Umweltschutz als ein Einzelthemen übergreifendes Politikfeld ist relativ neu. 1969 wurde Abteilung „Wasserwirtschaft, Reinhaltung der Luft und Lärmbekämpfung“ aus dem Bundesgesundheitsministerium ins Bundesinnenministerium verlagert, um dort unter dem programmatischen Abteilungsnamen „Umweltschutz“ federführend umweltpolitische Themen zu bündeln, 1970 wurde das „Sofortprogramm Umweltschutz“ der Bundesregierung aufgelegt, im gleichen Jahr das bayerische Umweltministerium gegründet, 1974 das Umweltbundesamt und 1986 als Reaktion auf Tschernobyl das Bundesumweltministerium. 1994 kam der Umweltschutz als Staatsziel ins Grundgesetz.
Das kann man in wenigen Minuten ergooglen. Deutlich schwieriger ist es, wenn man wissen will, wie alt der Begriff „Umweltschutz“ ist und woher er kommt. Der Anfang der Dinge ist immer etwas Bedeutsames: Bei Jubiläen werden Gründungsgeschichten erzählt, Traditionslinien gezeichnet, Wendepunkte benannt, Fortschritte dargestellt. Umso schöner, wenn die Schöpfungsgeschichte symbolträchtig ist. Bei Wikipedia gibt es zum Begriff „Umweltschutz“ gleich zwei Ursprungsmythen:
“Der erst seit den 1970er-Jahren verwendete Begriff „Umweltschutz“ ist eine Entlehnung zu engl. environmental protection. Der Begriff wurde auf der Eröffnungstagung des Europäischen Naturschutzjahres 1970 in Straßburg geboren.“
Und ein paar Absätze später:
„Das Wort Umweltschutz dagegen ist am 7. November 1969 gegen 16:00 Uhr entstanden, als Mitarbeiter des damaligen Innenministers Hans-Dietrich Genscher den Begriff Environment Protection aus den USA übernahmen.“
Als Quelle für die erste Schöpfungsgeschichte wird auf den Deutschen Naturschutzring verlinkt – passenderweise auf die Dokumentation „60 Jahre Deutscher Naturschutzring“ – wie gesagt, Jubiläumsveranstaltungen brauchen so was. Bei der zweiten Schöpfungsgeschichte wird als Quelle das GEO-Heft 4/2008, Seite 115, genannt.
Zu beiden Geschichten findet man unterschiedliche Nuancen im Netz. Zur ersten heißt es z.B. in der Dokumentation des Deutschen Naturschutzrings: „Während der Eröffnungstagung in Straßburg wurde der Begriff ‚Umweltschutz‘ geboren, da die englischsprechenden Reporter von ‚protection of environment‘ und nicht von ‚protection of nature‘ sprachen.“ Das klingt nach witziger Anekdote. Bei Thorsten Schulz-Waldmann „Anfänge globaler Umweltpolitik“ wird dagegen auf S. 67, Fußnote 170, auf eine Rede Willy Brandts auf eben jener Tagung verwiesen – mit dem Titel „Gesellschaftspolitische Bedeutung eines wirksamen Umweltschutzes“. Doch kein Stoff für eine Anekdote?
Und zur zweiten Geschichte schreibt z.B. Thomas Zittel in seinem Buch „Marktwirtschaftliche Instrumente in der Umweltpolitik“ auf Seite 9:
„Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung kann die „Erfindung“ bzw. die Konstruktion eines Begriffs gelten. Gemeint ist der Import des englischen Begriffs „environmental protection“ durch Beamte des Bundesministeriums des Innern (BMI), die im Januar 1970 nach einem Namen für eine aus dem Bundesministerium für Gesundheitswesen übernommene Abteilung suchten und diesen Begriff in das deutsche politische Vokabular einführten.“
Dass der Begriff „Umweltschutz“ seit dieser Zeit Konjunktur hat, wird wohl stimmen. Aber stimmen die beiden Heldensagen seines Ursprungs, oder besser gesagt, eine von ihnen? Bemüht man den Google Ngram Viewer, so findet er den Begriff in deutschen Büchern vereinzelt schon im 19. Jahrhundert, dann, wenn auch auf niedrigem Niveau, durchgehend nach 1945 und in deutlich zunehmender Verbreitung ab Mitte der 1960er Jahre. Warum die Zahl der Funde nach 1990 wieder zurückgeht, weiß ich nicht, die Suchbegriffe „Waldsterben“ und „Ozonloch“ weisen ähnliche Verläufe auf, vielleicht waren die Themen einfach durch.
Wie dem auch sei: Erfunden wurde der Begriff „Umweltschutz“ demnach weder auf der Eröffnungstagung des Europäischen Naturschutzjahres 1970 noch in einer Kaffeerunde im Bundesinnenministerium „am 7. November gegen 16.00 Uhr“ bzw. im „Januar 1970“. Beide Ereignisse mögen großen Anteil an der Popularisierung des Begriffs haben, der Rest sind postfaktische Zutaten zur Begriffsgeschichte.
Kommentare (12)