Herz angreifende lokalanästhetische Wirkung). Bei höheren Dosen und nichtoraler Anwendung sieht das natürlich anders aus.

    Ansonsten ist gerade in dem Bereich Psychopharmaka auch sehr viel von Person zu Person verschieden; ich kenne einen Schizophrenen, der mit Amisulprid sehr zufrieden war. Eine Freundin mit PTSD hingegen hatte auf demselben Medikament heftige extrapyrimidale Nebenwirkungen.

    Ach ja, @ Webbaer, mein, ähm, Kontakt meint das die konzentrationsfördernde Wirkung von Psychostimulantien bei Schlafmangel und Hunger sehr schnell nachläßt, eventuell wird der Schlafbedarf etwas erhöht, wenn man das als Nebenwirkung sieht. Ansonsten sind Konzentrationsfähigkeit und Kreativität ein schwieriges Kapitel, eine gewisse Ablenkbarkeit und lockere Assoziation ist bei Letzterer eventuell von Vorteil, zuviel hindert aber bei der Ausführung. Ebenso kann eine gewisse “Betriebsblindheit” die Kreativität stören.

  33. #38 Claus Bertow
    8. Mai 2015

    Die beste Form des “Hirndopings” wäre die genetische Optimierung. Denn Intelligenz ist zu mindestens 70% genetisch bedingt. Wenn wir also eine Welt möchten, in der Chancengleichheit mehr ist als eine Worthülse, dann sollten wir dafür soregn, dass in Zukunft alle Kinder mit den genetischen Grundlagen einer hohen Intelligenz ausgestattet werden.

    Stattdessen überlassen wir die wichtigste Determinante im Leben eines Menschen dem blinden Zufall. Mit dem Ergebnis, dass Millionen zu einem stumpfsinnigen und tristen Leben verurteilt werden. Aber wir brauchen sie ja für den Niedriglohnsektor… Echte Chancengleichheit ist in unserem System gar nicht erwünscht, und das ist vermutlich der Hauptgrund, weshalb das Denken in Richtung liberale Eugenik immer noch tabuisiert wird.

    Methylphenidat kann ich übrigens durchaus empfehlen. Die Substanz ist natürlich keine Intelligenzpille. Sie hilft lediglich , das vorhandene Potenzial besser zu nutzen. In dieser Funktion ist sie allerdings phänomenal. Unter dem Einfluss von MPH hat sich meine Lesegeschwindigkeit um etwa 30% erhöht, und Lernphasen von 10 Stunden waren ohne Anstrengung möglich. Angesichts der geringen Nebenwirkungen und des gewaltigen Nutzens bin ich für eine kontrollierte Freigabe von MPH.

    • #39 Joseph Kuhn
      8. Mai 2015

      @ Bertow:

      Sie sollten weniger Pillen nehmen, langsamer lesen und vor allem das Richtige.

  34. #40 Trottelreiner
    8. Mai 2015

    @Joseph Kuhn:
    Naja, das Übersprungs- oder Skipping-Syndrom (schnelles Arbeiten, viele Fehler) kommt mir aber irgendwie bekannt vor…

    Wobei man Ableisten nicht mit Ableismus entgegentreten sollte.

    Ansonsten wäre die These “70% der Intelligenz sind genetisch” eine eigene Diskussion.

    • #41 Joseph Kuhn
      8. Mai 2015

      “Naja, das Übersprungs- oder Skipping-Syndrom (schnelles Arbeiten, viele Fehler) kommt mir aber irgendwie bekannt vor…”

      Mir auch. Ausschlafen hilft manchmal. Geht aber im Büro selbst im Beamtendasein nicht immer. 😉

  35. #42 Claus Bertow
    8. Mai 2015

    @Joseph Kuhn: Das nenne ich eine gehaltvolle Erwiderung.

    • #43 Joseph Kuhn
      8. Mai 2015

      “Das nenne ich eine gehaltvolle Erwiderung.”

      Ich spare mir mal die naheliegende Replik. Versuchen wir es gehaltvoll. Nehmen Sie Methylphenidat aufgrund einer medizinischen Indikation? Oder zum “Hirndoping”? Falls Letzeres: Es wäre interessant, wenn Sie etwas mehr über Ihre Beweggründe erzählen würden. Sie werden es dann ja vermutlich nicht primär deswegen nehmen, nur um schneller zu lesen. Stehen Sie z.B. in einer Prüfungssituation (Sie sprechen von “Lernphasen”)? Machen Ihre Kollegen (Kommilitonen?) das auch? Sprechen Sie miteinander darüber? Sind Sie wirklich ganz ungebrochen dafür, oder meinen Sie, Lernen könnte eigentlich schon auch anders gehen? Interessiert Sie, was Sie da lesen und lernen, oder ist das nur “Pflicht”, Reinbimsen dann wieder vergessen?

  36. #44 Dr. Webbaer
    9. Mai 2015

    @ Herr Bertow :

    (…) dann sollten wir dafür sor[ge]n, dass in Zukunft alle Kinder mit den genetischen Grundlagen einer hohen Intelligenz ausgestattet werden. [Hervorhebung: Dr. Webbaer]

    Echte Chancengleichheit ist in unserem System gar nicht erwünscht, und das ist vermutlich der Hauptgrund, weshalb das Denken in Richtung liberale Eugenik immer noch tabuisiert wird.

    Zum Glück ist “echte” oder vielleicht einmal boshaft genannt: “kulturrevolutionäre Chancengerechtigkeit” bisher nicht gewünscht.

    MFG
    Dr. W

  37. #45 zimtspinne
    10. April 2016

    Aus aktuellem Anlass möchte ich hier mal hinzufügen (finde den Beitrag sehr gut), dass die viel zu leichtfüßige Verschreibung und Einnahme von Psychopharmaka nur die eine und die immerhin schon halbwegs bekannte Seite der Medaille ist.

    Die andere und völlig unterschätzte Medaille sind die Probleme, auch in Form echter Spätfolgen und irreversiblen Nachwirkungen, die mit dem Absetzen diverser Psychopharmaka einhergehen.

    Kaum ein Patient wird zuvor richtig aufgeklärt, oftmals werden einzelne Medikamente “kalt” abgesetzt und einfach andere angesetzt, wegen Nichtwirksamkeit, Nebenwirkungen, Unverträglichkeit usw.

    Absolut fatal! Es muss den Menschen bewusst gemacht werden, dass die allermeisten Medikamente aus dieser Gruppe nicht abrupt abgesetzt werden dürfen sondern langsam ausgeschlichen werden sollten, teilweise auch schon nach Kurzzeiteinnahme. Je nach individueller Bedürftigkeit.