Vor einem Jahr war der Masernausbruch in Berlin auf seinem Höhepunkt. Etwa 1400 Erkrankungsfälle hat es im Verlauf des Ausbruchs gegeben, fast 90 % waren nicht geimpft und ein Viertel der Betroffenen musste im Krankenhaus behandelt werden. Derzeit verzeichnet das Meldewesen des Berliner LAGESO kaum Masernfälle, in den letzten Wochen des Jahres 2015 waren es mal einer, mal keiner.

Allerdings könnte das eine trügerische Ruhe sein. Nicht nur, dass im Laufe der Zeit die Zahl der Personen mit mangelhaftem Impfschutz wieder zunimmt, sondern auch, weil in „ruhigen“ Zeiten wohl auch das Meldewesen etwas ruhiger ist, es werden dann möglicherweise mehr Fälle nicht gemeldet. Diesen Schluss muss man jedenfalls aus einer schon etwas zurückliegenden, leider wenig beachteten Studie des Robert Koch-Instituts ziehen, die 2014 im Bulletin der WHO veröffentlicht wurde. In der Studie wurde die Maserninzidenz (Neuerkrankungsrate) aus den Meldungen nach Infektionsschutzgesetz und aus den Abrechnungsdaten der kassenärztlichen Versorgung in Deutschland für einen mehrjährigen Zeitraum verglichen. Den Abrechnungsdaten nach lag die Inzidenz 2- bis 5-fach so hoch wie in den Meldedaten. Man muss Abrechnungsdaten aus der kassenärztlichen Versorgung sicher mit Vorsicht betrachten, aber man sollte sich auch nicht zu sehr auf die Meldedaten allein verlassen. Die Masern könnten auch einmal hinter den Kulissen des Meldewesens unterwegs sein.

Kommentare (2)

  1. #1 Anderer Michael
    17. Januar 2016

    Aus meiner eigenen Zeit als junger Assiztenzarzt ist mir bekannt, dass Meldungen nach dem Infektionsschutzgesetz nicht sonderlich beliebt waren. Man hatte viel zu tun, es gab unklare Dienstanweisungen, wo waren die richtigen Formulare zu finden, es gab kein Internet um sich zu infomieren, selbst Telefongespräche waren nicht immer möglich ( klingt unglaubhaft, ist aber wahr. Um mit dem Gesundheitsamt in der Kreisstadt zu telefonieren, musste man dieses anmelden, und wurde verbunden, um dann nach 15-30 min zu erfahren, dort ist “besetzt”.)und man riskierte, mit Folgenachfragen bombadiert zu werden, die man in seiner Freizeit zu erledigen hatte. Ob das heute noch so ist ?

    Frage: Kann es sein, dass Masern bei einem Fall als Diagnose mehrfach angegeben wird, aber nur einmal gemeldet wird und so es zu einem scheinbaren Widerspruch kommt.
    Beispiel: Hausarzt stellt V.a.Masern, meldet diesen korrekt. Weil sich aber unsicher oder auf Drängen der Eltern Überweisung an Kinderarzt. Der Kinderarzt bestätigt den Verdacht, meldet aber nicht, weil Hausarzt bereits gemeldet hat. Er verordnet eine symptomatische Therapie.Abrechnungsquartal ist zu Ende.Eltern kommen zu Verlaufskontrollen oder zur Weiterverordnung symptomatischer Therapie.
    Folge: Dreimal Abrechnungsdiagnose Masern, aber nur eine Meldung.

    • #2 Joseph Kuhn
      17. Januar 2016

      “Kann es sein, dass Masern bei einem Fall als Diagnose mehrfach angegeben wird”

      Ohne das Vorgehen der RKI-Kolleg/innen im Detail zu kennen, aber das sollte durch die Datenselektion (Quartalsbezug, Verfügbarkeit der Personendaten zur Duplikatidentifikation) weitgehend bereinigt sein. Problematischer ist vermutlich die Qualität der Abrechnungsdiagnosen selbst. Wie viel auch immer die Meldedaten unterschätzen und die KV-Daten vielleicht überschätzen: Verdienstvoll ist, dass hier überhaupt einmal versucht wurde, Meldedaten mit Abrechnungsdaten abzugleichen. Solche “Triangulationen” unterschiedlicher Datenquellen sind oft aufschlussreich, das scheint auch hier der Fall zu sein.