Gerade ist die Verteidigungsministerin, Frau v.d.Leyen, wegen zumindest unsauberem Umgang mit Quellen in ihrer Dissertation Gegenstand wortspielreicher Kommentare in den Medien. Komisch, nach dem plagiatsbedingten Rücktritt des Freiherrn v.u.z. Guttenberg musste eigentlich den Eingeweihten, vor allem Frau v.d.Leyen, klar sein, dass da eine Bombe tickt, auch wenn die Fälle wohl nicht gleich schwer wiegen.

Nun gut, ob die Arbeit noch als Dissertation durchgeht, weil nur schlampig mit Quellen umgegangen wurde, der Rest aber als medizinerübliche Dissertationsleistung gelten kann, prüft die Medizinische Hochschule Hannover, das bleibt abzuwarten. Mit normalen Maßstäben sind viele medizinische Doktorarbeiten bekanntlich nicht zu messen und es gibt auch andernorts absonderliche akademische Leistungen.

Heute habe ich allerdings in der WELT einen derart abstrusen Kommentar gelesen, verfasst von Alan Posener, dass mir Frau v.d.Leyen fast schon wieder leid tut. Solche Verteidiger hat sie nicht verdient. Herr Posener schreibt Sätze, wie sie keine noch so böse Satire hätte besser bringen können:

„Bei Betrachtung der Vroni-Plag-Analyse fällt auf, dass über die Hälfte der Seiten keine einzige ‚Fremdtextübernahme‘ aufweisen.“ Müsste übrigens „aufweist“ heißen. Eine überzeugende Argumentation. Der Räuber hat an der Hälfte der Wochentage keine Banken überfallen, ein Ehrenmann gewiss.

Weiter: „Dass man bei der Darstellung bisheriger Forschungsergebnisse die Arbeiten von Kollegen mehr oder weniger wortgetreu paraphrasiert, dürfte dagegen Prof. Mesrogli [der Betreuer der Arbeit, JK] weniger interessiert haben.“ Mag sein, aber es hätte ihn interessieren müssen, auf korrektes Zitieren zu achten, gehört zur Betreuung. Und wie bitte paraphrasiert man eigentlich „wortgetreu“?

Am besten hat mir aber dieser Satz gefallen: „Über fragwürdige Dissertationen sind ja schon zwei Merkel-Minister gestolpert. Muss das sein? Politiker sollen ja nicht Wissenschaft, sondern Politik machen können, wozu das Lügen und Blenden nun einmal gehören, etwa das Vortragen von Reden, die andere Leute geschrieben haben.“ Das darf man zweimal, dreimal lesen. Was mit dem Nachplappern von Merkels Bemerkung über Herrn v.u.z. Guttenberg beginnt, sie habe doch keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt, endet in der völligen gedanklichen Verwesung. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer (Goya).

Historisch freizügig stellt Herr Posener dann noch fest: „In der frühen Bundesrepublik löste der Doktortitel Schmiss und Säuferleber als Nachweis der Zugehörigkeit zur Elite ab.“ Mein Gott, an wen hat er da wohl gedacht? Hermann Göring hatte meines Wissens keinen Schmiss. Und keinen Doktortitel. Und schließlich folgt der finale gute Rat: „Möchtegernpolitikern kann man nur raten, die Finger von der akademischen Arbeit zu lassen.“ Aha. Man könnte ihnen natürlich auch raten, die akademische Arbeit einfach halbwegs ordentlich zu machen, die meisten könnten es ja und Meisterwerke werden nicht verlangt. Ob es bei Frau v.d.Leyen halbwegs reicht, wird man, wie gesagt, sehen.

Nach diesem Kommentar möchte man Herrn Posener, gewissermaßen mit einem Franz Josef Strauß-Plagiat, doch zu gerne fragen: Sagen Sie mal, haben Sie überhaupt das Abitur?

—————
Nachtrag 4.10.2015:
Gestern hat mich ein aufmerksamer Leser darauf hingewiesen, dass ich Herrn Posener im vierten Absatz Unrecht getan hätte: Man könne den Satz mit der Hälfte der Seiten auch mit dem Verb in der Mehrzahl schreiben. Die im Deutschen geforderte Kongruenz von Subjekt und Verb lässt tatsächlich beides zu. So sei es.

Kommentare (36)

  1. #1 CM
    30. September 2015

    Dein Kommentar gefällt mir. Danke.

