Wenn das von Gesundheitsminister Spahn vorlegte Masernschutzgesetz so kommt, wie es der Entwurf vorsieht, müssen sich auch die Beschäftigten in Gesundheitseinrichtungen mit Patientenkontakt impfen lassen. Der Gesetzentwurf nimmt dabei auf Einrichtungen nach § 23 IfSG Bezug. Das schließt Heilpraktiker und ihre Angestellten ebenso ein wie alternativmedizinisch praktizierende Ärzte. Die von den „Ärzten für individuelle Impfentscheidung e.V.“ auf den Weg gebrachte Petition gegen die Impfpflicht ist somit auch eine Petition in eigener Sache, da werden sich wohl einige nicht gerne impfen lassen. Auch Hebammen müssen sich nach Spahns Entwurf übrigens impfen lassen, egal ob sie angestellt im Krankenhaus arbeiten oder in eigener Praxis tätig sind (§ 23 (1) Punkt 9 nennt explizit die „Praxen sonstiger humanmedizinischer Heilberufe“), ebenso die Beschäftigten in Pflegediensten.

Verantwortlich ist jeweils der Leiter der Einrichtung. Allerdings enthält der Gesetzentwurf bei den Beschäftigten anders als bei den Kindern und Jugendlichen keine Vorschrift, die bei nichterfolgter Impfung eine Meldung an das Gesundheitsamt mit nachfolgenden Sanktionen vorsieht. Ich bin kein Jurist, aber das könnte darauf hinauslaufen, dass niemand merkt, wenn sich z.B. ein impfkritischer Heilpraktiker nicht impfen lässt. Wobei das impfkritische Milieu wohl auch wenig Mühe haben dürfte, sich im Bedarfsfall eine Kontraindikation bescheinigen zu lassen.

In der Begründung des Gesetzes steht die Absicht, die Umsetzung des Gesetzes zu evaluieren: „Nach Ablauf des 31. Juli 2020 soll der Stand der Umsetzung des Gesetzes mit den Ländern geprüft werden.“ Dabei könnte man dann auch bestimmte Gesundheitsberufe gezielter unter die Lupe nehmen. Oder schauen, ob manche Ärzte gehäuft Kontraindikationen bescheinigen. Aber wird man das tun? An der Stelle nur nebenbei: Kurioserweise ist nicht vorgesehen, das Gesetz wieder aufzuheben, falls es sich in der Evaluierung als erfolglos erweisen sollte. Die vorgeschriebenen Maßnahmen sollen erst entfallen, „sobald die Weltgesundheitsorganisation förmlich festgestellt hat, dass die Masern eradiziert sind.“ Das kann dauern.

Kommentare (3)

  1. #1 nota.bene
    11. Mai 2019

    Ich glaube, wir brauchen noch nicht groß über die Auswirkungen des Masernschutzgesetzes zu spekulieren – mit statistisch 50%-iger Wahrscheinlichkeit wird es vor dem BVerfG durchfallen, und gemessen an der wehleidigen Rechtssprechungspraxis der letzten Jahre dürfte sie sogar bei eher 90% liegen.

  2. #2 Joseph Kuhn
    11. Mai 2019

    Martin Hirte zur Masernimpfpflicht:

    Martin Hirte, Mitglied der “Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V.”, hat dem Donaukurier ein interessantes Interview gegeben.

    Über manche Passage des Interviews kann man durchaus streiten, z.B. dürften seine Angaben zur Masernsterblichkeit von 1 Sterbefall je 20.000 oder 25.000 Erkrankungen in den 60er/70er Jahren erheblich zu niedrig sein. Legt man die Daten aus der DDR zugrunde, die damals schon eine Masern-Meldepflicht hatten und vermutlich keine ganz andere Versorgung der Fälle als bei uns, kommt man für die 60er Jahre auf eine Letalität von 1 Sterbefall je 2.000 Erkrankungen, die SSPE-Fälle nicht mitgerechnet, von denen man damals noch nichts wusste.

    Auch geht sein Hauptargument gegen die Impfpflicht Spahns, sie würde die jungen Erwachsenen nicht einbeziehen, etwas fehl, denn in dem Punkt ist der Gesetzentwurf besser als das, was vorher in der Diskussion war.

    Aber in ungewohnter Klarheit sagt er, dass das Durchmachen der Masern keine empfehlenswerte Alternative zur Impfung ist:

    “Eine Masern-Erkrankung schneidet im Vergleich mit der Masern-Impfung wesentlich schlechter ab. Eltern, die Angst vor der Impfung haben, wetten natürlich darauf, dass ihr Kind keine Masern bekommt. Nur das ist auf keinen Fall garantiert – und das muss man den Eltern auch klarmachen. Eine Ansteckung kann immer und überall passieren. Und dann ist das Kind mehr in Gefahr als durch irgendwelche Nebenwirkungen einer Masern-Impfung.”

    Mögen es in seinem impfkritischen Umfeld Gehör finden.

  3. #3 Joseph Kuhn
    12. Mai 2019

    Steffen Rabe zur Masernimpfpflicht:

    Die “Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V.” sind gerade sehr aktiv und scheinen begleitend zu ihrer Petition gegen die Impfpflicht eine abgestimmte Kommunikationsstrategie zu verfolgen. Steffen Rabe, ebenfalls Münchner Kinderarzt in diesem Verein, hat gerade ein in den Grundaussagen zu Hirte mehr oder weniger identisches Interview gegeben.

    Auch er lässt – immerhin – keinen Zweifel an der Wirksamkeit der Masernimpfung, aber die bevölkerungsmedizinische Abwägung Nichtimpfen/Impfen fällt bei ihm unangemessen positiv zugunsten des Nichtimpfens aus. Er stellt mit Blick auf die Immunitätslage eine Bevölkerung mit durchgemachten Masern einer geimpften Bevölkerung gegenüber und attestiert ersterer eine “erstklassige Immunität” gegenüber einer weniger guten Immunitätslage einer durchimpften Bevölkerung. Er unterschlägt dabei wider besseres Wissen, wie viele Menschen in dem Fall gar nicht von der möglicherweise ja wirklich etwas besseren individuellen Immunitätslage profitieren würden – weil sie gestorben sind. Rabe ist Homöopath, die Neigung, nur auf die Fälle zu schauen, bei denen es gut ausging, ist unter Homöopathen offensichtlich unüberwindbar.

    Hätten wir wieder jedes Jahr eine halbe Million oder mehr Erkrankungen, wäre auch bei den heutigen medizinischen Möglichkeiten mit jährlich hunderten Sterbefällen durch Masern und SSPE zu rechnen.

    Diesen Preis muss man nennen, wenn man wie Rabe solche Alternativen aufmacht – und man muss ihn ethisch vertreten. Das ist übrigens nicht nur eine Frage im individuellen Arzt-Patientenverhältnis, sondern auch eine der bevölkerungsmedizinischen Ethik – der sind Ärzte der Berufsordnung nach ebenfalls verpflichtet.