Durchschnitte und Verteilungen

Deutschland geht es im Durchschnitt gut. Vor allem, wenn man zum Vergleich in manche Regionen Südeuropas schaut, wo die Dritte Welt in der Ersten ist. Ein Besuch in Palermo, jenseits der Touristenecken, ist da beispielsweise ein echter Augenöffner. Wir leben gut und gerne in unserem Land, wie es der Wahlkampfslogan der Union bei der letzten Bundestagswahl propagierte, aber das gilt nicht für alle. Deutschland hat auch seine Palermos, versteckter, vereinzelter, verschämter. Wir haben im westeuropäischen Vergleich einen großen Niedriglohnsektor, wenig Wohneigentum und im Vergleich mit westeuropäischen Nichtkrisen-Ländern eine hohe Einkommens- und Vermögensungleichheit. Ein Resultat: 10 Jahre Unterschied in der Lebenserwartung zwischen den oberen und unteren Einkommensgruppen.*

Nun kann man argumentieren, das sei eben der Preis für die exportgetragene Wirtschaftsstärke des Landes und besser man habe einen Job mit wenig Geld als gar keinen. Das ist erst einmal nicht von der Hand zu weisen. Aber man sollte aufpassen, dass die sozialen Unterschiede nicht zu groß werden und der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht zu sehr unter Druck kommt. Dafür gibt es zwar soziale Sicherungsnetze, für Rentner die Grundsicherung im Alter, eine Art Sozialhilfe light, aber diese Netze sind manchmal überholungsbedürftig. Alles ändert sich, so ist das Leben.

Die Grundrente

Die SPD hat nun einen Vorschlag für eine sog. „Grundrente“ gemacht. Rentner/innen, die nach 35 Beitragsjahren eine Rente unter 896 Euro brutto haben, sollen einen Zuschlag von bis zu 447 Euro bekommen. Sie hätten dann mehr als die Grundsicherung im Alter, die jedem zusteht, der die Bedürftigkeitskriterien erfüllt. Anders als bei der Grundsicherung soll es nach dem Willen der SPD bei der Grundrente keine Bedürftigkeitsprüfung geben.

Im Prinzip ist natürlich auch die Union dafür, dass Menschen, die lange gearbeitet haben, im Alter nicht am Hungertuch nagen müssen. Aber in dem Fall kann sie ihre instinktive Neigung dagegen, dass die kleinen Leute scheinbar einfach Geld geschenkt bekommen, noch dazu von der SPD, nicht überwinden. Nicht so viel Geld und nur mit Bedürftigkeitsprüfung, damit es nicht so viele bekommen, das wäre ihr lieber.

Ein Argument ist, dass es sonst zu viel kostet. Bisher weiß aber keiner wirklich, was die Grundrente kostet. Der SPD-Sozialminister Heil geht davon aus, dass es ein „mittlerer einstelliger Milliardenbetrag“ sein wird. Das hätte dann VW allein mit seinen Dieselstrafen in den USA – zwischen 25 und 30 Mrd. Dollar – ein paar Jahre bezahlen können. VW hat das recht locker genommen. Da haben sie vor zwei Jahren mehr gejammert, als sie sich an einem 250 Mio.-Mobilitätstöpfchen in Deutschland beteiligen sollten. Wem das zu sehr Äpfel und Birnen ist, dem mag ein rentennäherer Vergleich weiterhelfen: Die „Mütterrente“ Seehofers kostet ca. 3,5 Mrd. Euro jährlich.

Vielleicht sollte man mit dem Kostenargument bei der Grundrente warten, bis gute Berechnungen vorliegen. Mit guten Berechnungen meine ich nicht die Hiobs-Botschaften des „Rentenexperten“ Raffelhüschen, der jede Form der Absicherung der gesetzlichen Rente schlecht redet, weil das seiner Mission, die private Vorsorge durch kapitalgedeckte Zusatzversicherungen als Weg ins Paradies zu bewerben, zuwiderlaufen würde. Er schickt dann vor seinen Berechnungen auch schon mal die Sekretärin nach Hause und kommt von ganz allein auf irrsinnige Summen.