    Ich mag hinzufügen: “Politiker sollen ja nicht Wissenschaft, sondern Politik machen können, …” hört und sieht man ja häufiger. Ich erinnere mich jedenfalls an einen Schulkameraden, der bereits in der Grundschule von mir abschrieb (und diese Haltung meines Wissens nach bis zum Abitur nicht ablegte) und heute Arzt ist; an andere Schmalspurakademiker, die meinen Weg kreuzten und heute mehr oder weniger erfolgreich in der (Landes-)Politik sind. Mir ist gerade deswegen nicht wohl bei dem Gedanken, dass Scharlatanerie in der Politik nicht zu hinterfragen sein soll.

    Ja, nicht Alles ist Wissenschaft – Politik ganz sicher nicht. Das ist eine Binsenweisheit. Und nicht Alles, was nicht Wissenschaft ist, darf mit akadem. Dünkel beäugt werden. Doch unabhängig davon, können Fehlleistungen in der Wissenschaft dennoch beurteilt werden – im Zweifel in Hinblick auf die Eignung zu repräsentativen Ämtern.

  2. #2 BreitSide
    Beim Deich
    1. Oktober 2015

    Wie hatte doch ein herausragender Repräsentant einer Partei, die ja auch gaaanz sorgfältig ist bei Dissen, mal ganz öffentlichwirksam gesagt:

    “Wer betrügt, fliegt!”

    Ich frage mich, wo das Problem ist. Man MUSS doch keinen Dr. haben, um in der Politik zu reüssieren? Scheints muss man aber doch bei den SchwarzGelben, bei den RotGrünen offenbar nicht.

    In einem parallelen Fred über Dissen hat ein Forist schön zusammengestellt, dass 5 CDU-Bundeskanzler alle einen Dr. hatten, die 3 SPD-Kanzler alle nicht.

  3. #3 rolak
    1. Oktober 2015

    Posener hat das Thema völlig verfehlt – geht es doch um die Beurteilung der Doktorarbeit, nicht um die der politischen Tätigkeit – was meines Wissens nicht unbedingt identisch ist. Und doch schafft er es, diese grundsätzliche Nichtleistung mit weitergehenden Fehltritten noch wesentlich zu verschlimmern…

  4. #4 Orci
    1. Oktober 2015

    Ich find’s immer wieder interessant, wie gerade Leute, die sich darüber aufregen, wie schlecht unser Bildungssystem sei und wie wenig Wert z.B. der Bachelor keine Skrupel haben, für Leute eine Lanze zu brechen, die die Hälfte oder sogar deutlich mehr, ihrer Abschlussarbeit von irgendwoher zusammengeklaut haben. Na ja, gute Ideen sind ja auch irgendwie dazu da, dass man sie kopiert…

  5. #6 IO
    1. Oktober 2015

    @ Karl Mistelberger

    Danke für den Artikel.

    Die verlinkte Aussage halte ich für teils falsch, teils unnötig exkulpierend:

    Es ist Aufgabe der DoktorandIn dafür zu sorgen, dass alle Zitate, alle Übernahmen sauber als solche dargestellt werden.
    Als Betreuer würde ich zwar darauf energisch und wiederholt hinweisen, aber die Verantwortung liegt beim Verfasser der wissenschaftlichen Arbeit (sind ja erwachsene Leute), nicht beim Betreuer.

    Und ob Von der Leyen gute Absichten hatte oder nicht, darüber kann man kaum eine Aussage treffen. Die Vielzahl der Fundstellen und die Art der gravierenden Stellen, lässt auf “gute Absicht” nicht schließen: Wenn es “gute Absicht” war, hieße das, dass die betreffende Person von vornherein nicht die Eignung hatte, ein Dissertationsthema zu erarbeiten.

  6. #7 Dr. Webbaer
    1. Oktober 2015

    In der BRD ist es so, dass von praktizierenden Medizinern der Doktortitel erwartet wird, gerade auch von den Patienten, und dass deshalb die Promotion dort billig gestaltet wird, korrekt?
    (Das wäre dann wohl auch die Verteidigungslinie, die sich für Frau Dr. Von der Leyen anbietet: Ja, die Ärmchen waren zu kurz, aber die anderen tun’s ja auch!)

    Achja, Posener ist manchmal gut und manchmal ga-ar nicht gu-ut.

    MFG + danke für diese Nachricht,
    Dr. W

  7. #8 MartinB
    1. Oktober 2015

    @IO
    “die Verantwortung liegt beim Verfasser der wissenschaftlichen Arbeit ”
    Naja, eigentlich sollte der Betreuer die Arbeit durchfallen lassen, wenn sie mangelhaft ist.

