Am 3. Dezember jährte sich der Geburtstag Max von Pettenkofers zum 200. mal. Max von Pettenkofer darf man ohne Übertreibung einen Jahrhundertgelehrten nennen. Zurecht war sein Geburtstag der Süddeutschen Zeitung eine ganzseitige Homage wert. Im Sommer hatte ich hier auf Gesundheits-Check schon einen kurzen Hinweis auf die Person, das Jubiläum und eine neu erschienene Biografie gegeben.

Das Symposium zu seinem 200. Geburtstag bringt international hochkarätige Fachleute aus den Forschungsfeldern zusammen, die Pettenkofer viel zu verdanken haben. Am ersten Teil des Symposiums heute habe ich teilgenommen. Es fand dem Anlass gemäß im Hörsaal des Münchner Pettenkofer-Instituts statt. Neben vielen Honoratioren waren auch erstaunlich viele Studierende da, vielleicht ein Zeichen dafür, dass Max von Pettenkofer wissenschaftlich alles anders als eine „tote Person“ ist. Ich will aus den heutigen Vorträgen nur ein kleines Schlaglicht bringen, das aber sehr schön zeigt, wie aktuell Max von Pettenkofers „Grundphilosophie“ nach wie vor ist.

Petra Gastmeier, eine der führenden Hygieniker/innen Deutschlands, Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité in Berlin, hat in ihrem Vortrag das Thema Krankenhausinfektionen behandelt. Krankenhausinfektionen (nosokomiale Infektionen) gehören bekanntlich zu den gravierendsten Problemen im Bereich der übertragbaren Krankheiten. Eine Übersichtsarbeit von Gastmeier et al. schätzt, dass bis zu 600 000 Patienten in Deutschland jährlich eine nosokomiale Infektion entwickeln und bis zu 15 000 Menschen daran sterben, andere Schätzungen gehen sogar noch deutlich darüber hinaus. Im Vergleich dazu sind die Masernsterbefälle zwar ein Ärgernis, ein tragisches Ärgernis, weil vermeidbar, aber rein quantitativ fallen sie nicht ins Gewicht. Krankenhausinfektionen sind anders als die Masern nicht in Gänze zu vermeiden. Sie sind zumindest teilweise der Preis für den medizinischen Fortschritt in Form einer Zunahme invasiver Behandlungsverfahren, die früher nicht möglich gewesen wären, zum Teil natürlich auch der Preis unnötiger Behandlungen. Zu einem erheblichen Teil sind sie auch dem Mangel an Hygienefachleuten und Pflegekräften in den Krankenhäusern geschuldet, und zum Teil falschen Annahmen über die richtigen Maßnahmen der Hygiene.

Gastmeier verwies in ihrem Vortrag darauf, dass anders als zu Pettenkofers Zeiten die meisten Krankenhausinfektionen heute endogener Natur seien, also nicht von außen auf die Patient/innen übertragen werden, sondern von ihnen selbst kommen. Das hat Folgen für die Wirksamkeit der tradierten Bekämpfungsmaßnahmen. Neuere Studien deuten beispielsweise darauf hin, dass die aufwändige Isolation von Patienten mit multiresistenten Keimen möglicherweise gar keine relevanten Vorteile bringt, ebenso wenig das „kill all-cleaning“, also die vollständige Desinfektion von Klinikräumen. Besser sind möglicherweise Strategien, die auf die konkrete Situation der einzelnen Patient/innen und auf deren je spezifische Behandlungsbedingungen abgestimmt seien, z.B. dass überwacht wird, wie lange ein Katheder wirklich benötigt wird und nicht unnötig lange im Körper bleibt, oder dass man das Mikrobiom der Patient/innen bei der Bekämpfung pathogener Keime unterstützt oder sich bei Reinigungsstrategien auf pathogene Keime konzentriert und eine normale Besiedlung etwa der Böden mit Keimen zulässt, weil so die Entwicklung pathogener Keime eingeschränkt bleibt. Alexander Friedrich von der Uni Groningen in den Niederlanden, der danach sprach, ging in eine ähnliche Richtung. Er berichtete zudem, dass in den Niederlanden viel weniger Krankenhausbehandlungen stattfinden als in Deutschland, also weniger Menschen unter Risiko sind, und dass eine flächendeckende Desinfektion dort sogar verboten sei. Dafür habe man viel bessere Pflegekapazitäten, was den häufigen Wechsel des Pflegepersonals zwischen den Patient/innen unnötig mache – und damit das Verschleppen von Keimen einschränke.

Pettenkofer hatte einen Blick fürs Ganze, ohne sich im unwissenschaftlichen Spekulieren zu verlieren. Die Infektionskrankheiten hat er beispielsweise „ins Labor geholt“, um sie wissenschaftlich zu untersuchen, dabei aber nicht nur auf die Erreger allein geschaut, sondern auf das Zusammenspiel der Erreger und ihrer Umgebung. Das hat ihn auch zu einem berühmten Irrtum verleitet: Er hielt Cholera-Bakterien für an sich nicht pathogen und dachte, erst das „Miasma“, das Milieu im Boden, würde sie pathogen werden lassen. Ein Irrtum im Detail, eine richtige Grundidee im Großen. Leute wie Pettenkofer irren eben auch erfolgreicher als die meisten von uns.

Kommentare (1)

  1. #1 rolak
    8. Dezember 2018

    irren eben auch erfolgreicher

    Generell: Nun ja, ‘Miasmen’ oder zB auch ‘Äther [Physik]’ waren derart überzeugende Denkschemata, daß sie in weiten Teilen auch heute noch geteilt werden, also bitte keine besonderen Beschwerden an die Urⁿahnen.

    Speziell: Ja sischer dat^^ Beim neugierigen Hinterherklicken gestern spät spät saß ich mit dicken Augen blinzelnd vor der Seite hinter dem link von Herrn NurVornamen und dachte “»University of G«, ok, we’re international, aber warum heißt die topdomain »rug«?” Als dann gefühlte Monate später, nach einem nur ziellos zu nennenden Herumklickern urplötzlich ‘Rijksuniversiteit’ erschien – – da bin ich erst mal ne Runde um den Block spaziert…