Friede den Hütten, Krieg den Palästen?

Richtig witzig war FDP-Lindner, der ja immer ein Herz für die Bedürftigen hat. Er findet es ungerecht, wenn es keine Bedürftigkeitsprüfung gibt. Im ARD-Morgenmagazin am 5.2.2019 kam es zu folgendem Dialog:

„Frage: Und dieser Fall, der doch immer wieder in der Politik konstruiert wird, da ist also eine Friseuse, die hat den Millionär geheiratet und die kriegt jetzt eine Rente. Das ist doch eigentlich völlig an den Haaren herbeigezogen.

Lindner: Nein, das ist es nicht, solche Fälle gibt es.

Frage: Aber die sind doch eher selten.

Lindner: Ja, das sagen jetzt Sie.“

Vielleicht hat auch Lindner keine Sekretärin und hat die Lungenärzte rechnen lassen? Ist Raffelhüschen eigentlich auch Lungenarzt? Gut, das war gemein. In Wirklichkeit finde ich es ja prima, dass Herr Lindner die Reichen nicht noch reicher machen will. Man könnte höchstens einmal darüber nachdenken, ob es dafür nicht geeignetere Instrumente gäbe. Eine Bedürftigkeitsprüfung für hohe Vorstandsgehälter zum Beispiel.

Offensichtlich weckt die Geschichte mit der Bedürftigkeitsprüfung eine Art Sozialneid von oben. Darunter leidet die FDP ganz besonders, man erinnere sich an Westerwelles Rant gegen Hartz-IV-Empfänger, die sich „spätrömischer Dekadenz“ in „anstrengungslosem Wohlstand“ hingeben würden. Dabei kennt das Rentenrecht grundsätzlich keine Bedürftigkeitsprüfung. Im Rentenrecht gilt das Äquivalenzprinzip: Wer mehr leistet, kriegt mehr. Und wenn diese Äquivalenz nicht mehr stimmt, weil man nach 35 Beitragsjahren trotzdem nichts hat, muss nachjustiert werden.

Jetzt sagen wieder andere, die Grundrente soll ja nicht aus den Beiträgen finanziert werden, sondern aus einem Steuerzuschuss, da sei die Bedürftigkeit zu prüfen. Ist das so? Bleibt es nicht trotzdem eine Regelung im Rentensystem? Natürlich wäre es besser, die Leute mit den niedrigen Renten hätten vorher mehr verdient und mehr Beiträge einzahlen können. Aber dann hätte es die Unternehmen vorher höhere Löhne gekostet und das wollte man ja nicht, wegen des internationalen Wettbewerbs, siehe oben. Die Folge wie so oft in solchen Fällen: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Kosten.

Eine neue Sozialpolitik – aber woher?

Nach Umfragen sind fast zwei Drittel der Deutschen für die Grundrente. Auch für höhere Mindestlöhne gibt es übrigens eine Mehrheit. Das brächte auch höhere Beitragszahlungen in die Rentenkassen. Vielleicht gäbe es ja sogar einen gemeinsamen Weg für eine insgesamt sozialere Politik. Ich verstehe ohnehin nicht, warum die Union jetzt ihr wiederentdecktes konservatives Profil nicht auch etwas in Richtung des sozialen Mitgefühls schärft. Als Club Der Unternehmer bleibt sie jedenfalls unter ihrem Niveau.