    “Es ist Aufgabe der DoktorandIn dafür zu sorgen, dass alle Zitate, alle Übernahmen sauber als solche dargestellt werden.”
    Dazu muss es einem aber mal erklärt werden. Mir hat zu Promotionszeiten niemand gesagt, wie man richtig zitiert oder dass das irgendwie wichtig sei o.ä.
    Ich denke, es ist Studis gegenüber unfair, ihnen nicht zu sagen, wie es gehtm und sie dann hinterher über die Klinge springen zu lassen.

    • #9 IO
      1. Oktober 2015

      @ MartinB

      “… eigentlich sollte der Betreuer die Arbeit durchfallen lassen, wenn sie mangelhaft ist.”

      Ich finde es unfein, jemanden überhaupt zur Prüfung anzumelden/zuzulassen, der wahrscheinlich durchfallen wird. Man sollte besser dafür sorgen, dass solche Leute nicht erst zur Prüfung kommen und ihnenn ggf. Zeit geben die Geschichte zu bessern oder einzusehen, dass sie nicht dazu taugen.

      Ich schrieb:
      “Es ist Aufgabe der DoktorandIn dafür zu sorgen, dass alle Zitate, alle Übernahmen sauber als solche dargestellt werden.”

      MartinB:
      “Dazu muss es einem aber mal erklärt werden. Mir hat zu Promotionszeiten niemand gesagt, wie man richtig zitiert oder dass das irgendwie wichtig sei o.ä.
      Ich denke, es ist Studis gegenüber unfair, ihnen nicht zu sagen, wie es gehtm und sie dann hinterher über die Klinge springen zu lassen.”

      Das sehe ich anders:

      Wer eine Doktorarbeit beginnt, ist nicht mehr im Grundstudium. Es wird aber schon im Grundstudium darauf geachtet, dass man die Grundregeln des wissenschaftlichen Arbeitens kennt. Das beginnt z. B. mit Hinweisen in Einführungswochen, Tutorien und was es nicht alles gibt.

      Das kennt man doch zu Promotionszeiten, meine ich.

      Und dann sollte die StudentIn auch doch selbständig arbeiten (das hat auch Von der Leyen in ihrer Diss. ausdrücklich versichert!).
      Dazu gehört auch, dass man bereit ist, die äußerst geringe Recherche-Leistung zu erbringen, die Literatur zur Frage zu eruieren “Wie schreibe ich eine wissenschaftliche Arbeit”, bevor man sich dran macht oder spätestens wenn man beginnt.
      Man kann auch (“ältere”) Studienkolleginnen fragen, wenn man an dem deutschen falschen Respekt vor Titeln krankt und den Dozenten/Prof nicht fragen mag.
      Sicher gibt es nicht nur in der Medizin “Wie schreibe ich eine wissenschaftliche Arbeit im Fach Medizin” (Stefan Fark, 1997).

      Darüber hinaus enthalten gängige gedruckte Einführungen in das gewählte Studienfach häufig deutliche Hinweise auf Zitier-Regeln und auch auf Sanktionen! Gehört wohl dazu, dass man sich solche Facheinführungen beschafft – es sei denn, man hat kein Interesse am Studium.

      • #10 BreitSide
        Beim Deich
        1. Oktober 2015

        @IO: Bei uns gab es noch die bei den Vorstellungsbroschüren der Institute jeweils den Punkt “Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten”, was eigentlich Betreuung bei der Diss bedeutete (ein Kommilitone wollte diese “Vorlesung” im Grundstudium hören…).

        Von so einer Betreuung erwarte ich, dass sie den Doktoranden auch auf die möglichen Fallen einer Diss hinweist.

  8. #11 IO
    1. Oktober 2015

    “… die Verteidigungslinie, die sich für Frau Dr. Von der Leyen anbietet: Ja, die Ärmchen waren zu kurz, aber die anderen tun’s ja auch!”

    Wohl kaum. Die Devise “Die anderen lassen ja auch im Supermarkt manches Mal ein etwas mitgehen, also ist das ja nicht so schlimm” kann auch nicht ernsthaft als Verteidigungslinie erwogen werden.

    Die einzig glaubwürdig Verteidigungslinie wäre in etwa:

    “Ich habe Sch..ße gebaut, weil … (ich damals jung war [oder ähnliches]). Erklären kann ich mir es nicht mehr, und heute tut mir das ehrlich leid. Ich überlasse dem Promotionsausschuss der MHH oder einer anderen geeigneten Stelle das Urteil über die Konsequenzen und werde bis dahin den Dr. nicht mehr führen.”

