In der Sendung „Maybrit Illner“ am Donnerstag sagte die Augsburger Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann, der Zweifel von Dieter Köhler an den Richtwerten zu Feinstaub und Stickoxiden sei so ähnlich, wie wenn man behaupte, die Erde sei eine Scheibe. Der Vergleich ist interessant, weil er über das unmittelbar Gemeinte hinaus – es gibt gute Evidenz für die Richtwerte – das Verhältnis von Alltagserfahrung, Wissenschaft und Erkenntnisfortschritt anspricht. Dazu will ich kurz ein paar Anmerkungen machen, ich hoffe, eventuell mitlesende gelernte Wissenschaftsphilosophen erschrecken sich nicht.
Im Horizont unserer Alltagserfahrung ist die Erde flach. Da geht es oft bequem geradeaus, manchmal natürlich auch steil bergauf oder bergab. Auf mittlere Distanzen, sagen wir mal 20, 30 oder 50 Kilometer, so weit das Auge auf festem Boden reicht, wirkt die Erde jedenfalls flach. Das könnte die Vermutung nahelegen, dass die Erde eine Scheibe ist. Auf dem Meer kann man dagegen ins Grübeln kommen, wenn die oberen Teile eines fernen Schiffes zuerst auftauchen und man könnte die Hypothese aufstellen, dass die Erde auf große Distanzen betrachtet vielleicht gar nicht flach ist, sondern rund. Diese Hypothese kann man testen, indem man Beobachtungen sammelt, die dafür oder dagegen sprechen. Aristoteles hat schon mehr als 300 Jahre vor Christus darauf hingewiesen, dass die Erde bei einer Mondfinsternis immer einen runden Schatten wirft.
Ganz überzeugend war das nicht zu allen Zeiten, und zwischendurch war der Glaube, die Erde sei eine Scheibe, recht gefestigt. Über die Scheibe wölbte sich eine Halbkugel mit den dort befestigten Sternen, zusammen mit den weiteren Zutaten dieser Weltanschauung eine veritable „Theorie“, mit der Erdscheibe als konstitutivem Element. Dass das nicht stimmen kann, zeigten dann ganz handfest die Weltumsegelungen und heute können wir die Erdkugel aus dem Weltraum direkt beobachten. Aus der Sicht des Popperschen Falsifikationismus macht es daher keinen Sinn mehr, von einer „Hypothese der Kugelgestalt“ zu sprechen, die zwar gut bestätigt sei, aber doch grundsätzlich durch andere Beobachtungen falsifiziert werden könnte. Spätestens die direkte Beobachtungsmöglichkeit hat aus dem Satz „Die Erde ist eine Kugel“ einen, wie es Popper nennt, „Basissatz“ gemacht. Auch daran darf man natürlich zweifeln, aber es ist der Zweifel an einer Sinneswahrnehmung und ihrer Beschreibung, nicht der Zweifel an einer Theorie oder einer Hypothese. Für fundamentale Skeptiker mag es vorstellbar sein, dass uns nur ein Dämon diese Wahrnehmung vorgaukelt, oder wir Gehirne im Tank sind, das gilt dann allerdings für alle Sinneswahrnehmungen und hat mit dem Problem der Falsifizierbarkeit einer Theorie unmittelbar nichts zu tun.
Anders verhält es sich übrigens mit dem Satz „die Homöopathie wirkt“. Das ist eine Hypothese, eingebaut in unterschiedliche Theorien, vom Wassergedächtnis bis zu Walachs verallgemeinerter Quantentheorie. Alles keine guten Theorien, die Hypothese selbst ist oft genug getestet worden, mit dem Ergebnis eines statistischen Rauschens um Nichts. Man kann diese Hypothese also getrost weglegen. Obwohl ihre Wahrheit oder Unwahrheit nicht in der gleichen Weise beobachtbar ist wie die Kugelgestalt der Erde, ermöglicht auch hier der Erkenntnisfortschritt ein Urteil. Durch schlechte Empirie – etwa nur die Fälle zu zählen, die gut ausgingen und das als Wirkungsnachweis zu nehmen – ist die Hypothese „Homöopathie wirkt“ schon gar nicht zu retten. Das ist sogar noch dümmer als zu sagen, die Erde ist flach. Das stimmt immerhin im Horizont unserer Alltagserfahrung und ist da keine Sinnestäuschung.
Wie ist es nun mit den Richtwerten für Feinstaub und Stickoxiden? Die Alltagserfahrung zeigt nicht, dass schon eine vergleichsweise geringe Belastung langfristig die Sterblichkeit der exponierten Bevölkerung erhöht. Man sieht keine statistischen Toten, sie werden errechnet. „Stickoxide verursachen 6.000 vorzeitige Sterbefälle“ ist kein Basissatz. Direkt beobachtbar wie die Kugelgestalt der Erde ist die Wirkung der Luftschadstoffe also nicht, aber es gibt viel Evidenz dafür. Sehr viel. Das meinte Claudia Traidl-Hoffmann.
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