Ob die SPD eine soziale Wende durchsetzen kann? Das ist fraglich, sie hat nach wie vor keine zukunftsweisenden Antworten auf das angespannte Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Und so wie sie die Grundrente schon als Kraftakt verkaufen will, obwohl das zwar den Betroffenen spürbar hilft (weil die jetzt so wenig haben), aber volkswirtschaftlich eher eine Marginalie ist und zudem das Grundproblem niedriger Löhne nicht löst, wird von ihr vorerst nicht allzu viel zu erwarten sein. Von der LINKEN erst recht nicht, sie wird die staatssozialistischen Gespenster der Vergangenheit nicht los und leidet unter einem schweren Mangel an Vertrauen in ihre Wirtschaftskompetenz. Zur FDP ist in dem Zusammenhang schon alles gesagt und die AfD ist ganz sicher nicht die Partei, die Wohlstand für alle will.

Das Land, in dem alle gut und gerne leben, ist also noch nicht in Sicht. Ob wir dahin kommen? Es liegt auch an uns.

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* Edit: Den Halbsatz “im Vergleich mit westeuropäischen Nichtkrisen-Ländern” habe ich ergänzt, der Kommentator “Tim” hat zu Recht darauf hingewiesen, dass große westeuropäische Länder wie Italien, Großbritannien oder Frankreich eine höhere Einkommensungleichheit als Deutschland haben.

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Zum Weiterlesen
Ein Beitrag von Hartmut Reiners zur Rentendebatte, mit vielen interessanten Aspekten (und einer etwas “engeren” Interpretation des Äquivalenzprinzips): https://makroskop.eu/2019/02/was-bringt-heils-respekt-rente/

Kommentare (24)

  1. #1 rolak
    15. Februar 2019

    Der letzte Absatz erinnert hier doch sehr an den Traum :·)
    Schöner Text über ein eher unschönes Themengebiet…

  2. #2 Alisier
    15. Februar 2019

    Das Thema ist ein wichtiges, aber mir kommt die SPD auch hier merkwürdig verzagt vor. Selbst wenn sie einen vernünftigen Vorschlag macht wirkt das wie wegducken oder flüchten nachdem man einen Stein geworfen hat.
    Ich kann mich irren, aber es scheint jemand zu fehlen, der die Positionen überzeugend vertritt.

  3. #3 Ludger
    15. Februar 2019

    Beispiel: Eine Arztehefrau arbeitet Vollzeit als Arzthelferin in der Praxis ihres Ehemannes und wird aus Steuergründen nur gering entlohnt. Ohne Bedürftigkeitsprüfung wäre sie ein Fall für die Rentenaufstockung. Ebenso selbständige Handwerksmeister, die ihre Einkünfte lieber für den Mietwohnungsbau verwenden, als angemessen in die Rentenversicherung einzuzahlen. Herr Heil redet immer von einem notwendigen “Kraftakt” – und suggeriert eine einmalige Aufwendung. Er wirbt mit unlauteren Methoden.

    • #4 Joseph Kuhn
      15. Februar 2019

      @ Ludger:

      Ob man Arztehefrauen die Rente deswegen vielleicht kürzen sollte? 😉

      Focus online:

      “Irgendwann kommt sie immer um die Ecke. Nicht physisch, als Person, sondern als griffiges Klischee-Beispiel: die Zahnarztgattin. In der aktuellen Diskussion um den Rentenvorschlag von Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) führt die Dame folgendes Leben: Sie arbeitet zwei, drei Stündchen am Tag in der Praxis ihres Mannes mit. Das tut sie seit ihrer Heirat mit 23 Jahren, bis sie 60 Jahre alt ist, also insgesamt 37 Jahre lang. Weil besagte Zahnarztgattin wenig in die Rentenkasse eingezahlt hat, bekommt sie dann auch nur eine Mini-Rente. Die aber würde künftig kräftig aufgestockt. Nach den Vorschlägen Heils könnte sie bald mit 961 Euro Rente im Monat rechnen.”