    Mit dieser Flucht nach vorn, hätte sie sich ehrlich gezeigt, hätte der Wissenschaft einen Dienst erwiesen, und es würde sehr schwerfallen, ihren Rückritt vom Ministerposten zu fordern. So hat sie ihren Gegnern eine offene Flanke gegeben.

  9. #12 Dr. Webbaer
    1. Oktober 2015

    @ “IO” :

    Ihr Kommentatorenfreund wollte weiter oben mit der Schilderung der absehbaren Verteidigungsrede jener Dame nicht rechtfertigen.

    Sondern das zu Erwartende skizzieren.
    Ansonsten ist es schon ein Rechtsgrundsatz, das nicht beachtete Gesetze, nicht vollziehbare, nicht selektiv angewendet werden dürfen.
    Wir beachten in diesem Zusammenhang auch absehbarerweise festzustellende Missbräuchlichkeit Tausender anderer, von Hinz und Kunz sozusagen.
    Denn bundesdeutsch scheint es so (gewesen?) zu sein, dass im Medizinischen billig promoviert wird.

    Wir beachten auch diese Vermutung:
    -> https://www.spiegel.de/unispiegel/studium/ursula-von-der-leyen-koennte-laut-experten-doktortitel-verlieren-a-1055662.html (‘”Alle objektiven Kriterien” für einen Titelentzug seien erfüllt, sagen Wissenschaftler über die Plagiatsvorwürfe gegen Ursula von der Leyen. Laut Informationen des SPIEGEL will Kanzlerin Angela Merkel auch in diesem Fall an ihr festhalten.’)

    MFG
    Dr. W (der Frau Dr. Merkel jeden Tag ein wenig mehr kühner sieht)

    • #13 IO
      1. Oktober 2015

      Ob Merkel an vdL festhält oder nicht, ist mir recht egal. Die Politik interessiert mich bei diesen Fällen nicht groß.

      Ich finde nur, dass jemand der massiv täuscht, den falsch erworbenen akademischen Grad abgeben muss.

      • #14 BreitSide
        Beim Deich
        1. Oktober 2015

        @IO: Exakt. Es scheint nur bei den SchwarzGelben Voraussetzung zu sein, einen “Dr.” zu haben, wenn frau was werden will…

        Immerhin hat hier niemand auf die angebliche Laxheit bei den Zitierregeln in der Vergangenheit zurückgegriffen. Auch in den 70ern musste man schon korrekt zitieren. Und man wusste sogar, wie das geht… 🙂

  10. #15 MartinB
    1. Oktober 2015

    @IO
    “Ich finde es unfein, jemanden überhaupt zur Prüfung anzumelden/zuzulassen, der wahrscheinlich durchfallen wird.”
    Sehe ich bei einer Promotion/Abschlussarbeit auch so – bei anderen Prüfungen kennt man die Prüflinge nicht gut genug.

    “Es wird aber schon im Grundstudium darauf geachtet, dass man die Grundregeln des wissenschaftlichen Arbeitens kennt. Das beginnt z. B. mit Hinweisen in Einführungswochen, Tutorien und was es nicht alles gibt.”
    Das mag heute so sein, als ich studiert hatte, gab es zu diesem Thema genau nichts. Letztlich war es erst der Betreuer der Diplomarbeit, von dem man so etwas lernen konnte (oder Kommilitoninnen). Es gab da noch das Buch “How to get your Ph.D.”, das half auch weiter. Und na klar hat man andere gefragt, wie das geht, aber dass es einem wirklich offiziell erklärt worden wäre, war definitiv nicht der Fall.

    “Darüber hinaus enthalten gängige gedruckte Einführungen in das gewählte Studienfach häufig deutliche Hinweise auf Zitier-Regeln und auch auf Sanktionen!”
    Das mag heute so sein – war früher aber wie gesagt anders.

    Ich sage ja auch nicht, dass es vor 25 Jahren o.k. war, Texte ohne Quellenangabe abzuschreiben – aber z.B. in der Physik war es durchaus üblich zu sagen “die folgende Darstellung orientiert sich eng an [xx]” und dann ein paar Seiten leicht modifiziert zu kopieren. Heutzutage wär das vermutlich auch schon problematisch.

    Und generell war damals das Bewusstsein ein anderes. Heute ist es ja auch schon problematisch, die Abschlussarbeiten von Studierenden in der Forschung weiterzuverwenden, weil sie im Prinzip darauf geistiges Eigentum anmelden können. (In der Praxis kommen bei uns die Studis ggf. mit auf die Veröffentlichung, aber was passieren würde, wenn jemand sagt “Nein, das ist meine Arbeit, die dürft ihr nicht weiter verwenden” weiß ich nicht.)

    (Und bevor jetzt jemand meine Diss ) anguckt in der Hoffnung, mir was Böses ankreiden zu können – Pech gehabt, das Thema war so abseitig, da gab es nichts, was ich kopieren könnte. )

  11. #16 IO
    1. Oktober 2015

    @ MartinB

    Das mag nicht nur heute so sein. Die Zitierregeln galten in den 1980ern auch (und, glaubt man andern auch davor).
    Einführungswochen gab es. Ich weiß nicht mehr, ob man da auf sauberes wissenschaftliches Arbeiten super-ausdrücklich hingewiesen wurde. Aber da gab es Hinweise auf Literatur wie Poenicke “Wie verfasst man wissenschaftliche Arbeiten?” (im Duden-Verlag. Ich habe mir die aktuelle Ausgabe gekauft und dann später, ich glaube 1988 oder 89 auch noch die nächste Ausgabe (Duden Taschenbuch). Und ein fachspezifisches Taschenbuch erschien dann auch bald darauf, in dem auch alles dazu Nötige gesagt wurde.

    Und nein, das Bewusstsein war mindestens in den Humaniora auch vor 1990 ein anderes – soweit ich mich darin umgetan habe (ziemlich). Abschreiben, kopieren, selbst jedes paraphrasieren ohne korrekte Angabe und Kennzeichnung war absolut no-go.
    Ob es jemand doch gemacht hat, weiß ich nicht – wahrscheinlich kam das vor–, aber alle wussten, dass das nicht OK war, um es milde auszudrücken.
    Dass das in den MINT-Fächern anders gewesen sein soll, erstaunt mich.

  12. #17 Karl Mistelberger
    1. Oktober 2015

    > #6, 9, 11, 16 IO, 1. Oktober 2015
    > grummel, brummel, …

    Zu meiner Zeit las der Betreuer meine Arbeit durch und merkte einige missverständliche Abschnitte an. Diese korrigierte ich und die Arbeit ging an den Institutsdirektor. Der las die Zusammenfassung und kritisierte einige Aussagen. Diese revidierte ich und reichte die Arbeit am 3. Oktober (!) 1979 ein. Die mündliche Prüfung legte ich am 9. November (!) ab und gut war es.

    Nach der Lektüre von Vroniplag bin ich wie Ursula Gessner der Meinung, dass geschlampt wurde. Eine Betrugsabsicht ist aus der Arbeit von der Leyens nicht abzuleiten.

  13. #18 Joseph Kuhn
    1. Oktober 2015

    Die Zitierregeln gab es natürlich auch schon in den 1980er Jahren, aber aus vielen Studiengängen kommen die Absolventen auch heute noch mit praktischer keiner oder einer sehr dünnen Vorstellung davon, was wissenschaftliches Arbeiten ist. Wobei es in den Fächern auch auf unterschiedliche Sachen ankommt, richtiges Zitieren ist in der Physik sicher weniger relevant als in den Geisteswissenschaften, umgekehrt bei der Fehlerfortpflanzung.

    Was empirische Arbeiten in der Medizin angeht, sind die Ratschläge, die Frau Gresser in dem in Kommentar #5 verlinkten STERN-Artikel gibt, eine gute Basis. Wer das so macht, hat die gröbsten Fehler schon vermieden.

  14. #19 IO
    1. Oktober 2015

    @ Joseph Kuhn

    “richtiges Zitieren ist in der Physik sicher weniger relevant als in den Geisteswissenschaften, umgekehrt bei der Fehlerfortpflanzung”

    Verstehe nicht ganz, wie das gemeint ist.
    In den Humaniora ist das mindestens genauso relevant: Die Feststellung, wann z. B. eine Fehlzitierung erfolgte, ab wann sich dadurch bedingt in der Folgeliteratur eine vielleicht unrichtige Sicht auf einen Sachverhalt durchzusetzen begann, kann z. B. in der Geschichtswissenschaft zu den wichtigen Aufgaben gehören.

    • #20 Joseph Kuhn
      1. Oktober 2015

      Ja, eine Fehlzitierung oder dergleichen kann in der historischen Nachverfolgung ganz interessant sein. Aber die Abschätzung, wie sich Messunschärfen bei experimentell erhobenen Größen in einer damit gespeisten Formel auswirken, dürfte in den Geisteswissenschaften eher zur Ausnahme gehören.

      Poseners nicht ganz wortgetreue Paraphrasierung des Merkelspruchs ist übrigens wirklich eine Fehlzitierung. Dass Politiker lügen und betrügen sollen, hat Merkel sicher nicht gemeint.