      Besser gefällt mir aber das Beispiel, das die FAZ zitiert:

      “Der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger begründete unterdessen die Ablehnung des Heil-Plans mit dem Beispiel seiner eigenen Ehefrau. Diese habe nach 36 Versicherungsjahren einen Rentenanspruch von derzeit gut 500 Euro, der „aufgrund der Heil’schen Eingebung auf 900 und noch mehr Euro angehoben wird“, spottete Straubinger am Donnerstagabend im Bundestag.”

      Es wäre einfach schön, wenn man wüsste, wie viele solcher Mitnahmefälle zu erwarten sind und was das Ganze mit und ohne kostet. Und zwar nicht von Raffelhüschen oder Köhler gerechnet. Vielleicht werde ich ja dann überzeugter Anhänger Lindners.

      Aber so richtig aufrichtig kommt mir dieses plötzliche Bemühen, die Reichen nicht reicher zu machen, nicht vor. Die vollständige Abschaffung des Solis, also auch für die oberen 10 % der Einkommen, würde zusätzlich 11,5 Mrd. Euro kosten. Das steht auf der Wunschliste von Union und FDP. In dem Fall ging die “Bedürftigkeitsprüfung” wohl zugunsten der Besserverdiener aus.

  4. #5 Ludger
    16. Februar 2019

    @ JK
    Weil ein Gesetz auch für Ausnahmen gilt, sollte man es gedanklich auch an Ausnahmen prüfen dürfen, ohne dafür verspottet zu werden (Reinigungskraft mit Lottogewinn). Die geringfügig entlohnten Familienangehörigen sind in kleinen Betrieben allerdings keine Ausnahme. Und wenn man Köhler wegen seines Rechenfehlers verspottet, braucht man sich nicht mehr mit seiner Kernaussage zu beschäftigen, die da lautet: Die Angaben zu Todesfallzahlen infolge NO2 sind nicht plausibel und die isolierten Diesel-Fahrverbote können daran auch nichts ändern.

    • #6 Joseph Kuhn
      16. Februar 2019

      @ Ludger:

      Was ich bedenklich finde, ist, dass man für viele Leute (ohne angeheirateten Arzt) die Renten über die Jahre so klein hat werden lassen, dass am Ende nur noch ein Almosen herauskommt. Und statt dem in der Erwerbsphase gegenzusteuern, erhöht man jetzt das Almosen, die einen einfach so (und bedienen die Arztgattinnen mit), die anderen mit Bedürftigkeitsprüfung, was im Rentenrecht nichts zu suchen hat. Wenn man nicht weiß, was man gegen (unfreiwillig) prekäre Beschäftigung (Niedriglöhne, Arbeit auf Abruf, sachgrundlose Befristungen usw.) unternehmen soll und als Konsequenz im Alter für prekär Beschäftigte generell auf Almosen umstellen will, soll man es halt sagen.

      Ansonsten argumentiere ich gewiss nicht dafür, die Renten von Reinigungskräften mit Lottogewinn oder von Arztgattinnen zu erhöhen. Ich glaube auch nicht, dass das das Ziel des Gesetzes ist. Ebenso wenig nehme ich aber Lindner ab, dass er an dem Punkt wirklich Gerechtigkeitsprobleme hat. Wie gesagt, wenn ihm das ernst wäre, gäbe es andere Möglichkeiten, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Das fängt schon beim – auch von der FDP – immer wieder propagierten Ausbau der Bildung für alle an, statt die Schulen und Universitäten weiter verrotten zu lassen.

      Was den Rechenfehler von Köhler angeht, weiß ich nicht, was das mit der Grundrente zu tun hat. Köhlers 2-Seiten-Papier ist auch nicht Murks wegen der paar Rechenfehler, sondern weil er insgesamt nichts außer haltlosen Behauptungen hat und die im Papier erwähnten “genaueren Analysen” der Daten schlicht nicht existieren. Auf dieses Papier wurde nun schon so oft fachlich qualifiziert geantwortet, mal wissenschaftlicher, mal allgemeinverständlicher, mehrfach mit Links auch in den diversen Diesel-Beiträgen hier, das will ich nicht wiederholen. Wenn Sie das lieber ignorieren, ist das eben so.