  15. #21 Lercherl
    1. Oktober 2015

    @IO

    “Dass das in den MINT-Fächern anders gewesen sein soll, erstaunt mich.”

    In den MINT-Fächern geht es viel weniger um den Text als um die Sache. Dort gibt es oft ein genormtes Vokabular. Millionen Beweise beginnen mit “Sei epsilon > 0”. Kein Mensch kommt auf den Gedanken, “Wählen wir ein positive Zahl phi” zu schreiben, nur um eigene Formulierungen zu verwenden, das verwirrt nur die Leser (was ist phi – äh, er meint epsilon, warum sagt er das nicht gleich?).

    Eine Arbeit über die Synthese von halogenierten Ozapftisanen hat oft einen Einleitungsteil, was sind Ozapftisane, was haben die für Eigenschaften, Methoden der Synthese, wozu sind die gut usw. Da kräht auch kein Hahn danach, ob die Formulierungen originell sind oder nicht, da geht es nur darum, dass der Stand der Forschung korrekt wiedergegeben wird.

    Im Hauptteil werden dann die eigenen Arbeiten beschrieben. Zur Synthese von 2-Hydroxy-3,5,7,8-Tetrafluorozapftisan wurde … im 19F-NMR zeigte sich … Wenn bei der Beschreibung dieselben Formulierungen verwendet werden wie in der berühmten Arbeit über Ozapftisane von L. Thoma und K. Valentin ist das auch kein Plagiat, sondern ausgesprochen nützlich, das macht die Arbeiten leichter vergleichbar, und man kann das Besondere am 2-Hydroxy-3,5,7,8-Tetrafluorozapftisan gegenüber den bekannten Ozapftisanen herausstellen – die Leistung bei dieser Arbeit ist die Synthese einer neuen Verbindung mit allem was dazu gehört, nicht die schöne Prosa, in der das Ergebnis beschrieben wird.

    • #22 Joseph Kuhn
      1. Oktober 2015

      Eine Arbeit über versalzenes Oktoberfestbier sollte grundsätzlich nicht zugelassen werden ;-). Im Ernst: Auch die Prosa einer naturwissenschaftlichen Arbeit muss nicht wortgetreu abgeschrieben werden, Naturwissenschaftler sind nicht sprachbehindert.

      • #23 IO
        1. Oktober 2015

        @Joseph Kuhn

        “Ja, eine Fehlzitierung oder dergleichen kann in der historischen Nachverfolgung ganz interessant sein.”

        Es ist oft mehr als interessant. Es kann ausschlaggebend sein, einen historischen Sachverhalt, der nur noch in der fehlzitierten Version rezipiert, wieder richtig darzustellen oder wenigstens richtiger. Oder auch festzustellen, dass es eine bestimmte Sichtweise in der Geschichte gegeben hat, die aber durch das Fehlzitat gewissermaßen verschüttet wurde.

        ” die Abschätzung, wie sich Messunschärfen bei experimentell erhobenen Größen in einer damit gespeisten Formel auswirken, dürfte in den Geisteswissenschaften eher zur Ausnahme gehören.”
        Zur Ausnahme, ja. Es gibt allerdings durchaus interdisziplinäre Projekte, in denen Humaniora und MINT-Fächer zusammenwirken. Ich selbst arbeite in einem Bereich, in dem das nicht so selten der Fall ist.

  16. #24 IO
    1. Oktober 2015

    @ Lercherl

    “In den MINT-Fächern geht es viel weniger um den Text als um die Sache.”

    Schon klar, aber das heißt nicht, dass man nicht auch dort Dinge den Urhebern richtig zuordnen muss, und zwar erkennbar.
    Ob ich wörtlich zitiere, etwas paraphrasiere oder in einer Formel wiedergebe – sobald die Sache von jemandem anderen kommt, muss Roß und Reiter genannt werden.
    Sonst sieht es aus wie bei den Vronis, die absichtlich oder schlampig Dinge so darstellen, dass der Leser die Auffassung haben muss, es ginge um originäre Leistungen der Verfasser (bei der Menge ist Schlampigkeit eine Form der Täuschung).

  17. #25 Michel
    1. Oktober 2015

    Eine wissenschaftliche Arbeit, die zu 90% aus vorbildlich zitierten Passagen besteht, ist doch auch Mist. Ich erwarte mir schon neue Erkentnisse.

    • #26 IO
      1. Oktober 2015

      @Michel
      Neue Erkenntnisse, ja.

      Aber nicht, indem man fremdes geistiges Eigentum als Eigenes erscheinen lässt.

      Ich hoffe nicht, dass man auf Scienceblogs das auch noch weiter erklären muss.

  18. #27 MartinB
    2. Oktober 2015

    @IO
    Wie gesgat, in meinem Studium gab es nichts zum Thema, auch nicht in den Einführungswochen (die ich später dann selbst mit organisiert habe). Schön, wenn es bei dir anders war.

    Und ich denke, das lag zum guten teil daran, dass vollkommen klar und selbstverständlich war, dass man in der Diplomarbeit (und erst recht der Diss) eigenständige Forschung in enger Absprache mit der Betreuung machte – da gab es kaum Möglichkeiten, zu schummeln, es sei denn, man würde zufällig eine Veröffentlichung zum thema kennen, die genau das erforscht, was das Thema ist und die der Betreuer nicht kennt. (p<0.00001) Insofern ließ sich der Kern einer Arbeit kaum plagiieren. (Es mag auch Ausnahmen gegeben haben, aber die Arbeiten, die ich kenne, waren alle originell.)

    Und dass jemand im Grundlagen/Einführungsteil eventuell etwas zu wörtlich aus einer (natürlich genannten) Quelle zitiert (“orientiert sich eng an…”), wurde wohl auch eher als lässliche Sünde denn als Problem gesehen, weil es den Kern einer Arbeit nicht anficht, weil eh klar ist, dass das nicht vom Studi stammt (die Grundlagen sind ja allgemein bekannt und setzen nur die Szene und die Nomenklatur) und weil die Zahl der Möglichkeiten, z.B. ein Newton-Verfahren knapp zu beschreiben, auch begrenzt ist….

  19. #28 MartinB
    2. Oktober 2015

    PS: Gerade in einem grundlagenteil ist die Situation in der Physik vielleicht ähnlich wie in einem Lehrbuch – da findest du auch nicht für jede Formel oder jede Aussage eine Quellenangabe, weil allgemein bekanntes Wissen nur dargestellt wird.

  20. #29 strahlenbiologe
    2. Oktober 2015

    Ein Seminar/Einführung über korrektes zitieren gab es bei mir auch nicht, man hielt sich einfach an den Betreuer und andere Diss aus dem Labor. Meine Profs sagten auch ganz offen:” ich lese soweiso nur den Ergebnis- und Diskussionsteil”.
    Eine Diss soll zeigen, dass der Doktorand eine selbstständige wissenschaftliche Leistung erbracht hat. In den MINT-Fächern heisst das meist im Labor zu stehen, zu einen gegebenen oder selbst erdachtes Thema sich kluge Fragen zu überlegen, dazu pasende Methoden auszuwählen um diese Fragen zu beantworten und letzendlich Versuche dazu durchzuführen und diese auszuwerten! So wie ich das jetzt bei vroniplag gesehen habe sind die kritischen Stellen alle in der Einleitung. pfft. und? Der wissenschaftliche teil ist scheinbar OK. MMn also alles iO.

  21. #30 Joseph Kuhn
    2. Oktober 2015

    @ strahlenbiologe:

    Die Einleitung gehört zum “wissenschaftlichen Teil”. Dort wird die Fragestellung aus dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion hergeleitet und begründet. Das wird bei manchen Arbeiten sehr kurz ausfallen können, bei anderen muss mehr stehen, bei manchen Arbeiten wird es origineller sein, bei anderen nicht, aber einfach abschreiben ist auch in der Einleitung nicht in Ordnung. Aber wie gesagt, wenn Frau v.d.Leyen nur Allgemeinplätze abgeschrieben haben sollte und ihre Arbeit ansonsten für eine medizinische Arbeit dissertationsüblich ist, wird man das vermutlich auch entsprechend werten. An den Standards korrekten wissenschaftlichen Arbeitens ändert das nichts, die Verletzung dieser Standards ist auch kein Ausweis besonderen politischen Talents, wie es Herr Posener suggerieren möchte. Und schon gar nicht sollte ein Journalist Lügen und Betrügen zur politischen Tugend erklären.