      Und falls Sie meinen, ich sei für Dieselfahrverbote: Dem ist nicht so.

  5. #7 Onkel Michael
    https://onkelmichael.blog
    16. Februar 2019

    Also – nur als Beispiel – wenn drei Dachdecker 35 Jahre Berufsjahre vorzuweisen haben und dann nach 40 Jahren in Rente gehen und sich gegenseitig heiraten, dann steigt die Düsseldorfer Zahnarztgattin um 9.45 Uhr am Münchner Hauptbahnhof ein und ist bereits um 8.25 Uhr am Flughafen Franz-Josef-Strauß.
    Oder so.

  6. #8 Ludger
    16. Februar 2019

    JK.:

    Ich glaube auch nicht, dass das das Ziel des Gesetzes ist.

    Minister Heil perseveriert ja immer, das Gesetz sei für die fleißig arbeitende Krankenpflegehelferin. Die Gießkanne nährt die kümmerlichen Pflänzchen, bleibt dabei aber eine Gießkanne.

  7. #9 Joseph Kuhn
    16. Februar 2019

    @ Michael:

    Die Fahrzeitberechnung hat aber nicht die Zahnarztgattin vorgenommen, sondern der Lungenarzt, bei dem sie früher als Sekretärin tätig war.

    @ Ludger:

    Das Narrativ mit der “fleißig arbeitenden Krankenpflegehelferin” hat einen Subtext, der eigentlich allen Anhängern eines bedingungslosen Grundeinkommens aufstoßen sollte. Zumindest ich höre da auch den Bibelspruch, wer nicht arbeitet (bzw. bei Paulus eigentlich: “nicht arbeiten will”), soll auch nicht essen, die alte Formel der bürgerlichen Revolution gegen den müßiggehenden Adel, die dann von der SPD gegen das “Lumpenproletariat” gewendet wurde. Hinter dem Recht auf Arbeit hat schon immer die Pflicht zur Arbeit hervorgespitzt. Aber das ist eine andere Geschichte.

  8. #10 Ludger
    16. Februar 2019

    JK:

    Dabei kennt das Rentenrecht grundsätzlich keine Bedürftigkeitsprüfung. Im Rentenrecht gilt das Äquivalenzprinzip: Wer mehr leistet, kriegt mehr. Und wenn diese Äquivalenz nicht mehr stimmt, weil man nach 35 Beitragsjahren trotzdem nichts hat, muss nachjustiert werden.

    Wer mehr leistet soll ja wohl bisher bedeuten, wer mehr einzahlt. MaW. die “Grundrente” ist gar keine Rente, sie heißt nur so. Damit fällt auch das Verbot einer Bedürftigkeitsprüfung.

    • #11 Joseph Kuhn
      16. Februar 2019

      @ Ludger:

      “Wer mehr leistet soll ja wohl bisher bedeuten, wer mehr einzahlt.”

      So war das gedacht, als am Ende noch eine Rente rauskam, die zum Leben gereicht hat, also in der Blütezeit des “rheinischen Kapitalismus”. Deswegen jetzt die Rede von der “Lebensleistung”. Wie gesagt, man müsste am anderen Ende ansetzen: gute Bildung, gute Jobs, gute Löhne, auch bessere Verteilung der Produktivitäts- und Globalisierungsgewinne. Dem steht die betriebswirtschaftliche Logik, Kosten zu senken und sich möglichst nicht an der Finanzierung öffentlicher Güter wie Bildung, Infrastruktur, Umwelt etc. zu beteiligen, entgegen.

      Wenn man die Grundrente als Grundsicherung II anlegt, klar, dann hat sich die Diskussion um die Bedürftigkeitsprüfung auch rentenpolitisch erledigt. Diese Grundsicherung II wäre dann ein Mischsystem aus Rente (“Lebensleistung” als Voraussetzung für einen kleinen Aufschlag gegenüber den im Subtext diskriminierten Faulenzern, die nie gearbeitet haben), und Sozialhilfe (“Bedürftigkeit”). Ich sage ja, wenn man die Alterseinkommen der prekär Beschäftigten auf Almosen umstellen will, damit es keinen Druck auf die Löhne gibt, soll es man auch so sagen.

  9. #12 bote19
    16. Februar 2019

    Die Nutznießer der Grundrente werden die vielen Millionen alleinstehenden Frauen sein, die gearbeitet haben zu Niedriglöhnen .
    Mit der Anrechnung von Kindern bei der Rentenhöhe hat der Gesetzgeber den richtigen Weg bestritten. Jetzt gilt es die Benachteiligungen der Frauen bei den Niedriglöhnen auszugleichen , indem man die Grundrente einführt.

    Der Ärztegattin steht auch diese Rente zu, weil der Rentenanspruch auch ein Rechtsanspruch für individuelle Freiheit ist. Wenn sich die Ärztegattin nicht scheiden lassen kann, weil ihre Altersrente zu niedrig ist, dann ist das eine bewusste Unterdrückung der Frau.

  10. #13 Ludger
    16. Februar 2019

    bote19

    Wenn sich die Ärztegattin nicht scheiden lassen kann, weil ihre Altersrente zu niedrig ist, dann ist das eine bewusste Unterdrückung der Frau

    siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Zugewinngemeinschaft#Zugewinnausgleichsverfahren

  11. #14 bote19
    16. Februar 2019

    Ludger
    Der Zugewinn besteht nicht automatisch. Es gibt auch Ärzte die haben sich bei der Einrichtung ihrer Praxis finanziell übernommen und haben Schulden.

    Ein anderes Beispiel ist die Wiederverheiratung von Rentenempfängern. Viele Frauen heiraten nicht zum zweiten mal, weil sie dann finanziell schlechter gestellt werden. Ist auch irgendwie ungerecht.
    Die Höhe der Grundrente darf nicht den bestehenden Verhältnissen geschuldet ,erniedrigt werden können.
    Wichtig ist die Anerkennung der Frau als rechtlich gleichberechtigt.

  12. #15 Alisier
    16. Februar 2019

    Es ist klar, das es darum geht, Menschen die am Limit sind, zu helfen.
    Was kommt zuverlässig wie das Amen in der Kirche?
    Relativierungen, dass es kracht, bis hin zum Versuch Not wegzudiskutieren.
    Und überhaupt: schließlich kann doch jeder in Not geratene Rentner einfach einen Zahnarzt heiraten, oder? Gerade jetzt wo selbst gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt sind……

  13. #16 bote19
    16. Februar 2019

    Der Fall mit der Ärztegattin ist untypisch. Typisch ist dagegen dieser Fall. Einer Frau stirbt der Ehegatte. Sie bekommt jetzt ihre eigene Rente zusätzlich 60 % Witwenrente (60% von der erwarteten Rente des verstorbenen Ehegatten).
    Ihre eigene Rente liegt in der Höhe von Hartz IV, obwohl sie zwei Kinder geboren hat, aber durch den ausgeübten Beruf, der sehr schlecht vergütet worden war. Mit der Witwenrente ihres verstorbenen Mannes kann sie ihren Lebensstandard beibehalten.
    Jetzt will sie zum 2. Mal heiraten. Dadurch verliert sie ihre Witwenrente.
    Sie darf aber nicht heiraten, weil sie jetzt finanziell so schlecht gestellt wird, dass sie ihre Wohnung aufgeben müsste.
    Diesem Fall kann man nur abhelfen, wenn die Altersrente der Frau erhöht wird, etwa durch die Grundrente. Im Gegenzug müsste man die Witwenrente des verstorbenen Mannes auf 50 % reduzieren.
    So weitergedacht müsste man das Ehegattensplitting stufenweise abschaffen, damit die Frauen rechtlich und vorallem finanziell unabhängig werden.