  22. #31 strahlenbiologe
    3. Oktober 2015

    @ Joseph Kuhn.
    Das was in der Einleitung steht lernt/erarbeitet man sich idR in den ersten Monaten einer Doktorarbeit, also die Grundlagen. Nach ~4 Jahren Doktorarbeit, wenn man am zusammenschreiben ist, ist das Quasi schon allgemeinwissen für einen geworden.
    Der Einleitungs und M&M-teil einer Diss schon seit vielen Jahren zu einer reinen Fingerübung “verkommen”, da da nichts drin steht was wissenschaftlich sonderlich neu/interessant ist. Das haben auch viele Fachbereiche erkannt und bieten seit längerem eine Kumulative Disseration an, dass heisst, man heftest “einfach” seine wissenschaftlichen Publikationen zusammen und gibt diese als Diss ab.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Kumulative_Dissertation
    Ich rede hier konkret nur von meinen Gebiet, der Biologie. Bei Geisteswissenschaftlern mag das anders sein.
    Fals es so sein sollte, dass Frau v.d. leyen ihren Doktor entzogen bekommt, wegen unsauberen Arbeitens im Einleitungsteil, dann müßte man ~90% aller Doktor rer nats der letzten 20 jahre ebenfals den Doktortitel entziehen. denn ich glaube, so viele haben in ihren Einleitungs- und M&M-Teil ebenfals geschlampt. Nicht aus bösem Willen, sondern weil niemand Wert drauf gelegt hat, schon gar nicht die Prüfer/Prof und ihnen niemand eingebläut hat wie entscheident korrektes Zitieren ist.

  23. #32 Joseph Kuhn
    3. Oktober 2015

    @ strahlenbiologe:

    Was die Anforderungen an die Einleitung und den Methodenteil einer wissenschaftlichen Arbeit angeht, werden wir uns wohl nicht einig und ich glaube auch nicht, dass 90 % der Mediziner oder der Naturwissenschaftler in ihrer Dissertation so viel unzitiert übernommen haben wie Frau v.d.Leyen, aber wie dem auch sei: Die MH Hannover wird sich von ihrer Arbeit ein Bild machen und dann sieht man weiter. Gegenstand des Blogbeitrags waren ja auch nicht die Standards wissenschaftlichen Arbeitens, sondern die seltsame Argumentation des Journalisten Alan Posener.

  24. #33 Ulfi
    3. Oktober 2015

    @Strahlenbiologe
    Die Einleitung in einer Dissertation ist grundlegend unterschiedlich zu einer Einleitung eines Papers. Bei mir steht in den Anforderungen der Doktorarbeit sowas wie: “Die Einleitung muss die Relevanz des Themas und die einbettung der Arbeit in das Themenfeld enthalten”. Das ist Grundsätzlich anders in einem Fachartikel:

    1. Die Relevanz des Themas ist dem Fachpublikum bekannt. Kein Grund, da grossartig Platz zu verschwenden.

    2. Einbettung der Arbeit: sehr ähnich zu 1. nur achtet man darauf, 1-2 Standardartikel zu zitieren.

    Meine Diss ist Kumulativ und auf 4 Seiten Einleitung kommen 53 Referenzen. Würde ich nicht kumulativ schreiben, bräuchte ich natürlich noch einen Hintergrundabschnitt, aber auchd er wird sich grundlegend von einem Fachartikel unterscheiden: wo ich in einem Konferenzartikel nur 1-2 Absätze verwende, muss ich in einer Diss mehr in die Detials gehen, weil ich nicht erwarten kann, dass der Leser das kennt.

    Nebenbei nimmt mein Prof das ganze sehr genau und hat unter garantie jede Seite der Diss mehrfach gelesen.

  25. #34 Marco
    7. Oktober 2015

    Entschuldigung,
    ich habe nur an einer FH studiert und eine Diplomarbeit geschrieben. Da war uns Studierenden bekannt, dass Zitate
    a) verwendet werden sollen
    b) korrekt als solche zu kennzeichnen und mit Quellenangabe zu versehen sind.
    Es überrascht mich doch sehr, dass hier darüber diskutiert wird, ob Doktoranden solche grundlegenden Methoden kennen müssen. Das kann man doch als Allgemeinwissen von Studierenden an einer Hochschule abhaken oder etwa nicht?
    Bitte sagt mir, dass ich die ganze Diskussion hier falsch verstanden habe…

  26. #35 kdm
    16. Oktober 2015

    @Marco: sowas weiß ich sogar (Arbeiterkind, 9 Jahre Volksschule in B.-Kreuzberg in den Fifties).

  27. #36 Statistiker
    1. November 2015

    Marco, völlig richtig. Sogar mit 2 Ergänzungen: 1) Zitiere so kurz wie möglich und 2) Gehe auf das Zitat ein. Wenn man das berücksichtigt, ist ein fehlerhaftes Ziteieren unmöglich.

    Das wissen vdL und Guttenberg sowie die besorgten Börger, die hier hier für diese vervölten, armen Idioten eintreten, auch.

    Ändert aber nichts daran, dass es alle Betrüger und Lügner sind……