  14. #17 Tim
    16. Februar 2019

    @ Joseph Kuhn

    Nun kann man argumentieren, das sei eben der Preis für die exportgetragene Wirtschaftsstärke des Landes und besser man habe einen Job mit wenig Geld als gar keinen.

    Das ist ein häufiges Denkmuster, aber in der Realität ist es genau umgekehrt: Das Lohnniveau in der exportorientierten Wirtschaft ist deutlich höher als in der Wirtschaft allgemein, da Deutschland vor allem hochwertige Industriegüter exportiert. Die prekären und schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnisse finden sich vor allem im Dienstleistungsbereich.

    Wir haben im westeuropäischen Vergleich … eine hohe Einkommens- und Vermögensungleichheit.

    Auch hier ist es in Wirklichkeit genau andersrum. Alle großen EU-Länder liegen bei der Einkommensungleichheit hinter Deutschland:
    https://de.statista.com/statistik/daten/studie/942729/umfrage/ranking-der-eu-laender-nach-einkommensungleichheit-im-gini-index/

    Hinzu kommt, dass bei Analysen der Vermögensverteilung in der Regel die gesetzlichen Rentenansprüche bizarrerweise nicht mit eingerechnet werden. Das verzerrt die Statistik stets so krass, dass sie kaum noch aussagekräftig ist.

    Die SPD hat nun einen Vorschlag für eine sog. „Grundrente“ gemacht.

    Man sollte den SPD-Schönsprech nicht übernehmen. Eine wirkliche Grundrente hätte eine ordentliche Höhe, wäre bedingungslos und nicht auf Personen mit 35 Beitragsjahren beschränkt.

  15. #18 Tim
    16. Februar 2019

    @ Joseph Kuhn

    Dem steht die betriebswirtschaftliche Logik, Kosten zu senken und sich möglichst nicht an der Finanzierung öffentlicher Güter wie Bildung, Infrastruktur, Umwelt etc. zu beteiligen, entgegen.

    Oha, das ist ja ein echter Klopper. Natürlich möchten Unternehmen so wenig Steuern (=”Finanzierung öffentlicher Güter”) zahlen wie möglich. In der Praxis müssen sie aber nun mal Steuern zahlen, wenn sie nicht gerade globale Konzerne sind. Dagegen kann man sich auch so gut wie gar nicht wehren. De facto tragen also praktisch alle Unternehmen zur Finanzierung öffentlicher Güter bei. Genauso, wie das Arbeitnehmer mit der Einkommensteuer und Konsumenten mit der Mehrwertsteuer auch tun.

    Niemand zahlt gern Steuern. Würde man darum mit Recht sagen können, Arbeitnehmer möchten sich “möglichst nicht an der Finanzierung öffentlicher Güter” beteiligen? Nein. Darum sollte man auf solche Polemik im Interesse eines sachlichen Diskurses verzichten.

  16. #19 Alisier
    16. Februar 2019

    Es gibt eine Menge Menschen, die gerne Steuern zahlen, Tim.
    Auch und gerade mittelständische Unternehmen, die wissen, was sie an einem Staat haben, der seine Aufgaben ernst nimmt.
    Verbesserungen sind willkommen, einseitige Interpretationen der Wirklichkeit eher nicht.

  17. #20 Joseph Kuhn
    16. Februar 2019

    @ Tim:

    “Alle großen EU-Länder liegen bei der Einkommensungleichheit hinter Deutschland”

    Das stimmt, da hatte ich etwas falsch in Erinnerung – und ich habe auch keine Sekretärin 😉

    Ich habe zwar von den westeuropäischen Ländern gesprochen, nicht von den “großen EU-Ländern”, aber meine ursprüngliche Formulierung war schief. Ich habe den Vergleichsmaßstab bei der Ungleichheit geändert, danke für den Hinweis.

    Trotzdem ist vielleicht die Frage berechtigt, ob wir uns in Sachen Ungleichheit mit Krisenländern wie Spanien, Griechenland, Italien oder Großbritannien vergleichen sollten, oder besser mit Österreich, Schweden, den Niederlanden oder Finnland?

    “Die prekären und schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnisse finden sich vor allem im Dienstleistungsbereich.”

    Ja, Autobauer und Maschinenbauer oder die Chemie zahlen gut. Andere Exportbranchen wie die Fleischindustrie nicht. “Binnenmarkt”-Dienstleister wie Friseure oder Reinigungsfirmen auch nicht, das stimmt. Fraglich ist, ob hier der Vergleich zwischen Branchen in Deutschland ausreicht, siehe die Debatte um die Exportüberschüsse, z.B. https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-04/studie-exportueberschuesse-verringern-hoehere-loehne-investitionen

    “müssen … Steuern zahlen … Dagegen kann man sich auch so gut wie gar nicht wehren.”

    Ob man das so pauschal sagen kann? War da nicht erst vor kurzem was mit CumCum und CumEx, mit den Panama-Papers, der Debatte um die Steuerparadiese Luxemburg und Irland usw.? Siehe auch WD: Bedeutung und Ausmaß der Steuervermeidung anhand von Steuervermeidungsmodellen.

  18. #21 bote19
    16. Februar 2019

    Tim
    Einkommen und Vermögen lässt sich nicht absolut angeben.
    Wenn man Deutschland als reich bezeichnet, dann berücksichtigt man nicht, dass 48 % der Deutschen zur Miete wohnen. In Irland wohnen nur 30 % der Bevölkerung in Miete. Und es gilt als nicht reich.

    Beim Einkommensvergleich muss man auch einen Ausgabenvergleich durchführen. (Betrifft übrigens auch einen Vergleich zwischen den alten Bundesländern und den neuen)

    Und dann kommen wir in den Irrgarten der Statistik.

  19. #22 wereatheist
    Berlin
    16. Februar 2019

    @Alisier:

    schließlich kann doch jeder in Not geratene Rentner einfach einen Zahnarzt heiraten

    Oder eine Vorständlerin. Die Arbeitnehmerin ist, im Gegensatz zum Zahnarzt, also sozusagen die Krone des Proletariats. Irgendwie ist es doch schön, dass sich Proletarier, wie die Abgesandten verschiedener AGs auf den Hauptversammlungen anderer AGs, deren Aktien sie halten, gegenseitig hohe Einkünfte zuschanzen können 🙂

  20. #23 wereatheist
    16. Februar 2019

    Wenn ich nicht irre, hat die gute Alte Tante SPD in der letzten Legislaturperiode die Senkung der Erbschaftssteuer für große Vermögen mitgetragen. Das ging IMNSHO völlig in die falsche Richtung.
    Das letzte Mal hab ich die wohl 1984 gewählt. Das waren die Münchner Stadtratswahlen, und man erhielt einen Stimmzettel in der Größe eines gutbürgerlichen Tischtuchs. Es gab auch so viele Möglichkeiten, zu mixen und zu frickeln, dass ich echt nicht mehr weiß, wie ich abgestimmt habe.
    Sowas sollten wir hier in Berlin auch einführen.

  21. #24 Statistiker
    Kiel
    17. Februar 2019

    Dass Lindner, Söder, Seehohower und Co nicht rechnen können, dass weiß jeder. Die haben ja nicht einmal Ahnung von Mahtematik, geschweige denn Rechnen, die sind zu dumm, um 2 und 3 zusammenzuzählen, für die ist 2 + 2 ja gleich 5.

    XXXX

    [Edit: Satz gelöscht. Bitte die Netiquette beachten. Danke. JK]